Alexander Moszkowski
Das Geheimnis der Sprache
Alexander Moszkowski

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Ihr Feld ist die Welt

Nationalismus ist der Gegensatz zum Kosmopolitismus, Internationalismus ist die Synthese von Kosmopolitismus und Nationalismus auf höherer Bewußtseinsstufe.

Wir werden diesen Satz seinem Sinne nach zu erörtern haben und ihn überdies gleich im Eingang der Betrachtung als ein Versuchsmodell benützen. Ich stelle mir vor, er würde nicht nur von einem Deutschen gelesen, sondern dazu von einem nicht ganz ungebildeten Engländer, Italiener, Franzosen, Holländer, Skandinavier, überhaupt von irgend einem leidlich unterrichteten Manne aus aller Welt, der im gewöhnlichen Verlauf der Dinge keine Gelegenheit hat, über seine Muttersprache hinaus zu denken, zu reden und zu verstehen. Für mich unterliegt es keinem Zweifel, daß obiger Satz von allen seinen Lesern ohne sonderliche Schwierigkeit begriffen werden wird. Auf die Anerkennung seines Inhalts nach Richtig oder Falsch kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, sondern nur auf das Verstehen an sich. Und dieses Verstehen wird sich nach kurzer Überlegung einstellen, da die Haupt- und Stichworte des Satzes sozusagen als Dolmetscher der übrigen Worte mit auftreten.

Würfe der Satz seine deutsche Einkleidung ab, um französisches, englisches, italienisches, holländisches Gewand anzunehmen, so würde sich daran nichts ändern. Legt ihn in Französisch einem Griechen, in Holländisch einem Spanier, in Schwedisch einem Deutschen vor, – immer wird er nach seiner wesentlichen Bedeutung in wenigen Sekunden, höchstens Minuten erfaßt werden.

Denn in jedem halbwegs intelligenten Menschen lebt etwas von einem Brugsch, Champollion oder Oppert, und jedes Eintasten in fremden Sprachstoff läßt sich der Arbeit vergleichen, die zur Entzifferung der Hieroglyphen und Keilschriften geführt hat. Es ist immer eine Art von Sprach-Algebra auf höherer oder geringerer Stufe, eine Art von Berechnung zur Ermittelung unbekannter Größen aus bekannten, bisweilen nur erahnten. Liegt gar nichts Bekanntes oder leicht zu Deutendes vor, dann freilich wird sich der Durchschnittskopf zu schnellem Verzicht gedrängt fühlen. Er versteht dann eben wirklich nichts und wendet sich mit einem »Kannitverstan« von dem dunkeln Satz in fremder Sprache. Aber mit einem gewissen Frohgefühl stößt er dann gelegentlich auf einen Satz wie den vorangestellten; einige Bestandteile darin blicken ihn vertraut an und erklären ihm mancherlei auch über ihren eigentlichen Wortkreis hinaus. Wie Laternen stehen sie im Dunkel der fremden Ausdrücke, und er müßte schon ein richtiger Stolprian sein, wenn er nicht imstande sein sollte, sich von einer Laterne zur nächsten zu helfen.

Für uns Deutsche sind diese Glühflämmchen im deutschen Satze die »Fremdworte« im Gegensatz zu den Satznachbarn, denen wir die Heimatsberechtigung zuerkennen. Für alle andern, für die große Mehrheit mithin, liegt die Sache genau umgekehrt: unsere heimatberechtigten Ausdrücke sind ihnen die fremden, unsere fremden die Hausgenossen; da sie in ihrem Englisch, Französisch, Italienisch, Holländisch, Schwedisch, kurz überall denselben Umlaufswert besitzen, den sie bei uns haben müßten, haben sollten, wenn nicht der Unverstand am Werke wäre, die Hauptträger der internationalen, von Volk zu Volk reichenden Verständigung auszurotten.

Erkennen wir dies in ganzer Tragweite der Wirkung, so müssen wir uns zum Angriff auf einen Ausdruck entschließen, der mehr Unheil angerichtet hat, als irgend einer seit der babylonischen Sprachverwirrung; es ist der Ausdruck: Fremdwort! Was durch die Silbe »Fremd« geächtet werden, als barbarum verschrieen werden soll, ist tatsächlich das der Barbarei, der verderblichen Abschließung, der vereinsamenden Chineserei Entgegenwirkende. Fort mit dem Ausdruck »Fremdwort« für die Worte, die überall verstanden werden, wo die Bildung eine Heimat hat! »Weltworte« sind sie mit hochbewertetem Kurs, wo nur in Ost und West gebildete Menschen mit einander reden!

Wenn nach Menschenaltern die Kulturforscher auf die Strebungen der Gegenwart zurückblicken werden, in hundert, dreihundert oder fünfhundert Jahren, so wird sich ihnen für ihre Darstellung eine Tonart aufdrängen, wie uns, wenn wir von scholastischen, juridischen, theologischen Verirrungen des Mittelalters berichten, von vernunftfesselnder Haarspalterei am Wort, von Zunftzwang, Hexenglauben, Tortur und derlei angenehmen Dingen. Es ging eine Epidemie durchs Land, so werden sie sagen, deren Träger zwangsläufig so handelten, als ob sie Werte vernichten müßten. Sie zertrümmerten die Laternen auf dunklen Wegen, sprengten Brücken, zerstörten alle Verbindungsmittel, die aus der Enge ins Weite führten. Und sie glaubten ein vaterländisch Werk zu verrichten, wenn sie das Vaterland absperrten, wenn sie ihm Zufuhr und Ausfuhr unterbanden.

Um aber ganz in der Gegenwart zu bleiben, so denken wir uns einen mit Schlagworten der Heimat um sich werfenden Eiferer, der folgendes Programm vor sich hertrüge: Kampf und Tod allem Internationalen! Der weitaus größte Teil der Menschheit mißt nach Metern und Kilometern, kehren wir zum Fuß, zur Elle, zur Wegstunde zurück, und erklären wir das in Welschland ausgebrütete Metersystem für undeutsch und unwürdig eines deutschen Mannes. Wir verwerfen und verfemen das Gramm und Kilogramm, die elektrischen Einheiten Volt, Ampere und Watt; wir verwerfen sogar das ganze Dezimalsystem, denn alles Dekadische ist von Indern und Arabern gekommen, und wir wollen deutsche Rechnung, die man nur in Deutschland versteht und sonst nirgends in der Welt. Die deutsche Stunde soll 57 Minuten zählen, oder 63 Minuten, aber nicht 60, denn soviel zählt die Stunde in der großen Welt, und die ist undeutsch. Briefe und Zeitungen ins Inland und Ausland? das paßt uns nicht, denn solcher Verkehr erinnert an den Weltpostverein, und diese Einrichtung ist international, also undeutsch, verächtlich und reif für unseren ausrottenden Zorn! – Dieser Werber würde Anhänger finden und völkische Gefolgschaft. Und im Grunde unterschiede sich seine Fanfare nur in der Tonart, nicht aber in der Melodie von der unserer Sprachbegrenzer: denn auch diese fordern die Preisgebung internationaler Errungenschaft, wie sie im Weltwort dem Weltverkehr und der Weltverständigung dient.

