Alexander Moszkowski
Entthronte Gottheiten
Alexander Moszkowski

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Groß-Zaches

Der Leser wird es gemerkt haben, daß ich gern mit Parallelen arbeite, und so möchte ich es zum Schluß mir nicht versagen, ein sehr merkwürdiges Gleichnis heranzuziehen; eine genial erdachte Fabel, die stärker als irgendein wirklicher Vorgang in das tiefste Wesen jener Legende hineinleuchtet, in den eigentlichen Rätselpunkt. Dort wurzelt ein Geheimnis, dem man in dichterischem Erschauen näher kommt als in sachlichen Analysen.

Plato entwickelt die Sophisten als beifallswürdig und lenkt trotzdem den Applaus auf Sokrates, ihren minderwertigen Gegner. Gibt es für diesen Vorgang einen illustrierenden Gleichfall?

Ich finde ihn in der tiefsinnigen Märchenerzählung »Klein-Zaches«, die unser E. T. A. Hoffmann aus quellender Phantasie geschöpft hat. Ganz gewiß dachte er dabei nicht an die Schule von Athen. Er gehorchte nur seiner Intuition, er sah nur die dichterische Möglichkeit, die wie so oft zum Ergreifen der Wirklichkeit führt. Klein-Zaches ist eine Mißgeburt, ein übler Wechselbalg, dem eine Fee ebenso holden wie durchschlagenden Zauber zuwendet. Von Natur aus ist seine Seele nicht idealer gestaltet als sein Leib. Kleingeistig und kleinkörperlich, so schreitet er durch die Erzählung. Aber sowie das verdammte kleine Ungetüm sich sehen läßt, ist ihm alle Liebe zugewandt, zum Schaden aller wohlgestalteten und intelligenten Mitbewerber. Eine liebliche Gelehrtentochter, das Abbild einer Muse, die schöne Verkörperung einer platonischen Idee, wird umfreit. Kein Zweifel besteht an der Normalität ihres Herzens, das ideell einem prachtvollen, feingeistigen Jüngling angehört. Aber trotzdem: an ihr, an der vermaledeiten Mißgeburt hängen Candidas Augen, und sehnsüchtige Seufzer entfliehen ihrer Brust, wenn der täppische Gesell sich ihr nähert oder gar ihre Hand berührt. Ist es nicht toll, daß alle über das mißgestaltete, durch und durch verwahrloste Männlein spotten und lachen und dann doch wieder, tritt das abscheuliche Alräunchen leibhaftig dazwischen, ihn als den verständigsten, gelehrtesten, ja bestgestalteten Herrn Studiosum ausschreien?

Es ist literarischer Tee bei Professors. Candidas Geliebter, Balthasar, trägt ein von ihm verfaßtes Gedicht über die Liebe der Nachtigall zur Purpurrose vor – (ein Gedicht, das vielleicht auch in Platos Symposion, als zum Thema Eros gehörig, Zustimmung gefunden hätte) –; sein Vortrag, immer leidenschaftlicher steigend, verrät die innere Glut des Herzens, er bebt vor Entzücken, als leise Seufzer, manches leise »ach« der Frauen, mancher Ausruf der Männer »herrlich, vortrefflich, göttlich«, ihn überzeugen, daß sein Poem alle hinreißt; aber der Hexenspuk geht um: alle jene Ausrufe gelten gar nicht ihm, dem Dichter, sondern dem drei Fuß hohen Kerl, dem Wechselbalg, der aussieht wie ein Rettich und sich schnarrend und quäkend in den Salons umhertreibt! Ein berühmter Künstler trägt das schwierigste Violinkonzert von Viotti vor; nicht Paganini, nicht der Komponist selbst hätte es vollendeter spielen können, das Publikum rast vor Entzücken, der Konzertgeber, vermeintlich hervorgejubelt, will sich, die Geige unterm Arm, dankend verbeugen, allein – der Atem stockt ihm – alles drängt, ohne den Künstler nur im mindesten zu beachten, nach einer Ecke des Saales und bringt die Huldigung dem Klein-Zaches! Er, so wähnen alle, hat gespielt, hat sogar das Konzert komponiert!

