Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Siebentes Capitel.

Die Sonne sank bereits unter den Horizont und der alte Park von St. Cloud mit fernen gewaltigen Riesenbäumen hüllte sich in dunkle Schatten, als der Wagen des Herzogs von Gramont in das kaiserliche Schloß einfuhr.

Der Herzog stieg aus und schritt eiligst die Treppe zu den Appartements des Kaisers hinauf, in welche er nach der Meldung des Dienst thuenden Adjutanten unmittelbar eingeführt wurde.

Auf dem Tisch des Kaisers brannte bereits eine hohe Lampe mit großem flachem Schirm von bläulichem Glas, während durch das geöffnete Fenster mit den Düften der blühenden Rosenbeete die letzten Strahlen des sinkenden Tages hineindrangen.

Der Kaiser, welcher sich nach dem Familiendiner so eben zurückgezogen und den Frack mit einem leichten weiten Sommerrock vertauscht hatte, lag halb in einem jener großen amerikanischen Schaukelstühle von feinen elastischen Holzstreifen, den Kopf auf eine an der Lehne des Stuhls hängende Schlummerrolle gestützt und in ruhiger Träumerei seine Cigarre rauchend. Mit einem leisen Seufzer über die Störung seines Dolce far niente erhob er sich mit einiger Mühe und ging dem Minister einige Schritte entgegen, welcher sich in einer gewissen Erregung zu befinden schien.

»Ich habe Eurer Majestät eine günstige und wichtige Nachricht mitzutheilen,« sagte der Herzog von Gramont, »und Ihre Befehle zu erbitten, wie die durch dieselbe geschaffene neue Situation behandelt werden soll.«

Der Kaiser athmete wie erleichtert auf.

»Hat der König Wilhelm die Forderung Benedetti's erfüllt,« fragte er. »Ist dieser unangenehme und peinliche Fall erledigt?«

»Der Prinz von Hohenzollern, Sire,« sagte der Herzog von Gramont, »hat seine Candidatur zurückgezogen. Olozaga ist so eben bei mir gewesen, um mir dies mitzutheilen und nach einem Telegramm von Benedetti hat der König Wilhelm ihm ebenfalls die Verzichtleistung des Prinzen durch einen Adjutanten mittheilen und erklären lassen, daß er diese Verzichtleistung autorisire.«

»Ah,« sagte der Kaiser mit zufriedenem Lächeln, »unser energisches Auftreten hat also schnell seine Früchte getragen.«

»Wie immer, Sire,« sagte der Herzog mit dem Ausdruck stolzer Befriedigung, »für eine Macht wie Frankreich ist Energie und Festigkeit immer die beste Politik, und ich freue mich von ganzem Herzen, daß durch unser Auftreten in dieser Sache nicht nur vor der Nation, sondern vor ganz Europa der Beweis geliefert worden ist, daß das Wort Frankreichs noch nicht ungehört verhalle, und daß die Zeit beendet sei, in welcher man glaubte, ohne unsere Zustimmung die großen und wichtigen europäischen Fragen entscheiden zu können. Das einfache Wort Eurer Majestät hat genügt, um diese Combination des Grafen von Bismarck scheitern zu lassen. Die Situation hat sich ungemein günstig für uns verändert, denn wir haben alle europäischen Cabinette für uns, welche sämmtlich in der Thronbesteigung eines Hohenzollerschen Prinzen in Spanien eine bedenkliche Gefahr für die Ruhe und das Gleichgewicht Europas erblickten. Es kommt nun nur darauf an, den Erfolg, den wir errungen haben, vor den Kammern und der öffentlichen Meinung in das richtige Licht zu stellen, damit alle die Feinde der Regierung sich überzeugen, daß das Kaiserthum noch groß und glänzend da steht, und daß Frankreich nach der langen Zurückhaltung, welche auf die Schlacht von Sadowa folgte, wieder entschlossen ist, mit entscheidender Hand in die Politik einzugreifen.«

»Sehr gut, sehr gut,« sagte der Kaiser, »das wird einen vortrefflichen Eindruck machen. Wir haben da einen großen Schlag gethan, und zwar ohne alle heftigen Verwickelungen und ohne daß selbst unsere Beziehungen zu Preußen irgend wie getrübt werden, denn Benedetti berichtet ja, daß er mit der größten Auszeichnung vom Könige Wilhelm behandelt worden sei. Ich gratulire Ihnen, mein lieber Herzog, zu diesem ersten Debut als Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Es ist ein Triumph ohne Opfer, und ich bin überzeugt, daß einem solchen vortrefflichen Anfang immer glänzendere Resultate folgen werden.«

Er reichte dem Herzog die Hand, welche dieser, sich verbeugend, mit strahlendem Lächeln ergriff.

»Es kommt nun darauf an,« fuhr der Kaiser fort, »die Fassung der Mittheilungen dieses so erfreulichen Ereignisses für die Kammer und die Journale fest zu stellen. Es thut mir leid, Sie wieder fort zu schicken, aber ich glaube, Sie müssen sogleich nach Paris zurückkehren, sich mit Ollivier darüber zu verständigen. Er ist ja Meister in der Redewendung, setzen Sie mit ihm eine Erklärung auf, welche in solenner Weise die ganze Angelegenheit beendet und ohne Preußen zu verletzen, im Gegentheil mit anerkennendem Ausdruck für die Weisheit und das Entgegenkommen des Königs Wilhelm, dennoch unsern Sieg in helles Licht stellt.«

»Ollivier,« erwiderte der Herzog, »hat die Nachricht bereits privatim im Corps legislatif verschiedenen Deputirten mitgetheilt, die Befriedigung darüber war allgemein.«

»Um so besser,« sagte der Kaiser, »wird morgen die feierliche Erklärung aufgenommen werden. Ich bitte Sie also, dieselbe aufzusetzen und sie mir, so bald Sie sie redigirt haben, mittheilen zu lassen – auf Wiedersehen, lieber Herzog. Nachdem wir diesen Sturm beschworen haben,« fügte er lächelnd hinzu, »hoffe ich, Sie auf einige Tage hier zu sehen, um sich in ländlicher Ruhe von den Aufregungen der letzten Tage etwas zu erholen.«

Der Herzog empfahl sich Seiner Majestät und verließ immer das stolze zufriedene Lächeln auf den Lippen das Cabinet.

Der Kaiser athmete erleichtert auf, blickte einen Augenblick schweigend nach dem in immer tiefere Schatten versinkenden Park hinaus und ergriff dann eine neue Cigarre, um sie anzuzünden und sich abermals der durch den Besuch seines Ministers unterbrochenen Träumerei zu überlassen.