Wir sind das Volk der Dichter und Denker, also abgestempelt in England, und in dieser Eigenschaft werden wir unsere Welthegemonie aufrecht zu erhalten haben. Während im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert das Schwergewicht in Frankreich und England ruhte, hat im neunzehnten Deutschland drei Viertel der geistigen Arbeit für Europa geleistet, und die Folgezeit soll diese Arbeit vertiefen und verbreitern. Hierzu brauchen wir eine Sprache, die sich nicht nach den nahegelegenen Kirchtürmen orientiert, sondern nach den Leuchttürmen des Wissens, der Forschung, der Geistigkeit. Man nenne mir eine Frage, die für uns wichtiger wäre! kann es eine größere geben als die der geistigen Weltstellung? Und trägt sie nicht ihre Antwort in sich, wenn wir sie nur richtig stellen, nämlich so, daß Geistigkeit und weltverständliche Sprachlichkeit in ihr als untrennbare Güter auftreten?

Es könnte erstaunlich erscheinen, daß die Internationalität der Sprache vordem in den fachlichen Erörterungen über Weltverkehr eine so geringe Rolle gespielt hat, wenn es sich nicht eigentlich von selbst erklärte. Denn die deutsche Sprache war – bis der Große Krieg die Wandlung brachte – auf dem besten Wege, eine Weltsprache zu werden, aus sich heraus, aus eigener Sendung, ohne Verabredung und Festsetzung auf Konferenzen und Kongressen an grünen Tischen in Genf, Bern und im Haag. Um diese Festsetzungen aber kreiste vordem der Inhalt aller Fachschriften über Internationalität und deren möglichen weiteren Ausbau. Das Herz konnte einem weit werden, wenn man sie las und dabei verspürte, wie sich jenseits der Zeitergebnisse ahnungsvolle Fernsichten in ein goldenes Zeitalter öffneten.

Mancher Blütentraum ist seitdem verflogen, und doch werden wir wieder an das anknüpfen müssen, was kenntnisreiche Männer auf Grund des Erreichten mit großzügigen Prognosen verkündeten. Ich denke hier vornehmlich an die Studie »Weltbürgertum, Nationalstaat und internationale Verständigung«, die Ludwig Stein ein Jahr vor Beginn des Weltkriegs veröffentlicht hat. Seine Ansagen, an nahen Zeiten gemessen, sind von der harten Wirklichkeit überrannt worden. Auf weite Zeiten gemessen, werden sie neue Gültigkeit gewinnen. So teilt das Auge des Propheten das Schicksal aller Augen, die ja von Natur aus auf teleskopische Leistungen eingestellt sind. Kein Auge dringt von der Berliner Behausung bis Magdeburg, aber ohne die geringste Schwierigkeit blickt es bis zum Polarstern, erkennt es vom Fenster aus das Sternbild der Leier und des Herkules.

So haben die in der genannten Studie aufgestellten Scheinwerfer keine der von uns erlebten Kriegsbegebenheiten vorausbeleuchtet, keines jener Ereignisse, die in den vormaligen verheißungsvollen Bau der zwischenvölkischen Einrichtungen Bresche legten und sie scheinbar in den Grundfesten zerstörten. Desto klarer aber erhellten sie den Weg, der von der verflossenen schwarmgeisternden Weltbürgerlichkeit über die Ausschließlichkeit des Nationalstaates hinweg zum Internationalismus geführt haben. Aus dem Zuge jener Betrachtungen seien hier einige Linien lose nachgezeichnet. Sie erscheinen mir unentbehrlich zum vollen Verständnis dessen, was ich selbst über die Sendung unserer Muttersprache für eine künftige Völkerverständigung zu entwickeln habe.

Schillers Ode »Seid umschlungen Millionen« und ihre Vertonung im Chorsatz der Neunten Symphonie bilden das klingende Leitmotiv einer Geistesverfassung, die im Aufklärungszeitalter als richtunggebend unter den Höchstgebildeten vorwaltete. Weltbürgertum, Kosmopolitismus hieß die Parole, die oft in flammenden Worten bekannt, immer gedacht und gefühlt, einem Kant, Herder, Goethe, Schiller, Fichte, Hegel, Hölderlin, Schelling, den Schlegel, der ganzen Frühromantik, als auf ein vermeintlich erreichbares Ideal weisend voraustönte.

Daß einzelne dieser Männer sich in weiterer Entwicklung von der ursprünglichen Parole lossagten, um ihre Hoffnungen und Forderungen auf den Nationalstaat zu richten, ändert nichts an deren weitgespanntem Grundbekenntnis. Wir alle haben Ähnliches in der von uns durchmessenen großen Zeit, namentlich in ihrem Beginn, an zahlreichen Wortführern der öffentlichen Meinung erlebt, aus gleichen Ursachen, mit gleichen Wirkungen. Und gerade die Parallele aus beiden Zeiten kann uns befähigen, Schlüsse zu ziehen in eine Zukunft, die sich voraussichtlich lebhaft der Vergangenheit erinnern und an sie anknüpfen wird.

Gewiß, Fichtes Reden an die deutsche Nation von 1808, und damit der ganze Fichte, wie er in ihnen und durch sie seine geschichtliche Figur erhalten hat, scheinen eher den Negativpol des positiv-kosmopolitischen Pols darzustellen. Aber der Gegensatz ist auch wirklich ein polarer, in dem Sinne, daß das Positive nicht etwa verschwindet, wenn uns das Negative als das Wesentliche gegenübertritt. Nein, es bleibt vorhanden, als Vorstufe, im Unterbewußtsein, und dort einer neuen Entladungsform gewärtig. Und wenn Fichte den Weltbürger ursprünglich ersehnt, später verleugnet, so ist der Sinn des Vorgangs: daß der Erdenbürger erst alle Segnung seines nationalen Staates in sich aufzunehmen hat, ehe er reif wird für das Glück eines Menschen, in dessen Inneren die Weltseele mitschwingt.

