Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Elftes Capitel.

Die Verlobung der Tochter des Commerzienrath Cohnheim mit dem jungen Baron von Rantow war wenige Tage nach der Erledigung der zwischen ihm und dem Lieutenant von Büchenfeld entstandenen Differenz proclamirt worden.

Der Commerzienrath hatte es sich nicht nehmen lassen, bei dieser Gelegenheit ein großes Fest zu veranstalten, bei welchem die zahlreichen Bekannten des Barons zu seiner und seiner Gemahlin höchsten Befriedigung eine Menge hoch aristokratischer Namen und Erscheinungen in seine Salons führten.

Der kleine Commerzienrath schwamm in Entzücken. Noch behaglicher als sonst eilte er hin und her, indem er in gelegentlichen Gesprächen seinem alten Freunde aus der Finanzwelt auf alle diese Elemente der ersten Gesellschaft aufmerksam machte, die sich jetzt bei ihm vereinigten.

Die Commerzienräthin war noch steifer, noch würdevoller, noch unnahbarer als sonst, und Fräulein Anna überstrahlte Alle durch ihre Schönheit und die ausgesuchte Eleganz ihrer Toilette. Aber jener Ausdruck kindlich freier Heiterkeit, welcher früher in ihren Augen gelegen hatte, war verschwunden. Kalt und stolz wie eine Königin blickte sie umher, mit ruhig und sicher gewählten Worten beantwortete sie die Glückwünsche, welche man an sie richtete, und wenn sie lächelte, so schien es fast, als ob höhnischer Spott mehr Antheil an ihrem Lächeln habe, als die glückliche Freude der Braut.

Der junge Herr von Rantow war dann täglich im Hause des Commerzienraths erschienen, hatte für seine Braut alle Höflichkeit und Aufmerksamkeit, welche dieselbe irgend erwarten konnte und welche sie ebenso höflich und freundlich entgegennahm. Doch war keine innere Annäherung zwischen den beiden jungen Leuten eingetreten. Herr von Rantow blieb mit vollkommenem Takt in einer gewissen Zurückhaltung und Fräulein Anna war ihm dafür von Herzen dankbar und nahm mit um so größerer Aufmerksamkeit alle äußeren Rücksichten, welche ihr Verhältniß erforderte, entgegen; so daß die Commerzienräthin äußerst befriedigt war und ihrer Tochter häufig anerkennende Worte über ihr Verhalten sagte, das so vollkommen dem Brautstand zwischen vornehmen und distinguirten Personen entsprach.

Herr von Rantow hatte sein Staatsexamen überstanden, und die Hochzeit war für den September festgesetzt, bis zu welcher Zeit der für die Aufnahme des jungen Paares bestimmte Flügel des Schlosses auf dem Rantow'schen Familiensitz hergestellt sein sollte, zu dessen Ausschmückung der Commerzienrath nicht müde wurde, von überall her das Schönste und Kostbarste an Mobilien und Stoffen kommen zu lassen.

Da brach mitten in diese Vorbereitungen die große Catastrophe herein, welche ganz Europa bewegte. Und wie diese Catastrophe die Fürsten und Diplomaten aus ihren Villeggiaturen und Badekuren aufschreckte und in den furchtbaren Ernst des Lebens zurücktrieb, so unterbrach sie auch die Vorbereitungen zu der Verbindung des Barons von Rantow mit Fräulein Anna Cohnheim.

Sorgenvoll ging der Commerzienrath einher. Es war nicht nur der Aufschub des von ihm so sehnlichst gewünschten Familienereignisses, welcher ihn bewegte und bekümmerte – der plötzlich hereinbrechende Krieg griff auch zerstörend in alle seine finanziellen Operationen ein. Die Unternehmungen, welche er mit dem Baron verabredet hatte, mußten natürlich vorläufig bis zur Wiederkehr ruhiger Verhältnisse aufgeschoben werden.

Der junge Baron von Rantow war zur Zeit seines Eintritts in das militairpflichtige Alter wegen der Anlage zu einem Brustleiden, die ohne unmittelbar gefährlich zu werden, ihm große körperliche Anstrengungen unmöglich machte, für dienstunfähig erklärt. Von dieser Seite hätte daher der Verbindung der beiden jungen Leute nichts entgegen gestanden. Indeß Fräulein Anna erklärte mit großer Bestimmtheit, daß sie vor dem Ende des Krieges, welcher das ganze Vaterland in so große Gefahr stürzte und so viel Trauer in zahlreiche Familien bringen müßte, an die Hochzeit nicht denken wolle.

So war denn die Hochzeit wieder in unbestimmte Fernen hinausgeschoben.

