Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Neuntes Capitel.

In einem großen saalartigen Zimmer im Hinterhofe eines düstern Hauses des Faubourg St. Antoine war das democratische Comité versammelt, welches sich gebildet hatte, um auf das Plebiscit einzuwirken und das Volk in Massen dahin zu bestimmen, daß es die Abstimmung entweder ganz verhindere oder wo die Kühnheit dazu vorhanden sein möchte mit »Nein« stimme.

Die Versammlung fand bei bereits ziemlich vorgerückter Abendstunde statt, der große finstere Raum mit den schmutzigen, von Rauch geschwärzten Wänden war durch einige Petroleumlampen, die auf einem großen Tisch in der Mitte standen, nur wenig erhellt; um diesen Tisch saßen die Leiter des Comités in scharfer Beleuchtung, während der übrige Theil des Saales, in welchem sich etwa vierzig bis fünfzig der hervorragendsten Agenten des Comités befanden, in Dunkelheit gehüllt war.

An diesem Tisch sah man in der Mitte Jules Lermina, einen der unermüdlichen Agitatoren der republikanischen Bewegung in Frankreich, einen Mann mit tief blassem, wie aus Erz gegossenem Gesicht, in welchem nur die glühenden, unheimlich und finster blickenden Augen zu leben schienen und welches, wenn er mit seiner harten jede Modulation ausschließenden Stimme sprach, durch kein Mienenspiel bewegt wurde.

Hier sah man Ulric de Fonvielle, den Begleiter Victor Noirs bei dessen verhängnißvollem Besuch im Hause des Prinzen Pierre Bonaparte – mit seinem großen Bart und seinem unruhigen, aufgeregten und wichtig thuenden Wesen.

Hier war Varlin, der Buchbinder, in seiner gebückten Haltung mit dem kalten höhnischen Lächeln auf den Lippen, mit dem niedergeschlagenen Blick, der nur zuweilen im schnellen Blitz von unten hinauf schoß und dann fast immer Denjenigen, auf welchen er sich richtete, durch seinen stechenden scharfen Ausdruck aus der Fassung brachte.

Hier sah man Raoul Rigault, den jungen einundzwanzigjährigen Verschwörer mit seinem blassen, selbstgefällig lächelnden Gesicht, den müden, etwas gleichgültigen Blick hinter dem Monocle verbergend, in seiner stutzerhaften, aber etwas abgeschabten Eleganz, mit der Wäsche von zweifelhafter Reinheit, das kleine Stöckchen mit dem unechten Silberknopf in der Hand.

Hier sah man Ancel, Boyer, Delacour, Dembrun, Portalier, Robin, Mangold – theils in Blousen, theils im einfachen bürgerlichen Anzug – und auf allen diesen finstern Gesichtern ruhte der Ausdruck starrer düsterer Entschlossenheit und grimmiger Unversöhnlichkeit. Sie waren zum großen Theil die Führer des Pariser Zweigvereins der internationalen Arbeiterassociation, welche aber jetzt nicht mehr wie früher sich einer gewissen wohlwollenden Duldung der Regierung zu erfreuen hatte, nachdem sie durch richterliches Erkenntniß aufgelöst worden war. Es war nicht mehr jene Internationale von Tolain und Fribourg, welche durch Belehrung und ruhige gesetzliche Agitationen die Lage des Arbeiterstandes zu verbessern strebte, und welche von idealen Anschauungen geleitet wurde.

Jene Führer waren verschwunden, die Internationale von heute war eine proscribirte und geächtete Gesellschaft, welche sich lange den Nachforschungen der Polizei verbarg, und im Geheimen dafür aber um so wirksamer ihre Lehren propagirte und ihre Pläne verfolgte. Diese Lehren aber waren heute offen und rückhaltslos auf die Zertrümmerung der bestehenden Staatsordnung und der bestehenden Gesellschaft gerichtet, und die Pläne, deren eigentliches Geheimniß nur den ausgewählten Kreisen, den Leitern, bekannt war, richtete sich auf eine möglichst schnelle und nachdrückliche Vernichtung aller Autorität und alles Besitzes.

Die internationale Association als solche konnte sich mit der Frage des Plebiscits nicht beschäftigen, sie konnte sich nicht versammeln, ohne sich sogleich polizeilicher Auflösung auszusetzen, sie hatte deshalb das democratische Comité gebildet, an dessen Spitze wiederum ihre Leiter standen, um in dieser Form ihren Einfluß auf das Plebiscit auszuüben und um wo möglich diese Gelegenheit zur Herbeiführung einer Catastrophe zu benutzen.

