Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Capitel.

Der Reichskanzler von Österreich-Ungarn, Graf Beust, schritt langsam und nachdenklich in seinem Cabinet des Palais am Ballhausplatz zu Wien auf und nieder. Sein sorgfältig frisirtes Haar war ein wenig dünner und ein wenig grauer geworden; doch die Haltung seiner großen schlanken Gestalt zeigte noch immer jugendliche Elasticität und Frische. Sein bleiches, geistdurchleuchtetes Gesicht, seine klaren, scharfen Augen schienen von dem Fortschritt der Zeit nicht berührt worden zu sein; nur das leicht ironische Lächeln seines feinen, etwas seitwärts gezogenen Mundes war nicht mehr so heiter und siegesgewiß als früher.

Er hielt einen ziemlich umfangreichen Bericht in Quartformat in der Hand und blickte von Zeit zu Zeit kopfschüttelnd auf die große und deutliche Schrift welche das Papier bedeckte.

»Die Katastrophe,« sagte er, an einem der großen Fenster stehen bleibend und sinnend in die trübe Nebelluft hinausblickend, in welcher einzelne Schneeflocken umherwirbelten, »die Katastrophe, welche seit fast vier Jahren wie eine Wetterwolke über Europa hängt, scheint sich dem entscheidenden Ausbruch nahen zu wollen. – Merkwürdig,« fuhr er fort, »alle meine Feinde in Deutschland und auch in Preußen, sie betrachten mich fortwährend als den geheimen Ruhestörer des europäischen Friedens, und doch ist in all dieser Zeit mein ganzes Bestreben darauf gerichtet, überall wo sich die schwebenden Differenzen zu acuten Conflicten zuspitzen, Alles wieder auszugleichen und um jeden Preis die Ruhe zu erhalten. Von der Luxemburger Affaire bis zu dieser Stunde bin ich der unermüdlichste und eifrigste Wächter des Friedens in Europa, denn ich bedarf den Frieden für mein Werk, das ich in Österreich begonnen. Dies arme, so schwer geschlagene Österreich kann noch lange keinen kriegerischen Anstoß ertragen. Alles was im Innern angebaut ist, würde zusammenbrechen. Mein Werk – meine Stellung« – fügte er seufzend hinzu, »würde in demselben Augenblick zu Ende sein, in welchem die innere Entwickelung dessen, was ich begonnen, von außen her gestört würde, und selbst im Fall des Sieges würde nicht ich es sein, der die Früchte desselben pflückte. Jeder Krieg, der in Europa ausbräche, würde die Leitung der österreichischen Angelegenheiten vorzugsweise in die Hände Ungarns legen, denn die militairische Kraft Österreichs liegt in Ungarn, und um einer großen politischen Action diese Kraft zu sichern, würden die Forderungen dort sehr weit gehen. – Es bereitet sich Etwas in Frankreich vor, Napoleon wird alt und schwach, er scheint die Zügel aus den Händen zu verlieren und die verschiedenartigsten und unberechenbaren Factoren treiben dort ihr Spiel –

– »da ist wieder,« fuhr er, den Bericht, welchen er in der Hand hielt, durchblätternd fort, »dieser General Türr mit seiner Coalitionsidee im Gange, und es scheint in der That, daß Napoleon oder Diejenigen, welche seinen schwachen Willen in diesem Augenblick lenken, hinter der unruhigen Thätigkeit dieses Generals steht. – Diese unzünftigen Politiker,« sagte er, tief aufseufzend, »welche es nicht unterlassen können, von Zeit zu Zeit mit übereifrigen Händen in das feine Gewebe der politischen Fäden einzugreifen, sind in der That ein Kreuz für die wahre Staatskunst, welche nach vernünftigen Plänen ihre Ziele verfolgt. Sie können es niemals abwarten, die Dinge reif werden zu lassen und wollen vorzeitige Früchte von den halb angewachsen Bäumen pflücken.«

Er ging langsam zu seinem Schreibtisch zurück und setzte sich in den einfachen Lehnstuhl, welcher vor demselben stand.

»Die Idee einer innigen Annäherung zwischen Frankreich, Österreich und Italien ist ja gut und vortrefflich, und ich habe stets die Nothwendigkeit betont, in eine französische Alliance, wenn sie wirksam sein soll, Italien mit aufzunehmen. – Österreich könnte einer solchen Combination, welche uns eine feste Stellung in Europa wieder geben würde, Opfer bringen. Ich arbeite mit Eifer daran, die guten Beziehungen mit Italien zu pflegen und Vergessenheit alles Geschehenen zur Grundlage für die Verhältnisse der Zukunft zu machen. Aber man muß nur nicht glauben, daß die Herstellung einer Alliance aus so heterogenen Mitteln, mit so verschiedenartigen Elementen ein Werk des Augenblicks ist. Da fällt dieser General Türr mit dem Säbel in die Diplomatie hinein und will alle diese so schwierigen Fragen in drei oder vier Punkten eines Vertrages zusammenfassen, und dann sofort mit vereinten Kräften in's Feld rücken, um vielleicht von Neuem in einer übereilten Action Alles das auf's Spiel zu setzen, was uns aus den schweren Unfällen von 1866 noch übrig geblieben ist.«

Er blickte abermals auf den Bericht.