Am Vormittage des verhängnißvollen einunddreißigsten Juli, an welchem der König Berlin verlassen sollte, um zur Armee sich zu begeben, befand sich die Commerzienräthin Cohnheim bei dem Baron von Rantow und seiner Gemahlin.

Die Königin Augusta hatte wenige Tage zuvor einen Aufruf an alle Frauen des Vaterlandes erlassen, um Hülfsmittel für die Verpflegung der Verwundeten an den Rhein zu senden. Und die Commerzienräthin hatte mit Eifer diese Gelegenheit ergriffen, um sich der Baronin von Rantow anzuschließen bei der Bildung eines kleinen Damenvereins zur Erfüllung dieser patriotischen Aufgabe.

Sie war mit ihrer Tochter gekommen, um das Nähere über die Organisation der Thätigkeit dieses Vereins zu verabreden, und Frau von Rantow hatte mit einer gewissen, kalten Zurückhaltung den sehr beträchtlichen Beitrag in Empfang genommen, welchen die Commerzienräthin für die Zwecke des Vereins ihr überreichte.

Die beiden Damen sprachen eifrig über die zweckmäßigste Herstellung von Charpie und Verbandzeug, während der Baron sich mit Fräulein Anna unterhielt, für welche er eine besonders sympathische Zuneigung gefaßt hatte, und welcher er stets mit um so größerer Herzlichkeit begegnete, je weniger es ihm möglich war sich dem Commerzienrath und seiner Gemahlin, deren ganzes Wesen von seinen Lebensanschauungen so tief verschieden war, zu nähern.

»Wir sind glücklicher,« sagte er, »als so viele andere Familien, deren Söhne zu den Gefahren des Krieges hinausziehen müssen, und doch macht es mich fast traurig, daß in einem Augenblick, wo die ganze Jugend des Landes unter den Fahnen des Königs ins Feld zieht, der Name der Rantows in den Reihen der Armee nicht vertreten ist. Das Gefühl des Vaters und des Patrioten streiten in mir mit einander, und oft möchte ich fast wünschen, daß auch mein Sohn berufen wäre zu dem großen nationalen Kampf.«

»Es bleibt ja auch hier noch genug zu thun,« erwiderte Fräulein Anna in einem ziemlich kalten und gleichgültigen Ton. »Der Staat braucht ja auch während des Krieges Beamte, vielleicht wäre es gut, wenn Ihr Sohn wenigstens bis zur Beendigung des Krieges seine Carriere wieder aufnehmen würde. Für uns Frauen,« fuhr sie lebhafter fort, »bildet ja die Zeit ein reiches Feld der Thätigkeit, und ich fühle den lebhaftesten Wunsch, hinauszugehen, um als Pflegerin der Kranken in dieser großen Zeit meine Pflicht zu erfüllen.«

»Sie, mein Kind,« rief der Baron erstaunt, »Sie, gewöhnt an alle Bequemlichkeiten des Lebens, fast ein wenig verwöhnt, Sie wollten sich einer so mühevollen angreifenden Thätigkeit widmen, welche Ihre zarten Kräfte vielleicht bald aufreiben möchte?«

»Meine zarten Kräfte?« – sagte Fräulein Anna, die Achseln zuckend, »und wären sie es, – der feste Wille und die Begeisterung für eine große Sache sind im Stande, auch die schwächste Kraft stark zu machen. Und wofür könnte ein Frauenherz sich höher begeistern, als dafür, die Leiden Derjenigen zu erleichtern, welche heldenmüthig ihr Blut und Leben zum Schutz des Vaterlandes, zu unserm Schutz dahin geben. Glauben Sie mir, Herr Baron, ich würde nicht ermatten in einem so hohen und heiligen Beruf. Und wenn der Krieg fortschreitet,« fuhr sie ernst mit dem Ausdruck eines festen Entschlusses fort, »wenn die Lazarethe sich füllen werden und das Bedürfniß nach weiblicher Pflege immer größer und größer werden wird, dann werde ich doch noch die Erlaubniß meiner Eltern erhalten, dem Zuge meines Gefühls zu folgen, und ich bin überzeugt, daß viele Frauen denken und handeln werden, wie ich.«

Der junge Herr von Rantow trat ein. Er war ernster als sonst, der gleichgültige, oberflächliche Ausdruck, welcher gewöhnlich auf seinem Gesicht lag, war verschwunden. Eine gewisse stolze Befriedigung blickte aus seinen Augen.

»Ich habe einen Entschluß gefaßt,« sagte er, nachdem er die Damen begrüßt hatte, »einen Entschluß, den meine theure Anna gewiß billigen wird und mit dem auch Du, mein Vater, zufrieden sein wirst.«

Fragend blickte Fräulein Cohnheim auf ihren Verlobten.