Da öffnete sich schnell die Thür, General Favé erschien und sagte:

»Der österreichische Botschafter bittet Eure Majestät, ihn empfangen zu wollen.«

Verwundert blickte der Kaiser auf.

»Metternich,« sagte er, »zu dieser Stunde? Was kann er bringen? – bitten Sie ihn, einzutreten.«

Indem er seufzend seine Cigarre wieder fortlegte, ging er einige Schritte dem Fürsten Richard Metternich entgegen, den der General in das Cabinet führte.

Der Sohn des großen Staatsmannes, welcher einst so lange die Geschicke der österreichischen Monarchie und ein wenig diejenigen von ganz Europa in seinen Händen gehalten hatte, war damals ungefähr zwei und vierzig Jahre alt. Er war eine angenehme, sympathisch anmuthende Erscheinung, die Fülle seiner Gestalt that der elastischen Eleganz seiner Bewegungen keinen Eintrag, sein etwas bleiches Gesicht, auf dessen hohe Stirn die leicht gelockten, dünn gewordenen Haare herabfielen, war von einem starken, lang hinab hängenden Backenbart umrahmt; seine edel geschnittenen Züge zeigten den Ausdruck ruhiger und sorgloser Heiterkeit, während seine geistvollen Augen zugleich scharf beobachtend umher blickten. Heute aber lag auf diesem Gesicht eine gewisse unruhige Aufregung – ernst erwiderte er die Begrüßung des Kaisers und sprach, indem er sich auf den Wink desselben ihm gegenüber setzte, mit leicht erregter Stimme:

»Ich bitte Eure Majestät um Verzeihung, daß ich es wage, noch in so vorgerückter Abendstunde um Gehör zu bitten; aber die beunruhigenden Nachrichten, welche die ganze politische Welt erfüllen, machen es mir zur Pflicht, mich unverzüglich des Auftrages zu entledigen, welchen der Graf Beust, der seine Badekur in Gastein verschoben hat, mir so eben ertheilte.«

Der Kaiser lächelte ein wenig, neigte leicht das Haupt und sprach:

»Sie wissen, lieber Fürst, daß Ihr Besuch mir zu jeder Zeit angenehm und erfreulich ist, auch wenn Sie mir keine Mittheilung des Grafen Beust zu machen hätten. Der Besuch eines Freundes ist immer willkommen, und zu meinen Freunden gehört der Fürst Metternich ebenso sehr als der Botschafter des Kaisers von Österreich.«

Der Fürst dankte durch eine ehrerbietige Verneigung für die freundlichen Worte des Kaisers und fuhr dann in demselben ernsten Ton wie vorher fort:

»Das gütige Wohlwollen Eurer Majestät, von welchem ich schon so viele Beweise erhalten habe, und welches Sie so eben von Neuem auszusprechen die Gnade haben, giebt mir die Hoffnung, daß Sie auch dem, was ich Ihnen zu sagen habe, ein gnädiges und aufmerksames Ohr schenken werden. Sire,« sprach er weiter, »die Regierung meines allergnädigsten Herrn kann sich der Besorgniß nicht erwehren, daß die Erörterungen, welche zwischen Frankreich und Preußen in diesem Augenblick über die Hohenzollersche Candidatur Statt finden, bei der hoch gehenden Aufregung der Volksstimmung in Frankreich und bei dem Beginn einer ähnlichen Aufregung in Deutschland zu ernsten Conflicten und gefährlichen Catastrophen führen möchte. Ich habe zu verschiedenen Zeiten zu meiner großen Genugthuung Gelegenheit gehabt, Eurer Majestät gegenüber zu constatiren, daß die politischen Interessen Frankreichs und Österreichs in allen großen Fragen die gleichen seien, und daß eine gleichmäßige Behandlung aller dieser Fragen im Interesse beider Staaten liege. Die gleiche Versicherung hat auch der Herzog von Gramont während seines Aufenthalts in Wien bei jeder Gelegenheit von dem Reichskanzler selbst erhalten.«

Der Kaiser neigte zustimmend den Kopf.

»Graf Beust hat aber bei allen solchen Gelegenheiten,« fuhr der Fürst Metternich fort, »dem Herzog gegenüber auch ganz bestimmt betont, daß Österreich noch auf lange hinaus nicht in der Lage sei, an irgend einer militairischen Action, selbst wenn dieselbe in seinem Interesse liegen könnte, Theil zu nehmen, ohne dadurch die ruhige Entwickelung und damit die Zukunft der österreichischen Monarchie auf das Höchste zu gefährden, und daß es deßhalb für die österreichische Politik geboten sei, überall und zu jeder Zeit zur Vermeidung von Conflicten beizutragen, welche geeignet wären, kriegerische Consequenzen herbeizuführen. Der gegenwärtige Augenblick und die zwischen Frankreich und Preußen schwebende Frage scheinen nun, wie ich zu bemerken die Ehre hatte, die Befürchtung solcher Consequenzen sehr nahe zu legen, und ich bin deßhalb beauftragt, Eurer Majestät bestimmt zu erklären, daß Österreich, wenn aus dieser Hohenzollerschen Candidatur kriegerische Entwickelungen entstehen sollten, nicht im Stande sei, in denselben irgend eine active Rolle zu spielen und sich auf die Seite Frankreichs zu stellen.«

Der Kaiser blickte einen Augenblick schweigend vor sich nieder, dann sagte er.

»Mein lieber Fürst, die Erklärung, welche Herr von Beust mir da durch Sie abgeben läßt, überrascht mich in ihrem allgemeinen Inhalt nicht, dennoch scheint mir ihre bestimmte Wiederholung gerade in diesem Augenblick nicht vollkommen mit der auch vom Grafen Beust anerkannten Identität der politischen Interessen Österreichs und Frankreichs übereinzustimmen. Sollte ich jemals in einen ernsten Conflict mit Preußen gerathen, so würde, scheint es mir, der Augenblick gekommen sein, in welchem jene Identität der Interessen sich practisch zu bethätigen hätte, – wenn sie überhaupt irgend eine Bedeutung haben soll, – und Österreich müßte doch in der That mit Freuden eine solche Gelegenheit begrüßen, welche ihm die Möglichkeit bietet, ohne große eigene Gefahr das im Jahre 1866 Verlorene wieder zu gewinnen; von vorn herein eine solche Gelegenheit ausschließen zu wollen, scheint mir nicht im Interesse Österreichs zu liegen, und wenn eine solche Erklärung öffentlich abgegeben wird, – wenn sie auch andern Cabinetten bekannt wird,« fügte er mit scharfer Betonung hinzu, »so wird das sehr wenig dazu beitragen können, die nachdrückliche Vertretung der Interessen Frankreichs zu unterstützen.«