»Wohlwollende Neutralität Italiens,« sprach er, »militairische Hülfeleistung für den Fall, daß Rußland activ in die Ereignisse eingreifen sollte. – Und dafür die italienisch redenden Districte Tyrols. – Das klingt sehr schön. Das Opfer wäre nicht zu schwer für die Wiedererlangung der alten Machtstellung Österreichs, nachdem ja nun einmal Italien gegenüber das nationale Princip anerkannt worden ist. Aber das Alles bietet doch nur eine sehr unsichere und zweifelhafte Basis für eine Politik, bei welcher die Existenz Österreichs eingesetzt werden würde. Der König Victor Emanuel billigt den Plan. – Aber was bedeutet die Billigung des Königs bei den gegenwärtigen Zuständen in Italien. Würde ein solcher Vertrag in der Stille der Cabinette wirklich unterzeichnet – wer bürgt dafür, daß im Augenblick des Handelns das italienische Volk die Abmachung seines Königs gut heißt. Wer bürgt dafür, daß nicht ein neues Ministerium dort Alles desavouirt, was seine Vorgänger abgemacht haben, daß im Augenblick einer besonders gefährlichen Entscheidung das kaum zu neuer Kraft erstarkte Österreich sich unter gewaltigen und mächtigen Feinden isolirt sieht –«

»Nein,« rief er, »niemals werde ich die Wege einer so unsicheren und gewagten Politik betreten. Ich will Österreich zur Größe und zur Macht zurückführen, aber ich muß es erst innerlich gesund machen und darf es in die Gefahren auswärtiger Verwickelungen erst dann stürzen, wenn seine innere eigene Kraft vollständig wieder hergestellt ist, – wenn ich des Erfolges sicher bin, denn jeder unglückliche Ausgang einer militairischen Action würde das Ende des heutigen Österreichs – das Ende meines Werkes sein.«

Er warf den Bericht auf den Tisch.

»Ich habe den Ausgleich mit Ungarn hergestellt,« fuhr er fort – »ich habe es unternommen, die kaiserliche Autorität an die Zunge der Wage zu stellen zwischen dem deutschen und dem magyarischen Theil des Kaiserstaats. Jeder Kampf in Europa, bei welchem Deutschland betheiligt wäre, würde das Schwergewicht auf die Seite Ungarns bringen müssen, denn niemals wird Österreich in einer feindlichen Action gegen Preußen oder Deutschland sich auf seine deutschen Elemente stützen können. Wie man aber in Ungarn ein solches Verhältniß benutzen und ausbeuten würde, dafür spricht am deutlichsten wieder dieser Brief Kossuth's an die achtundvierziger Partei, welche ihm ihre Präsidentschaft angetragen.«

Er ergriff ein anderes Papier, welches auf seinem Schreibtisch lag, durchflog es schweigend und las dann mit halb lauter Stimme die Schlußworte:

»Und doch spreche ich es aus, daß ich für den Fall, daß noch vor der Zeit, wo die Logik der Geschichte die monarchische Institution in die Rumpelkammer des überlebten Entwickelungsstadiums verweisen wird, wenn in meinem Leben das Ereigniß eintreten sollte, daß ein europäischer Sturm vom Haupte des Kaiser-Königs Franz Joseph die österreichische Krone herunterblasen sollte, ich im selben Augenblick nach Hause gehen und gegenüber dem plötzlich zum König von Ungarn reducirten Franz Joseph das Band der Unterthanentreue annehmen würde.«

»Diese Zeilen Kossuth's,« sagte Graf Beust, das Haupt in die Hand stützend, »sind eine deutliche Mahnung für mich, ein deutliches Zeichen für das, was in Ungarn geschehen würde, wenn Österreich vorzeitig und unvorsichtig sich in eine europäische Action verwickeln sollte. Für den König von Ungarn würden sie kämpfen, diese Magyaren, aber nicht für den Kaiser von Österreich! – – Für den Augenblick beherrscht die Partei des Ausgleichs das öffentliche Leben in Ungarn. Sie haben gern angenommen, was ihnen geboten wurde. Aber diese Partei, welche dort mit Österreich pactirt, würde in demselben Augenblick verschwinden, in welchem der Kaiser auf die Kraft Ungarns sich stützen müßte. Die große Mehrzahl des Volkes jenseits der Leitha denkt wie Ludwig Kossuth und würde in einem solchen Augenblick sprechen, wie er heute spricht. – Und diese russische Macht, die schweigend an unsern Grenzen steht, den Moment erwartend, in welchem wir ihr Gelegenheit geben möchten, Rache zu nehmen für die Vergangenheit – für eine Vergangenheit, an der ich und das heutige Österreich unschuldig sind! – Darf ich den furchtbaren Überfall dieser Macht heraufbeschwören ohne eine andere Deckung, als den so unsichern Beistand Italiens? – Nein!« rief er mit entschlossenem Ton, »niemals werde ich ein so unsicheres Hazardspiel mit diesem alten, ehrwürdigen österreichischen Staat spielen, dessen Schicksal man mir anvertraut hat. Ich bedarf des Friedens, um das Werk zu erfüllen, und ich werde alle meine Kraft aufbieten, um den Frieden zu erhalten.

»Wenn dann,« fuhr er mit einem wie in weite Fernen gerichteten Blick fort, »wenn dann Österreich innerlich einig, kräftig und schlagfertig ist, wenn die reichen Hülfsquellen seines öconomischen Lebens sich geöffnet haben werden, wenn die Institutionen der neuen Verfassung feste Wurzel im Leben des Volkes geschlagen haben, dann mag der Kaiser es versuchen, wieder in die Arena der großen Kämpfe der europäischen Mächte hinabzusteigen, und den alten Glanz, die alte Macht Habsburgs wieder zu erringen, dann mag er das Spiel um sein Haus und sein Reich wagen. Aber von mir soll man nicht sagen, daß ich das Land, welches mir, dem Fremden so vertrauungsvoll die Leitung seiner Geschicke übergeben hat, in die unheilvollen Zufälligkeiten einer unreifen Action gestürzt hätte.«

Er blieb einige Augenblicke in tiefen Gedanken versunken sitzen.

Der Bureaudiener, welcher im Vorzimmer den Dienst hatte, meldete den Sectionschef, Baron Hoffmann.

Herr von Beust neigte zustimmend den Kopf.

Wenige Augenblicke darauf trat die magere, etwas eckige Gestalt des Herrn von Hoffmann in das Cabinet. Herr von Beust reichte ihm verbindlichst die Hand und der vortragende Rath des auswärtigen Ministeriums nahm in dem Lehnstuhl neben dem Schreibtisch des Reichskanzlers Platz.

Graf Beust reichte ihm den Bericht, den er vorher auf seinen Schreibtisch gelegt und sagte.