»Ich habe,« fuhr dieser fort, »mich zur Aufnahme in den Johanniterorden gemeldet. Du wünschtest das früher, mein Vater, um mir eine ehrenvolle Decoration zu verschaffen, in dieser Zeit gewinnt das Zeichen des Johanniterordens, zu welchem meine Geburt mich berechtigte, eine höhere und ernstere Bedeutung. Ich habe so eben die Mittheilung erhalten, daß meine Bewerbung angenommen werden wird und habe zugleich die Bitte gestellt, wenn eine Annahme erfolgen sollte, mich einer der Deputationen beizuordnen, welche die Armee zur Leitung der Krankenpflege begleiten werden. So werde auch ich im Stande sein, das Meinige in dem Kampf zu thun und die Pflicht zu erfüllen, welche mein Name mir auflegt und zu welcher mein Gefühl mich treibt.«

Der Baron neigte zustimmend den Kopf.

Fräulein Anna erhob sich schnell und reichte ihrem Verlobten die Hand, indem aus ihrem Blick ein warmes Gefühl leuchtete, wie sie es bisher noch nie dem jungen Manne gegenüber gezeigt hatte.

»Ich danke Ihnen von Herzen für diesen Entschluß,« sagte sie mit herzlichem Ton, »und da Sie ihn gefaßt haben, darf ich Ihnen sagen, daß mich der Gedanke betrübt hat, Sie in dieser Zeit hier zurückbleiben zu sehen – Sie werden das nicht mißverstehen,« fügte sie hinzu, »meine treuesten und aufrichtigen Wünsche werden Sie begleiten.«

Herr von Rantow küßte die Hand seiner Braut, seine Mutter blickte liebevoll zu ihm hinüber, und die Commerzienräthin richtete sich hoch auf, indem sie mit feierlicher Stimme sagte:

»Das ist ein sehr edler Entschluß, ganz meines vortrefflichen Schwiegersohns würdig.«

Der Diener trat ein, meldete den Oberstlieutenant und den Lieutenant von Büchenfeld.

Schnell erhob sich der Baron, um den Herren entgegen zu gehen.

Die Commerzienräthin warf einen scharfen und strengen Blick auf ihre Tochter.

Fräulein Anna zuckte zusammen und machte eine Bewegung, als wolle sie das Zimmer verlassen, dann aber faßte sie sich, tief erbleichend stützte sie die Hand auf die Lehne eines neben ihr stehenden Sessels. Kälte und stolze Entschlossenheit lag auf ihrem Gesicht.

Der Oberstlieutenant und sein Sohn traten ein. Der alte Herr trug Uniform, sein Gesicht strahlte vor freudiger Aufregung. Der Lieutenant folgte ihm ernst und still, als er Fräulein Anna und den jungen Herrn von Rantow erblickte, flog eine dunkle Röthe über sein Gesicht. Dann näherte er sich Frau von Rantow, begrüßte dieselbe ehrerbietig und verneigte sich mit kalter Höflichkeit gegen die Übrigen.

Die Commerzienräthin saß gerade und steif da und erwiderte den Gruß der eintretenden Herren mit einer kaum bemerkbaren Neigung des Kopfes.

»Ich bringe Ihnen noch einmal meinen Sohn, gnädige Frau,« sagte der Oberstlieutenant, »er muß noch heute zu seinem Regiment abgehen, um in die beste Kriegsschule hinauszuziehen, – draußen im Felde, wo man in einem Monat mehr lernt, als in Jahren hinter den Büchern. Er wollte in der Eile gar keine Besuche machen, aber hier von den alten Freunden seines Vaters muß er sich doch verschieden, bevor er auszieht, um sich den Feldmarschallstab zu erkämpfen,« fügte er lächelnd hinzu. »Er hat es glücklich getroffen, mir wurde es in meiner Jugend nicht so gut, ich habe mich während meiner besten Jahre durch den ewigen Garnisonsdienst hindurch schleppen müssen, in welchem Körper und Geist müde werden.«

»Unsere herzlichsten Wünsche werden Sie begleiten,« sagte Frau von Rantow zu dem jungen Officier. »Aber Sie, lieber Büchenfeld,« fuhr sie lächelnd fort, »tragen ja auch wieder Uniform, Sie wollen doch nicht etwa auch mit hinausziehen –«

»Wollte Gott, ich könnte es,« sagte der Oberstlieutenant traurig, »doch mein Podagra sorgt schon dafür, daß ich hier bleiben muß. Aber,« fuhr er, sich militairisch aufrichtend, fort, »ich habe mich um ein Etappencommando beworben und es erhalten und so habe ich doch wenigstens das Herzeleid nicht, daß ich in dieser Zeit unthätig im Civilrock einhergehen muß. Ich kann wenigstens die alte Uniform tragen und dem Könige dienen, so gut es mir noch möglich ist.«

Der Oberstlieutenant und sein Sohn blieben etwa eine Viertelstunde lang, während welcher die Unterhaltung fast ausschließlich von dem alten Herrn und dem Baron geführt wurde.