Aber wenn er auch das Nationale wie eine brausende Glocke mit gestrafftem Arm trägt, in seiner Brust kommt ein anderer Ton nicht zum Schweigen, ein Ton wie Echo aus dem erträumten Menschheitsdom des Weltbürgertums. Noch bleibt er Nachhall des alten Ideals, wird nie Vorhall dessen, das da kommen soll. Fichte hat überwunden, aber die Erinnerung bleibt ihm lebendig; und fast gleichzeitig mit seinen großen Reden bekennt er sich in seinen »Patriotischen Dialogen« von 1807 zu dem Glauben, »daß der kräftigste und regsamste Patriot ebendarum der regsamste Weltbürger ist.« Patriotische Dialoge! – der ganze Titel besteht aus Fremdworten, das heißt Weltworten, die der Völkische von heute als undeutsch anprangert. Und vielleicht regt sich bei denselben Völkischen noch heute ein nachträglicher Groll gegen Fichte, weil er seine flammenden Reden nicht an das Volk, sondern an die deutsche »Nation« gerichtet hat.

Auch in der Sprachform dieses Wortes liegt ein Nachklang des universellen Bekenntnisses, wie ferner Fichtes klares Gefühl dafür, daß er über die Volkheit hinaus eine im Kultursinn übergeordnete »Nation« aufzurufen hat. Mit diesem Vorbehalt im Titel spricht er freilich deutsch, blankes Deutsch zur großen Masse. Aber es fällt ihm nicht ein, sein Deutsch ebenso durchzusieben, wo er sich an den Gelehrten, den Künstler oder den Studienbeflissenen wendet; wie dies überhaupt noch keinem eingefallen ist, der Weltgültiges gedacht und ausgesprochen hat.

Dieser sprachliche Kosmopolitismus blieb bei den Besten in Geltung, verbunden mit Strebungen, die unter voller Wahrung des nationalen Gedankens auf das neue Ziel der internationalen Verständigung hinauswollten; bei den Besten, die die Möglichkeit eines »dritten Reiches« erkannten, worin nationale Willensbildung und Verständigung von Volk zu Volk nicht mehr als Gegensätze, sondern als natürliche Ergänzungen aufzutreten hätten. Das neue Ziel lag nicht im Traumland oder Wolkenkuckucksheim. Es handelte sich nicht mehr darum, die Millionen zu umschlingen und die ganze Welt abzuküssen; wohl aber sollte versucht werden, die Reibungswiderstände zwischen den Völkern zu mindern und das Gemeinsame der Nationen zur Geltung zu bringen. Der Kosmopolitismus verhielt sich zur Internationalität wie die urväterische Postkutsche zum modernen Blitzzug, der neue Gedanke verzichtete auf die Begriffslyrik und Romantik des alten, um die Lebensmöglichkeiten zu steigern und den Widerspruch von nationaler Enge und technischer Weite aus der Welt zu schaffen. Die große Technik mit ihrer Überwindung von Raum und Zeit paßte weder in die schmale Umgrenzung des Nationalwillens, noch eignete sie sich mit ihren brutalen Kräften zur Verwirklichung der weltbürgerlichen Sentimentalität. So verblaßte der Kosmopolitismus mehr und mehr zu einem phantastischen Schemen, während der Internationalismus sich immer entschiedener als der Träger praktischer Wirklichkeitswerte offenbarte.

Harte Notwendigkeiten traten auf, die sich ohne schwärmerisches Gesäusel elementarkräftig durchzusetzen wußten, über alle Grenzpfähle hinweg. In dichter Folge reihten sich Forderungen an Verwirklichungen auf zahlreichen Konferenzen und Kongressen, welche sich mit Weltpost, Arbeiterschutz, Bahnverkehr, Urheberrecht, Telegraphie, Luftrecht, Statistik, Wohlfahrtspflege und allen Gemeinsamkeiten der Wissenschaft und Kunst beschäftigten. Kaum ein Zweig geistiger Betätigung wäre zu finden, der nicht irgendwie versucht hätte, aus der großen Weltbestrahlung neue Triebe für sich zu gewinnen. Heutigentags, da die sengende Furie nur noch vereinzelte Wahrzeichen, wie das Rote Kreuz und den Nobelpreis, übrig gelassen hat, denken wir mit Wehmut zurück an so viele Kongreßergebnisse, Ausstellungen, Brücken von Amt zu Amt, von Akademie zu Akademie, an all die Bauten, die durch den Weltfriedenspalast im Haag ihren krönenden Abschluß erreichen sollten. Und gleichwohl wissen wir: nicht Utopien waren es, nicht leere Vergänglichkeiten, nicht ausgeträumte Wahngebilde. Nur das Zeitmaß, das wir für ihre unzerbrechliche Verwirklichung angesetzt hatten, war verfehlt. Was wir im Überschwang für die Generalprobe, wohl gar schon für die Aufführung genommen hatten, war tatsächlich nur die erste Lesung eines szenischen Entwurfs, der ins Feuer wandern mußte, weil einige dramatische Voraussetzungen nicht stimmten. Die Menschheit wird neue Proben ansetzen, und Aufgabe ihrer Dramaturgen wird es sein, den unzerstörbaren Kern des internationalen Werkes mit besserer dramatischer Motivierung herauszuarbeiten.

Aber auch in dieser künftigen Ausarbeitung wird der Nationalgedanke seine volle Geltung behaupten müssen. Ihn herauslösen hieße in die alte Schwarmgeisterei zurückfallen, mit der sich die weltbürgerlichen Allumschlinger von Anno Tobak benebelten. In jener Studie, von der wir oben ausgingen, heißt es kurz und treffend: Der Kosmopolitismus ist der Utopismus des Internationalismus – Nationalismus ist der Gegensatz zum Kosmopolitismus, – Internationalismus ist die Synthese von Kosmopolitismus und Nationalismus auf höherer Bewußtseinsstufe.

Wir hatten diesen Satz als Versuchsmodell vorangestellt, um vom Fremdwort zum »Weltwort« zu gelangen. Denn das Weltwort spielt in der Internationalität keine geringere Rolle, als irgend eine jener Gemeinsamkeiten, die wir vordem so hoch gepriesen hatten und in absehbarer Zukunft abermals preisen werden.