»Ich bitte Sie, sogleich an Metternich zu schreiben, daß er der unruhigen und unklaren Thätigkeit des Generals Türr gegenüber die äußerste Zurückhaltung beobachten möge, ohne indessen irgend wie die Idee einer immer enger zu knüpfenden Coalition zwischen Frankreich, Österreich und Italien zurückzuweisen. Es wäre mir sogar lieb,« fuhr er fort, »wenn diese Negotiation – doch in möglichst unbestimmter Form sich lange hinzöge. – Sie gäbe uns immerhin eine zweckmäßige Handhabe für unsere Diplomatie. Und wenn auch eine so bestimmt formulirte Allianz, wie der General sie herstellen möchte, mir unerreichbar scheint, auch für uns ihre sehr erheblichen und ernsthaften Bedenken hat, so könnte doch diese ganze Verhandlung, wenn sie mit Geschick geleitet würde, dahin führen, daß die freundschaftliche Annäherung an Italien, welche ich so sehr wünsche, und welche schon mehrmals ohne eigentlichen Erfolg versucht wurde, jetzt wenigstens hergestellt würde. – Der Fürst Metternich soll sich besonders hüten, über die von dem General Türr formulirten Punkte irgend wie eine bindende Äußerung zu machen. Erst muß die allgemeine Annäherung und Verständigung kommen, später wird es dann vielleicht möglich sein auf die Discussion bestimmt formulirter Allianceverträge einzugehen. Vor Allem aber wird es dann nöthig sein, zunächst Fühlung in Italien zu nehmen, und sich zu vergewissern, wie weit unsere Allianceverträge die Zustimmung der dort herrschenden Parteien finden könnten. Denn wir dürfen nicht vergessen, daß Victor Emanuel kein Selbstherrscher wie Napoleon ist und daß ein mit ihm persönlich geschlossener Vertrag leicht illusorisch bleiben könnte.«

»Ich glaube kaum,« sagte Baron Hoffmann, »daß eine wirklich aktive Alliance mit Italien auf die Zustimmung der Majorität der dortigen Parteien jemals zu rechnen habe. Man fühlt in Italien ganz genau, daß man das bisher Errungene nur durch die Alliance mit Preußen erreicht hat, und man sagt sich vom dortigen Standpunkt mit vollem Recht, daß man nur unter dem ferneren Beistand Preußens an das Endziel des betretenen Weges gelangen, das heißt von Florenz nach Rom würde gehen können. Die Stimme der öffentlichen Meinung,« fuhr er fort, »läßt darüber keinen Zweifel, und ich glaube, daß trotz aller Verträge, welche das italienische Cabinet etwa schließen könnte, im Augenblick einer europäischen Verwickelung das italienische Volk die Regierung zwingen wird, die letzte Hand an die nationale Einigung Italiens zu legen, wie ja bisher jeder Schritt auf diesem Wege immer unter dem Druck des Volkswillens gegen die von der Regierung geschlossenen Verträge geschehen ist.«

»Ich bedaure,« sagte Herr von Beust nach einem augenblicklichen Nachdenken, »daß die verschiedenen Projekte, um mit Italien zu einer freundlichen Verständigung und einem nähern Verhältniß zu gelangen, niemals zur Ausführung gekommen sind. Wir bedürfen der Freundschaft Italiens, wir bedürfen auch der diplomatischen Coalition mit Italien und Frankreich, aber in diesem Augenblick auf die unglücklichen Actionspläne des Generals Türr einzugehen, das wäre unverzeihlich für einen österreichischen Minister. In Paris mag man jene Ideen in diesem Augenblick den stets heranwachsenden innern Verlegenheiten gegenüber acceptiren; doch glaube ich nicht, daß Kaiser Napoleon ernstlich daran denkt, gerade jetzt einen Conflict heraufzubeschwören, nachdem er viel passendere Momente, Momente, in welchen ihm viel größere Chancen des Erfolges zur Seite standen, hat vorübergehen lassen. Ich bitte Sie also noch einmal, Metternich in dieser Beziehung meinen Willen mitzutheilen. – Doch muß die ganze Sache mit großer Vorsicht und mit unendlicher Schonung aller persönlichen Empfindlichkeiten behandelt werden. Man darf weder in Paris, noch in Florenz verletzt werden, und auch der General Türr darf in keiner Weise unangenehm berührt werden. Er ist uns in Ungarn sehr nützlich gewesen, und könnte uns jedenfalls unter Umständen viel schaden.«

Herr von Hoffmann verneigte sich.

»Ich werde sogleich die Depesche nach Eurer Excellenz Befehl abfassen.«

Er zog ein Zeitungsblatt aus seiner Mappe und fuhr fort.

»Ich muß nun Eure Excellenz auf einen Artikel aufmerksam machen, welcher sich in verschiedenen Blättern findet und über einen Vorfall in München berichtet, welcher, wie ich glaube, nicht unbeachtet bleiben darf. Graf Ingelheim,« fuhr er fort, »hat gerade an dem Tage, an welchem der König Ludwig die Minister und ministeriellen Reichsräthe zur Hoftafel befohlen, ein Diner gegeben, bei welchem er alle Mitglieder der großdeutschen und ultramontanen Opposition im Reichsrath, die für die Mißtrauensadresse gegen das Ministerium gestimmt hatten, bei sich versammelte, und es sollen bei diesem Diner, wie die Zeitungen berichten, eigentümliche Unterhaltungen stattgefunden haben. Man soll Fürst Hohenlohe bereits als beseitigt betrachten, und die Herstellung des Ministeriums unter Herrn von Bomhardt mit den Herren von Schrenk und von Thüngen lebhaft besprochen haben.«

»Unterhaltungen bei einem Diner können nun allerdings nicht gerade auf die Goldwage gelegt werden. Indessen hat doch dieser ganze Vorfall etwas Demonstratives. – Die Presse faßt ihn in diesem Sinne auf und setzt ihn in Verbindung mit dem allgemeinen Verhalten des Grafen Ingelheim, der mit den erbittertsten und entschiedensten Gegnern des Ministeriums Hohenlohe die innigsten Beziehungen unterhält. –

»Ich glaube nicht, daß es im Sinne der von Eurer Excellenz befolgten, so vorsichtig zurückhaltenden Politik liegen kann, wenn der Gesandte Österreichs in Baiern offen gegen das dortige Ministerium demonstrirt, im Augenblick, in welchem der König demselben einen Beweis seines Vertrauens giebt.«

Über das Gesicht des Herrn von Beust legte sich der Ausdruck finstern Unmuths.