Der Oberstlieutenant war in sprudelnd heiterer Laune, im Herzen des alten Soldaten fand der Gedanke an die Gefahren, denen sein Sohn entgegen ging, keinen Platz, für ihn war der Krieg der Beruf des Officiers, er dachte nur an die Hoffnung auf Ruhm und Ehre, welche dieser Krieg in sich schloß und fühlte sich neu geboren in dem Gedanken, daß auch er in dieser großen Zeit noch einmal in der Lage sei, Dienst zu thun und den Rock des Königs zu tragen.

»Wir müssen aufbrechen,« sagte er endlich, »ich weiß noch nicht, wo meine Bestimmung sein wird und erwarte dieselbe stündlich, – mein Sohn hat nur noch kurze Zeit bis zu seiner Abreise.«

Er küßte mit ritterlicher, etwas altmodischer Galanterie der Frau von Rantow die Hand und drückte lange und herzlich die Rechte des Barons.

Der Lieutenant, welcher während der ganzen Zeit ernst und stumm mit niedergeschlagenem Blick da gesessen hatte, erhob sich, in rascher Bewegung trat der junge Herr von Rantow auf ihn zu.

»Lebe wohl, Büchenfeld,« sprach er, – »in einer Zeit, wie die jetzige, muß jeder vergangene Groll vergessen werden. Gott schütze Dich! Ich werde mit den Johannitern der Armee folgen und sollte Dir ein Unglück begegnen, so hoffe ich, daß ein gütiges Schicksal mich zu Dir führen wird, um Dir beizustehen.«

Der Lieutenant hatte bei den Worten des Barons eine unwillkürliche Bewegung gemacht, als wolle er von demselben zurücktreten. Abermals färbte sich sein Gesicht mit dunklem Roth, er schlug die Augen auf und richtete seine Blicke an dem Baron vorbei, mit bitterem, feindlichem Ausdruck auf Fräulein Anna.

Das junge Mädchen sah ihn mit großen Augen an. Aus diesen Augen strahlte es wunderbar und eigenthümlich zu ihm hin, es lag darin wie eine Bitte, wie eine Frage, ihre Lippen öffneten sich, als wolle sie sprechen, aber nur ein leiser Hauch drang aus denselben hervor und wie unwillkürlich streckte sie zitternd die Hand nach ihm aus.

Ein tiefer Athemzug hob die Brust des Lieutenants, sein kalter, harter Blick wurde weicher und weicher. Kräftig drückte er die Hand des Herrn von Rantow und sagte mit fast erstickter Stimme:

»Vergessen und vergeben!«

Dann trat er rasch, wie einem übermächtigen Zuge folgend, zu Fräulein Anna hin, deren Hand noch immer leicht erhoben, sich gegen ihn ausstreckte und deren Augen mit immer tieferer Innigkeit auf ihm ruhten. Er ergriff die Hand des jungen Mädchens, drückte seine Lippen auf dieselbe und fast unhörbar, nur ihr verständlich, hauchten seine Lippen nochmal die Worte:

»Vergessen und vergeben!«

Dann wandte er sich schnell um und mit kurzer rascher Verbeugung eilte er seinem Vater nach, welcher, von dem Baron geleitet, bereits das Zimmer verlassen hatte, während Fräulein Anna, die Hände faltend, auf einen Stuhl niedersank und ihm mit einem tiefen, schmerzlichen Seufzer nachsah.

*

König Wilhelm stand an seinem Schreibtisch neben dem Fenster seines Arbeitszimmers. Der König trug den Militairüberrock und blickte mit tiefem Ernst auf den Ministerpräsidenten Grafen Bismarck, welcher in der Uniform des Magdeburgischen Cürassierregiments No. 7 vor Seiner Majestät stand und die letzten noch vor der Abreise zu erledigenden Vortragssachen beendet hatte.