Und warum wurde das bis jetzt so mangelhaft gewürdigt? Ohne Umschweif gesagt, so gar nicht erkannt? Wie kam es, daß so selten, – oder nie – ein Anwalt des Fremdwortes an einem jener grünen Tische Platz nahm, an denen Internationales gefördert und gefordert wurde?

Das kam so: Es gibt natürlich eine Frage der internationalen Sprache. Sie fand auch ihre Beantwortung in Kunstgebilden, die unter den Namen Volapük, Esperanto, Ido bekanntgeworden sind, wenn, man will sogar berühmt. Das Esperanto zählt auf der Erde meines Wissens etwa eine Million Anhänger und Pfleger, das heißt also den fünfzehnten Teil eines Prozentes der Menschheit. Und wenn so Einer unter Fünfzehnhundert, sagen wir in Tokio, mit wiederum Einem unter Fünfzehnhundert, sagen wir in Köln, in Verbindung tritt, so können sie sich tatsächlich verständigen.

Es geht aber mit den Geschäftsbriefen in Esperanto wie mit den Gespenstern: alle Welt redet von ihnen, aber keiner erblickt sie. Ich für meine Person muß gestehen, daß ich noch niemals den Vorzug gehabt habe, einen Esperanto-Brief zu Gesicht zu bekommen; und ich habe auch unter meinen Bekannten keinen einzigen, der mir vom Empfang solcher Esperantoschrift zu berichten vermocht hätte.

Das wäre freilich noch kein Beweis gegen die Zukunft des Esperanto oder gegen die Möglichkeit einer Weltsprache überhaupt. Wohl aber darf daraus ein Wahrscheinlichkeitsschluß gezogen werden, und dieser Schluß deckt sich vortrefflich mit allen Überlegungen, welche die Sprache als ein organisch gewordenes und wachsendes begreifen. Stellt man das Organische dem Mechanischen gegenüber, das Lebendige dem Kunstprodukt, so sagt man sich von vornherein: selbst wenn es gelänge, die Pfleger des Esperanto auf zehn oder hundert Millionen zu bringen, so wird es sich immer noch zu einer wirklichen Sprache verhalten wie eine Papierattrappe zu einer Blume, wie eine Automatpuppe zu einem atmenden Menschen.

Aber vielleicht könnte es eine Ersatz-Sprache werden, ein Sprach-Ersatz, wie wir ja so viele Ersätze besitzen, mit denen wir uns hindurchhelfen, obschon wir uns über ihre Minderwertigkeit gar nicht täuschen. Auch das ist in hohem Grade unwahrscheinlich. Und zwar aus dem einfachen Grunde, weil kein Verständiger sich mit dem Ersatz befreundet, wenn er das Echte haben kann. Wenn ein Unkundiger statt vier Wochen Esperanto zu üben, die nämlichen vier Wochen Englisch oder Französisch paukt, so wird er zwar von diesen Sprachen nur ein Minimum in Besitz bekommen, aber mit diesem Wenigen in der Welt sehr viel weiter reichen, als mit dem Höchstbesitz von Esperanto. Und außerdem, selbst jenes Minimum wird noch Sprache sein, unvollkommene, fehlerhafte, aber doch Sprache, nicht bloß flatus vocis und Zeichen auf Papier, während jede am Studiertisch ersonnene Kunstsprache nichts anderes sein und werden kann, als eine Summe von Signalen, in denen man wohl Gedachtes melden, aber nicht denken kann.

Der schärfste Einwand gegen diese Ansicht leitet sich aus der Teilnahme großer Männer her; so war unter den früheren Cartesius und Leibniz, so ist unter den heutigen Wilhelm Ostwald Befürworter der Kunst-Weltsprache. Zwischen Leibniz und Ostwald liegen rund dritthalb Jahrhunderte. Ich kann natürlich nicht wissen, ob nicht nach weiterem Vierteljahrtausend abermals ein Bedeutender mit dem nämlichen Bekenntnis auftreten wird. Aber das eine weiß ich, daß dieser Kommende das Feld anders vorbereitet finden wird; nämlich dadurch, daß dann die Gebildeten sich ohne gekünstelte Umwege auf Grund ihrer wirklichen Sprachen werden verständigen wollen. Der Kommende wird dann nur noch nötig haben, den Weltworten als Dolmetschern die letzten Hindernisse aus dem Wege zu schaffen.

Für uns Deutsche wiederholt sich hier derselbe Vorgang im Sprachlichen, der zuvor noch allgemeiner in der naturgesetzten Linie vom Weltbürgerlichen über das Nur-Nationale zum Mehr-als-Nationalen betrachtet wurde. Freilich müssen wir nunmehr die Zeiträume ganz anders abstecken und in die Entwicklung einlagern. Dem ersten wäre das edle Schrifttum unter Vorherrschaft der lateinischen Gelehrtensprache zuzuweisen, also vom ersten Auftreten der Humanisten bis etwa zum Ausgang des siebzehnten Jahrhunderts. Der Gedankenbildner und Gedankenverkünder brauchte kein erklügeltes Volapük oder Esperanto zur Mitteilung, das Latein war Weltsprache und bezeichnete in seiner universellen Geltung ein Weltbürgertum, das sich gar nicht in sehnsüchtigen Verschwommenheiten zu ergehen brauchte, da es seine restlose Erfüllung in sich barg. Mit Latein auf dem Katheder und Latein in der Abhandlung wurde man in Paris ebenso verstanden wie in Salamanca, Padua, Leiden und Utrecht, Prag, Nürnberg, Cambridge, Upsala; hätte man damals von einem Gelehrten gefordert, er sollte nur in seiner Muttersprache, für sein Land schreiben und sich im übrigen auf die Übersetzer vertrösten, so wäre ihm das so abenteuerlich vorgekommen, wie heute die Zumutung an einen Verleger erscheinen würde, er möge seine Zeitung nicht durch die Schnellpresse, sondern durch Handabschriften verbreiten.

