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Der Einspänner mit Sebfi und Fräulein Bella holperte über die schmutzige Landstraße der Stadt entgegen. Auf dem rechten Sitz bauschte sich feine Seide, auf dem linken saß abgewetztes Tuch. Das Fräulein hatte sich für die seltene Gelegenheit einer Mission in bürgerlichen Kreisen fein herausgeputzt, Sebfi dagegen war am Morgen eilig in seine schon seit Tagen nicht mehr ausgebürsteten Kleider gefahren.
Das Äußere dieser beiden hatte hier gewissermaßen symbolische Bedeutung. Das feine Seidenkleid, der rauschende Unterrock, der Federnhut Bellas repräsentierte die vornehme Diplomatie, der billige verschossene Stoff von Sebfis Anzug die rohe und närrische Aufrichtigkeit.
Dementsprechend verlief auch ihr Gespräch. Ich möchte sagen, daß Fräulein Bella lauter Seidendinge sprach, Sebfis Antworten dagegen rauh und gewöhnlich waren.
Das Fräulein sagte: »Nur nicht mit der Tür ins Haus fallen, lieber Freund! Nur immer hübsch vorsichtig!«
Sebfi aber brummte: »Das beste wäre, ich kaufte mir einen Revolver!«
Worauf das Fräulein mit einem Lächeln, das vorzüglich zu ihrem Seidenkleid paßte, erwiderte: »Sie übertreiben ein wenig, lieber Freund! Wenn Sie Erfolg haben wollen, müssen Sie klug und zurückhaltend vorgehen.«
Worauf das rauhe Tuch zurückgab: »Ach was, Vorsicht! Da muß man mit der Faust dreinhauen! Ich will es ihnen schon zeigen!«
Beim Volkstheater stiegen sie aus. Bella trat in den Bühneneingang, um nachzusehen, ob die Probe schon begonnen habe. Denn keiner von ihnen besaß eine Uhr. Es gibt nämlich Menschen, die auch in der Großstadt gezwungen sind, sich bezüglich der Zeit nach den Sternen zu richten, was besonders bei Tage oft seine Schwierigkeiten hat …
Bella kam freudestrahlend heraus. »Man hat noch nicht angefangen.«
»Wann fängt man an?«
»In einer halben Stunde.«
»Also dann …«
Hier biß Sebfi den Satz entzwei. Er blickte die Kerepeserstraße entlang, wo im goldenen Sonnenlicht viele Wagen hin und her fuhren und an einzelnen Ecken schon rote und gelbe Blumenstände aufgeblüht waren. Gott weiß, woher am ersten sonnigen Tage gleich die vielen bunten Blumen herkommen. Als ob sie aus den Häusern, aus dem Asphalt sprießen würden. Die Felder draußen sind noch ganz kahl, aber wir in der Stadt spazieren zwischen Blüten einher. Es ist ein falscher, ein gekaufter, ein mit der Eisenbahn hergebrachter Frühling.
Sebfi wandte sich hastig um. So hastig, daß das seidene Fräulein ihn erschrocken ansah.
»Fräulein Bella,« sagte er, »ich habe eine verrückte Idee.«
»Lassen Sie hören!«
»Aber ich brauche Ihre vollkommene Diskretion.«
»Die sollen Sie haben, lieber Freund.«
»Ja, ich brauche noch viel mehr. Ich brauche Selbstaufopferung.«
»Auch damit kann ich Ihnen dienen.«
Bei Fräulein Bella und ihresgleichen bedeutete Selbstaufopferung eigentlich weniger als völlige Diskretion.
Sebfi schob seinen Arm unter den ihren. »Kommen Sie, gehen wir ein bißchen um das Theater herum.«
»Gut, gehen wir.«
»Ich erzähle Ihnen, was ich vorhabe.«
Sie spazierten weiter, grüßten die Schauspieler und die Choristen, die zur Probe eilten, und zwischendurch sprach Sebfi auf Bella ein. Er sprach geheimnisvoll und eindringlich wie die Intriganten im Drama, die mit entschlossenen Frauen ein furchtbares Komplott schmieden.