»So ist denn,« sagte der König, »Alles vorbereitet, was menschliche Berechnung vermag, um nach allen Seiten hin in ungehemmter Spannung unsere Kräfte entfalten zu können, – unser Haus ist bestellt, die Armee ist in ordnungsmäßiger Bewegung und es ist nun an unserem Alliirten da oben, mit uns hinauszuziehen in den Kampf, an dem wir wahrlich unschuldig sind und uns den Sieg zu verleihen, wie er ihn uns schon einmal gab gegen den Übermuth desselben Feindes.«

»Und dieser Sieg wird nicht fehlen, Majestät,« rief Graf Bismarck, indem seine linke Hand sich fest um den Griff seines Pallaschs spannte, – »er wird schneller und entscheidender kommen, als die Welt ihn erwartet und er wird Alles, was sich im deutschen Nationalleben in diesen Jahren vorbereitet hat, zu herrlicher Erfüllung bringen. Meine Zuversicht steht fest – in diesem Kampfe wird Deutschlands glänzende Zukunft entschieden werden!«

Auch über das Gesicht des Königs zog der lichte Schimmer freudiger Siegeszuversicht, – aber er sprach sie nicht aus und nachdem er einige Augenblicke schweigend vor sich niedergeblickt hatte, wendete er sich zu seinem Schreibtisch und ergriff einen dort liegenden Bogen Papier.

»Wir haben Alles geordnet,« sagte er, die wenigen Zeilen überlesend, welche dieser Bogen enthielt, – »wir haben die diplomatischen Fäden gezogen, – um unsere wohlwollenden Freunde« fuhr er mit eigenthümlichem Lächeln fort, »in ihrer neutralen Haltung zu befestigen, – wir haben für die Regierung während meiner Abwesenheit gesorgt. Unsere Pflichten liegen jetzt draußen bei der Armee, – ich habe jetzt nur noch ein Bedürfniß meines Herzens zu erfüllen, das ist ein letztes Wort des Abschieds an mein Volk zu richten, – wenn mich auch die Hoffnung erfüllt, daß wir mit Gott den Sieg erringen werden, so gehen wir doch einer schweren Zeit entgegen, und Niemand vermag zu berechnen, wie bald ich wieder nach der Heimath werde zurückkehren können. Auch kann,« sprach er mit tiefem Ernst, »eine feindliche Kugel da draußen mein Leben enden. In diesem Augenblick fühle ich mehr wie je den innerlich tiefen Zusammenhang, ich möchte sagen, die Blutsverwandtschaft, welche mich, wie alle Könige meines Hauses mit dem preußischen Volk verbindet, und ich möchte all den Meinen ein so recht herzliches Abschiedswort sagen und ihnen auch eine Gabe des Abschieds geben, die beste Gabe, welche mir zu geben mein königliches Recht vergönnt, – ich möchte in dem Augenblick, in welchem ich hinausziehe zu schwerem Entscheidungskampf, hinter mir den Frieden zurücklassen, – den Frieden und die Versöhnung!«

Erwartungsvoll blickte Graf Bismarck mit seinen hellen, klaren Augen den König an, welcher wie zögernd, als suche er die Worte für seine Gedanken, sagte:

»Die letzten Jahre haben viel Verwirrung in Deutschland hervorgerufen, manches an sich edle Gefühl hat viele meiner Unterthanen, namentlich meiner neuen Unterthanen auf Irrwege geführt und mit der nothwendigen Strenge der Gesetze in Conflict gebracht – jetzt, wo ganz Deutschland einmüthig in den Kampf hinauszieht, möchte ich dazu beitragen, jenen Verwirrungen Lösung zu bringen im edelsten und besten Sinne, jetzt, wo ich Gott um Beistand anrufe in dem mir aufgedrungenen Krieg, möchte ich auch die herrliche Lehre des Christenthums befolgen, – die Lehre der Vergebung und nach den Worten handeln. Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet. – Der letzte Abschiedsgruß an mein Volk soll deshalb zugleich eine Amnestie enthalten für alle politischen Verbrechen und Vergehen. Liebe und Versöhnung soll die Vergangenheit abschließen, damit wir freien und leichten Herzens der Zukunft entgegengehen können.«

Er hob den Bogen Papier empor und las langsam, mit tief bewegter Stimme:

»An mein Volk! Indem ich heute zur Armee gehe, um mit ihr für Deutschlands Ehre und für Erhaltung ihrer höchsten Güter zu kämpfen, will ich im Hinblick auf die einmüthige Erhebung meines Volkes eine Amnestie für politische Verbrechen und Vergehen ertheilen.

»Ich habe das Staatsministerium beauftragt, mir einen Erlaß in diesem Sinne zu unterbreiten.

»Mein Volk weiß mit mir, daß Friedensbruch und Feindschaft wahrhaftig nicht auf unserer Seite waren.

»Aber herausgefordert, sind wir entschlossen, gleich unsern Vätern und in fester Zuversicht auf Gott, den Kampf zu bestehen zur Errettung des Vaterlandes.«

Er hielt inne und blickte wie fragend auf den Ministerpräsidenten, dessen Züge in mächtiger Rührung zuckten.