»Wie schwer,« rief er, »wie unendlich schwer ist es doch, Österreich in den neuen Bahnen einer wohl durchdachten Politik zu lenken. Überall fehlt die Organisation der innern Verwaltung, in der Diplomatie stößt man fortwährend auf die unerwarteten Hindernisse, und wenn ich mit der äußersten Mühe die Wolken des Mißtrauens vom politischen Horizont verscheucht habe, so werden sie bald hier, bald dort immer wieder hervorgerufen durch die Organe, welche meine Absichten und Pläne nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Da wird nun durch eine rein persönliche Demonstration des Grafen Ingelheim wieder das mühsam aufrecht erhaltene gute Verhältniß mit Preußen getrübt, und man wird in Berlin nicht ganz Unrecht haben, denn für eine solche Handlung des offiziellen Vertreters Österreichs hat man eine gewisse Berechtigung, mich verantwortlich zu machen. – Ich habe lange Bedenken gehabt,« fuhr er fort, »Ingelheim wieder in Aktivität zu setzen. Er ist ein braver Mann, aber das genügt nicht, um ein guter Diplomat zu sein, und vor Allem ist er vollständig in den Händen der Ultramontanen. – Doch,« fuhr er fort, »die Sache ist mir nach Preußen hin noch weniger unangenehm, als für die Beziehungen zu Baiern selbst. Der König Ludwig wird auf's Tiefste verletzt sein, und doch ist es für uns von größter Wichtigkeit, gerade in München festen Fuß zu behalten, und das Vertrauen des Königs nicht zu verlieren; – bei seinem Charakter kann eine Demonstration wie die des Grafen Ingelheim ihn gerade in plötzlicher Aufwallung von uns völlig entfremden, und wenn man diese Verhältnisse und Stimmungen von Berlin aus richtig benutzt, ihn ganz und gar der norddeutschen Politik in die Arme treiben.

»Die Sache ist um so unangenehmer,« fuhr er fort, indem er einen kleinen eng beschriebenen Bericht von seinem Schreibtisch nahm und den Blick über denselben gleiten ließ, »als – – ich habe da eine merkwürdige Mittheilung auf privatem Wege erhalten über Vorgänge in der königlichen Familie. –

»Sie wissen,« sagte er, daß die klerikale Partei ganz besondere Hoffnungen auf den Prinzen Luitpold setzt und stets bemüht ist, demselben einen möglichst großen Einfluß auf die Staatsgeschäfte zu sichern. Es soll nun im Schooß der königlichen Familie ein Project ernstlich ventilirt sein, den König Ludwig durch einen Regierungsbeschluß unfähig erklären zu lassen. Prinz Otto, der ohne politischen Ehrgeiz ist, soll gegen entsprechende persönliche Vortheile bereit gewesen sein, schon jetzt auf das Thronrecht ausdrücklich zu verzichten. Im entscheidenden Augenblick habe aber dieser junge Prinz von Gewissensbissen bewegt, der verwittweten Königin die ganze Sache eingestanden, und es sei in Folge dessen zu sehr stürmischen Scenen gekommen, welche zur öffentlichen Kenntniß freilich nur durch eine königliche Botschaft gelangt sind, die den Prinzen Luitpold mit seinen Söhnen Ludwig und Leopold bis auf Weiteres vom Erscheinen bei Hofe dispensirt. –

»Die ganze Sache ist etwas mysteriös und fabelhaft,« sprach er weiter, »auch die Quelle, aus welcher die Mittheilung an mich gelangt ist, ist nicht absolut zuverlässig. Dennoch aber ist so viel gewiß, daß die Prinzen mit den Führern der klerikalen particularistischen Opposition in intimen Verbindungen stehen, und daß der König über diese Opposition sehr gereizt ist. Wenn gerade in einem solchen Augenblick der Vertreter Österreichs in solcher Weise demonstrativ handelt, wie es der Graf Ingelheim gethan hat, so ist das allerdings sehr bedenklich. Wir müssen darauf denken,« fuhr er fort, »die Sache unter jeder Bedingung wieder gut zu machen –

»Zunächst bitte ich Sie, Graf Ingelheim in vertraulicher Weise auf das Bedenkliche seines Verfahrens aufmerksam zu machen. Ich werde weiter darüber nachdenken. – Ich glaube, daß ein anderer Vertreter in München nothwendig werden wird. Wir können doch wahrlich nicht am Münchener Hof klerikale Politik machen, während wir hier in Österreich damit beschäftigt sind, den Einfluß der römischen Hierarchie auf die Entwickelung des Staatslebens zu brechen.«

Der Bureaudiener trat ein und meldete den Herzog von Grammont.

Graf Beust erhob sich.

»Sie bleiben noch hier im Hause, nicht wahr, lieber Hoffmann?« sagte er. »Vielleicht können Sie mir nachher die Depesche an Metternich vorlegen, nachdem ich mit Grammont gesprochen habe.«

Herr von Hoffmann verneigte sich. Unmittelbar, nachdem er das Cabinet verlassen, trat der französische Botschafter ein.

Der Herzog von Grammont war ruhig und lächelnd wie immer. Sein feines, fast zierlich geschnittenes Gesicht mit den dunklen, vornehm gleichgültig blickenden Augen, dem kleinen Mund und dem auswärts gedrehten Schnurrbart trug den Ausdruck unzerstörbarer Freundlichkeit und Höflichkeit. – In etwas steif-militairischer Haltung, welche dessen ungeachtet nicht ohne Anmuth war, näherte er sich dem Reichskanzler, der ihm mit offener Herzlichkeit die Hand reichte, und ließ sich neben dem Schreibtisch nieder.