»Sehen Sie,« sagte er, »hier kann nur noch Eines helfen.«
»Und das wäre?«
»Wenn ich selbst mit jenem Mädchen sprechen könnte.«
»Mit welchem?«
»Mit seiner Braut.«
Fräulein Bella blieb betroffen stehen.
»Was, das überrascht Sie?« fragte Sebfi.
In Wirklichkeit war Fräulein Bella stehengeblieben, weil in diesem Augenblick ein sehr eleganter Fiaker vorgefahren war, dem eine zerraufte kleine Dame entstieg. Und das Überraschende für Fräulein Bella war, daß diese zerraufte kleine Dame, Ilona Somogyi mit Namen, im Fiaker zur Probe kam. Trotzdem aber sagte sie, um Sebfi nicht die Freude zu verderben: »Allerdings, das ist sehr überraschend.«
Sebfi fuhr fort: »Denn nicht wahr, die Sachlage ist die: Es ist nun einmal nicht zu leugnen, daß Risa in den Rechtsanwalt verliebt ist, und daß auch dieser sich für Risa zu interessieren beginnt. Ich weiß das. Ich fühle das. Und wie ich Risa kenne, wird sie jetzt bis zum Äußersten um diesen Menschen kämpfen. Also …«
Er bemerkte, daß Bellas Blicke andere Wege gingen.
»Sie hören mir ja nicht zu!«
Bella wandte rasch den Kopf und sagte: »Doch, doch, ich höre genau zu.«
»Also dann passen Sie auf. Es ist doch ganz klar, daß ich mich gegen Risa nur mit demjenigen verbünden kann, dessen natürliches Interesse es ist, daß aus dieser Liebe nichts werde. Alles ist eine Frage der Logik. Und wer hat ein Interesse daran, daß aus dieser Liebe nichts werde? Doch einzig und allein Fräulein Lenke Rimmer. Habe ich recht oder nicht?«
»Sie haben recht.«
Erst jetzt begann Fräulein Bella zuzuhören. Dabei aber machte sie ein Gesicht, als wolle sie sagen: »Sie haben recht, aber was geht das alles mich an?« Da es ihr aber doch schmeichelte, noch weiter in diese romantische Angelegenheit eingeweiht zu werden, so hörte sie auch weiter zu.
»Ich muß also mit ihr sprechen!« sagte Sebfi.
»Ganz richtig!«
»Ich muß mit ihr sprechen, und dazu bedarf ich Ihrer Mithilfe.«
»Meiner Mithilfe? Aber ich …«
»Bitte kein Aber. Sie kennen die junge Dame. Sie waren bei ihr. Sie sprachen mit ihr. Mir zuliebe werden Sie eben noch einmal hingehen und mir eine Unterredung erwirken.«
»Wollen Sie etwa auch hinkommen?«
»Nicht um die Welt.«
»Wie denn …?«
»Wir müssen uns irgendwo treffen.«
Fräulein Bella lächelte: »Sebfi, Sie sind verrückt. Glauben Sie wirklich, daß eine junge Dame aus feinem Hause Ihnen so mir nichts, dir nichts ein Rendezvous geben wird?«
»Aber, aber …«
»Das verstehen Sie nicht, Fräulein Bella. Aber Sie müssen es auch gar nicht verstehen. Entweder Sie tun, worum ich Sie bitte, oder Sie tun es nicht. Ihre persönlichen Bedenken haben mit der Sache nichts zu tun. Will die junge Dame mich nicht sehen, so ist das mein privates Pech … aber auch das ihre. Im übrigen will ich mir den Kopf abbeißen, wenn sie nicht auf das erste Wort hin zu einem Rendezvous bereit ist.«
Das war wieder einer jener Sätze, die offenbar nur für Sebfi erfunden waren. Sebfi war oft bereit, sich den Kopf abzubeißen.