Jene Kosmopolis begann zu verfallen und erhielt ihren ersten klaffenden Riß, als der prächtige Magister Christian Thomasius (1687) an der Universität Leipzig seine akademischen Vorlesungen in deutscher Sprache ankündigte. Die Professorenzunft läutete Sturm und rief zum Kampf gegen den Vandalen, der es wagte, »das ehrliche schwarze Brett so zu beschimpfen und die Lingua latina als Lingua eruditorum hintan zu setzen.« Sie instrumentierten ihren Zorn mit denselben Kraftmitteln, mit denen die Zünftigen von heute aus genau entgegengesetzten Gründen und in genau entgegengesetzter Richtung brüllen. Wie heute das Deutsche, so sollte damals das Lateinische gerettet werden, beidemal von Leuten ohne Sinn für unaufhaltsame Naturnotwendigkeiten. Damals hieß die Notwendigkeit: Beginn des nationaldeutschen Zeitalters mit all seinen nachfolgenden Herrlichkeiten im Schrifttum. Und wiederum wird es unsere Aufgabe, die Zeichen zu deuten, um die Horizontdämmerung des Dritten Reiches zu erkennen, das unter voller Wahrung, ja sogar Mehrung des deutschen Besitzes, das übergeordnete internationale Sprachgut zur Geltung bringen soll.

Nur um den Einteilungsgrund handelt es sich im Vergleich mit der zuvor behandelten Linie, nicht um die genaue Ausfüllung eines geschichtlichen Schemas mit bezifferten Jahren. Konnte die Tat des Thomasius noch als ein Grenzzeichen gelten zwischen Kosmopolis und dem Aufruf zur deutschen Sprachnation, so fehlt ein Zeichen von gleicher Eindringlichkeit für die künftige Gestaltung. In tausend Teilerscheinungen kündigt sie sich an, mitten im nationalen Flusse, der einem uns unbekannten Ziel zustrebt. Wir schwimmen in ihm mit der Strömung, wir spüren seine stetige Verbreiterung, und wir ahnen, daß er dermaleinst in einen Ozean münden wird.

Da wir aber gern in der Erscheinungen Flucht Personen als Notbehelfe zur Orientierung verwenden, – so wie wir sagen: von Aristoteles bis Kant, – von Ptolemäus bis Kepler, – von Aeschylos bis Goethe, – so möchte ich hier, lediglich um für eine engere Zeitspanne dem Vergleichsbedürfnis zu genügen, die Ansage aufstellen: von Thomasius bis Nietzsche. Also als ein Wahrzeichen möchte ich den Weisen von Sils-Maria ansehen, mit allen erdenklichen Vorbehalten, aber in dem klaren Bewußtsein, daß jedenfalls an keinem andern das, worauf es hier ankommt, besser aufgezeigt werden könnte als an ihm.

Denn was soll hier aufgezeigt werden? Ein Gegenwärtiges und Künftiges unserer Sprache; ein Umschwungspunkt, auf dem sie so reich geworden ist, daß sie sich fortan in verschiedenen Richtungen ausleben muß, da ein einziger Weg nicht mehr imstande wäre, ihrer Fülle Raum zu gewähren. Von dem rein nationalen Weg spaltet sich ein zweiter ab: der internationale.

Nietzsche spricht bereits beide Sprachen, – Grund genug für die Unentwegten, um ihn mit ihrem inbrünstigen Hasse zu verfolgen. Denn für sie vermengselt sich das Weltbürgertum des verflossenen Latein mit der Fremdwörterei und mit der Sprache der höchsten Geistigkeit zu einem gestaltlosen Brei, als dessen Hauptanrührer sie eben den gewaltigen Sprachmeister Nietzsche betrachten; ihn, der in der Gegenwartssprache Unübertreffliches schuf und dabei hellhörig genug war, um Klänge einer ferneren Sprache aufzufangen, um Präludien zu Sprach-Fugen der Zukunft zu gestalten.

Er schrieb beide Sprachen mit dem strengen Bewußtsein ihrer Trennung nach Wesen, Laut und Herkunft. Der Zarathustra, nach seiner eigenen in Scheindunkel gehaltenen Bezeichnung »Ein Buch für alle und keinen«, ist in Wahrheit ein Buch für alle, frei von Griechisch, Alt- und Neulatein; eine Werbung um die Gesamtheit trotz der Kriegsansage an jeden Einzelnen: »Wer den Leser kennt, der tut nichts mehr für den Leser. Noch ein Jahrhundert Leser, und der Geist selber wird stinken.« Daneben aber auch das herrliche Wort: »Von allem Geschriebenen liebe ich nur das, was einer mit seinem Blute schreibt. Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren, daß Blut Geist ist.« Nietzsches Blutschrift im Zarathustra war für die Masse der Leser bestimmt, die er lästernd begehrte, denen er mit offenen Armen entgegen kam, daß sie sich ihm entgegenwürfen, um ihn zu begreifen. An dies Begreifen macht er weitgehende Zugeständnisse, weil er zu den deutschen Lesern spricht wie in einem lyrischen Gedicht, wie in einer Feldpredigt, die auf den Grundlinien verharren müssen, um nicht aus der Art zu fallen. Denkt man an den Nietzsche der anderen Schriften, so wird man von Ausdrücken und Wendungen im Zarathustra angesprochen, wie von Übersetzungen aus dem Weltsprachigen ins Deutsche. Er spricht von der Erde und ihren »Achtbarkeiten«, wo ihm an anderer Stelle das Wort »Dignitäten« loser auf der Feder gesessen hätte, vom »Irr-Schlunde«, wofür ihm sonst »Labyrinth« leichter entflossen wäre. Aber das Wesentliche bleibt, daß sich mit diesem Inhalt nur diese Ausdrucksweise vertrug, eine auf den Tiefpunkt des Anspruchs herabgeschraubte, dem Ausdruck vorzeitlicher Propheten genäherte Primitivsprache.

Er kann auch anders, weil er im Grunde ein anderer ist. Bestimmt den Zarathustra eine gewollte und glänzend studierte Absichtlichkeit, so herrscht in seinen übrigen Prosaschriften er selbst mit seinem Feingefühl für die Sprachbedürfnisse der Zukunft, und wenn er in ihnen spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen, so spricht er eine unverkennbar international gerichtete Sprache. Seine »Genealogie der Moral«, sein »Ressentiment«, sein »Hedonismus auf morbider Grundlage«, seine »Asketischen Ideale«, vor allem sein nie zu vergessendes »Pathos der Distanz« müßten als Zitatproben verhundertfacht werden, um nur den Vokabelschatz (natürlich nicht die leiseste Spur des Inhalts) in jenen Schriften anzudeuten. Aber alle Welt hat sie genossen, und niemand erwartet hierüber besondere Beweise. Nur eine einzige Stelle möchte ich erwähnen, wiederum als Lehrmodell für die Betrachtung, die den Ereignissen vorauseilt und aus Nöten und Wehen die Art künftiger Gestalten erraten möchte. Die Stelle steht in der Götzendämmerung, sie erläutert die Gegensatzbegriffe apollinisch und dionysisch, die Nietzsche in die Ästhetik eingeführt haben will, und lautet nach einem kurzen Auftakt über die dem Auge durch apollinischen Rausch zugewiesene Kraft der Vision:

Der Maler, der Plastiker, der Epiker sind Visionäre par excellence.

