Alexander Moszkowski
Entthronte Gottheiten
Alexander Moszkowski

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Jenseits von richtig und falsch

Wir fassen also Posto in unserer Kunst, in der Kunst, die wir kennen und lieben, und blicken von den unendlichen Wogen ihrer Erscheinungen nach einem Leuchtfeuer orientierenden Wissens. Wenn irgendwo, so müssen wir hier mit aller Energie dem Punkte nachspüren, der durch den Archimedeischen Wunsch bezeichnet wird: Gib mir, worauf ich stehe! Erreichen wir diesen Punkt, einen einzigen Punkt sicherer Erkenntnis, untrüglicher Wahrheit in aller Kunst, dann muß es gelingen, von ihm aus rück- und vorschauend alle Vergangenheit richtig auszudeuten, alle Zukunft richtig zu bestimmen; mit derselben Schärfe, mit der Sonnen- und Mondfinsternisse vor- und rückwärts errechnet werden können. Finden wir ihn nicht, finden wir aber anstatt seiner den scharfen Beweis seiner Unauffindbarkeit, so wird sich auch hieran in engerem Umfange eine Prognose knüpfen lassen.

Dieser feste Punkt ist nichts anderes als eine unbestrittene und unbestreitbare Meinung über das Kunstganze, allenfalls auch über genügend viel bedeutsame Kunstelemente. Aber man braucht sich bloß mit zureichender Kenntnis und voller Offenheit vor die große Frage zu stellen: Was ist allgemein anerkannt? um sofort wahrzunehmen, daß sich da nichts anderes auftut, als ein grausenerregender Abgrund. Wagen wir es einmal, von diesem Kraterrand aus den Blick in die Tiefe zu senken. Da heißt es, den Atem anhalten, denn wir stehen vor einem Schwefelvulkan, aus dem uns die giftigen Schwaden widerspruchsvoller Irrtümer und Unsinnigkeiten entgegenschlagen. Hier brodeln die Urteile, die in ihrer Vereinigung die Weltkritik bedeuten sollen; Urteile, die wir zunächst und bis zum Beweise des Gegenteils als ehrlicher Überzeugung entquollen zu betrachten haben; Urteile aus Menschenköpfen, die zum Teil als überlegen, als führend, ja als bahnbrechend anerkannt sind. Da wollen wir ein wenig revidieren:

Der Schöpfer der Euryanthe verachtete Beethovens Fünfte Sinfonie und erklärte sie in einer Schrift als das Erzeugnis eines Verrückten. Beethoven hatte eine Gegendefinition in Bereitschaft, in der er die Euryanthe als wertlosen Schund kennzeichnete. Händel faßte das Urteil über seinen größten Zeitgenossen in die Formel: »Mein Koch versteht mehr vom Kontrapunkt als Gluck.« Hans von Bülow, der große Propagandist für klassische Werte, bekannte gelegentlich, daß er in diesem Leben unfähig wäre, sich zu Händel oder zu Haydn zu bekehren. Wagner zerfloß vor Meyerbeer anfangs in verzückter Bewunderung, um später dessen gesamtes Kunstnaturell als unbesiegliches Leder zu brandmarken. Spohr erklärte nach der A-Dur-Sinfonie von Beethoven deren Schöpfer als reif fürs Tollhaus. Grillparzer, der zur Musik so intime Beziehung hatte wie wenige Dichter außer ihm, nannte die ganze Neunte Sinfonie konfuses Zeug. Der berühmte Kirchenmusiker Abt Stadler rief im ersten Satz der Siebenten Sinfonie von Beethoven beim Übergang zum Allegro: »Immer E, immer E, 's fallt ihm halt nix ein, dem talentlosen Kerl!« Daß Richard Wagner von Brahms nicht begriffen wurde und Wagner mit Brahmstaubheit reagierte, ist bekannt. Hans von Bülow, der sein Leben lang für Wagner gefochten und geblutet hatte, prägte zu guter oder zu schlechter Letzt auf seine Werke das Wort »Komödiantenmusik«. Von Liszts sinfonischen Dichtungen schwärmte er in ekstatischer Verzückung, um sich weiterhin mit »unüberwindlichem Abscheu« von ihnen fortzuwenden. Anton Rubinstein erklärte in den ersten Münchener Tristan-Aufführungen: »Je n'y comprends absolument rien . . .« Berlioz äußerte über Wagner, nachdem dieser ihm mit Klindworth den ersten Akt Tristan vorgespielt hatte: »Il est fou –, totalement fou!« Klara Schumann, deren ganze künstlerische Existenz auf der ihres Gatten aufgebaut war, hatte in ihren letzten Jahren nur noch laue Anerkennung für Robert Schumann.