»Sire,« erwiderte der Fürst Metternich, »nach meiner Überzeugung, welche wie ich glaube auch diejenige des Grafen Beust ist, würde es allerdings Eventualitäten geben, unter denen es für Österreich vortheilhaft, ja geboten erscheinen könnte, im Verein mit Frankreich Preußen von der 1866 eroberten Stellung zurückzuwerfen, – eine solche Eventualität könnte aber nur dann eintreten, wenn einmal der Grund des Conflicts Österreich das Recht und die Möglichkeit gebe, in demselben Stellung zu nehmen und wenn sodann die Aussichten des Erfolges einigermaßen sicher sind. In diesem Augenblick ist aber beides nicht der Fall. Der einzige Kriegsgrund für Österreich könnte in einem Eingriff Preußens in die unabhängige Selbstständigkeit der Süddeutschen Staaten liegen; bei einem solchen Kriegsgrund würde ein großer Theil der deutschen Nation auf Österreichs Seite stehen, und der Kampf würde die großen Fragen von 1866 wieder aufnehmen unter der Mitwirkung Frankreichs, welche damals die Verhältnisse Eurer Majestät unmöglich machten. Gegenwärtig ist aber von einem solchen Kriegsgrunde nicht die Rede, der Erbprinz von Hohenzollern ist ein deutscher Fürst, und wenn Preußen einen Krieg annehmen sollte, weil Frankreich sich der Thronbesteigung eines deutschen Prinzen in Spanien widersetzt, so würde das Nationalgefühl sich auf die Seite Preußens stellen, und eine Alliance Österreichs mit Frankreich würde in diesem Falle nur dazu beitragen, Österreich als den Nationalfeind Deutschlands vor dem Volk erscheinen zu lassen, das heißt, uns jede moralische Unterstützung zu rauben, welche in einem solchen Kampf unumgänglich nothwendig ist. Außerdem aber, Sire,« fuhr er fort, »sind die Chancen des Erfolges, wie es mir scheint, äußerst unsicher. Unsere militairischen Vorbereitungen sind nicht beendet, unsere Finanzen sind noch nicht geordnet, schon aus diesem Grunde würde Österreich zu einer nachdrücklichen Kriegführung kaum im Stande sein –«

»Man würde aber doch,« fiel der Kaiser ein, »lediglich durch eine drohende Haltung große preußische Truppenmassen absorbiren.«

»Auch das ist nicht möglich, Sire,« sagte Fürst Metternich seufzend, »denn leider muß ich Eurer Majestät mittheilen, daß von Seiten Rußlands uns deutlich zu verstehen gegeben worden, jede feindliche Bewegung gegen Preußen werde sofort gleiche Schritte Rußlands gegen unsere Grenzen zur Folge haben. Damit würde also unsere Drohung wirkungslos gemacht und wir gezwungen werden, unsere disponiblen Truppen zur Selbstvertheidigung an die russische Grenze zu schicken.«

»Der Kaiser Alexander,« fiel Napoleon ein, »hat sich aber doch entschieden gegen die Hohenzollersche Candidatur erklärt und versichert außerdem den General Fleury unausgesetzt seiner Freundschaft und seiner Sympathien gegen Frankreich.«

»Das Alles wird nicht hindern, Sire,« sagte der Fürst Metternich, »daß wenn es wirklich zum Conflict kommt, Rußland sehr entschieden auf die Seite Preußens treten und wenigstens ganz bestimmt Österreich verhindern wird, irgend etwas zu unternehmen. Ich beschwöre also Eure Majestät,« fiel er lebhafter sprechend fort, »glauben zu wollen, daß Österreich sich von der Liga der Neutralen nicht wird trennen können – ich bitte Eure Majestät inständigst, in dieser ganzen Sache keinen Schritt zu thun, der zu unheilbaren Conflicten führen kann, denn Eure Majestät würden ganz isolirt sein und sich dem hoch aufgeregten deutschen Nationalgefühl gegenüber befinden, welches, von Preußen organisirt, ein furchtbar gefährlicher Gegner sein wird.«

»Glauben Sie,« sagte der Kaiser, den Blick scharf und forschend auf Metternich richtend, »daß das deutsche Nationalgefühl in Baiern und Würtemberg sich jemals für Preußen wird erheben können, da man dort doch einsehen muß, daß wenn man unter preußischer Führung gegen Frankreich zu Felde zieht, man für immer die eigene Selbstständigkeit aufgiebt. Man hat mir berichtet,« sagte er, »daß die Stimmung in jenen Staaten sehr preußenfeindlich ist und Sie selbst, lieber Fürst, haben mir früher Ähnliches mitgetheilt. Sollte das Alles sich schnell ändern können?«

»Es wird sich ändern, Sire,« sagte der Fürst, »und hat sich zum Theil schon geändert, und von Berlin aus wird mit großer Geschicklichkeit gearbeitet, um der öffentlichen Meinung die Haltung Frankreichs gegenüber der Candidatur des Prinzen von Hohenzollern als eine der ganzen Nation angethane Beleidigung darzustellen. Glauben mir Eure Majestät, die Süddeutschen Staaten werden in dieser Frage mit Preußen gehen – die Süddeutschen Fürsten zunächst, sie haben im Jahre 1866 gesehen, wie unerbittlich Preußen mit seinen Feinden verfährt, und um sich von Neuem in einen Kampf einzulassen, müßten sie eine große Coalition auf ihrer Seite sehen, welche ihnen Gewißheit des Sieges oder wenigstens des Schutzes ihrer Throne gewährt.«

Der Kaiser versank in schweigendes Nachdenken.