»Erlauben Sie zunächst, mein lieber Herzog,« sagte Graf Beust, »daß ich Ihnen mein aufrichtiges Bedauern ausspreche über die unruhigen Bewegungen, welche in Paris stattgefunden haben, und welche jedenfalls den Kaiser schmerzlich berührt haben müssen. Ich darf zugleich meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß jene Bewegungen, – wie ich allerdings schon bei der ersten Nachricht nicht bezweifelte – schnell wieder vollständig beendet sind. Fürst Metternich hat mir berichtet, mit welcher Sicherheit, Würde und Mäßigung die Regierung verfahren ist, und ganz Europa muß dem Kaiser Dank wissen, daß er mit so fester und geschickter Hand die gährenden Elemente niederzuhalten versteht.«

»Diese kleinen Bewegungen,« erwiderte der Herzog von Grammont mit leichter Neigung des Kopfes, »haben nicht viel zu sagen. Es sind Scenen, die man arrangirt hat, um die Verhaftung Rocheforts zu einem Ereigniß von Bedeutung zu stempeln. Der Kaiser,« fuhr er fort, »ist vollkommen Herr der Lage, und Frankreich ist stark und kräftig genug, um ohne Erschütterung den Übergang zu den neuen Institutionen zu ertragen, welche der Kaiser in richtiger Erkenntniß der Zeitbedürfnisse in's Leben gerufen hat.«

Herr von Beust schwieg einen Augenblick.

»Sie werden unterrichtet sein,« sprach er dann, indem er den Herzog grade anblickte, – »daß in diesem Augenblick in Paris Besprechungen – mehr persönlicher als eigentlich diplomatischer Natur stattgefunden haben, um dem Gedanken an eine nähere Verbindung mit Italien eine bestimmte Form zu geben. Vor einiger Zeit machte mir der General Türr darüber eine Andeutung, über welche ich damals allerdings nur oberflächlich mit ihm gesprochen habe. Es scheint jedoch jetzt, daß jene Sache an Consistenz gewonnen hat, und daß man namentlich von Florenz aus geneigter scheint als früher, in bestimmt formulierte Beziehungen mit uns zu treten. Sie wissen,« fuhr er fort, »wie sehr ich ein gutes Verhältniß mit Italien wünsche und welchen Werth ich demselben für eine diplomatische Kooperation von Frankreich und Österreich beilege. Allein das, was ich gegenwärtig über die Unterhandlungen höre, die in Paris über diesen Gegenstand stattgefunden haben, scheint mir noch sehr vage und unklar zu sein, und ich würde, um eingehender darüber nachdenken zu können, dringend wünschen von Ihnen zu hören, wie Ihre Regierung und der Kaiser zu diesen Ideen stehen, über welche man mir Privatmittheilungen gemacht hat.«

Der Herzog von Grammont hielt unbeweglich, mit dem ruhigsten und freundlichen Gesichtsausdruck den fortwährend forschenden auf ihn gerichteten Blick des Grafen Beust aus.

»Ich habe,« erwiderte er, »ebenfalls Privatmittheilungen aus Paris über die Gedanken erhalten, welche durch den General Türr dort mehrfach angeregt worden sind, und welche, wie ich kaum bezweifeln darf, die Billigung des Königs Victor Emanuel gefunden haben. Sie beziehen sich, soviel mir darüber mitgetheilt worden, auf den Fall, daß Italien in die Lage kommen könnte, bei einer gemeinsamen militairischen Action Österreichs und Frankreichs mitzuwirken, und nach Dem, was ich darüber gehört, scheint mir jener Gedanke wohl der Beachtung werth zu sein, da in ihm, wenn der in's Auge gefaßte Fall eintreten sollte, jedenfalls die Grundlage zu bestimmten Verträgen gefunden werden könnte, die sowohl im Interesse Frankreichs, als in demjenigen Österreichs wünschenswerth erscheinen möchten.«

Graf Beust blickte einen Augenblick schweigend vor sich nieder und spielte leicht mit den Fingern seiner feinen und schlanken Hand auf der Decke des Schreibtisches.

»Wie mir der Fürst Metternich mittheilt,« sagte er dann im ruhigen Conversationston, »beobachtet Herr Nigra dieser ganzen Sache gegenüber eine sehr vorsichtige, fast kalte Zurückhaltung, und vom hiesigen Vertreter Italiens ist mir noch nicht die leiseste Andeutung darüber geworden.«

»Bei den eigentümlichen Verhältnissen,« erwiderte der Herzog, »welche zwischen Österreich und Italien bestehen und bei den peinlichen Erinnerungen aus nicht zu langer vergangener Zeit scheint es mir, daß eine Annäherung zwischen beiden Mächten, namentlich eine Annäherung mit bestimmten Zielen, mit formulirten Alliancebedingungen schwer durch direkten Verkehr hergestellt werden könne. – Auch giebt es Propositionen, die man auf direktem Wege nicht eher machen kann, als bis man sicher ist, daß sie angenommen werden. Unter solchen Verhältnissen scheint mir eine vorläufige, nicht officielle und zunächst nur sondirende Verhandlung durch die Natur der Dinge angezeigt zu sein, und für eine solche Verhandlung könnte dann auch der neutrale Boden eines den beiden Mächten befreundeten Hofes das richtige Terrain werden. – Jedenfalls glaube ich annehmen zu dürfen, daß der General Türr in eine solche Negotiation nicht eintreten würde, wenn er nicht der vollen persönlichen Zustimmung des Königs Victor Emanuel sicher wäre.« –

»Und wie denkt der Kaiser Napoleon über die ganze Sache,« fragte Graf Beust rasch und bestimmt.

»Sie können natürlich nicht voraussetzen, mein lieber Graf,« erwiderte der Herzog mit vollkommener Ruhe, »daß ich Instructionen habe, mich über die Absichten auszusprechen, welche Seine Majestät in Betreff einer Sache hegt, die das Gebiet officieller Unterhandlungen noch nicht berührt hat. – Wenn ich also Ihre Frage beantworte, so kann ich selbstverständlich nur eine ganz persönliche Meinung äußern, welche sich auf die Kenntniß stützt, die ich von den Anschauungen meines Souverains über die politischen Fragen gewonnen zu haben glaube.«

Graf Beust verneigte sich leicht. Ein feines Lächeln spielte eine Secunde um seine Lippen, dann richtete er den Blick mit erwartungsvoller Aufmerksamkeit auf den Herzog.