Auf der Brücke zwischen Tonkunst und Bildnerei finden wir John Ruskin, dessen Thesen vielfach die Bedeutung von Evangelien erlangt haben. Über die Meistersinger schrieb dieser Ruskin: »Von all dem einfältigen, plumpen, trottelhaften, paviansköpfigen Zeug, das ich jemals auf der menschlichen Bühne gesehen habe, ist dieses Ding im Text der Gipfel, und von allem geschraubten, seelenlosen, dudelsäckischen, mißtönenden, katzenmusikhaften Tönegemauschel, das ich jemals erduldet, war die in den Meistersingern das Tödlichste.«

Derselbe Ruskin nennt mit dem Aufgebot seiner ganzen Autorität den Kölner Dom einen elenden Humbug. Stauffer-Bern bezeichnet alle Marinemaler, den einen Böcklin ausgenommen, als miserable Stümper.Vgl. »Künstlerworte«, gesammelt von Karl Eugen Schmidt. Von Böcklin wiederum ließen sich die monströsen Pronunciamentos dutzendweis zitieren: »Muß dieser Leibl ein langweiliger, denkfauler Kerl sein!« – »Der Schmierer der Tintoretto« – »Rembrandt ist nicht als Kolorist zu betrachten«; dagegen Meissonnier: »Als Kolorist stelle ich Rembrandt über Tizian, über Veronese, über alle!« – »In David, in David allein hat sich die französische Schule bis zur Höhe der schönsten Tage des Perikles erhoben«, sagt Gros. – »David hat überhaupt nichts gesehen und nichts gefühlt«, ergänzt Breton. – Von Delacroix wird David auf die Stufe Tizians und Rafaels gestellt. – »Ich sehe bei David überall das Theater und die Gliederpuppe«, ergänzt Overbeck. – »Delacroix ist ein Adler, und ich bin nur eine Lerche«, sagt Corot. – »Delacroix ist eine vollständige Bestie«, antwortet Gabriel Rossetti. – Leopold Robert und Diaz sahen in Ingres das unerreichbare Muster eines Künstlers, Poynter gestattete in Betracht seiner Abrundung und Modellierung nur den Vergleich mit Velasquez; Rossetti schätzt verschiedene Arbeiten von Ingres als nicht zwei Sous wert und etikettiert sie als elenden Dreck. »Ehre und Ruhm diesem Homer der Malerei Rubens, diesem Vater der Wärme und des Enthusiasmus, in dieser Kunst, worin er alles in den Schatten stellt!« ruft Delacroix. – »Rubens, der größte Maler aller Völker«, sagt Wiertz; – und als Gegenchor treten Ingres und Ludwig Richter auf, die in der ganzen Rubensmalerei nur widerliche Fleischklumpen erblicken. – »Frankreich gibt jedem Ruhm die höchste Weihe!« schwärmt David von Angers. – »Ich möchte diesen Hanswürsten, den Parisern, nicht gefallen«, lästert Schwind. – »Der Geschmack der französischen Nation ist allen Völkern überlegen«, deklamiert Delacroix. – »Weder in der Musik, noch in der Malerei haben sie jemals Geschmack bewiesen«, sagt – etwa nicht ein anderer, sondern wieder derselbe Delacroix in einer verdrießlichen Anwandlung. – »Deutschland stellt Rafael und Michael Angelo Rivalen gegenüber«, rühmt Anton Wiertz. – »Deutschland besitzt die Kraft, sieben Rafaele umzubringen«, konstatiert Anselm Feuerbach. – »Tizian und Leonardo da Vinci sind Halunken«, zetert Courbet; »wenn einer von denen da in die Welt zurückkäme und sich in meinem Atelier zeigte, so zöge ich das Messer! Was Monsieur Rafael anlangt, so hat er ja ohne Zweifel einige interessante Porträts gemalt, aber ich finde in seinen Bildern nicht den geringsten Gedanken«; und Delacroix definiert: »Rafael ist ein graziöses Hinkebein.« – »Lucas Signorelli, ein Maler erster Klasse«, sagt Cornelius. – »Nein dieser Kerl, wie heißt er doch – der Signorelli,« wettert Böcklin, »etwas Talentloseres habe ich nie gesehen!«