Es ist ein Zauber, ein nach der Absicht des Dichters feenhaft unerklärbarer, und doch nicht seltsamer als der Zauber, kraft dessen ein Debatter, der eben auf dem besten Wege ist, mit Logik durchzudringen, vor der Unlogik zusammenknickt; und doch nicht seltsamer als der Spuk, der dem Groß-Zaches Sokrates allen Beifall zuschiebt, den die vortragenden Protagorasse verdient haben. So hat es in dem einen Fall die Fee, im andern Fall Plato gewollt, so kam Klein-Zaches zum Ruf des Dichters und Künstlers, Groß-Zaches zur Bedeutung des überwindenden Philosophen. Der Unterschied ist nur, daß im Märchen der Zauber schließlich verfliegt, durch einen kühnen Eingriff in den Spukmechanismus, während in der großen Begebenheit das Wunder noch ungebrochen fortwirkt.

Ja, der Plato war wirklich ein großer Hexenmeister, und die Kraft dieses klassischen Magus kann gar nicht genug bestaunt werden. In allen ovidischen Metamorphosen befindet sich keine Verwandlung, die sich in Schwierigkeit und Erfolg des Gelingens mit der durch Plato hervorgebrachten messen könnte.

Da wir nun schon die Dichtkunst zur letzten Deutung bemüht haben, so könnten wir es am Ende gar zu einem versöhnlichen Schluß kommen lassen. Durch Anrufung des lichtesten Momentes in Sokrates' Leben, der wie durch Dichters Hand in unmittelbare Nähe seines tragischen Todes gerückt ward. Schön und wunderbar: im letzten Augenblick gab er mit dem Geist auch die Philosophasterei auf. Und wie reine, beweislose Poesie mutet sein Abschiedswort an: »Kriton, wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig, vergiß nicht, ihn zu opfern.« Dem sterbenden Lehrer erschien der Tod als Genesung, für die dem Gott der übliche Dank gebührte.

Wir müssen aber hinzufügen: es war die höchste Zeit, daß er sich vom Sophisma zur blanken Empfindung wandte, denn noch wenige Minuten zuvor war er beim Begriffsklauben.

Als schon die dunklen Fittiche ihn umrauschten, rief Apollodor im Übermaß des Schmerzes: O, wie entsetzlich, daß du unschuldig sterben sollst! Worauf der Meister lächelnd erwiderte: Wünschest du lieber, daß ich schuldig den Tod erleide?

Ethisch schätzbar, aber logisch anfechtbar. Ein Rhetor aus Abdera hätte den Faden unbedingt aufgenommen: O Sokrates, auch jetzt noch kehrst du einen Satz am falschen Ende um! Denn nicht das wünscht Apollodor, daß du schuldig stürbest, sondern daß du kraft deiner Unschuld leben möchtest. Leicht läßt sich erraten, wie sich das weiter gesponnen hätte: in einen Beweis voller Gleichheiten, Gegensätze, Vertauschungen zum Endzweck der sokratischen Pointe: ein Unschuldiger kann sich gar nichts besseres wünschen, als hingerichtet zu werden!

Zu diesem letzten Beweis ist es nicht gekommen. Das Urteil drängte, der Verurteilte wandelte umher, bis ihm die Füße schwer wurden und er nur noch das weihevolle Wort vom Opferhahn zutage bringen konnte. Die Freunde umstanden ihn und betrauerten den Weisen, für sich und im Namen der Nachwelt. Aber mit der Trauer von dreiundzwanzig Jahrhunderten mag sich die Pietät zufrieden geben. Die Gegenwart verlangt ihre Rechte und in ihr die geistigen Organe, die bis heut noch nicht die letzten Reste der fatalen Erbschaft losgeworden sind. Das können sie erst, wenn das alte Orakel durch ein neues ersetzt wird: Sokrates, klein als Denker, größer als Platos Freund und unbestreitbar am größten als Idiot!

 


 


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