»Sie wissen, mein lieber Graf,« sagte dieser, »daß die Verhältnisse in Europa sich fortwährend in einer Spannung befinden, welche eine energische Action von einem Augenblick zum andern möglich erscheinen läßt. Wir haben uns früher bereits mehrfach über derartige Eventualitäten unterhalten, und seit der Zusammenkunft in Salzburg sind wir stets darin übereingekommen, daß die Interessen Frankreichs und Österreichs allen schwebenden politischen Fragen gegenüber die gleichen sind. – Wir sind ferner, wie Sie auch vorhin betonten, darin übereingekommen, daß Italien das notwendige Mittel- und Verbindungsglied für das Zusammenwirken Frankreichs und Österreichs bildet. – Von diesen Prämissen ausgehend,« fuhr er fort, während Herr von Beust schweigend zuhörte, »würde ich nun den Abschluß eines Vertrages, welcher für mögliche Fälle die Cooperation Italiens sichert und regelt, als einen großen Gewinn betrachten müssen. – Der König Victor Emanuel ist zu einer solchen Cooperation durchaus geneigt, doch ist er nicht in der Lage, dieselbe eintreten zu lassen, wenn er nicht zu gleicher Zeit dem italienischen Volk einen nationalen Gewinn dafür versprechen kann. Die vollständige Arrondirung in den nationalen Grenzen nach dem Norden hin würde ein solcher Gewinn sein – um dieses Gewinns willen würde das italienische Volk sich bestimmen lassen, auf Rom zu verzichten, wenigstens so lange zu verzichten, bis vielleicht unter einem künftigen Pontificat ein Modus gefunden werden kann, welcher die heute sich noch unversöhnlich gegenüber stehenden Interessen vereinigt. Mit einem Wort, Italien hat noch zwei Forderungen zu stellen, die eine ist Rom, welche man von uns verlangt, die andere das italienische Tyrol, welches Österreich zu gewähren im Stande ist. – Wir können in diesem Augenblick Rom nicht Preis geben. – Ihre Sache ist es, zu beurtheilen, ob das Opfer eines nicht bedeutenden Gebiets, welches nur die weitere ergänzende Ausführung eines einmal anerkannten Princips bildet, Ihnen der Wichtigkeit einer festen italienischen Alliance entsprechend erscheint. – Nach meiner persönlichen Auffassung,« fuhr er fort, »würde dieses Opfer nicht groß sein und es würde sich im Falle einer erfolgreichen Action, an deren glücklichen Ausgang nicht zu zweifeln sein möchte, durch weit größere und weit bedeutendere Vortheile und durch die Wiedergewinnung der ganzen alten österreichischen Macht nach anderer Richtung hin ersetzen lassen. – Frankreich hat dasselbe Interesse wie Österreich, daß die Coalition mit Italien zu Stande komme; wenn Sie sich also zu jenem Opfer würden entschließen können, so würden Sie, wie ich glaube, nicht nur in Ihrem eigenen Interesse handeln, sondern auch Frankreich einen sehr großen und sehr wichtigen Dienst leisten, für den eine richtige französische Politik, eine Politik, wie sie den Ideen des Kaisers so vollkommen entspricht, ihre Dankbarkeit zu bethätigen nicht unterlassen könnte.« »Eine Coalition auf der Basis,« erwiderte Herr von Beust in einem beinahe gleichgültigen Ton, »wie sie in diesem Augenblick in Paris discutirt wird mit so bestimmt formulirten Bedingungen, würde ihre Bedeutung doch immer wesentlich nur im Augenblick einer wirklich kriegerischen Action haben. Ganz abgesehen von der Frage,« fuhr er fort, »ob in einem solchen Augenblick das italienische Volk geneigt sein würde, die Abmachungen des königlichen Cabinets gut zu heißen, müßte man sich doch, bevor man auf die Discutirung der Details ernstlich einginge, klar machen, ob denn eine militairische Action zweckmäßig und nothwendig – und ob sie mit Aussicht auf Erfolg ausführbar sei. Ich meines Orts sehe die Nothwendigkeit nicht, denn es ist in diesem Augenblick keine Veränderung der seit Jahren bestehenden europäischen Verhältnisse eingetreten. – Ich vermag die Zweckmäßigkeit nicht anzuerkennen, denn ich sehe keinen vorbereiteten – oder möglicher Weise zu schaffenden – vernünftigen Kriegsfall, und endlich kann ich die Aussicht auf einen siegreichen Erfolg mit meiner Anschauung der Verhältnisse nicht vereinen. Die Macht des Norddeutschen Bundes ist ungeheuer stark und scharf concentrirt und auf alle Eventualitäten täglich und stündlich vorbereite. Die süddeutschen Staaten sind schwankend und haltlos, dabei militairisch kaum gerüstet und bei uns in Österreich – Sie wissen, Herr Herzog, mit welchen innern Schwierigkeiten wir zu kämpfen haben, und wie unendlich langsam aus financiellen Gründen schon die Reorganisation unserer Armee vorschreitet. Wir haben neben uns Rußland, dem wir nicht gewachsen sind –«

»Dem Sie aber doch,« fiel der Herzog von Grammont ein, »zweifellos die Spitze zu bieten im Stande wären, wenn nicht nur Ihre italienischen Grenzen vollkommen frei würden, sondern wenn wie der proponirte Tractat bestimmt, Italien für den Fall der russischen Intervention seine active militairische Hülfe verspricht.«

»Wenn ich auch,« sprach Herr von Beust in einem Ton, als discutire er eine ihm der Zeit und dem Inhalt nach völlig fern liegende Frage, »wenn ich auch annehme, daß jene Versprechen im entscheidenden Augenblick wirklich gehalten würden, wofür – ich muß es wiederholen – immer schwer eine Garantie gefunden werden zu können scheint, so glaube ich doch nicht, daß Österreich im Stande ist, selbst mit der Hülfe Italiens einen Kampf mit Rußland und die Aussicht auf eine spätere unversöhnliche Feindschaft Preußens und Deutschlands auf sich zu nehmen. Für den Fall, daß diese neu erstandene gewaltige Militairmacht aus diesem Conflict siegreich hervorgehen sollte –«