»Majestät,« sagte er, auf die stumme Frage des Königs antwortend, »an diesem Erlaß darf kein Titelchen geändert werden. Es ist das königlichste Wort, das ein christlicher Fürst zu seinen Unterthanen sprechen kann, einfach und groß, wie die Zeit. Und dies königliche Wort wird einen mächtigen Wiederhall finden in allen Herzen.«

Der König neigte den Kopf, wandte sich dann zu seinem Schreibtisch, ergriff eine Feder und setzte mit kräftigen Zügen seinen Namen unter das Papier, das er dem Ministerpräsidenten reichte.

»Sorgen Sie für die Veröffentlichung und für die schleunige Vorlegung des Amnestieerlasses. Nun sind die Geschäfte hier beendet,« sprach er mit tiefem Athemzug, »ich habe für die Meinigen das Werk des Friedens und der Liebe gethan. Jetzt soll die Spitze unseres Schwertes sich gegen die Feinde richten.«

»Noch möchte ich,« sagte der Ministerpräsident, »eine Bitte an Eure Majestät richten, eine Bitte, deren Erfüllung ein schöner Nachklang zu dem großen Wort ist, das Eure Majestät soeben gesprochen. Eure Majestät wissen,« fuhr er fort, als der König ihn fragend ansah, »daß wir von der früher so weit verbreiteten Agitation in Hannover nichts mehr zu befürchten haben, die früheren Führer derselben sind vom Könige Georg getrennt und entschlossen, in diesem Nationalkampf nichts gegen Deutschland zu thun. Einzelne Personen in Hannover, welche vielleicht zu gefährlichen Unternehmungen irre geleitet werden könnten, sind in Sicherheit gebracht, um sie vor sich selbst zu schützen, und um sie durch eine kurze Haft der Möglichkeit zu entziehen, Dinge zu unternehmen, für welche sie in der gegenwärtigen Zeit mit der ganzen Schwere des Gesetzes gestraft werden müßten.«

»Ich weiß, ich weiß,« sagte der König – »auch der Verdacht gegen den Grafen Wedell hat sich nicht betätigt? –«

»Nein, Majestät,« sagte der Ministerpräsident, »Graf Wedell steht mit der Agitation in keiner Verbindung mehr, und es freut mich das um so mehr, da seine ganze Familie ohnehin durch die Ereignisse schwer getroffen ist – doch,« fuhr er dann fort, »wovon ich Eurer Majestät sprechen wollte, das ist das Schicksal aller hannöverschen Officiere, welche mit der Emigration nach Frankreich gegangen waren und dort die sogenannte Welfenlegion commandirten.«

»Nun?« fragte der König.

»Diese Officiere, Majestät,« sprach Graf Bismarck weiter, »befinden sich, wie ich höre, in einer verzweiflungsvollen Lage. Sie waren in Deutschland geächtet, – das ist durch Eurer Majestät großmüthige Amnestie beseitigt – aber sie sind ohne Subsistenzmittel, sie sind sogar der französischen Regierung verdächtigt, und ihre Lage ist derartig, daß nach den Äußerungen Einzelner, die mir mitgetheilt sind – ihnen nichts übrig bliebe, als sich irgendwo mit Anstand todtschießen zu lassen.«

»Die armen, jungen Leute,« sagte der König – »sie haben sich schwer vergangen, aber es sind doch brave junge Männer und ihre Handlungsweise ist doch nur hervorgegangen aus einem irre geführten, aber innerlich edlen und richtigen Gefühl der Anhänglichkeit an ihren frühern Herrn – was kann ich für sie thun?« fragte er mit weicher, milder Stimme.

»Majestät,« sagte Graf Bismarck, »politisch liegt kein Grund vor, ihnen zu Hülfe zu kommen, sie können nicht gefährlich werden, und wenn sie wirklich, durch die Noth gedrängt, sich zu irgend einer strafbaren Handlung hinreißen ließen, so würde dadurch in den Augen von ganz Deutschland die welfische Agitation und alle etwa für dieselbe noch begehende Sympathie vollkommen und für immer vernichtet werden. Aber ich glaube nicht, Majestät,« fuhr er im wärmeren Ton fort, »daß jenen armen jungen Leuten gegenüber politische Betrachtungen in diesem Augenblick maßgebend sein können. Jene Unglücklichen sind von aller Welt verlassen, sie sind die Opfer ihrer irregeleiteten, aber doch immerhin edlen Treue geworden, und ich möchte Eure Majestät bitten, ihnen zu helfen und ihnen eine Grundlage für ein neues Leben zu gewähren.«

»Mit Freuden,« rief König Wilhelm lebhaft, »schlagen Sie mir vor, was ich thun soll.«