Es fällt mir nicht im entferntesten bei, diesen Satz selbst als ein Musterbeispiel für Sprachbehandlung anzupreisen. Wohl aber erscheint er mir als Mustermodell für unsere Erörterung, da ihm (wenn ich nur das erste Wort abtrenne) bereits alle Merkzeichen internationaler Prägung anhaften. Man muß mir dabei schon erlauben, die beiden französischen Worte als gleichwertig mit »per excellentiam« anzusehen, was gut klassisch ist und bei Seneca vorkommt. Auf die Tiefe oder Untiefe der Stelle und ihrer zahllosen Geschwister kommt es im Zuge dieser Ausführungen nicht an, vielmehr nur darauf, daß wir aus solchen Bildungen erkennen, wohin die Reise geht: nämlich zum Allgemeinverständlichen mit verminderter, zuletzt gänzlich aufgehobener Grenzsperre; und zwar in dem Verhältnis, daß die Weltworte: hier Plastiker, Epiker, Visionär, per excellentiam, um so stärker in den Dienst der Verständlichkeit eingespannt werden, je schwieriger der behandelte Gegenstand ist. Denn je schwieriger der Gegenstand, desto weniger ist er dazu bestimmt, auf ein Land, auf ein Volk beschränkt zu werden. Er will das Weltpublikum, und er erreicht es. Nicht auf dem Weg der reinen Latinität, wie ehedem, aber mit lateinischer und griechischer Hilfe, das heißt mit Weltworten, die sich dem Bau jeder Sprache leicht einfügen und sie weder vervolapüken, noch in der Entfaltung ihrer höchsten Reize hindern. Darin liegt das Geheimnis, und wenigen neben Nietzsche ist es geglückt, daran zu rühren. Denn die Vertreter der allerstrengsten Wissenschaften, die schon heute nahezu international schreiben, beanspruchen wohl kaum, als Aufsteller blendender Sprachschönheiten gewertet zu werden.

Ich meine also: Der Zeitpunkt muß einmal eintreten, da jene durch Nietzsche bereits halbwegs vollzogene, auch sonst wahrnehmbare Gabelung der Sprache allgemein als unvermeidlich, naturnotwendig und damit als sprachgültig anerkannt werden wird. Der Gedanke hieran mag manchen erschrecken, der an der papierenen Formel Einheit und Gleichheit wie an einem eisernen Regulativ festhält. Aber wie jede Gleichheit in menschlichen Gestaltungen über einen gewissen Punkt hinausgeführt zu einem Unsinn wird, so verliert auch die Einheitlichkeit irgendwo ihre Daseinsmöglichkeit, und man wird sich entschließen müssen, sie irgendwann aufzugeben. Sie ist unverträglich mit der steigenden Entwicklung, mit den Reichtümern emporstrebender Organismen, wie denn alle Morphologie, die gesamte natürliche Schöpfungsgeschichte, nur von Abspaltungen, Gabelungen, Differenzierungen zu berichten weiß. Die einheitlich festgelegte Sprache läßt sich in Vergleich setzen mit der Einheitsschule, die sich vielleicht einrichten läßt mit einer Wissensmenge, die allen Köpfen ohne Unterschied zugeführt werden kann. Aber die Einheits-Universität ist ein Unding, da jede Fakultät eine Hochschule für sich bedeutet, nicht nur im Stoff, sondern auch im Ausdruck. Die Sprache des Juristen wird eine andere als die des Theologen, diese eine andere als die des Arztes, des Chemikers, des Mathematikers. Ja innerhalb der Einzelfächer vollziehen sich Spaltungen, die einem gelehrten Alexandriner, einem Lionardo, und noch einem Descartes oder dem Allumspanner Leibniz völlig unfaßbar gewesen wären. Der Funktionentheoretiker, der Geometer, der Zahlentheoretiker gehen ihre eigenen Wege, in den Nachbarfächern entwickeln sich Sondergebiete, deren Vertreter kaum noch Notiz von einander nehmen können; wir haben leuchtende Genies der Wissenschaft, die kein Examen im Nachbarfach bestehen, nicht einmal den Vorlesungen im nächsten Hörsaal folgen könnten. Nicht anders ist es auf den technischen Hochschulen. Ein hervorragender Lehrmeister der Technik entwarf mir ein Bild, das zum mindesten auf eine nahe Zukunft zutreffen wird: Zwischen dem Ingenieur, der Brücken oder Krane oder Turbinen behandelt, klaffen Abgründe. Der eine sieht in der ganzen Welt nur Krane, dem andern ist sie ein Konstruktionsplatz nur für Brücken, für den Dritten verwandelt sich die Mechanik aller Geschehnisse in Turbinendrehungen.

Es wäre ein Wunder, wenn sich die Sprache allein dem Spaltungsprozeß entzöge, dem alle andern Geistigkeiten verfallen. Im Grunde genommen spaltet sie sich unter der Feder jedes Schaffenden, jedes Dichters, Wissenschaftlers, Zeitungsschreibers, und geschichtlich liegen ja aller Vielsprachigkeit der Erde Spaltungsprozesse zugrunde. Aber jede Landessprache für sich, vornehmlich das Deutsche, so meinen Viele, soll doch eine Einheit darstellen, soll sich möglichst auf nationale Ausdrucks- und Stilregeln festlegen, nach sprachlicher Monroe-Doktrin: Deutsch für die Deutschen. Vom Standpunkt des Staatsbürgers wäre dies ein höchst erstrebenswerter kategorischer Imperativ. Der Weltgeist fordert ein Anderes: Ihr Feld ist die Welt!

Es hätte keinen Zweck, hier den Maßstab nach Gut und Böse anzulegen und etwa vom Standpunkt des Nur-Deutschen zu erklären: wenn sich jene schon heute wahrnehmbare Teilung nach völkisch und international als unwiderruflich vollziehen sollte, so wäre dies sehr schlimm für die Sprache, ein Unglück für uns! Das Moralische versteht sich immer von selbst, sagt der große Tübinger, und sein Satz gehört zu den umkehrbar richtigen: Was sich von selbst versteht, ist immer moralisch. Hier ist etwas Naturnotwendiges, Selbstverständliches, es gehört zur moralischen Ordnung der Dinge, ist also wohl kein Unglück.