Fürst Metternich sah ihn in tiefer Bewegung an. Seine großen, klaren und ausdrucksvollen Augen verschleierten sich mit einem leichten Thränenschimmer und mit dem Ausdruck inniger Überzeugung sprach er:

»Eure Majestät haben die Gnade gehabt, die Gefühle der tiefen persönlichen Ergebenheit, welche ich für Allerhöchstdieselben hege, anzuerkennen und mich Ihren Freund zu nennen. Erlauben Sie mir, Sire, jetzt nachdem der Botschafter von Österreich gesprochen, auch als treuer und ergebener Freund zu sprechen. Ich weiß sehr gut,« fuhr er fort, »daß die Strömung der öffentlichen Meinung Frankreichs in diesem Augenblick zum Kriege treibt, und ich weiß ebenso gut, Sire, daß viele Personen in Ihrer Umgebung – in Ihrer nächsten und unmittelbaren Umgebung,« fügte er mit Betonung hinzu, »sich die angelegentlichste Mühe geben, jene Richtung der öffentlichen Meinung zu unterstützen und Eure Majestät in gefährliche Unternehmungen hineinzudrängen, welche nach meiner innigsten Überzeugung in diesem Augenblick nur zum Unglück Frankreichs und zum Unglück Eurer Majestät ausschlagen können. Preußen ist furchtbar gerüstet, Deutschland wird in dieser Hohenzollernschen Frage hinter Preußen stehen und die Eurer Majestät feindlichen Parteien in Frankreich, welche sich augenblicklich vor dem Plebiscit zurückgezogen haben, warten nur auf den Augenblick eines Mißerfolges im Kriege, um sich von Neuem zu erheben und einen entscheidenden Schlag gegen das Kaiserreich zu führen. Ebenso wie man in Italien nur darauf wartet, sich Roms zu bemächtigen. Allen diesen Gefahren gegenüber werden Eure Majestät isolirt da stehen, keine der europäischen Mächte wird sich Frankreich in dieser Frage zur Seite stellen, und ich bitte Eure Majestät, zu glauben, daß die Erklärung, die ich Ihnen als Botschafter gegeben, unbedingte Wahrheit ist. Der Fürst Metternich giebt Ihnen sein Wort darauf. Österreich wird nicht für Eure Majestät Partei nehmen, weil es das nicht thun kann, in dieser Frage am allerwenigsten thun kann, und selbst wenn der Graf Beust, selbst wenn der Kaiser dazu geneigt sein sollten, wie der Herzog von Gramont vorauszusetzen scheint, so wird diese Neigung vor dem Widerstande des Grafen Andrassy erfolglos bleiben. Der Graf Andrassy vertritt Ungarn, und Ungarn will keinen Krieg mit Deutschland, da auch der günstige Ausgang desselben nur dahin führen könnte, die dominirende Stellung des deutschen Elements im Kaiserstaate wieder zu befestigen, ohne Ungarn aber, ohne diese wichtigste militairische Hülfsquelle Österreichs ist jede Action für uns unmöglich – ich bitte Eure Majestät,« fuhr er fort, »dies als ganz gewiß anzunehmen, – Graf Andrassy hat hohe Verehrung vor Eurer Majestät und tiefe Sympathie für Frankreich. Täuschen sich aber Eure Majestät nicht über die Bedeutung von Äußerungen, welche diese seine Gefühle ihm eingegeben haben können. Unter andern Umständen, wenn Frankreich vielleicht mit Italien in Conflikt geriethe, würde Österreich bei einer französischen Alliance auf die Unterstützung Ungarns rechnen können, – gegen Deutschland niemals, – am allerwenigsten in einer Frage, in welcher kein Vertragsrecht Österreichs Intervention zur Seite steht. Eure Majestät,« fuhr er mit tief, eindringendem Tone fort, »kennen meine aufrichtige und liebevolle Ergebenheit für Ihre Person, Eure Majestät haben mir Gelegenheit gegeben, die edlen Eigenschaften Ihres Herzens ebenso sehr zu erkennen und zu bewundern, als die Klarheit und die überlegene Schärfe Ihres Geistes – es ist die tiefe Ergebenheit, die aufrichtige Liebe für Eure Majestät, welche mir die Worte in den Mund legt, die ich Ihnen jetzt zu sagen mir erlaube. Hören Eure Majestät die Bitte eines Freundes, welche ich ohne Rücksicht auf meine Eigenschaft als Botschafter Österreichs aus treu besorgtem Herzen an Sie richte. Treiben Sie, Sire, diese Sache nicht weiter, betreten Sie den gefahrvollen Weg nicht, auf welchen man Sie drängen möchte und an dessen Ende kaum ein glücklicher Ausgang zu erwarten ist.«

Der Fürst schwieg.

Der Kaiser beugte sich vor, reichte ihm mit einem liebenswürdigen Lächeln die Hand, indem zugleich ein warmer Strahl seinen freien Blick erleuchtete.

»Ich danke Ihnen, mein lieber Fürst,« sagte er, »für die Aufrichtigkeit und den Eifer, mit welchem Sie mir Ihre Überzeugung ausgesprochen und Ihren Rath ertheilt haben. Ihre Gesinnungen für mich machen mich stolz, – doch,« sagte er dann, »Sie beunruhigen sich ohne Noth, die Besorgnisse, welche gestern noch bestehen konnten, existiren heute nicht mehr, der Prinz von Hohenzollern hat seine Candidatur zurückgezogen.«

Fürst Metternich athmete erleichtert auf.

»Ich hörte davon im Augenblick meiner Abfahrt in Paris,« sagte er. »Ist die Nachricht bereits offiziell angekommen?«

»Olozaga,« sagte der Kaiser, »hat die Mittheilung im Auftrage der spanischen Regierung an den Herzog von Gramont gemacht, und somit scheint mir die Angelegenheit erledigt. Die Verzichtleistung des Prinzen wird morgen in den Kammern mitgetheilt werden, und die europäische Diplomatie,« fügte er lächelnd hinzu, »kann wieder ruhig baden und Brunnen trinken.«

Der Fürst Metternich schwieg einen Augenblick, als zögerte er, einen Gedanken auszusprechen, der ihn beschäftigte.

»Sire,« sagte er dann, »die extreme Kriegspartei wird vielleicht nach Andeutungen, die ich hier und da gehört habe, mit der Lösung der Frage noch nicht zufrieden sein, da sie gehofft hat, jetzt endlich mit ihren Ideen durchzudringen. Man wird von Neuem die Stimmung zu reizen und aufzuregen suchen, und da, wie ich weiß, auch in Deutschland bereits die Geister sich zu entflammen beginnen, so könnte leicht irgend ein Incidenzfall eintreten, der die Beruhigung Europa's von Neuem in Frage stellt. Ich bitte, Eure Majestät, aus der Erklärung, welche den Kammern gegeben werden soll, jede provocirende und verletzende Äußerung gegen Preußen fern halten zu lassen, damit ein für allemal alle Auseinandersetzungen über den Gegenstand aufhören. Graf Bismarck,« fuhr er fort, »hat bis jetzt alle Conflikte zu vermeiden gesucht, einen günstigeren Kriegsfall als in diesem Augenblick könnte er aber kaum finden, und man muß ihn nicht in die Versuchung führen, durch einen großen Aufschwung des Nationalgefühls aus der Waffenbrüderschaft aller deutschen Staaten ein neues deutsches Reich zusammen zu schmieden.«

Der Kaiser lächelte.

