Alexander Moszkowski
Das Geheimnis der Sprache
Alexander Moszkowski

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Pantheon und Ghetto

Joachim Raff, der Schöpfer der Wald- und der Lenoren-Symphonie, einer der fähigsten Meister des vorigen Musikgeschlechtes, übte in seinen Mußestunden vielfach Kritik an seinen Kollegen. Daß er bei Wagner danebengriff, brauchte heute kaum noch erwähnt zu werden; irrte sich doch auch Brahms in Wagner, Weber in Beethoven, Händel in Gluck. Aber Raff ließ es bei der verneinenden Kritik nicht bewenden. Er erbot sich allen Ernstes, Wagner durch Unterricht auf den rechten Weg zurückzuleiten und ihm durch zweckmäßige Rüge die Schmutzereien seiner Disharmonien auszutreiben.

Lebte Bismarck heute, er hätte zu gewärtigen, daß ähnliche Anerbieten an ihn heranträten. Wir haben unter uns Besserschreiber und Besserwisser, denen es ein Leichtes ist, in den Schriften Bismarcks mit dem Rotstift herumzuwerken, ihm die Sprachschmutzereien anzustreichen, und die ihn ganz bestimmt zu einem sauberen Schriftsteller erziehen würden, wenn er noch auf Erden wandelte.

Nämlich Bismarck – so behaupten diese Sprachheiligen der jüngsten Tage –, Bismarck – – – mauschelte. Und wer das noch nicht weiß, der sollte sich darüber durch die gestrengen Herren aufklären lassen. Man glaube mir, daß ich hier weder erfinde, noch übertreibe: auf erschrockene Anfragen ist der Bescheid in diesem Sinne tatsächlich ergangen und zwar auf Grund der identischen Gleichung: »fremdwörteln« gleich »mauscheln«. Ich füge sofort hinzu, daß im Einzelfalle mildernde Umstände zugebilligt werden. Man macht ein Kredit- und ein Debet-Saldo auf und untersucht, ob das Guthaben stark genug ist, um die Belastung zu ertragen. Das wird denn auch im Bescheide als eine Erfreulichkeit festgestellt: wer im Stande ist, ein Deutsches Reich zu gründen, wie Bismarck, oder einen Faust zu schreiben, wie Goethe, der darf auch das Recht beanspruchen, ein wenig zu fremdwörteln, zu mauscheln. Jeder Mindere aber, so wird hinzugefügt, wie z. B. der Geschichtsforscher Ranke, muß in seinen Schriften zugrunde gehen, dieweil er, Ranke, sich nicht auf germanisch ausdrückte, sondern auf platt-jiddisch.

Bei Bismarck stehen die »Gedanken und Erinnerungen« für die Beurteilung im Vordergrund. Diese, bei Cotta herausgegeben, nicht von der Eingebung des Augenblicks beeinflußt, wie etwa eine Parlamentsrede, sorgsam gefeilt und redigiert, geben das Maß für das Sprachgefühl des Eisernen Kanzlers. Und jeder, der das Werk gelesen hat – wer hätte das nicht? –, jeder weiß, daß es in Fremdworten geradezu schwelgt. Einer mag fünfzehn Stück auf der Druckseite zählen, einer fünfundzwanzig; – wichtiger wäre es, zu ermitteln, welche sonst gebräuchlichen Fremdworte bei Bismarck nicht vorkommen. Ich glaube, die Mehrheit ist vertreten; und noch dazu eine Unzahl der weniger geläufigen, wie Contagion, Capitis diminutio, Parti pris, Proselytismus, videlicet, promiscue, saturiert, realiter, ab irato, Connubium, a limine und so fort ins Unzählbare. Die Tatsache ist jedenfalls nicht zu bestreiten, und läßt man hier Gedankentiefe und Vorzüglichkeit des Stils außer Ansatz, um lediglich nach der Menge der Fremdausdrücke zu rechnen, so ergibt sich, daß Bismarck in der Vermischung von Deutsch und Nichtdeutsch kaum vom Fürsten Pückler-Muskau übertroffen wird.