»Siegreich hervorgehen?« rief der Herzog von Grammont mit dem Ton eines naiven Erstaunens, indem er seinen kleinen Schnurrbart emporkräuselte, – »siegreich hervorgehen aus einem Kampf mit Frankreich!? – ich bin zu sehr Franzose,« fuhr er fort, »um an eine solche Möglichkeit auch nur einen Augenblick zu glauben.«

»Sie müssen mir verzeihen,« sagte Graf Beust mit einer feinen Nuance kaum bemerkbarer Ironie in seiner Stimme, »wenn ich mich in diesem Augenblick mehr an den Geist des Staatsmanns und Diplomaten als an das Nationalgefühl des französischen Edelmanns wende. – Eine kluge Politik muß sich stets auch durch Erwägung der möglich ungünstigen Chancen bestimmen lassen. – Doch,« fuhr er abbrechend fort, »diese Discussion führt uns auf ein Gebiet, das ich, wie ich glaube, heute zu betreten noch keinen Grund habe. Ich bitte Sie, mir zunächst mit derselben Aufrichtigkeit, mit welcher ich mich Ihnen gegenüber ausgesprochen habe, eine Frage zu beantworten: – Glauben Sie, daß es aus irgend welchem Grunde in den Absichten des Kaisers liegen könne, wirklich in kurzer Zeit zu einer ernsten Action überzugehen?«

Der Herzog zögerte einen Augenblick mit der Antwort auf diese directe und bestimmte Frage.

»Ich glaube,« sagte er, »daß der Kaiser von dem eifrigsten Wunsch erfüllt ist, den europäischen Frieden zu erhalten. – Indessen hat er auch die Verpflichtung, Frankreich nicht ohne Widerstand allmälig zu einer bedeutungslosen Passivität in Europa herabdrücken zu lassen. Der Kaiser hat durch die freisinnigen Institutionen, welche er in die neue französische Verfassung eingeführt hat, die Gründung seines Gebäudes im Innern vollendet. Und wenn diese neuen Institutionen, wie ich es wünsche und wie ich es hoffe, durch ein neues Plebiscit die Sanction des freien Volkswillens erhalten haben werden –«

Graf Beust zuckte ein wenig zusammen und blickte erstaunt den Herzog an, dann nahmen seine einen Augenblick ernst und nachdenklich gewordenen Züge wieder den Ausdruck gleichgültig ruhiger Höflichkeit an, mit welchem er das ganze Gespräch bisher geführt hatte.

»– dann wird es,« fuhr der Herzog fort, »nach meiner Überzeugung die Aufgabe des Kaisers sein, auch nach Außen hin der Stimme Frankreichs wieder den alten Nachdruck zu verschaffen und zu zeigen, daß es auf die Dauer nicht möglich ist, die Schicksale der europäischen Völker ohne Frankreichs Genehmigung zu lenken.«

»Aber,« sprach Graf Beust, »dazu würde immer ein stichhaltiger und völkerrechtlich möglicher Kriegsfall erforderlich sein, und ich sehe nicht ein –«

»Mein Gott,« rief der Herzog, »der Prager Frieden wird ja täglich verletzt und giebt Ihnen die verschiedensten und völkerrechtlich begründetsten Handhaben, um in jedem Augenblick den begründetsten Kriegsfall zu finden –«

»So,« fragte Herr von Beust, den Herzog groß anblickend, »so sollte also Österreich nach Ihrer Ansicht den Conflict hervorrufen?«

»Sie werden nicht verkennen,« sagte der Herzog, – »ich spreche hier natürlich nur meine ganz persönlichen Ansichten aus, – daß der mächtigste Verbündete des Herrn von Bismarck in einem Krieg gegen Frankreich das deutsche Nationalgefühl sein würde, und daß es wesentlich darauf ankäme, uns in Deutschland selbst Verbündete zu schaffen. Das scheint mir am sichersten erreicht zu werden, wenn der eventuelle Kriegsfall aus deutschen Angelegenheiten und aus dem Prager Frieden genommen wird, welcher Österreich das Recht giebt, für die Unabhängigkeit der süddeutschen Staaten einzutreten.«

»Herr Herzog,« sagte Graf Beust mit ernstem Nachdruck, indem er den leichten Conversationston, in dem das Gespräch bisher geführt war, vollständig aufgab – »da die Unterhaltung, welche wir in diesem Augenblick über theoretische Hypothesen führen und in welcher wir unsere persönlichen Meinungen austauschen, vielleicht in irgend einem früheren oder späteren Moment eine Bedeutung für concrete Verhältnisse gewinnen könnte, so liegt mir daran, genau und klar die Anschauungen auszusprechen, welche auch bei einer solchen Möglichkeit für mich immer maßgebend sein und bleiben würden. Österreich,« fuhr er fort, »bedarf absolut der Ruhe, es bedarf der friedlichen Entwickelung von mindestens zehn Jahren, um seine inneren Kräfte wieder zu stärken und seine inneren Verfassungszustände zu consolidiren. Österreich kann und wird niemals, so lange ich seine Regierung zu leiten habe, die Initiative zu einer Action übernehmen, welche Europa in gefahrvolle Unruhe stürzen und die Zukunft des Kaiserstaats vor Allem gefährden würde. Wenn – wie Sie vorauszusetzen scheinen, an Frankreich die Aufgabe herantreten sollte, sein Prestige und seine Stellung unter den europäischen Mächten nöthigenfalls mit den Waffen in der Hand wieder auf die alte Höhe zu erheben, so wird, davon können Sie überzeugt sein, keine Regierung mit größeren Sympathien auf ein solches Streben der französischen Nation blicken, als die österreichische, welche, wie ich früher constatirt habe, und wie ich heute wiederhole, in fast allen europäischen Fragen mit Frankreich gleiche Interessen hat. Die Phasen eines solchen Conflicts und seiner Consequenzen lassen sich nicht vorher bestimmen. Es läßt sich deshalb auch nicht mit Sicherheit sagen, ob nicht im Verlauf solcher Ereignisse ein Augenblick kommen könnte, welcher Österreich trotz seines Friedensbedürfnisses die Pflicht auferlegt, activ in die Verhältnisse einzugreifen. – Ich vermöchte mir heute keine Eventualität zu denken, welche ein solches mögliches Eingreifen Österreichs im Gegensatz zu Frankreich rechtfertigen könnte. – In dieser Anschauung liegt die Haltung bezeichnet, welche mir für Österreich vorgeschrieben scheint. Weiter zu gehen, ohne die äußerste Notwendigkeit aus der gebotenen Reserve herauszutreten, wäre für einen österreichischen Staatsmann ein Verbrechen – und vor Allem würde ich wenigstens niemals die Verantwortlichkeit auf mich nehmen, durch Österreich aus dem von ihm abgeschlossenen Vertrage einen Kriegsfall zu provociren. Würde der Kaiser eine Action für nothwendig halten, so muß der Grund dafür aus irgend welcher Frankreich interessirenden Frage genommen werden. Niemals aber kann und wird Österreich seinerseits die Initiative übernehmen. Dies bestimmt und rückhaltslos auszusprechen, halte ich für meine Pflicht, damit bei Erwägung einer so wichtigen Frage, welche natürlich in Paris ausschließlich nur mit Rücksicht auf das Interesse Frankreichs entschieden werden kann, keinen Falls irgend ein Zweifel über die Haltung bestehe, welche für Österreich unabänderlich geboten erscheint.«