Auf Bänken und Stühlen rings um den Tisch des eigentlich leitenden Comités saßen dessen hervorragende Agenten in den verschiedenen Stadttheilen von Paris fast Alle in der Blouse der Arbeiter, Alle denselben Ausdruck ruhiger und kaltblütiger Unversöhnlichkeit in den Gesichtern.

Lermina erhob sich:

»Wir haben, meine Freunde,« sprach er, »nunmehr die Berichte aus allen Theilen von Frankreich empfangen, welche uns mittheilen, daß überall die Comités constituirt sind, um diesem frevelhaftem Possenspiel entgegenzutreten, durch welches man in einem gefälschten Ausdruck des Volkswillens für den Despotismus und die Tyrannei eine neue Stütze suchen will. Allgemein ist die democratische Partei organisirt, um auf die unklare und furchtsame Bevölkerung den Druck ihres Einflusses auszuüben. Nach Allem, was man uns mittheilt, wird es schwer werden, eine große Majorität dahin zu bringen, daß die an das Volk gestellte Frage mit »Nein« beantwortet wird. Die Furcht vor den Machtmitteln der Gewalt ist zu groß – dagegen müssen wir aber mit aller Kraft dahin streben, daß der größte Theil der Bevölkerung sich von jeder Abstimmung zurückhält, um vor der Welt beweisen zu können, daß die Majorität, welche die Regierung erreichen möchte, im Verhältniß zur Gesammtzahl der Bevölkerung garnichts bedeutet. Ich habe deshalb die Instructionen, welche Sie Alle früher bereits gebilligt haben, an eine Anzahl von zuverlässigen Personen vertheilt, die in diesem Augenblick bereits in die Provinzen abgegangen sind, um überall die Agitation noch fester zu organisiren und zu beleben. Unser unermüdlicher Freund Cernuschi hat mir von London aus abermals die Summe von hunderttausend Francs übersendet, um die nothwendigen und unvermeidlichen Kosten unserer Thätigkeit zu bereiten.«

Ein Ruf des Beifalls tönte durch den Saal.

»Ich habe ihm den Dank des Comités ausgesprochen,« fuhr Lermina fort, »und schlage nunmehr vor, daß wir hier in Paris selbst unverzüglich eine demonstrative Versammlung in Scene setzen, welche hier in der Hauptstadt die Bewegung in Fluß bringt und den Provinzen ein Beispiel giebt. Ich schlage zu diesem Zweck den Saal der Folie-Bergère vor, welcher den nothwendigen Raum bietet und zugleich der ganzen Bevölkerung von Paris bekannt ist. Hat Einer von Euch, meine Freunde, gegen den Vorschlag Etwas einzuwenden?«

Die Versammlung schwieg – einzelne Rufe der Zustimmung ließen sich hören.

»So wollen wir also,« fuhr Lermina fort, »die democratische Volksversammlung in der Folie-Bergère auf den vierten Tag, von heute an gerechnet, festsetzen. Und ich bitte alle unsere Freunde,« fuhr er sich nach den Zuhörern im Hinterraum des Saales wendend fort, »in den verschiedenen Stadttheilen von Paris ihre ganze Thätigkeit aufzubieten, um den Besuch der Versammlung so zahlreich als möglich zu machen. Zugleich ersuche ich Euch alle, meine Freunde, Euch vorzubereiten und nachzudenken über das, was Jeder von Euch der Versammlung sagen will, damit die Worte zünden und die Massen zu energischem Widerstand entflammen.

»Vor Allem,« rief Ulric de Fonvielle mit lauter Stimme, »müssen wir diesen verrätherischen Lügner und Heuchler Ollivier dem Volk in seiner wahren Gestalt zeigen. Es giebt immer noch Leute,« fuhr er fort, »welche sich durch seine Vergangenheit täuschen lassen und auf welche sein Name einen gewissen Einfluß übt, – durch ihn will die kaiserliche Tyrannei das Volk irre führen, ihn gilt es zu vernichten und ihn des letzten Restes seiner Popularität zu berauben. Ich werde über Ollivier sprechen,« rief er mit der Hand durch seinen Bart fahrend, »das Volk hat Ollivier in die Gosse geworfen – und das Kaiserthum hat ihn daraus wieder hervorgefischt!« –

Lautes Gelächter, Beifallsrufen und Händeklatschen erfüllten den Saal. Dann trat eine augenblickliche Stille ein.