»Majestät,« erwiderte Bismarck, »es befinden sich unter diesen Emigranten frühere Officiere verschiedener Grade, darnach aber zwischen ihnen einen Unterschied zu machen, ist nicht möglich, – der König Georg hat im Exil noch Ernennungen vorgenommen, die doch nicht in Betracht gezogen werden können. Ich würde daher Eurer Majestät unterthänigst vorschlagen, sie Alle gleich zu behandeln und Jedem von ihnen eine lebenslängliche Pension von zwölfhundert Thalern zu geben, damit haben sie eine Basis für ihre Existenz und einen Ersatz für ihre zerbrochene Carriere.«

»Genehmigt,« rief der König, »genehmigt, mein lieber Graf, es thut mir unendlich wohl, diesen armen jungen Leuten helfen zu können, und ich danke Ihnen, daß Sie mich darauf aufmerksam gemacht und mir Gelegenheit gegeben, noch vor meiner Abreise dies gute Werk zu thun.«

Und leise die Lippen bewegend, flüsterte er vor sich hin:

»Thut wohl denen, die Euch verfolgen.« – –

»Es müßte dann,« sagte Graf Bismarck, »eine Garantie von ihnen gegeben werden, daß sie nicht etwa abermals mißleitet werden –«

»Sie sollen ihr Ehrenwort geben, nichts gegen mich zu unternehmen, das genügt,« sagte der König, »sie haben die Gesetze verletzt, aber ihre Ehre trifft kein Vorwurf und ihrem Ehrenwort will ich glauben.«

»Eure Majestät haben durch diesen Entschluß,« sagte Graf Bismarck, »einer Anzahl junger und hoffnungsvoller Herzen Leben und Zukunft wieder gegeben, und auch das wird zum Segen unserer Waffen werden. So ist denn auch diese letzte schmerzliche Dissonanz des Jahres 1866 im schönen und wohlthuenden Accord geendet und nun, Majestät, –

Vorwärts mit Gott für König und Vaterland.«

»Auf Wiedersehen am Bahnhof, mein lieber Graf,« sagte der König, »wir werden hier wohl lange nicht wieder zusammen arbeiten –«

»Dann aber, Majestät,« rief Graf Bismarck mit leuchtendem Blick, »wird der preußische Adler seinen höchsten Siegesflug vollendet haben, und eine neue, strahlende Krone wird über seinem Haupte glänzen.«

Er ergriff seinen Stahlhelm, der neben ihm auf einem Stuhl lag, richtete sich hoch empor und verließ mit militairischem Gruß das Cabinet.

Der König trat an's Fenster und richtete den sinnenden Blick auf das Standbild Friedrich des Großen. Er bewegte leise die Lippen, ohne daß hörbare Worte aus denselben hervordrangen.

War es ein Gebet, das er sprach, – oder verkehrten seine Gedanken mit dem Geiste seines großen Ahnherrn, der zuerst das alte Brandenburg in Wahrheit zu einer Großmacht Preußens erhoben, der der Königskrone Friedrich I. das schneidige siegreiche Schwert hinzugefügt hatte und der wieder seinen Nachkommen die hohe Aufgabe hinterlassen hatte, durch preußischen Geist und preußische Kraft einst das zerbröckelte Deutschland zu einiger Macht und Herrlichkeit wieder aufzurichten?

Die auf dem Platz vor dem königlichen Palais versammelte Menge erhob beim Anblick des Königs die Hüte und laute Rufe grüßten den Monarchen.

Der König dankte freundlich mit dem Kopfe nickend. Ein Ausdruck heiterer, ruhiger Zuversicht erschien auf seinem Gesicht. Langsam wandte er sich ab, um zur Königin zu gehen und mit seiner Gemahlin das letzte Diner vor seiner Abreise zur Armee einzunehmen.

*

Es war halb sechs Uhr Abends. Dicht gedrängt standen die Menschenmassen die Linden entlang, vom Thiergarten her bis zum Anhalter Bahnhof. Die sonst so lauten und unruhigen Berliner hatten diesmal ihre gewöhnliche Natur verleugnet, und eine fast lautlose Stille herrschte auf den dicht belebten Straßen.

Da kam vom königlichen Palais her ein einfacher zweispänniger Wagen mit offenem Verdeck dahergefahren. Der König, im Überrock und Helm, fuhr, von seiner Gemahlin begleitet, nach dem Bahnhof und blickte zum letzten Mal ernst und gedankenvoll auf diese Straße seiner Residenz hin, welche bereits so viele Herrscher seines Hauses gesehen hatte in den Tagen des Glücks und des Unglücks, in den Tagen des Leidens und der Demüthigung, wie in den stolzen Triumphzügen nach gewaltigen Siegen – immer aber in gegenseitiger Liebe und Treue innig vereint mit ihrem Volk, welches das Unglück mit ihnen getragen und opferfreudig sein Blut vergossen hatte zur Erringung der Triumphe und Siege.