Lang genug geraten ist die Liste, und ich widerstehe der Versuchung, sie durch Gegenstücke aus der Dichtkunst entsprechend zu verlängern. Ich erinnere nur an Voltaire, der Shakespeare als einen besoffenen Schuft, und an Leo Tolstoi, der ihn als einen stammelnden Idioten hinstellt.

Solchen Grotesken gegenüber flüchtet man gern in den Schutz des eigenen Urteils. Der Begleitgedanke jedes einzelnen bleibt dabei unwandelbar: die Größen aller Zeiten mögen sich geirrt, vergriffen, nach allen Dimensionen verhauen haben; aber ich, ich selbst weiß das besser. Alle diese schreienden Blödsinnigkeiten aus dem Munde großer Vollbringer bedeuten mir nichts, denn über allen Divergenzen erhaben steht die Unfehlbarkeit meines eigenen Urteils.

Und diese Unfehlbarkeit des eigenen Urteils hat ja zudem auf dem großen Weltkonzil ihre Bestätigung erhalten. Was sich in langen Zeiträumen die jubelnde Zustimmung der Millionen erworben hat, an das wird man doch wohl glauben können! Selbst dann, wenn der mißtönende oder komische Protest gewaltiger Autoritäten dazwischenklingt. Solche Autorität wird dann eben einfach per majora niedergestimmt. Überhaupt sind die Selbstkönner immer ein bißchen verdächtig; die unausgesetzte Vertiefung in ihre Eigenproduktion trübt ihnen den Blick. Wirklich unbefangen sind nur wir, wir anderen, ganz besonders ich selbst – meint jeder einzelne – ich selbst als Glied jener überwältigenden Mehrheit, welche die Werte längst inappellabel festgesetzt hat, die an Beethoven, an Wagner, an Rafael, an Shakespeare für heut und alle Ewigkeit nicht rütteln läßt.

Ist das aber auch wirklich unbedingt sicher? so unumstößlich sicher wie eine mathematische Wahrheit? oder sollte sich in dieser ganzen, durch Jahrhunderte fortgesetzten und wiederholten Urteilsoperation ein Denkfehler verewigt haben, jenem ähnlich, dem wir erst seit einigen Jahrzehnten zu trotzen uns erdreisten, dem Denkfehler von Gut und Böse?

Ich möchte Sie nicht im Zweifel über meinen persönlichen Schluß lassen, und deshalb will ich vorweg nehmen und das Ergebnis vor den Beweis stellen: ja, diesem Denkfehler unterliegen wir bis zum heutigen Tage noch alle, auch in der Kunst. Dem Jenseits von Gut und Böse in der Sitte entspricht ein Jenseits von Richtig und Falsch im Urteil und ein Jenseits von Schön und Häßlich in der künstlerischen Leistung. Jene zuvor angeführten widerspruchsvollen, ungeheuerlichen und anscheinend so wahnsinnigen Urteile Vereinzelter sind nichts als zuckende Strahlreflexe eines Wetterleuchtens, das uns ein herannahendes Reinigungsgewitter dieser Erkenntnis ankündigt. Wir fangen an, uns von der Naivität loszumachen, daß der Tiger böse und das Lamm gut sei; wir werden auch die Kunsttiger und die Kunstlämmer zu überwinden haben.