»Seien Sie ganz ruhig, mein lieber Fürst,« sagte er, »ich habe Gramont den Auftrag ertheilt, mit Ollivier eine definitive Erklärung über die Beendigung der ganzen Sache an die Kammer zu redigiren, und morgen um diese Stunde wird jede Besorgniß für die Störung des Friedens verschwunden sein.«

Fürst Metternich stand auf.

»Ich verlasse Eure Majestät mit erleichtertem Herzen und bitte um die Erlaubniß, sogleich nach Paris zurückkehren zu dürfen, um das so erfreuliche Resultat dieser Unterredung nach Wien melden zu können.«

»Meine herzlichsten Empfehlungen der Fürstin,« sagte der Kaiser, »ich hoffe, Sie Beide in den nächsten Tagen hier zu sehen.«

Er drückte dem Fürsten die Hand und begleitete ihn einige Schritte nach der Thür hin.

»Durch die Beseitigung der Candidatur des Erbprinzen von Hohenzollern,« sprach er leise, als er allein war »soll das Prestige Frankreichs wieder hergestellt sein, sagt man mir, – sehr gut, wenn die öffentliche Meinung dies glaubt. Leider,« fuhr er seufzend fort, »ist es nicht der Fall, jenes Prestige besteht in Wahrheit nicht mehr. Denn wenn es bestände, so würde Österreich nicht zögern, in diesem Augenblick frei und offen auf die Seite Frankreichs zu treten und die Suprematie des Hauses Habsburg in Deutschland wieder zu erringen. Man glaubt nicht mehr an die Macht Frankreichs, und auch meine besten Freunde nicht, – auch Metternich nicht, der wirklich mein Freund ist. Das Ansehen Frankreichs, so wie es früher war, wieder herzustellen, gäbe es nur ein Mittel, und dies Mittel wäre der Sieg – aber,« sagte er düster vor sich hin starrend, »wo ist die Hand, welche den Sieg mit Sicherheit erkämpfen könnte, – – wenn er mir entginge – –«

Er versank, die Augenbrauen finster zusammengezogen, in tiefes Sinnen.

»Meine Gemahlin wird nicht zufrieden sein,« sagte er dann, »über die so friedliche Lösung – sie glaubt an den Sieg – ich will ihr selbst die Sache sogleich mitteilen, damit sie vorsichtig in ihren Äußerungen ist und die Kriegspartei nicht durch hingeworfene Worte ermuthigt.«

Er verließ sein Cabinet und begab sich nach den Gemächern der Kaiserin.

Der Huissier öffnete die Thür.

Der Kaiser durchschritt das Vorzimmer und trat in den Salon, an dessen Schwelle ihn die Kaiserin empfing.

Napoleon blieb einen Augenblick erstaunt stehen, denn hinter seiner Gemahlin, deren Gesichtszüge eine lebhafte Erregung ausdrückten, sah er neben dem, von großen Fauteuils umgebenen, mit Albums aller Art bedeckten Tisch in der Mitte des Salons den Baron Jérome David und den Herzog von Gramont.

Der Baron Jérome David, der Führer der entschiedensten Anhänger des Kaiserreichs im Corps legislatif, war ein Mann von etwa fünfzig Jahren von kräftiger, schlanker Gestalt; sein auf einem kurzen Halse sich erhebender Kopf hatte scharf markirte, von energischer Willenskraft und etwas colerischem Temperament zeugende Gesichtszüge; das dunkle volle Haar war über der niedrigen Stirn leicht gekräuselt; unter hochgeschwungenen Augenbrauen blickten große, etwas hervorstehende Augen hervor, deren etwas stechender Blick fast immer den Ausdruck zorniger und unruhiger Erregung hatte; die etwas abgestumpfte starke Nase, die hoch aufgedrehten Spitzen des dunklen Schnurrbarts und das mächtig hervorspringende Kinn ließen seinen Gesichtsausdruck in der Erregung einer lebhaften Conversation fast herausfordernd erscheinen.

Der Kaiser trat langsam in den Salon und wandte sich mit einer Miene, in welcher eben so viel Erstaunen, als Unzufriedenheit lag, an den Herzog von Gramont.

»Ich hätte nicht erwartet, Sie noch hier zu finden, Herr Herzog,« sagte er, ohne die Höflichkeit und den verbindlichen Ton, die ihm sonst eigen war.

»Ich glaubte Sie schon in Paris, um mit Ollivier jene Erklärung zu verabreden, über welche wir vorher gesprochen haben.«

»Der Herzog,« fiel die Kaiserin schnell ein, »wollte vor seiner Rückkehr mich begrüßen, und mir zugleich die Nachricht von der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern bringen. Ich habe ihn noch zurückgehalten, um ihm Gelegenheit zu geben, die Mittheilungen anzuhören, welche der Baron Jérome David mir so eben über die Stimmung in Paris und in den Kreisen der Deputirten gemacht hat, und welche vielleicht von einigem Einfluß auf die Entschließungen sein könnten, die man in diesem Augenblick zu fassen hat.«

Der Kaiser verneigte sich leicht gegen den Baron Jérome David und sagte immer noch in demselben strengen Ton seiner Stimme.

»Und welche Mittheilungen haben Sie der Kaiserin gemacht, Baron?«

Er reichte seiner Gemahlin die Hand, führte sie zu einem der neben dem Tisch stehenden Sessel und setzte sich an ihre Seite, den Blick mit gespannter Aufmerksamkeit auf den Baron richtend.

»Sire,« sagte dieser, »ich habe mir erlaubt, der Kaiserin mitzutheilen, – und würde im nächsten Augenblick mich bei Eurer Majestät haben melden lassen, um auch Ihnen mitzutheilen, – daß die Nachricht von der Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern auf seine Candidatur in Spanien, welche heute Abend in Paris bekannt wurde, unter den Deputirten und in den journalistischen Kreisen durchaus nicht den befriedigenden und beruhigenden Eindruck gemacht hat, welchen ich bei dem Herzog von Gramont gefunden, also auch bei Eurer Majestät voraussetzen muß.«

»Nun,« sagte der Kaiser, den Baron fragend und erstaunt anblickend, »die Sache ist doch erledigt, jene Candidatur ist verschwunden, – – vor der Intervention Frankreichs verschwunden, – ich begreife nicht, – –«