Varlin erhob sich, zog ein Papier aus der Tasche und sprach:

»Ich bin in Allem mit den Maßregeln des Comités und mit seinen Vorschlägen vollkommen einverstanden. Doch ich habe nunmehr meinerseits einen Vorschlag zu machen, welcher in der Vorsicht begründet ist und zum Zweck hat, unsere Agitatoren gegen einen Gewaltstreich der Regierung zu schützen.«

Aufmerksam hörten Alle zu.

»Ihr wißt, meine Freunde,« fuhr Varlin fort, »daß die Internationale gesetzlich verboten ist, und daß die Polizei das Recht hat, jede Thätigkeit dieser Association sofort zu verhindern. Nun aber ist unsere ganze Organisation, wenn wir uns auch als democratisches Comité constituirt haben, dennoch die der Internationalen. Wir Alle sind Mitglieder des Bureaus derselben, und in allen Provinzen sind es wieder die Zweigvereine der Internationalen, in deren Händen die Agitation liegt. Das giebt der Polizei Gelegenheit, sobald sie will, unsere ganze Agitation als eine Thätigkeit der Internationalen zu bezeichnen und zu verbieten – es wäre unklug, ein solches Verbot zu provociren oder möglich zu machen, und ich halte es demnach für nothwendig, daß von Seiten der Internationalen eine öffentliche Kundgebung stattfindet, welche vollkommen klar stellt, daß die democratische Association gegen das Plebiscit mit der internationalen Arbeiteragitation nichts zu thun hat. Ich halte eine solche Kundthuung practisch für nothwendig, außerdem aber,« fuhr er einen raschen Blick im Kreise umherwerfend fort, »deshalb für geboten, weil allerdings die jetzt von uns ausgeübte Thätigkeit mit den eigentlichen Zielen der Internationalen wie dieselbe in den Statuten derselben ausgestellt sind, nicht identisch ist.«

»So soll die Internationale die Thätigkeit des democratischen Comités desavouiren,« fragte Lermina, den flammenden Blick auf Varlin richtend.

»Das nicht,« erwiderte dieser, »doch soll sie erklären, daß sie mit dieser rein politischen Sache nichts zu thun hat. Ich wiederhole,« fuhr er fort, »daß diese Erklärung nach meiner Überzeugung zunächst der Polizei gegenüber nöthig ist, um ihr die Möglichkeit zu nehmen, gegen das democratische Comité unter dem Vorwand einzutreten, daß es mit den Internationalen identisch sei, so dann aber auch im Interesse der Macht der Internationalen selbst. Wir Alle, meine Freunde,« fuhr er fort, »sind darüber einig, daß nur durch eine politische Revolution, durch welche das jetzt bestehende Regiment und die ganze Staatsordnung zertrümmert, die socialen Ziele in der Internationalen erreicht werden können, aber – ihr müßt wissen, wie ich, daß unter den Arbeitern, namentlich in den Provinzen, noch sehr viele vorhanden sind, welche vor einer politischen Revolution zurückschrecken, und welche noch in der Idee befangen sind, von welcher wir in dem leitenden Mittelpunkt uns frei gemacht haben, – von der Idee nämlich, daß auf friedlichem und gesetzlichem Wege eine Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes erreicht werden könne; um Aller dieser willen ist es ebenfalls nöthig, daß wir die Internationale als solche von jeder Thätigkeit gegen das Plebiscit fern halten.«

Lermina blickte nachdenklich vor sich hin, die Gründe Varlins schienen ihm einzuleuchten, dennoch mochte es seiner im Grunde ehrlichen und graden Natur widerstreben, aus Rücksichten der Klugheit solche Doppelwege zu gehen.

Einzelne Stimmen der Mißbilligung erhoben sich aus dem Zuhörerkreise.

»Das würde nur Verwirrungen in die Begriffe bringen,« rief man – »warum nicht etwas sagen, wovon man überzeugt ist, – um so besser, wenn in diesem Augenblick ein Zusammenstoß mit der Gewalt erfolgt, – einmal muß es ja doch dazu kommen.«

»Halt, meine Freunde,« rief Varlin mit seiner durchdringenden Stimme die verschiedenen Rufe übertönend, »höret zunächst an, wie ich die Erklärung der Internationalen entworfen habe, Euch wird dann Alles besser klar werden. Sie soll wahrlich die Thätigkeit unseres democratischen Comités nicht desavouiren, und sie soll uns nur davor schützen, daß wir durch einen rohen Eingriff der Polizeigewalt in unserer Wirksamkeit gehemmt und unterbrochen werden, bevor dieselbe ihre Früchte getragen hat.«