Um dem Gespenst der Urteilstradition recht eindringlich entgegen zu leuchten, möchte ich mich der induktiven Methode bedienen, so weit dies auf einem Gebiet möglich ist, in dem ich trotz allen Suchens noch kein von anderen erprobtes Leitseil einer Methode zu entdecken vermochte. Denn hier spielen Wissenschaft, Verstand, Gefühl, spezifische Gehörsempfindung unheimlich durcheinander, und der Trugschluß lauert an allen Ecken. Aber es dient, wie ich von vornherein versichern zu können glaube, zur Klärung der Dinge, wenn man im Laufe dieser Untersuchung den Blick stetig auf ein »Jenseits von –« gerichtet hält; wenn man sein geistiges Auge auf eine Perspektive einstellt, in der sich die zeitlichen, diesseitigen Erscheinungen verkürzen und die jenseitigen hervortretend verlängern. Und dies wird, wie ich denke, bei aller Schwierigkeit möglich, wenn wir im einzelnen Fall den Symptomen der Jenseitigkeit vorurteilslos nachspüren, vom Besonderen aufsteigend zum Allgemeinen. Immer unter der Voraussetzung, daß wir uns entschlossen fühlen, jede Folgerung auszuhalten und nicht mit Sentimentalitäten zu operieren, von denen der eiserne Gang aller Geschicke nichts weiß; also auch mit Aufgabe des egozentrischen Standpunktes, der noch niemals irgendwelche Erkenntnis gefördert hat, und mit Unterdrückung der Verliebtheit in die Gültigkeit des eigenen Kunsturteils.

Ich stelle als Beurteiler eine Reihe von Typen nebeneinander: einen intelligenten Genießer, der alles, was ihm die Kunstgeschichte und Zeitkritik anpreist, mit Wonne schlürft und mit Behagen verdaut; einen Kampfkritiker des jungen Deutschlands, der, auf eine Richtung eingeschworen, alles was mit dieser Richtung in Widerspruch steht oder zu stehen scheint, Italianismus, Gounod, Mendelssohn, Meyerbeer, überzeugungsvoll verketzert; ein Genie aus dem Café Größenwahn, das außer seinen eigenen ungeschriebenen Werken nur noch die einiger mit Ausschluß der Öffentlichkeit schaffenden Dekadenten gelten läßt und für die Kategorie Schiller bis Mozart die Bezeichnung »alter klassischer Quatsch« in Bereitschaft hat; und schließlich einen universal gebildeten Hörer, der außer seiner Empfangswilligkeit noch einige besondere, höchst seltene Eigenschaften prästiert. Er soll nämlich selbst ein hervorragender Könner sein, ein großer Erfinder und dazu ein Darsteller allerersten Ranges. Stellen Sie sich vor, diese verschiedenen Kategorien, die Sie beliebig ergänzen mögen, hätten das unbekannte Werk eines umstrittenen Meisters zu prüfen und zwar als die einzigen Zuhörer; und Sie selbst sollten sich über den Wert dieser außer Ihrer Hörweite vorgetragenen Komposition irgendwelche Wertschätzung bilden, einzig auf die Mitteilungen jener Hörertypen gestützt; etwa so, wie sich der Richter sein Urteil über einen Tatbestand bildet, den er nur aus der Zeugenvernehmung kennen gelernt hat. Sie würden dann nicht einen Augenblick schwanken, das Höchstmaß der Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit bei dem hervorragenden Fachmann zu vermuten, dessen Autorität die seiner Mithörer ja schon darum überragt, weil Sie ihn als ein selbstschöpferisches Ingenium kennen. Immerhin würden Sie dabei noch den Vorbehalt machen: auch dieser Mann kann sich irren, denn auch er urteilt subjektiv. Die volle objektive Wahrheit kann erst ans Licht kommen, wenn die Autorität aller Autoritäten, nämlich »ich selbst«, das Werk gehört habe.