»Niemand in Frankreich, Sire,« fiel der Baron Jérome David rasch und lebhaft ein, »hat jemals dem jungen Prinzen von Hohenzollern es verdacht, daß er ein Abenteuer unternehmen wollte, bei welchem der Ehrgeiz eines thatkräftigen Mannes seine Rechnung finden könnte. – Niemandem ist es eingefallen, die spanische Nation in der freien Wahl ihres Königs zu beschränken, die Besorgniß und die Entrüstung Frankreichs über diese Combination hatte nur darin ihren Grund, daß die Hohenzollernsche Candidatur ein Werk der preußischen Politik war, daß diese Combination in Berlin vorbereitet und vom Könige von Preußen feierlich genehmigt wurde, ohne daß man sich mit Frankreich, das doch so nahe und so unmittelbar dabei interessirt ist, auch nur darüber in Vernehmen gesetzt hätte. Das ist eine Nichtachtung der französischen Würde und außerdem eine Bedrohung unserer Interessen durch die offen kund gegebene Absicht an unserer Südgrenze eine Macht aufzurichten, welche bei jeder Gelegenheit die preußische Politik gegen uns zu unterstützen bestimmt sein sollte. Wenn nun der Prinz von Hohenzollern einfach seine Candidatur zurückzieht, so ist Frankreich dadurch keine Genugtuung gegeben, vor allen Dingen aber auch keine Sicherheit, daß die Combination, welche heute gescheitert ist, nicht jeden Augenblick wieder aufgenommen werden könne, wenn die europäische Constellation derselben vielleicht günstiger sein möchte und Preußen die Aussicht hätte, Alliirte in einem Conflikt mit uns zu finden. – Ohne eine Genugthuung für unsere Würde, ohne eine Sicherstellung unserer Interessen für die Zukunft aber,« – fuhr er laut mit entschiedenem Tone fort, »wird die öffentliche Meinung sich nicht beruhigen, die bloße einfache Anzeige der Zurückziehung der Candidatur des Prinzen Leopold wird im Corps legislatif eine sehr ungünstige Aufnahme finden, und wenn die Regierung sich damit begnügt, so wird man das allgemein als ein Zeichen großer Schwäche ansehen, und das so lebhaft erregte Nationalgefühl wird sich auf das Entschiedenste gegen Eure Majestät wenden, zum großen Schaden für den Nimbus des Kaiserreichs, welcher erst so eben durch das Plebiscit wieder hergestellt worden ist.«

»Aber welche Genugthuung, welche Garantien,« fragte der Kaiser, »könnten denn gegeben werden?«

Die Kaiserin unterdrückte mühsam ihre innere Erregung, während sie ihr Spitzentaschentuch in der Hand zusammenpreßte.

»Sire,« antwortete Jérome David, »die Beleidigung Frankreichs bestand darin, daß über die Hohenzollernsche Combination von Preußen keine Mittheilung an Frankreich gemacht wurde. Die Frage für die Zukunft besteht darin, daß jene heut zurückgezogene Candidatur jeden Augenblick wieder aufgenommen werden kann, – dem entsprechend muß die Genugtuung und diese Garantie gefordert werden. Die Genugthuung muß meiner Überzeugung darin bestehen, daß der König von Preußen Eurer Majestät anzeigt, er habe dem Prinzen befohlen – und zwar mit Rücksicht auf die Intervention Frankreichs – von seiner Bewerbung um den spanischen Königsthron Abstand zu nehmen. Die Garantie muß darin bestehen, daß der König weiter erklärt, er werde auch in der Zukunft niemals erlauben, daß der Prinz auf jene Candidatur zurückkomme. Wenn der Kammer eine solche Erklärung vorgelegt wird, so wird der Eindruck ein tiefer und befriedigender sein, jeder andere Abschluß der Sache wird dem Nationalgefühl nicht genügen und dasselbe, wie ich wiederholen muß, gegen Eure Majestät und die kaiserliche Regierung richten.«

Der Kaiser strich langsam mit der Hand über seinen Bart, dann richtete er den Blick fragend auf den Herzog von Gramont.

»Sire,« sagte dieser, »ich kann den Bemerkungen des Herrn Baron David die innere Berechtigung nicht absprechen, vor Allem aber muß derselbe die Stimmung im Corps legislatif am allerbesten und genauer kennen, als ich; und das Ziel, nach welchem bei der Behandlung dieser ganzen Angelegenheit gestrebt werden muß, ist ja doch jedenfalls die Bestärkung des Ansehens der kaiserlichen Regierung. Nachdem die Sache so weit gediehen ist, dürfen wir nach meiner Ansicht mit keiner Halbheit abschließen, sondern müssen wirklich den als vollgültig anerkannten Beweis liefern, daß man die Würde Frankreichs nicht ungestraft beleidigen, seine Interessen nicht ungestraft gefährden könne.«

»Nur ein solcher Beweis, über alle Zweifel und Mißdeutungen erhaben,« fiel der Baron Jérome David lebhaft ein, »wird das Corps legislatif und die öffentliche Meinung von ganz Frankreich beruhigen.«

Der Kaiser sank seufzend in sich zusammen.

»Ich war so zufrieden, diese Angelegenheit endlich beendet zu wissen,« sagte er leise.

Die Kaiserin zuckte fast unmerklich die Achseln, ein Blitz sprühte aus ihren Augen.

»Glauben Sie denn,« sagte Napoleon sich zum Herzog von Gramont wendend, »daß eine solche Erklärung, wie sie der Baron für nöthig hält, zu erreichen und schnell zu erreichen möglich sei, damit diese Sache nicht noch mehr in die Länge gezogen werde und die öffentliche Meinung sich immer mehr echauffire.«

»Ich bin überzeugt, Sire,« sagte der Herzog, »daß nichts leichter sein wird, als eine solche definitive Erklärung zu erlangen, um so mehr, wenn man die Form wählt, welche der Baron David so eben schon angedeutet hat, die Form eines persönlichen Briefes des Königs Wilhelm an Eure Majestät und sich damit gewißermassen auf den vom Könige selbst eingenommenen Standpunkt stellt, daß diese ganze Angelegenheit ihn nur persönlich als Chef seines Hauses berühre und die preußische Regierung als solche nichts angehe. Wenn Benedetti, der ja dem Könige eine angenehme und sympathische Person ist, in der ihm eigenen geschickten Weise die Sache dort darstellt, so bin ich überzeugt, daß der König keinen Augenblick zögern wird, einen Brief an Eure Majestät zu schreiben, der die geforderte Erklärung enthält und den man ja dann nachher der öffentlichen Meinung in Frankreich dennoch als einen Act der preußischen Regierung wird darstellen können. Denn,« fügte er lächelnd hinzu, »diese öffentliche Meinung kann sich nicht zu dem subtilen Unterschied erheben, welchen Seine preußische Majestät zwischen seinen beiden Eigenschaften als Familienchef und Staatsoberhaupt zu machen sich gefällt.«