»Sie müssen natürlich,« sagte der Herzog mit einem Anklang von Kälte in dem höflichen Ton seiner Stimme, »Sie müssen dies natürlich besser beurtheilen können als ich. Jedenfalls sind Sie zu dem Urtheil, welche Haltung Österreich zu beobachten habe, berufener als ich. Doch kann ich die Bemerkung nicht unterdrücken, daß eine Zurückhaltung, wie Sie dieselbe so eben als die Aufgabe der österreichischen Politik dargestellt haben, nach meiner Überzeugung leicht dahin führen könnte, daß Österreich sich eines Tages isolirt sähe, und diese Isolirung könnte unter Umständen gefährlich werden. Da, wie Sie selbst constatirt haben, die Interessen Frankreichs und Österreichs sich in den politischen Fragen fast überall decken, so möchte es mir nicht ganz unbedenklich für Österreich erscheinen, sich gerade von der Macht zu trennen, mit welcher Sie die gemeinsamen Interessen verbinden.«

»Ich habe,« erwiderte Herr von Beust, »nicht im Entferntesten an die Möglichkeit gedacht oder dieselbe aussprechen wollen, daß Frankreich sich jemals von Österreich trennen könne. – Eine solche Trennung,« fuhr er mit feiner und scharfer Betonung fort, »könnte jedenfalls nur dann möglich werden, wenn die französische Politik jemals Wege betreten sollte, in welchen die gegenwärtig zu meiner so innigen Genugthuung bestehende Gemeinsamkeit der Anschauungen und Interessen alterirt würde – ein solcher Fall scheint mir undenkbar und jedenfalls,« fügte er im leichten Ton mit einem flüchtigen Lächeln hinzu, »tauschen wir ja in diesem Augenblick auch nur unsere ganz persönlichen Ansichten über Fälle aus, deren Eintritt kaum zu erwarten sein dürfte.«

Der Herzog erhob sich.

»Es scheint,« sagte er, das bisherige Gespräch abbrechend, »daß der König von Hannover die Legion auflösen will, die er bisher in Paris gehalten hat. Graf Platen hat mir Etwas davon gesagt. Ich muß aufrichtig bekennen, daß ich eigentlich recht damit zufrieden bin. Ich habe große Sympathien für den unglücklichen König und hohe Verehrung vor seinen persönlichen Eigenschaften. Doch glaube ich nicht, daß er auf dem bisher befolgten Wege etwas Anderes erreichen kann, als seine schon ohnehin beschränkten Mittel immer mehr zu vermindern und sich dadurch die Möglichkeit später Etwas für seine Sache und sein Haus zu thun, immer schwieriger zu machen.«

»Man schien früher in Paris der Ansicht zu sein,« sagte Graf Beust, »daß diese hannöversche Emigration unter Umständen eine nützliche Handhabe werden könne, um einem möglichen Conflict mit Preußen den nationalen Charakter zu nehmen.«

»Ich bin dieser Ansicht nicht,« sagte der Herzog, »die wenigen Emigranten in Frankreich würden weder der Sache des Königs, noch uns nützen können; ob für den Fall des Zusammenbrechens der Schöpfung von 1866 Etwas für den König geschehen könne, das wird immer davon abhängen, wie sich das ganze Volk in Hannover und wie sich das übrige Deutschland zu seiner Sache verhalten wird. – Was Frankreich betrifft, so stehe ich auf dem Standpunkt, daß wenn wir uns jemals zu einer ernsten Action entschließen, wir auf alle kleinen Hülfsmittel verzichten und uns ganz ausschließlich auf unsere eigene nationale Kraft und auf diejenigen Alliirten verlassen müssen, welche wir, wie ich hoffe, in einem solchen Fall unter den mit uns befreundeten europäischen Mächten dennoch finden werden,« fügte er mit einem lächelnden Blick auf den Grafen Beust hinzu, indem er ihm die Hand zum Abschied drückte.

Der Reichskanzler begleitete ihn bis zur Thür und kehrte dann nachdenklich zu seinem Schreibtisch zurück.

»Es geht Etwas vor,« sagte er. »Der Kaiser Napoleon ist für den Frieden, schon weil er alle Unruhe und körperliche Anstrengungen scheut. Metternich schreibt mir dies ganz bestimmt, und Metternich täuscht sich darin nicht. Aber dieser alternde Imperator befindet sich mehr als je unter der Herrschaft seiner Umgebung. Und die Kaiserin Eugenie möchte für sich die Rolle der Maria von Medicis vorbereiten. Nun,« rief er, »wenn man dort Abenteuer in der Politik machen will, so mag man es auf eigene Gefahr thun. Ich werde meine Schöpfungen in Österreich nicht den Zufälligkeiten einer unüberlegten und unvorbereiteten Action aussetzen.«


 << zurück weiter >>