Es würde sich empfehlen, eine Stunde lang in Bismarcks Werk zu lesen und sich dann sofort die nachstehende Stelle vorzuhalten, die ich einer neueren, sehr temperamentvoll abgefaßten Werbeschrift entnehme. Ich zitiere wörtlich:

In Deutschland gibt es wohl keine verächtlichere Benennung einer Sprachgemeinheit als Mauscheln. So sage man mir, welcher sprachwissenschaftlicher Unterschied zwischen Mauscheln und Welschen ist! Der hochdeutsche oder jiddische Mauschler durchsetzt sein deutsches Gemauschel mit hebräischen Brocken: ist etwa Hebräisch, die Sprache der Bibel, weniger vornehm als Mönchslatein und Berlinfranzösisch? Und was die vielgerühmte unentbehrliche Nüankßierung der bekanntlich nüankßenarmen deutschen Sprache betrifft, so erkundige man sich bei den Kennern des jiddischen Gemauschels, ob sich mit solchen Knoblauchsblüten im Rosenstrauß wie Nebbich, Chuzpe, Stike irgend ein Wort selbst in dem grenzenlos reichen Welsch völlig »deckt«? Die Ekelhaftigkeit der Mauschelei besteht in der Verschmutzung, die sie in das von ihr verschleimte Deutsch bringt. Dem gesunden, nun gar dem feinhörigen Sprachgefühl klingt jede regelmäßige Sprachverschmuddelung wie Mauscheln, und ich empfehle allen Ernstes, schon der Abwechslung wegen, so oft wie tunlich statt Fremdwörteln zu sagen: Mauscheln. Es klingt nicht schön, es soll nicht schön klingen; aber es klingt wahr und ist wahr.

Also steht es in dieser Werbe- und Kampfschrift. Wer eben von den kraftvollen Gedankengängen Bismarcks herkommt, wird dieser saftstrotzenden Stelle ein besonderes Verständnis entgegenbringen: Und setze man neben Bismarck einige andere Sprachmeister und Gedankenformer größten Formates, so wird sich dieses Verständnis noch vertiefen. Vor dem inneren Auge entwickelt sich ein parnassisches Ghetto gestikulierender, fremdländisch näselnder Gestalten, als ein komisches Zerrbild, dem jedoch ein sehr ernsthafter Kommentar gebührt.

Und in dieser Erklärung würde dem Jiddisch eine ganz andere Bedeutung zuzuweisen sein, als sie der Vorredner ahnt. Was ihm als ein Angriffspunkt für Schimpf und Hohn, als ein knoblauchsduftender Gegenstand des Ekels erscheint, gehört in Wirklichkeit zu den Wurzeln germanischer Sprachkraft.

Dem Völkischen wäre anzuraten, sich einmal in den Forschungsschriften von Strack, Klausner, Grunwald, Bodenheimer u. a. umzutun, um aus ihnen die Stellung der ihm so verächtlichen Mundart innerhalb der Sprachkultur zu erfahren. Um ihm dies zu erleichtern, weise ich ihn hier auf etliche Ergebnisse eines Kölnischen Gelehrten, die in aller Kürze erkennen lassen, wie weit sich der Völkische von der wahren Erkenntnis der Dinge entfernt hält.

Unter den Merksätzen des Dr. S. Simchowitz behauptet den Vorrang: Das Jüdisch-Deutsche weist Wörter und Formen auf, die noch dem früheren Entwicklungsstadium der deutschen Sprache entstammen und jetzt (leider!) aus unsrer Sprache verschwunden sind. Es ist ein lebendiger Zeuge altdeutscher Vergangenheit! – – – Die eigentliche Grundlage ist durchaus deutsch, und gerade Wörter, die zunächst uns etwas wunderlich anmuten, erweisen sich bei genauer Untersuchung als richtiges deutsches Sprachgut.