»Die Sache müßte aber durchaus,« sagte der Kaiser, »in aller vorsichtigster und versöhnlichster Weise behandelt werden, damit ja kein ernster Conflict daraus entsteht.«

»Und wenn ein solcher Conflict daraus entstünde,« rief die Kaiserin, welche ihre innere Erregung nicht länger bemeistern konnte, »wollen wir davor zurückschrecken? Soll Frankreich, welches in der Krim und in Italien gesiegt hat, welches die Adler des großen Kaisers auf seinen Fahnen trägt, sich von einem Wege abschrecken lassen, welchen das Recht und die Ehre, die Klugheit, ja die politische Nothwendigkeit vorschreibt, aus Besorgniß, daß der Widerstand der Gegner auf diesem Wege kriegerische Verwickelungen entstehen lassen könnte? Unsere Armee ist im herrlichsten Zustand, sie brennt vor Ungeduld, zu zeigen, daß sie noch immer die erste in Europa ist.«

»Was sagt der Marschall Leboeuf,« fragte der Kaiser den sinnenden, sorgenvollen, nachdenklichen Blick auf den Herzog von Gramont gerichtet.

»Der Marschall erklärt, so bereit zu sein, als nur immer möglich,« erwiderte der Herzog, »er wird Eurer Majestät ohne Zweifel den Beweis darüber liefern –«

»Auch sind wir der thätigen Mitwirkung Österreichs sicher,« rief die Kaiserin, »um dieses übermüthige Preußen von zwei Seiten zu fassen und ihm zu zeigen, was es heißt, Frankreich zu beleidigen.«

»Österreich,« sagte der Kaiser, abermals fragend den Blick auf den Herzog von Gramont richtend, »glauben Sie, daß wir auf Österreich rechnen können – Fürst Metternich sagt das Gegentheil wie Sie wissen werden,« fügte er mit scharfer Betonung hinzu.

»Sire,« sagte der Herzog lächelnd, »Fürst Metternich sagt, was er sagen soll, und was man für die offizielle Constatirung der Haltung Österreichs nöthig zu haben glaubt. Wenn wirklich, was ich in keiner Weise glaube, aus der Behandlung der schwebenden Angelegenheit ein ernster Conflict erwachsen sollte, so wird allerdings Österreich im ersten Augenblick eine neutrale abwartende Stellung einnehmen, schon weil der russische Einfluß lähmend auf seinen Entschlüssen lastet. Nach den ersten Niederlagen der preußischen Armee aber« –

»Die sehr schnell kommen werden,« rief die Kaiserin.

»Nach diesen ersten Niederlagen, Sire,« fuhr der Herzog fort, »wird Österreich aus seiner Reserve hervortreten. Dann wird auch in Rußland die ganze französisch gesinnte Partei mächtig werden, und der vorsichtige Fürst Gortschakoff wird nicht wagen, sich diese Partei und das siegreich vorschreitende Frankreich zu gleicher Zeit zu Feinden zu machen. Dann, Sire, wird der Augenblick gekommen sein, in welchem Preußen isolirt von zwei Seiten gefaßt, von seiner Höhe herabgestürzt werden wird. Das Werk von 1866 wird in Trümmer sinken, und wir werden es in unserer Hand haben, Deutschlands politische Organisation so zu construiren, wie es für unsere Interessen genehm ist, und zugleich für Frankreich diejenigen Gebiete zurück zu nehmen, welche man uns in der Zeit des großen nationalen Unglücks entrissen hat.«

Die Augen des Kaisers leuchteten einen Augenblick in freudigem Stolz auf. Er erhob sein Haupt, als sähe er die Bilder der Zukunft, welche der Herzog andeutete, vor seinem Blick aufzeigen. Dann aber ließ er den Kopf wieder matt herabsinken und sprach:

»Dazu gehören zwei gewonnene Schlachten – und wer giebt mir die Bürgschaft, daß sie gewonnen werden? Gewonnen über eine Armee, von welcher mir der Oberst Stoffel schreibt, daß keine andere in Europa ihr gleich kommt an innerer moralischer Kraft, an Intelligenz und an einheitlicher Organisation.«

»Der Oberst Stoffel,« sagte der Herzog von Gramont, während die Kaiserin zornig mit den schönen Zähnen auf die Lippen biß, »ist ein wenig geblendet durch die persönlichen Eigenschaften des Grafen Bismarck, durch die Liebenswürdigkeit, mit welcher man ihn dort behandelt – er sieht außerdem nur die Garde und nicht die Linien und die Milizen in den Provinzen, welche nur zögernd und widerwillig in den Krieg ziehen –«

»Das hat das Jahr 1866 nicht bewiesen,« sagte Napoleon, – »auch beweisen die Berichte des Oberst Stoffel, daß er sehr genau über die ganze militairische Organisation in Preußen unterrichtet ist, daß er namentlich auch die Landwehrorganisation und die ausgezeichneten Eigenschaften des preußischen Generalstabs sehr genau kennt –«

»Vielleicht aber hat er vergessen,« sagte die Kaiserin heftig, »daß dem Allen gegenüber die feurige und unwiderstehliche Tapferkeit der französischen Armee steht –«

»Und daß,« fiel der Baron Jérome David ein, »in einem solchen Kriege der gewaltig aufflammende Nationalgeist Frankreichs hinter seiner Armee stehen würde, ebenso wie dies in den großen Kriegen Napoleon's I der Fall war. Dieser Geist des Volks ist unbeweglich und,« fügte er hinzu, »wenn er richtig geleitet wird, so wird bei dieser Gelegenheit eine neue gewaltige Macht zur Alliirten des Kaiserthums gemacht werden können.«

Der Kaiser sah ihn fragend an.

»Diese Macht, Sire,« sagte der Baron Jérome David, »ist die Marseillaise, die Marseillaise, Sire, welche man verboten hat, weil sie ein Gesang des Aufruhrs geworden, die man aber darum nicht aus dem Herzen der Franzosen hat reißen können. Würde man bewirken können, daß die Marseillaise aufhörte, ein Gesang der Revolution zu sein, daß sie das Kriegslied der französischen Nation würde, daß unter ihren Klängen die kaiserlichen Adler den Feinden entgegen getragen würden, so würde das Kaiserreich und Eurer Majestät Dynastie von dem zauberisch gewaltigen Hauch dieses großen Nationalhymnus auf eine vorher nie geahnte Höhe empor getragen werden. Eine französische Armee, Sire, welche unter den Klängen der Marseillaise ins Feld rückte, würde alle Combinationen des preußischen Generalstabs zertrümmern und die preußischen Landwehren in unaufhaltsamer Flucht vor sich her fegen.«

Die Kaiserin blickte gespannt auf ihren Gemahl.