Auch kein Glück; eben nur Lebensbedingung, auf die wir uns einzurichten haben. War es ein Glück für die Schwalbe, daß sie Schwalbe wurde, nachdem sie in Vorzeiten Reptil war? oder ein Unglück für die Eidechse, daß sie Eidechse blieb? Weder das eine noch das andere vollzog sich an ihnen, sondern ein von der Natur gewolltes Gesetz. Und nur unser anthropomorpher Deutungstrieb verlockt uns, vom Glück der Schwalbe zu reden, weil sie fliegen kann. Immerhin könnte sich der Widerspruch melden: Die Eidechse genießt den Vorzug dauernden Erdgeruchs und unentwegter Bodenständigkeit; sie hat mehr Heimat.

Auch die zukünftige Internationalsprache wird fliegen können; und das zugehörige Rein-Deutsch wird mehr Heimat besitzen. Beide werden nebeneinander bestehen, als zwei Notwendigkeiten, wie der Nationalismus und der Internationalismus.

Kehren wir zum Vergleich mit den Stromläufen zurück, so wird es ihnen ergehen wie den Wasserläufen des Alpheus und der Arethusa im klassischen Lande. Scheinbar getrennt in ihren Flußbetten, bewahrten sie doch ihre Gemeinsamkeit, da man nichts in den einen schütten konnte, was man nicht bald nachher auch auf dem andern fluten sah. Arethusa beherbergt zudem eine lokale Nymphe, und an ihr mögen die Herren vom Sprachschutz ihre Verschönerungskünste treiben, soviel sie Lust haben; das wird dem Alpheus nichts schaden, der sich weniger ums Lokale bekümmert und ins offene Meer will.

Soll ich den Vergleich noch weiter ausdehnen? Ich könnte dann in einen Bereich gelangen, wo alle Küstenhoheit aufhört und der Freiheit der Meere die volle, einer geographischen Begrenzung entrückte Freiheit der Sprache entspräche. Ja ich schrecke sogar vor dem Bekenntnis nicht zurück, daß ich unter Annahme sehr langer Zeiträume eine wirkliche Universalsprache für möglich halte; eine Einheitssprache, zu der neben anderen auch die international gerichtete Deutschsprache als eine Vorstufe hinführen würde.

Der Wunsch nach einer Solchen hat nie aufgehört. Jede Lateinschule, jedes Gymnasium ist als ein kleiner, leiser Ansatz auf diesem Wunschwege zu betrachten, wie das Lallen eines Kindes, das beten will, und sich des Inhalts seines Gebetes noch nicht recht bewußt wird.

Maupertuis, der Präsident der Akademie von Friedrich des Großen Gnaden, wollte eine Stadt begründen, in der ausschließlich lateinisch gesprochen werden sollte. Er, wie viele andere Forscher, so besonders Newton, unter den neueren Ernst Mach, vertreten die Ansicht, daß das Lateinische (selbstverständlich im Bunde mit dem Griechischen) vollkommen befähigt sei, allen fernsten und feinsten Entwicklungen moderner Gedanken und Begriffe zu folgen. Couturat hat über die Grundzüge einer Internationalsprache berichtet, die auf den wissenschaftlichen Kongressen 1900 zu Paris in Angriff genommen wurde und bis zur Bildung einer »Délégation pour l'Adoption d'une langue auxiliaire internationale« gediehen war. Blieben die Wünsche unerfüllt, so lag der Grund nicht in der Unerreichbarkeit des Zieles, sondern an dem Glauben, daß es anders als in der Selbstentwicklung der Sprachen erreicht werden könnte. Beschlüsse und Maßregeln sind schwächliche Werkzeuge solcher Aufgabe gegenüber. Wer mit Kanonen nach Spatzen schießt, kann immer noch den Spatz treffen, man soll aber nicht mit dem Blaserohr über die Alpen oder über den Ozean hinweg schießen wollen.

Aber noch unter der Wirkung des Blaserohrs bleiben die Anstrengungen gewisser Verbände, die für unsere Muttersprache selbst fernes Neuland erobern möchten. Sie ahnen wohl, daß dies an sich erstrebenswert sei, und bedauern es demzufolge, daß die Welt sich noch nicht als Feld öffnen will, daß Geltungsbereich und Geltungswürdigkeit des Deutschen noch weit auseinanderklaffen. Und nun kommen sie mit Vorschlägen und Rezeptchen, denen man es auf den ersten Blick ansieht, daß sie weder feldtüchtig noch welttüchtig, sondern dauernd untauglich sind. Ach, was haben die Herrn doch für ein kurzes Gedärm!

Man kann keinen komischeren Kontrast ersinnen, als ihre Fragestellung und ihre Beantwortung. In der Frage werden die schwersten, nachdrücklichsten Themen angeschlagen: »Wie erleichtern wir den Fremden die Erlernung der deutschen Sprache? Wie bewahren wir die Auslandsdeutschen vor dem Verlust kostbaren Sprachgutes?« und man sollte meinen, daß sich in der Antwort doch irgend etwas Großzügiges, Weltgültiges befinden müßte. Weit gefehlt. Es erfolgen Anweisungen, die den Geist der Klippschule atmen, Rezepte und Hausmittelchen aus dem Gesichtskreis der Gouvernanten und Kaffeetanten: »man solle die großen Anfangsbuchstaben abschaffen! man solle mehr Antiqua- und weniger Frakturschrift verwenden! man vermeide beim Zeilenübergang unnötige Silbentrennungen!«, lauter brav ausgedachte Dinge, die den Weltgeist sehr interessieren würden, wenn seine ausführenden Organe lediglich aus Setzerlehrlingen bestünden. Gewiß spielt die Frage Antiqua oder Fraktur eine Rolle, aber sie tastet doch nur an der Außenfläche, ohne das Innere zu berühren. Im Innern steckt das lebendige Sprachmittel des Weltwortes, und man kann sich darauf verlassen, daß jene kleinen Rezepttüftler gerade das Weltwort verabscheuen, daß sie von ihm als dem eigentlichen Kettensprenger, Schrankenbrecher und Horizontweiter nichts wissen wollen.