»Ein systematisch durchgearbeitetes etymologisches Wörterbuch des Jüdisch-Deutschen würde uns darüber erstaunliche Enthüllungen bringen;« (ein solches aus der Feder des Professors Dr. H. Strack wurde übrigens 1916 angezeigt) . . . . . »Nehmen wir als Stichproben zwei der gebräuchlichsten Worte, die jüdisch-deutschen Bezeichnungen für Vater und Mutter: »Tatte« und »Mamme«. Das klingt zunächst komisch – (der Vorredner würde sagen, verschmutzt, mauschlig, knoblauchig) –, aber beide Worte erfreuen sich guten deutschen Ursprungs und sind in Deutschland bis ins 17. Jahrhundert gebraucht worden; sie kommen auch noch weiterhin vor, so setzt Aug. Wilh. Schlegel das Wort Tatte an zwei Stellen seiner Shakespeare-Übersetzung . . . Auch bei Zacharias Werner ist es zu finden . . .«

»Heute« heißt im Jüdisch-Deutschen »heint«; das ist nicht etwa eine Entstellung des deutschen Wortes (also keine »Verschleimung«), sondern kommt noch heute im bayrischen und kärntischen Dialekt vor, wird aber auch sogar von Luther gebraucht: »Lasset uns heint nit weise sein, ein jeder spare seine Weisheit bis morgen« . . . Die jüdischdeutsche Bezeichnung für gestern, »nechten«, . . . kommt vor allem im Nibelungenlied vor. Sehr wunderlich klingt das Wort »Leilach« (Mehrzahl Leilacher) für Bettlaken; das Wort ist aber mittelhochdeutsch und wird noch jetzt in Bayern und Österreich gebraucht. Wenn der russische (polnische) Jude sein Gemüse »Zimmes« nennt, so ist es das altdeutsche »Zumus«, wenn er seine Mehlspeise als »Kuggl« bezeichnet, so taucht der gute schwäbische Guglhupf auf. Für »lesen« sagt er »leinen«; das kommt her von dem mittelhochdeutschen »lei«, das Gesang, Weise, Lied bedeutet« . . . Der ostjüdische Ausdruck »Jüpitze« für Jacke bewahrt den Anklang an das mittelhochdeutsche Juppe (Schaube); das hessische »Heit« (Art und Weise) hat sich in manchen adverbialen Wendungen erhalten, wie krankerheit, schwangrerheit, im Zustand des Krankseins, der Schwangerschaft. Im Ausdruck »Schmodder« (lüderliche Wirtschaft, unsauberer Mensch) steckt das mundartliche »smodderen«, besudeln. »Wenn der russische Jude sagt: Ich fahre ken Wilna (oder kein Wilna), so drückt er sich gut altdeutsch aus: gen Wilna. »Eppes« für »etwas« ist schwäbisch, wie jeder weiß, der diesen Dialekt kennt.«

In der Vokalbehandlung klingt manches wie Nachlässigkeit, während in Wirklichkeit nur das Festhalten an früherer Aussprache vorliegt . . . »Das Jüdisch-Deutsche hat vielfach die mittelhochdeutsche Phonetik beibehalten. Das jüdische o statt a, z. B. statt das: »dos«, statt was: »wos«, statt Gras: »Gros«, . . . findet sich in der älteren Schriftsprache, so bei Geiler von Kaisersberg († 1510), und wenn der russische Jude statt Atem »Otem« sagt, so spricht er »gut lutherisch«.