Präzisieren wir auf einen konstruierten Einzelfall: jener Beurteiler, der zugleich als Komponist und Darsteller auftritt, möge als geistige Erscheinung das Format Anton Rubinsteins aufweisen; also ein musikalischer Poet. Den stelle ich mir für den Moment als lebend vor. Werke für die Ewigkeit hat er nicht geschrieben, aber niemand bestreitet ihm das rezeptive Genie; wer so zu interpretieren, am Instrument nachzudichten vermag, dem souffliert die Muse selbst. Er besitzt Organe, die auf subtiles Erfassen fremder Tonschönheit eingerichtet sind, Organe, die sicherer, unmittelbarer, kongenialer arbeiten als – ganz vorsichtig ausgedrückt – die der Mehrheit.

Jetzt einen Schritt weiter: das ganze große Publikum einer Erstaufführung soll aus lauter Rubinsteins bestehen, aus lauter ihm gleichwertigen Elementen. Wird sich die Qualität des Publikums dadurch gegen den Durchschnitt verschlechtert haben? Kaum anzunehmen. Das neue Werk wird jetzt gleichzeitig von tausend rezeptiven Genies eingesogen; das ergibt eine urteilende Hörerschaft, die in ihrer Gesamtheit ganz zweifellos ein höheres Niveau einnimmt, als ein nach Zufall zusammengewürfeltes Auditorium. Und wenn solches Elitepublikum allüberall da gegenwärtig wäre, wo überhaupt dieses Werk aufgeführt wird, so würde die Quersumme seines Urteils als ein absolut gültiges angesprochen werden, da ja – nach meiner, wie ich zugebe, etwas exzentrischen Annahme – auch alle kritikführenden Geister mit derselben über den Durchschnitt gesteigerten Empfangsmöglichkeit gehört und empfunden hätten.

Das in Rede stehende Werk sei Wagners Tristan und Isolde. Wir wissen, wie Rubinstein auf diese Offenbarung reagierte: »Je n'y comprends absolument rien!« Auf unseren Fall übersetzt bedeutet dies: es läßt sich ein Weltpublikum denken, von gesteigerter musikalischer Potenz, dem der Tristan überhaupt nicht das geringste, geschweige denn etwas musikalisch Schönes oder Wertvolles zu sagen hat.

Diesen vorläufig unmöglichen, aber theoretisch denkbaren Fall vorausgesetzt, bliebe noch der Einwand übrig: Wagner ist dann eben nicht verstanden worden; und ein minder hoch musikalisch veranlagtes Publikum müßte ihn besser begreifen.

Und da wären wir bei der Kernfrage: kann sich eine Kunst auf ihren Eigenwert berufen, auch wenn Niemand vorhanden ist, der sie versteht? Im Spezialfall: wäre der Tristan auch dann ein bedeutendes Werk, wenn jeder Hörer zur Musik das Verhältnis hätte wie Rubinstein?

Viele werden diese Frage prima vista verneinen, mancher wird sich zur Beantwortung Bedenkzeit erbitten, keiner wird sie stürmisch bejahen. Aber eines ist sicher: daß wir mit dieser Frage an ein letztes Geheimnis rühren; daß aus ihr, wenn auch nicht mit klaren Worten umschreibbar, so doch hindurchgefühlt, eine Erkenntnis heraufdämmern kann, eine Ahnung des Jenseits von Richtig und Falsch, Jenseits von Schön und Häßlich in der Kunst.

Unbedenklich schlage ich mich auf die Seite derer, die jene Frage verneinen. Der Eigenwert der Kunstäußerung existiert nicht ohne die Zustimmung der Empfangenden, ja noch schärfer gefaßt: die Kunstäußerung selbst ist gar nicht vorhanden ohne das korrespondierende Empfangsorgan. Genau so wie Licht und Schall, Perspektive und Konsonanz nicht vorhanden sind ohne aufnehmende Augen und Ohren. Denkt man die Augen und Ohren weg, so bleiben nur noch Schwingungen übrig und Verhältniszahlen, aber keine akustischen und optischen Phänomene. Und denkt man sich die spezifische Empfangsqualität weg, die in tausend Abstufungen das Kennzeichen des kultivierten Ohres bilden, so entfällt auch die Kunstäußerung. Es bleibt dann nur ein akustisches Phänomen übrig ohne künstlerischen Inhalt.

 


 


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