Wir haben es anders erkannt, in seiner Bedeutung für uns Gegenwärtige und ganz besonders in seiner Sendung für die Zukunft, in der das Dritte Reich der Internationalität beschlossen liegt. Wir glauben und wissen, daß der Kampf gegen das Weltwort, so dröhnend er heute klingen mag, einer literarischen Fernwelt wie ein Hauskrakehl vorkommen wird, oder wie ein Frosch-Mäuse-Krieg, in dem einige geblähte Frösche einige harmlose Wortmäuse erstachen. Das große Schrifttum hat damit nichts zu schaffen, erfährt kaum etwas von den Katzbalgereien um entbehrliche Ausdrücke in der Vulgärsprache und geht aufrecht seinen Weg zur allgemeinen Verständigung. Auf ihren Hochebenen kreist der Kampf um anderes als um lokaltümelnde Wortklaubereien, er kreist um die letzten Dinge des Unbegriffenen, die dem Menschenverstande unterworfen werden sollen.

Mancher Volksgenosse mag sich wohl in den Zeiten des Niederbruchs einen neuen Fichte gewünscht haben, mit großer Geste und flammenden Worten. Aber stände er auf, gesättigt mit alter Inbrunst und zugleich hellhörig für die Stimmen der Zukunft, so würde er auch ein neues Programm entwickeln. Mit stärkster Betonung der Sprache, nicht nur als eines Kulturwerkzeugs für uns und unsere Nachfahren, sondern als des einzigen Machtfaktors, der uns in der Zeiten Verhängnis verblieb. Was uns die Fichtes kleineren Formates zu sagen haben, klingt zweifellos brav und erbaulich, macht ihrem guten Herzen und ihrer Überzeugungstreue alle Ehre. Nur reicht die Spannung ihrer Gedanken nicht über das Nächstliegende hinaus. »Für unser tiefgesunkenes Volk« – so etwa reden sie uns ins Gewissen – »ist die Belebung des Stolzes auf die eigene Sprache jetzt, wo es auf seine stammesreinsten Gebiete zusammengepfercht ist, eine der wesentlichsten Aufgaben. Deutsches Denken und deutsches Handeln, das sind die zwei Erfordernisse, die schon beim Kind in der Sprache gepflegt werden müssen. Seien wir uns in dieser schweren Stunde der Verluste des Köstlichen bewußt, was uns als gemeinsames Gut verblieb, was keine fremde Macht uns rauben kann. Gemeinsam bleibt uns die Sprache, die uns die Mutter lehrte.« Gewiß, das unterschreiben auch wir, allein mit dem Vorbehalt, daß es von den Forderungen der Zeit nur die leichtere, selbstverständlichere Hälfte ausspricht, die schwierigere Hälfte aber verschweigt. Der Sprachgeist selbst, der über allen Deutschen wehende, hat sein Programm schon weiter gefaßt. Habt ihr es nicht vernommen, wie unmittelbar mit der politischen Katastrophe ein internationales Brausen durch unsere Sprache ging, wie sie sich mit zahllosen Weltworten urplötzlich auf die Zukunft einstellte, zum großen Mißvergnügen für unsere Engbrüstler, die immer nur die nächste Wirkung spüren, niemals die fernste? Deutlich genug verkündete der deutsche Geist seine Hoffnung und seinen Anspruch auf Macht, die ihm aus keiner anderen Quelle mehr erfließen kann als aus der deutschen Universalsprache. Und nur mit diesem Programm vermöchte ein neuer Fichte zu wirken. Gebt der Sprache Mittel und Waffen zum Wettbewerb in der großen Welt! Schreibt weltverständlich, schafft deutsche Bücher ins Ausland, laßt den deutschen Gelehrten als Zurückeroberer deutschen Einflusses auftreten! Überzeugt euch davon, daß ein großer Forscher mit wissenschaftlichem Deutsch uns mehr Sympathien wiedergewinnen kann, als uns die schulmeisternden Barden in Jahrzehnten verlieren ließen! Unserer Sprache bleibt die Macht vorbehalten, wenn sie hinauswächst über die Urlaute, die uns die Mutter lehrte; wenn sie ihnen das hinzufügt, was allein die andere Mutter, die Alma mater Universitas auszusprechen vermag!

Nur in den Niederungen der Sprache tobt noch der silbenstechende Kampf mit seinen sattsam bekannten Heerrufen. Ginge es nach gewissen Leuten, den als alten Deutschrittern verkleideten Dreinschlägern und Schlagadodros, so würde die deutsche Sprache, weit entfernt davon, ihr Weltziel zu erreichen, nicht einmal im heutigen Menschenverkehr den Wettbewerb mit Französisch und Englisch aushalten können. Denn ihre Konkurrenzfähigkeit beruht nächst ihrem Schwergehalt an Gedanken auf dem Weltwort als dem Erkennungszeichen ihrer Universalität. In Jahrhunderten hat das nationalsprachlich gewordene Weltwort dem Französischen und Englischen einen Vorsprung verschafft, und wer dessen Weite abgemessen hat, der kann nicht wollen, daß er sich noch vergrößere, vielmehr nur, daß er eingeholt werde. Ginge es nach den Ritterlingen, so schiede das Deutsch aus der Konkurrenz aus und sänke auf den Stand einer Provinzsprache, frei von Weltworten und frei von stolzen Ansprüchen. Das ist nicht die Freiheit, die wir meinen. Der Meister, der mit dem Blick auf die Grenzpfähle nach Beschränkung streben wollte, wäre nicht konzentriert, sondern beschränkt. Der Widerspruch löst sich dadurch, daß der Sprachmeister, sofern er Wissenschaft, höchste Bildung verkündet, schon im Sprachausdruck jede wie immer geartete Beschränkung abschüttelt. Er weiß, daß das Weltwort keinen Rückfall ins Scholastische und Mönchische bedeutet, sondern einen Fortschritt, keinen Hemmschuh am Deutschen, sondern eine bewegende Kraft. Hat ihn internationale Satzung vor unberechtigtem Nachdruck geschützt, so schützt ihn das Weltwort vor pedantischem Vordruck engbrüstiger Regeln, deren Urheber nichts von Freizügigkeit wissen. Unser Meister – er lebt glücklicherweise im überwältigenden Plural – kennt für sein Werk nur das Vorbild vom Vogelflug und Wolkenzug, und er gibt auf die Frage: wie erleichtern wir den Fremden das Erlernen der deutschen Sprache? nur die eine Antwort: durchs Weltwort! In ihm wird sich auf nationaler Grundlage die zweite Renaissance des Klassischen vollziehen, in gesteigerter Wirkung und erhöhter Schönheit einer Sprache, deren Feld die Welt sein wird!

 


 


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