Die Völkischen jenseits des großen Wassers haben schon seit Jahren in mehreren Staaten Amerikas einen Kampf gegen das Jiddisch organisiert, sie verlangen die Ausschaltung dieser Sprache aus der Öffentlichkeit mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Tatsache, daß dieses Jiddisch zum größten Teil aus deutschen Worten besteht. In New York allein leben 1½ Millionen Juden, von denen eine Million sich nur auf Jiddisch verständlich machen kann. Die jiddischen Tageszeitungen in New York mit einer Auflage von 600 000 verteidigen einen Jargon, der bei allem Übelklang doch zahllose Bestandteile aus deutscher Sprachheimat aufweist.

Zu den scharfsinnigsten Aufspürern verschollener Sprachschätze gehört G. Regis, der in seiner berühmten Rabelais-Übersetzung mehrere tausend scheintoter Worte aus dem Altdeutschen neubelebt hat. Sein Werk bietet zugleich eine Fundgrube für den Sprachvergleicher, der die jüdischen Worte an der Wurzel erfassen will. Im Regis findet er, um nur einige zu nennen, das jiddische »gehl« für gelb (in »Gelbschnabel«), »Göderl« für Doppelkinn (»Göderlein«), »übern Gänsdreck führen« für nasführen, »Händsch oder Händschkes« für Handschuh. Wer zudem seinen Luther, Dürer usw. daraufhin nachliest, kann bei einiger Kenntnis des Jüdischen die Liste bis zu beliebiger Länge ergänzen. Die angeblichen Mauschelwörter »Seiger« (für Zeiger, auch Uhr), »Fickes zeigen« (die Feige bieten, jemand Spott erweisen), »tur« (für darf, bei Luther), »Kaul« (für Kugel, erhalten in Kaulquappe, Kaulbars), »Nebbich« (aus die Nebigen, die Danebenlaufenden, die Knappen; also nicht ein hebräischer Brocken, wie der Völkische fälschlich unterstellt), »derohn« für ohne dieses (sogar noch bei Schopenhauer anzutreffen) – sind allesamt altes, vortreffliches, deutsches Sprachgut!

Daraus folgt nun mancherlei. Erstlich, daß es nicht angeht, eine Misch-Sprache zu verlästern, die sich in ausgedehnten Gebieten des Ostens als der stärkste, auf weiten Strecken sogar als der einzige Wegebahner des Deutschen erwiesen hat; wie sie auch im Westen unter schwierigsten Bedingungen noch immer Reste deutscher Kulturarbeit leistet. Zweitens, daß es noch weniger angeht, sie in ihrer Wirkung auf uns Deutsche zu beschimpfen, denn diese Wirkung ist eine hervorragend erhaltende: viele sprachliche Vortrefflichkeiten, die nahezu verloren sind und sonst wahrscheinlich unwiederbringlich verschwinden müßten, werden einzig im Jüdischen erhalten, das als ein Lebendiges den Verwesungskeimen entgegenwirkt. Sonach müßte gerade der Völkische durch sein eigenes Interesse auf die sorgsame Erkundung einer Sprache hingewiesen werden, die bei allem äußern Mißklang doch im Innern so wertvolle echtdeutsche Sprachgüter verwaltet. Je weiter man dieser Betrachtung nachgeht, desto mehr verflüchtigt sich die Sinnspur in der zuvor angeführten Parallele. Es gibt Gleichnisse, die auf einem Bein, und andere, die auf beiden Beinen hinken. Das oben angeführte, worin Fremdwörterei und Mauscheln durch das Gleichheitszeichen verbunden werden, begnügt sich damit noch nicht. Es blickt gleichzeitig nach dem Ehrentempel des Schrifttums und nach der Judengasse, vergleicht Vortreffliches mit Verwerflichem, übersieht, daß das Verwerfliche gar nicht vorhanden, und übersieht besonders, daß es Dinge gleichsetzt, die ihrem Wesen nach schnurstracks auseinandergehen. Jenes Gleichnis ist also, gelinde gesagt, ein Vierfüßler, der es fertig bekommt, auf allen vier Beinen zu hinken.

 


 


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