Er winkte gebieterisch mit der Hand und während der aufmerksamen Stille, die unmittelbar eintrat, las er, den Blick auf das Papier in seiner Hand geheftet, den von ihm vorgeschlagenen Entwurf der Erklärung der Internationalen:

»Der Bundesrath des internationalen Arbeitervereins giebt den Insinuationen und Anschuldigungen der offiziellen und offiziösen Blätter über seine Theilnahme an der politischen Agitation dieser Tage hiermit ein formelles Dementi. Die Internationale weiß nur zu gut, daß die Leiden aller Art, welche das Proletariat zu dulden hat, bei weitem mehr den ökonomischen Zuständen der Gegenwart, als den Zufälligkeiten des Despotismus einiger Staatsmänner zuzuschreiben sind. Sie wird ihre Zeit nicht mit Nachsinnen über die Befestigung des kaiserlichen Despotismus verlieren. Der internationale Arbeiterverein, der eine permanente Verschwörung aller Unterdrückten, aller Ausgebeuteten ist, wird den ohnmächtigen Verfolgungen gegen seine Führer trotzend, so lange fort bestehen, bis alle Ausbeuter der Arbeit, alle Capitalisten, alle Pfaffen und alle politischen Abenteurer verschwunden sein werden.«

»Ich glaube,« sprach er, indem sein Blick über die Versammlung hinglitt, »daß nach dieser Erklärung Niemand wird sagen können, es sei die Internationale, welche die gegenwärtige democratische Agitation führe, – und doch wird darin gewiß kein abfälliges Urtheil über seine Thätigkeit gesprochen.«

»Varlin hat Recht,« rief man von allen Seiten – »er ist klug und vorsichtig, – er denkt an Alles, die Proclamation ist gut, sie soll erlassen werden.«

Niemand widersprach an dem Tisch des Comités, nur Raoul Rigault zuckte leicht die Achseln und schlug mit dem Spazierstöckchen auf seine Stiefel.

Varlin legte das Papier, dessen Inhalt er vorgelesen, Lermina vor, der es mit einem raschen Federzug unterzeichnete. Die Übrigen folgten Alle.

Lermina erklärte sodann die Sitzung für geschlossen, und die Versammelten verließen in einzelnen Gruppen, um kein Aufsehen zu erregen, langsam und schweigend das Zimmer, indem sie sich, sobald sie aus dem äußern Theil des Hauses auf die Straße traten, nach verschiedenen Richtungen hin zerstreuten.

Raoul Rigault näherte sich Lermina.

»Bleibt noch einen Augenblick hier,« sprach er, »ich habe Euch eine Mittheilung zu machen.«

»Gut,« sagte Lermina.

Raoul Rigault trat zu Varlin und dann zu Ulric de Fonvielle, indem er sie ebenfalls aufforderte, noch zu bleiben.

Bald war das Zimmer leer, und an dem großen Tisch befanden sich nur noch Lermina, Varlin, Ulric de Fonvielle und Raoul Rigault.

In der Tiefe des Zimmers war ebenfalls eine Gestalt sitzen geblieben, welche man bei der matten Beleuchtung nur in dunkeln Umrissen erkennen konnte.

»Meine Freunde,« sagte Raoul Rigault indem er das herabgefallene Monocle mit einer etwas gezierten Bewegung wieder in das Auge warf, »ich habe Euch ruhig sprechen und beschließen lassen, ohne irgend Etwas dabei zu bemerken, weil ich Alles das für ein Geschwätz halte, durch welches Nichts erreicht wird; – dieses Plebiscit,« fuhr er mit selbstgefälligem Lächeln fort, »– wird trotz unserer Agitation ganz nach dem Plan seiner Arrangeurs ausgeführt werden, – und« sagte er sich zu Varlin wendend – »trotz des Protestes der Internationale wird man uns alle verhaften, wenn man irgend dazu Lust verspürt.«

»Das ist Alles was Sie uns zu sagen haben und weshalb Sie uns gebeten haben, hier zu bleiben?« fragte Lermina mit seiner harten klanglosen Stimme.