Kein lauter Ruf ertönte, still und schweigend entblößten sich alle Häupter und durch diese schweigenden, feierlichen Grüße hin fuhr der königliche Wagen hinaus, während der König freundlich ernst mit der Hand winkte und die Königin, von Bewegung überwältigt, ihr Taschentuch vor die Augen drückte.

Im Wartesaal des Bahnhofes erwarteten den König der Generalfeldzeugmeister Prinz Carl und der jugendliche Erbgroßherzog von Mecklenburg-Schwerin, die Prinzen Alexander und Georg, der Admiral Prinz Adalbert, der Herzog Wilhelm von Mecklenburg mit der Großherzogin Alexandrine von Mecklenburg-Schwerin, der Prinzessin Karl und der jungen Herzogin Alexandrine. Daneben sah man alle in Berlin noch anwesenden Generale, die Minister, den Geheimrath Abeken, den Legationsrath von Kendell und neben den königlichen Prinzen den Grafen Bismarck, die Generale von Roon und von Moltke und den alten Feldmarschall Wrangel; die Angehörigen der Herren, welche den König begleiten sollten, waren mit anwesend. Neben dem Grafen Bismarck standen seine Gemahlin und seine Tochter, in letzter wehmüthiger Unterhaltung mit dem Scheidenden. Neben dem General von Roon, in seiner ernsten strengen Haltung, sah man seinen Sohn, der Adjutantendienste bei ihm that – auch viele Damen der übrigen Minister und der Hofchargen waren anwesend.

Auch diese ganze Gesellschaft war ernst und still, wie über der Bevölkerung von Berlin, so lag auch über diesen höchsten Spitzen des preußischen Staats der tiefe Ernst des Augenblicks.

Der königliche Wagen fuhr an die Rampe, der König stieg aus und reichte dann der Königin die Hand, ihr ebenfalls aus dem Wagen zu helfen. Dann blickte er hin über den mit Menschen dicht besetzten Platz und erhob zum letzten Gruß die Hand.

Jetzt zum ersten Mal wurde das ernste, feierliche Schweigen gebrochen, wie ein einziger Ruf, weithin brausend in gewaltigen Klängen die Luft erschütternd, erhob sich ein dreimal wiederholtes Hurrah. Es war als ob wie aus einem Munde, vom gleichen Pulsschlag bewegt, das Volk den scheidenden König begrüßte.

Dann trat abermals tiefe Stille ein.

Der König winkte noch einmal mit der Hand, gab der Königin den Arm und wandte sich nach dem Wartesaal hin. Da fiel sein Auge auf einen jungen Officier mit blassem Gesicht, welcher in einem kleinen Rollwagen auf die Rampe gefahren war und mit leuchtenden Blicken den königlichen Kriegsherrn ansah, während er die in unwillkürlicher Bewegung erhobenen Hände gegen ihn ausstreckte.

Der König blieb einen Augenblick stehen, dann schritt er rasch auf den jungen Mann zu und reichte ihm die Hand, dieser aber faßte sie mit seinen beiden Händen und führte sie an die Lippen, indem Thränen aus seinen Augen stürzten. Dann faßte er sich, richtete sich in seinem Wagen empor und sprach im Ton dienstlicher Meldung:

»Lieutenant von Sierrakowsky, Majestät –«

»Ich weiß, ich weiß,« sagte der König freundlich, durch einen Wink die Meldung unterbrechend, »ich vergesse die Tapfern nicht, die für mich und das Vaterland geblutet haben – Gott hat Ihnen nicht vergönnt, auch in diesem Kampf mit mir hinaus zu ziehen – aber trösten Sie sich, Sie haben dem Vaterland Ihre Schuld reichlich bezahlt und Beispiele, wie das Ihre, werden neue Helden schaffen.«

»Gott segne Eure Majestät!« sagte der junge Officier, mit erstickter Stimme; »Gott segne unsere preußischen Fahnen!«

Der König drückte dem armen Invaliden noch einmal herzlich die Hand und trat dann in den Wartesaal. Nur wenige Worte sprach er mit den dort Versammelten. Alle Damen reichten ihm Blumensträuße entgegen.

»Ich kann sie nicht alle mitnehmen,« sagte der König freundlich lächelnd, indem er einen schönen Strauß aus den Händen der Gräfin Itzenplitz entgegennahm. »Diese Blumen sollen mir eine Erinnerung an Sie Alle und an Ihre guten Wünsche sein.«

Kein Auge blieb trocken, Alle drängten dem scheidenden König nach, der an der Thür des Wartesaals die Königin umarmte und dann mit den Herren des Gefolges schnell in das Coupé stieg.

Dahin brauste der Zug nach dem Westen, nach dem Schauplatz des noch von den dunklen Wolken der Zukunft verhüllten Krieges.


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