Napoleon schüttelte langsam und schweigend das Haupt.

»Und wenn dann, Sire,« fuhr der Baron David fort, »die französische Armee siegreich zurückkehrte, so wäre der Revolution ihre Zauberformel genommen, und die Marseillaise würde aus einem wilden Revolutionsgesang ein kaiserlicher Siegeshymnus geworden sein.«

Abermals leuchteten die Augen des Kaisers auf, seine Brust dehnte sich mit einem tiefen Athemzug aus, und er sprach nach einem Augenblick:

»Wir debattiren da über den Krieg, zu dem es nicht kommen wird – zu dem es nicht kommen soll,« fügte er mit fester Stimme hinzu. »Doch in Ihrer Bemerkung, mein lieber Baron, liegt eine tiefe Wahrheit, und ich danke Ihnen für die Idee, welche Sie mir gegeben. Je mehr man in Frankreich an die Möglichkeit eines Krieges glaubt, um so höher wird der Triumph sein, wenn man ohne denselben dem Nationalgefühl volle Genugtuung schafft. Die Gelegenheit ist günstig, um die Zaubermacht der Marseillaise über die Franzosen, welche ich kenne und nach ihrem vollen Werth schätze, zu einer mächtigen Waffe des Kaiserreichs zu machen. Ich werde den Befehl geben, daß man die Marseillaise erlaubt, bewirken Sie, daß man sie singt, daß man sie in den Theatern verlangt – das Plebiscit, die Marseillaise und ein diplomatischer Erfolg gegen Preußen – das wird ein festes Fundament für den Thron Napoleon's IV – das wird die Krönung meines Gebäudes sein. Senden Sie also sogleich,« sagte er zum Herzog von Gramont gewendet, »den Befehl an Benedetti, die besprochene Erklärung vom Könige von Preußen zu erbitten, aber in der geschmeidigsten und sanftesten Form; er muß sie zu erreichen suchen, ohne daß man dort der Sache eine zu große Bedeutung beilegt. Er wird das können, wenn er den Schritt, den wir vom Könige von Preußen verlangen, demselben als eine Unterstützung darstellt, die er mir zur Beruhigung der öffentlichen Meinung gewährt – dann wird sich Alles leicht erledigen.«

Die Kaiserin trat leicht mit dem Fuß auf den Boden, ein Zug fast höhnischen Unmuths erschien auf ihrem Gesicht, dann aber lächelte sie wieder und lehnte sich schweigend in ihren Fauteuil zurück.

»Der Baron Werther kommt heute von Ems zurück, Sire,« sagte der Herzog von Gramont, »ich werde ihm, nachdem ich die Instructionen an Benedetti abgesendet, die Sache ganz in dem von Eurer Majestät gegebenen Sinn darstellen, und er wird gewiß dazu beitragen, die so wünschenswerthe, baldige und befriedigende Erledigung der Sache zu erreichen.«

»Thun Sie das, Herr Herzog,« sagte der Kaiser, »und vergessen Sie nicht, Benedetti die äußerste Vorsicht und die höflichste Geschmeidigkeit anzuempfehlen.«

»Und ich, Sire,« sagte der Baron Jérome David, »werde dafür sorgen, daß morgen in Paris die Marseillaise erklingt, – man wird sich in Berlin erinnern, daß es gefährlich ist, Frankreich entgegenzutreten, wenn dieses Lied über seinen Heeren schwebt, und wenn die Tricolore und die kaiserlichen Adler seinen Regimentern vorangetragen werden.«

Beide Herren verließen nach ehrerbietigem Gruß gegen die Majestäten das Cabinet.

»Nun,« sagte der Kaiser, indem er aufstand und sich lächelnd zur Kaiserin wandte, »Sie werden jetzt zufrieden sein, Eugenie, wir werden einen großen Triumph erleben, ohne uns der Gefahr eines Krieges auszusetzen, und Sie werden endlich die Genugthuung haben, die Politik dieses Grafen Bismarck ein wenig gedemüthigt zu sehen. Werden Sie heute Abend noch empfangen?«

»Nur meinen kleinen Cirkel,« antwortete die Kaiserin leicht hin und etwas zerstreut, als folge sie Gedanken, die unausgesprochen ihr Inneres erfüllten.

»Ich bin ermüdet,« sagte der Kaiser, »und bitte Sie, mich zu entschuldigen, ich möchte ein wenig meine Privatcorrespondenz ordnen, die ich in den letzten Tagen etwas vernachlässigt habe.«

Er küßte seiner Gemahlin die Hand und kehrte langsam in seine Gemächer zurück.

»Welche Schwäche, welche Unschlüssigkeit!« rief die Kaiserin, als sie allein war. »Er möchte die Früchte des Sieges genießen und will doch den Kampf nicht wagen. Nun,« fuhr sie mit flammendem Blick und einem stolzen, fast höhnischen Lächeln fort, »die Verhältnisse werden mächtiger sein, als er; sie werden ihn über den Rubicon drängen, den er nicht wie Cäsar zu überschreiten wagt. So sehr der König von Preußen auch den Frieden zu erhalten wünschen mag, seine Geduld wird sich endlich erschöpfen, wenn Forderung auf Forderung an ihn gestellt wird, und wenn man in Paris erst die Marseillaise singt, wenn die Presse und die Tribüne in immer steigendem Maß das Nationalgefühl erhitzen, so wird trotz aller Unschlüssigkeit der Krieg kommen – dieser Krieg, der mein Krieg ist, den man mir einst danken wird, der mich in den Augen von ganz Frankreich zur wahren Französin machen wird, der nothwendig ist, um meinem Sohn den Thron zu sichern, meinem Sohn, den ich hinaus senden werde, um auf den Schlachtfeldern gegenwärtig zu sein, – wo man ihn niemals gesehen hat, diesen anmaßenden Prinzen Napoleon, welcher es zu behaupten wagt, daß in den Adern seiner Nachkommenschaft allein das Blut des großen Kaisers fließe, und welcher so stolz darauf ist, daß seine Mutter und die Mutter seiner Kinder purpurgeborne Prinzessinnen waren. – Die Stunde der Entscheidung naht – sie wird den Sieg bringen – und dieser Sieg wird Mein sein!«

Sie stand noch einige Augenblicke schweigend, den strahlenden Blick aufwärts gerichtet, die schönen Züge verklärt von stolzer Zuversicht.

Dann bewegte sie die Glocke.

»Man soll den Thee serviren,« befahl sie dem Kammerdiener, »ich lasse meine Damen und die Herren vom Dienst bitten, einzutreten.«


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