»Der Bürger Rigault ist sehr jung,« sagte Varlin mit einem finstern Blick auf den stutzerhaft lächelnden jungen Mann, – »es würde ihm vielleicht besser anstehen aus den Erfahrungen ältere Personen zu lernen, als deren Handlungen zu critisiren.«

Ulric de Fonvielle sagte Nichts, – er kannte Raoul Rigault und wußte, daß wenn dieser junge Mensch mit dem blasirten gleichgültigen Gesicht lächelte ein furchtbarer, blutiger Gedanke in seinem Gehirn arbeitete. Er blickte ihn forschend an und wartete.

»Handlungen?« fragte Raoul Rigault höhnisch die Achseln zuckend, ohne die unmuthigen finstern Blicke Lermina's und Varlin's zu beobachten, – »Ihr nennt das Handlungen – diese versteckten Agitationen, diese zweideutigen Erklärungen und Proteste? Handelt« – fuhr er fort, »handelt, wie man in großen ernsten Angelegenheiten handeln muß, und meine Critik wird schweigen, – ich werde wahrlich der Erste sein mit Euch zu handeln, – aber ich sehe nicht ein wozu alle diese Geschäftigkeit führen soll.«

»Wenn man tadeln will was Andere thun, so muß man Etwas Besseres vorzuschlagen haben,« sagte Lermina kurz und hart.

Varlin machte eine Bewegung, als wollte er aufstehen.

»Hört mich an,« sagte Raoul Rigault, indem er ihn mit der Hand zurückhielt.

Er stützte die Arme auf den Tisch und bewegte sein Stöckchen leicht in der Luft hin und her.

»Der Augenblick ist günstig,« sprach er weiter in einem Tone als unterhielte er sich über irgend ein gleichgültiges Tagesereigniß, – »der Augenblick ist günstig um einen großen Schlag auszuführen, – einen Schlag der uns mit einem Mal an das Ziel aller unserer Bestrebungen führen kann.«

»Und wie sollte dieser Schlag ausgeführt werden,« fragte Varlin mit einem fast verächtlichen Lächeln.

»Sehr einfach,« erwiderte Raoul Rigault, immer mit seinem Stöckchen spielend, »unsere Vereine sind in ganz Frankreich vortrefflich organisirt, wir können sie von hier aus mit einem Wort in active Bewegung setzen, wir können überall den Aufstand ausbrechen lassen.«

»Das können wir,« erwiderte Lermina, »wenn wir es aber thun, so wird das in diesem Augenblick keine weitere Folgen haben, als daß der Aufstand überall durch die rohe Gewalt der Tyrannei niedergeschlagen und für die Zukunft alle unsere Hoffnungen zertrümmert werden.«

»Wenn eben die Tyrannei noch besteht,« erwiderte Raoul Rigault, »wenn diese Maschine, welche man die kaiserliche Regierung nennt, überhaupt in jenem Augenblick noch arbeitet.«

»Und wie wollen Sie,« fragte Lermina, »indem Augenblick des Aufstandes die so fest gegliederte Regierungsmaschine zerstören und unwirksam machen?«

»Die Maschine,« sagte Raoul Rigault, »wird von selbst unwirksam, wenn sie keinen Mittelpunkt, eine bewegende Triebfeder mehr hat. Ich kümmere mich nicht um die Maschine, ich zerstöre den Mittelpunkt, und die Arbeit des Ganzen hört auf – Frankreich gehört uns.«

Lermina begann aufmerksam zu werden.

»Der Gedanke ist logisch,« sagte er. »Wie kann er ausgeführt werden?«

»Sehr einfach,« erwiderte Raoul Rigault, »indem man den Kaiser tödtet und den Sitz der Regierung zerstört.«

Ganz erstaunt blickten Lermina und Varlin auf diesen jungen Menschen, welcher im gleichgültigen und ruhigsten Ton von der Welt einen Satz aussprach, der in seinen wenigen Worten den Umsturz der öffentlichen Ordnung Frankreichs vielleicht Europas enthielt.

»Um den Kaiser zu tödten,« fuhr Raoul Rigault fort, »bedarf es nur eines entschlossenen Menschen, welcher sein Leben aufs Spiel setzt, wie dies ja alle Soldaten oft für viel unwichtigere und gleichgültigere Dinge thun, und in dessen Hand man ein Werkzeug legen würde, welches den Erfolg seines Unternehmens nicht von dem Zufall abhängig macht, – zur Zerstörung des Mittelpunkts der Regierung bedarf es nur,« sagte er mit selbstgefälligem Lächeln, »einiger practischen Anwendungen der Chemie, – und was sonst die Folge der Revolution war, wird gegenwärtig der Revolution vorangehen und ihr den Weg frei machen. Die Mittel, von denen ich so eben gesprochen habe, sind gefunden. Um den Kaiser sicher zu tödten, ohne die Sache von einem falschen Augenmaß oder von einem nervösen Zittern der Hand abhängig zu machen, ist hier das Mittel.«

Er zog aus der Tasche seines Rockes einige kleine eirunde Eisenkörper mit verlängerter Spitze hervor und legte sie auf den Tisch.