Vom Bühneneingang her war jetzt ein scharfes Klingeln vernehmbar. Die Probe begann.
»Ich muß hinein,« sagte Fräulein Bella.
Sebfi faßte sie am Arm: »Hoho, nicht so schnell.«
»Was ist denn noch los?«
»So leicht entwischen Sie mir nicht! Versprechen Sie mir, daß Sie hingehen?«
»Gut, ich verspreche es Ihnen.«
»Wann gehen Sie?«
»… sagen wir morgen.«
Sebfi lachte höhnisch auf. »Morgen! Morgen! Warum morgen?«
»Wann denn?«
»Heute! Selbstverständlich heute.«
Fräulein Bella riß ihren Arm weg und lief ins Theater. Ehe sie verschwand, rief sie zurück: »Sie sind doch ein Esel, lieber Sebfi.«
Sebfi sah ihr mit bitterer Miene nach.
Auch sie verläßt mich, dachte er, alle verlassen mich, ich stehe allein wie die einsame Eiche im Gewittersturm.
Wobei er die Lippen zusammenbiß, den Kopf trotzig in die Höhe warf und den Brustkasten selbstbewußt vorstreckte. Offenbar wollte er auch äußerlich der einsamen Eiche im Gewittersturm gleichen. Wenigstens war er überzeugt, daß er in diesem Augenblick diesen Vergleich geradezu herausforderte …
Dann überlegte er sich's und verließ die Gegend des Theaters. Sein weiter Radmantel umflatterte ihn, wie er nun eilig die Kerepeserstraße hinabstiefelte. Beim ersten Kaffeehaus blieb er stehen.
Er trat ein, verlangte Feder und Papier und schrieb in fiebernder Hast einen fürchterlich langen Brief. Er konsumierte vier ganze Briefbogen. Als er fertig war und den Brief durchlas, war er sehr zufrieden – dann las er ihn noch einmal und dann noch einmal, und endlich zerriß er ihn mit der gleichgültigsten Miene der Welt in tausend Stücke. Dann, nachdem er eine Weile lang den Federhalter gekaut hatte, nahm er einen fünften Bogen und schrieb vier kurze Zeilen. Auch diese las er ein paarmal, aber jetzt war er sehr unzufrieden mit sich, wie man seiner enttäuschten Grimasse ansehen konnte. Dann aber steckte er das Blatt dennoch in ein Kuvert, schrieb die Adresse und winkte einen Dienstmann herein.
Der Inhalt des Briefes war nicht interessant. Die Adresse aber umsomehr. Sie lautete:
Ihrer Hochwohlgeboren <
Fräulein Lenke Rimmer
zu eigenen Händen
Altes Gefängnis.
Der Dienstmann trabte ab. Er nahm große Schritte und tat so, als beeile er sich. Sebfi sah ihm mit höhnischem Lächeln nach.
»Haha,« sagte er leise, »dort trägt er meinen Brief … dort trägt er ihn! Gleich wird er dort sein. Gleich wird sie ihn lesen.«
Er genoß den Gedanken, daß der Brief sich immer weiter von ihm entferne und immer näher zu Lenke hinkam. Er sah dem Dienstmann nach, bis dieser um die Ecke verschwunden war, dann sprach er zu sich selbst:
»Sebfi, jetzt hast du die Fackel in den Scheiterhaufen geworfen.«
Und vor seinem innern Blick erstand auch schon der Scheiterhaufen mit haushochlodernden Flammen, die alle seine Feinde verzehren würden, und aus denen sich erneut und verklärt sein Geist zum Himmel heben werde.
So kurios und phantastisch waren Sebfis Gedanken seit jeher. Der Dienstmann aber schlug, als er um die Ecke gebogen war, ein sehr gemächliches Tempo an und überlegte, ob er für diesen Weg vierzig oder fünfzig Kreuzer erhalten werde.