»Sie sind,« sagte er lächelnd, »allerliebste Sprengbomben von einer gewaltigen Explosionskraft. Man hat garnicht nöthig zu zielen. Man wirft sie eine nach der andern in den Wagen des Kaisers, wenn er vorüber fährt und vor die Füße seines Pferdes, wenn er reitet, und bevor die vierte oder fünfte geworfen ist, wird von Demjenigen, der heute Frankreich zu beherrschen glaubt, nichts mehr übrig sein, als einige kleine in der Luft zerstreute Atome.

Um diese Bomben zu werfen,« fuhr er, die Stimme etwas dämpfend, fort, »gehört ein Mann, welcher fanatisch oder gleichgültig genug ist, um sein Leben an dies Wagniß zu setzen – ein Gleichgültiger,« fügte er hinzu, »ist mir lieber, als ein Fanatiker, – und dieser Mann ist gefunden.«

Er erhob sich, wandte sich nach der Tiefe des Zimmers, die dunkle Gestalt, welche von den Übrigen unbemerkt dort bei der Entfernung der Versammlung geblieben war, trat in den Lichtkreis, und man sah einen jungen Mann von höchstens zwanzig bis einundzwanzig Jahren, dessen völlig bartloses, gleichgültiges und etwas stupides Gesicht einen noch fast knabenhaften Ausdruck hatte.

Raoul Rigault ergriff diesen jungen Mann, der einen einfachen Anzug von sogenannter Marengofarbe und einen kleinen runden Hut trug, bei der Hand und sagte:

»Hier ist der Bürger Beaury, welcher von London kommt und bereit ist, den ersten und gefährlichsten Schlag in dem großem Entscheidungskampf für die Rechte der arbeitenden Gesellschaft zu führen. Er wird diese Bombe werfen und den fanatischen Imperator, vor welchem sich heute die blöde Menge in den Staub beugt in die Luft sprengen.«

Tief erstaunt, beinahe bestürzt und erschrocken blickten die drei Andern auf diesen jungen Menschen, welcher da so plötzlich wie aus der Erde hervorgezaubert unter ihnen stand und sie mit einem ruhigen gleichgültigen Lächeln anblickte.

»Wer sind Sie,« fragte Lermina.

»Ich heiße Beaury,« erwiderte der junge Mann. »Ich war früher Corporal in der Armee des Tyrannen, seit einem Jahr bin ich Flüchtling in London, Herr Flourens hat mich hierhergeschickt, – hier ist meine Beglaubigung.«

Er zog aus der Tasche seines Rockes ein offenes, etwas zerknittertes Papier hervor und überreichte es Lermina.

»Ein Brief von Flourens,« sagte dieser.

»An meine Genossen in Frankreich,« fuhr er fort, das Papier lesend, »der Überbringer dieses, der Bürger Beaury ist bereit und geschickt Alles das auszuführen, was man ihm auftragen wird, man kann sich vollkommen auf ihn verlassen. Gustav Flourens.«

Er reichte das Papier Varlin, Fonvielle neigte sich herüber und sah über dessen Schulter in die Schrift.

»Es ist Flourens' Handschrift,« sagten Beide.

»Sie wissen, was Sie thun sollen,« fragte Lermina, immer noch verwundert den knabenhaften jungen Menschen ansehend.

»Gewiß« erwiderte dieser, »ich soll diese Bombe da,« er deutete auf den Tisch, »nach dem Kaiser werfen, den ich sehr genau kenne, und den ich nicht verfehlen werde. Ich habe auch noch dies zu übergeben,« sagte er dann.

Er zog ein anderes Papier aus der Tasche und gab es Lermina.

»Eine Anweisung auf vierhundert Francs,« sagte dieser, »ebenfalls von Flourens unterzeichnet.«

Lermina gab die Anweisung an Varlin, welcher einen Schlüssel aus der Tasche zog, eine Schublade des Tisches öffnete und dem jungen Menschen vier Bankbillets von hundert Francs übergab.

»Nun gehen Sie,« sagte Raoul Rigault zu Beaury, welcher ganz vergnügt seine Bankbillets einsteckte, »Sie werden Ihre näheren Anweisungen erhalten. Ihre Adresse?«

»Rue St. Maur Nummer zweiunddreißig,« sagte der junge Mensch, indem er sich leicht gegen die Übrigen verneigte und das Zimmer verließ.

»Ihr seht,« sagte Raoul Rigault mit zufriedenem Lächeln, »daß ich mich ein wenig auf das verstehe, was Handeln heißt, und daß ich vielleicht ein wenig Recht habe, unpractische Maßregeln zu kritisiren.«

Varlin und Lermina erwiderten nichts.

»Doch weiter,« sagte Ulric de Fonvielle, »die Ermordung des Kaisers nützt uns wenig, wie wir ja längst überlegt haben.«

»Das ist eine Ansicht, die ich stets vertreten habe,« sagte Raoul Rigault, »Ihr könnt also nicht erwarten, daß ich glauben sollte, mit diesem ersten Schlage sei Alles gethan. Auch habe ich Euch ja vorhin gesagt, daß meine Pläne zur Handlung zwei Punkte haben. Der Erste war die Ermordung des Kaisers; der Zweite ist die Zerstörung des Mittelpunkts der Regierung.«

»Das wird etwas schwerer sein,« sagte Varlin, den Kopf schüttelnd.

»Allzu umfassendere Vorbereitungen bedürfen wir nicht,« sagte Raoul Rigault. »Wir haben von diesen kleinen Maschinen,« fuhr er fort auf die auf dem Tische liegenden Bomben deutend, »einen Vorrath von tausend Stück, welche ein Herr Lepet, ein harmloser Mann, in dem Gedanken gegossen hat, daß es Theile eines neu erfundenen Vélocipédes wären. Sie befinden sich an einem sichern Ort und können im Lauf weniger Stunden gefüllt werben. Wir bedürfen dann nur noch einer gewissen Quantität Petroleums, einer Quantität Pikrinsäure und eines Haufens alter Weiber und kleiner Kinder, wie wir sie in beliebiger Menge in Belleville und St. Antoine finden können.«

»Und dann,« fragte Lermina.

»Dann,« sagte Raoul Rigault die Achseln zuckend, »nehmen diese alten Weiber und die Kinder die Bomben, werfen je einige hundert Stück davon durch die Fenster der Tuilerien und der verschiedenen Ministerialgebäude, gießen zu gleicher Zeit Jeder sein Gefäß voll Petroleum in die Keller und Souterrains und zünden diese angenehme Flüssigkeit mit einem kleinen Schwefelholz an. In wenigen Augenblicken werden alle diese Centren der Regierungsgewalt in Flammen stehen, alle diese Minister, Bureauchefs und Beamten werden fliehen. Das Ende der Fäden, welche in die Provinzen führen und dort die Regierungskräfte in Bewegung setzen, wird zerstört sein, und das Volk wird sich aus den Vorstädten heranwälzen, und bevor noch irgend Jemand weiß, was eigentlich vorgeht, wird Alles gethan sein, Paris wird uns gehören, und diese träge, unentschlossene Masse, welche man Volk nennt, wird hier wie im ganzen Lande unsern Befehlen folgen und durch unsere Organisation in Bewegung gesetzt werden. Das Einzige, worauf es ankommt, ist, daß die Sache schnell und auf allen Punkten gleichzeitig ausgeführt wird.

Das ist mein Vorschlag,« sagte er, sich auf seinen Stuhl zurücklehnend und mit dem Stöckchen an seine Stiefel klopfend, »er ist einfach, leicht ausführbar und wirksam. Die Vorbereitungen sind getroffen. Wollt Ihr handeln, so handelt, wollt Ihr es nicht, so laßt es bleiben, dann aber werde ich mich zurückziehen, denn ich habe keine Lust mehr, meine Zeit mit Redensarten und zwecklosen Agitationen zu verschwenden.«

»Der Plan ist großartig, vortrefflich! Dieser kleine Raoul Rigault hat wirklich eine Armee in seinem Kopf,« rief Ulric de Fonvielle.

»Die Sache ist allerdings gut ausgedacht,« sagte Lermina, »und sie kann reussiren.«

Varlin sagte nichts. Er saß tief nachdenkend da, doch zeigte der Ausdruck seines Gesichts, daß er den Plan Raouls billige und über dessen Ausführung nachsann.

»Natürlich kann die Sache reussiren,« sagte Raoul Rigault, »und sie muß reussiren, wenn sie nicht überaus dumm angegriffen wird, und daß dies nicht geschieht, dafür müßt Ihr sorgen. Ich habe nicht Lust,« fügte er im affectirt hochmüthigen Ton hinzu, »mich um diese petites besognes zu kümmern. Ich habe Euch die Instrumente geschafft, ich habe Euch einen Menschen gestellt, welcher den ersten Schlag führen wird, an Euch ist es, die Stunde fest zu stellen und Eure alten Weiber und Kinder an die richtigen Orte zu führen, um aus diesen alten dumpfen Bureaus und Actenhaufen ein lustiges, fröhliches Feuer aufsteigen zu lassen. In drei Tagen könnt Ihr damit fertig sein. Jetzt laßt uns gehen, es könnte im Hause Aufsehen erregen, wenn wir noch länger hier bleiben.«

Er stand auf, grüßte mit einer stutzerhaften Bewegung mit der Hand und ging hinaus.

»Er hat uns in der That überflügelt,« sagte Lermina, ihm finster nachblickend, – »ich liebe ihn nicht, diese ganze geckenhafte Art wichtige Dinge zu behandeln, mißfällt mir. Aber seine Ideen sind gut und seine Vorbereitungen vortrefflich. Wenn Ihr einverstanden seid, soll der Plan ausgeführt werden, er kann uns Jahre langer Agitationen überheben und mit einem Schlage an das Ziel unserer Wünsche führen, – und selbst, wenn der Plan mißlingen sollte, was ist dabei verloren – ein zerschmetterter Kaiser, einige ausgebrannte Steinhaufen, – weiter nichts,« fügte er mit einem entsetzlichen Lächeln hinzu, welches seine steinernen und unbeweglichen Züge in furchtbarer Weise verzerrte.

»Der Plan wird gelingen,« rief Ulric de Fonvielle lebhaft, »die ganze Kraft der Regierung ist zertrümmert, sobald der Mittelpunkt zerstört ist, Frankreich und die Zukunft gehört uns.«

Varlin stand auf.

»Der Plan kann gelingen,« sagte er, »wenn Niemand außer uns etwas davon erfährt, keines der Werkzeuge, die wir benutzen werden, darf den ganzen Zusammenhang dessen, was geschehen soll, auch nur ahnen.«

Er streckte seine Hand aus.

»Schwören wir uns gegenseitig,« sagte er, »bei unserm Hasse gegen die Ausbeuter der Arbeit Verschwiegenheit und Tod dem, der den Schwur bricht.«

Lermina und Fonvielle legten ihre Hände in diejenige Varlins.

»Wir schwören Verschwiegenheit,« sprachen sie, »Tod dem, der diesen Schwur bricht.«

Dann verschlossen sie sorgfältig alle Schubladen des großen Tisches, in welche sie vorher die von Raoul Rigault mitgebrachten Proben der Sprengbomben legten, verließen das als ein einfaches Versammlungslocal erscheinende Zimmer, ohne dessen Thür zu verschließen und gingen vor dem äußern Thor des Hauses nach verschiedenen Richtungen auseinander.

Einige Augenblicke blieb der große dunkle Raum im tiefen Schweigen, dann ließ sich ein leises Geräusch vernehmen; – unter dem Tisch, an welchem die vier Verschwörer so eben gesessen hatten, drang ein Lichtstrahl hervor, eines der Bretter des Fußbodens erhob sich, aus der Öffnung stieg ein Mann mit einer kleinen Blendlaterne hervor. Er leuchtete mit dem hellen Strahl seiner Laterne nach allen Seiten in die Tiefe des Zimmers hinein, dann drückte er das erhobene Brett sorgfältig in seine alte Stelle zurück, scharrte etwas von dem auf dem Boden liegenden Staub in die Spalten, zog dann mehrere sauber gearbeitete Schlüsselhaken aus der Tasche und öffnete die Schublade des Tisches. Er nahm eine der Bomben und steckte sie in seine Tasche, dann zog er ein kleines Notizbuch hervor und schrieb beim Schein seiner Laterne einige Worte in dasselbe, indem er vor sich hinflüsterte.

»Lepet, Gießer, – Beaury, Rue St. Maur Nummer zweiunddreißig.«

Dann ging er zur Thür, löschte seine Laterne aus, verließ leisen Schrittes den Hof und das Haus und begab sich ruhig, die damals so beliebte Melodie des Pompier de Nanterre vor sich hin pfeifend nach der Polizeipräfectur, wo er durch den Dienst thuenden Huissier sogleich in das Cabinet des Präfecten geführt wurde.


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