Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Fünftes Capitel.

Fräulein Anna war in einem Sturm widersprechender Gefühle nach Hause zurückgekehrt, sie hatte in das Verhältniß zu ihrem Geliebten Licht und Klarheit bringen wollen, statt dessen war durch ein unglückseliges und verhängnißvolles Zusammentreffen der Umstände eine neue und noch größere Verwirrung entstanden.

Unmuthig warf sie ihren Hut von sich und riß hastig die Handschuhe von den zitternden Händen.

»Welch ein unglückseliges Zusammentreffen,« rief sie heftig, »ich hätte daran denken sollen. Aber wie ist es möglich, daß er mich nicht einmal anhören wollte. Einige Worte hätten Alles aufgeklärt. Es ist ja schon ganz widersinnig, daß er von einer so eifersüchtigen Leidenschaft erfaßt werden kann, nachdem ich ihm gestern geschrieben.«

Sie warf sich auf ihren Divan und blickte in rathloser Unschlüssigkeit zu der Decke des Zimmers empor. Sie zürnte sich selbst, sie zürnte ihrem Geliebten, der so hart und rücksichtslos ihr jede Erklärung abgeschnitten hatte, vor Allem aber zürnte sie dem Herrn von Rantow, welcher so unberufen und störend in ihre Combinationen eingegriffen hatte.

»Es ist unerhört,« rief sie, »wenn er mir zutrauen kann, daß ich mit dem jungen Baron in irgend welchen Beziehungen stände – aber,« fuhr sie fort, »sein Charakter ist so mißtrauisch, er ist so geneigt, Alles schwarz zu sehen. Es ist unmöglich, eine andere Erklärung für sein Benehmen zu finden. Was soll ich thun? – Ihm noch einmal schreiben? – Er würde mir nicht glauben! Er würde nicht noch einmal zu mir kommen, nachdem er im Stande gewesen, trotz meiner Bitte, trotz der Bekümmerniß und der Unruhe, die er in meinen Blicken hat lesen müssen, mir das Gehör zu versagen!

Er ist hart wie Stein,« rief sie, in heftiger Erregung die Bandschleifen ihres Kleides zerknitternd, »aber gerade darum liebe ich ihn! Er ist nicht wie all' die andern jungen Herren, die weich und elastisch wie Gummi sich hin und her ziehen lassen; hinter dieser harten Schale liegt ein edler und weicher Kern. Aber wie zu ihm gelangen? Wie den Weg finden zu diesem mit siebenfachem Erz umgürteten Herzen?«

Sie dachte lange nach. In fieberhafter Unruhe bildete sie Pläne auf Pläne, um sie alle wieder zu verwerfen.

»Es giebt nur einen Weg,« rief sie endlich mit festem entschlossenen Ton, »Licht in all dieses Dunkel zu bringen. Ich will mit meinem Vater sprechen. Er kann,« fügte sie unwillkürlich lächelnd hinzu, »meinen ernsten Bitten auf die Dauer nicht widerstehen. Er muß es übernehmen, diesem unerbittlichen Stolz Genugthuung zu geben. Er wird mir das Glück meines Lebens nicht versagen, wenn er sich auch mit anderen Plänen tragen sollte.«

Dieser Entschluß schien sie zu beruhigen; nachdem sie noch längere Zeit über die Ausführung desselben nachgedacht hatte, ging sie in den Salon ihrer Eltern, wo ihre Mutter sie bereits am Theetisch erwartete.

Die Frau Commerzienräthin ergriff abermals die Gelegenheit, ihrer Tochter eine kleine Vorlesung darüber zu halten, was sie der Stellung ihres Vaters schuldig sei, und wie sie ihrerseits stets daran denke, für sie eine passende Verbindung zu finden, so müsse auch Anna darauf bedacht sein, in ihrem Verkehr mit der jungen Herrenwelt nur solchen Personen eine Annäherung zu erlauben, welche durch ihr Vermögen und ihre gesellschaftliche Stellung im Stande wären, sich in die Reihe der Bewerber um die Tochter des großen Finanzmannes zu stellen, welcher bestimmt sei, noch weit höhere Stufen auf der Leiter der Gesellschaft zu ersteigen.

Fräulein Anna hörte schweigend die Auseinandersetzungen ihrer Mutter an, an welche sie sich seit einiger Zeit als etwas Unabänderliches gewöhnt hatte, und welche ihr, da sie darauf zu erwidern nicht für nöthig hielt, die erwünschte Gelegenheit gaben, ihren Gedanken nachzuhängen.

Dies tête-à-tête zwischen Tochter und Mutter hatte bereits längere Zeit gedauert, als der Commerzienrath in großer Aufregung in das Zimmer trat. Er vergaß, was er sonst stets mit einer etwas forcirten Galanterie zu thun pflegte, seiner Frau die Hand zu küssen, und beachtete auch den freundlichen Gruß seiner Tochter kaum, welche ihm entgegen gegangen war und ihm Hut und Stock abgenommen hatte. Er ging mit kurzen unruhigen Schritten auf und ab, bewegte die Hände in lebhaften Gesticulationen und flüsterte abgebrochene Worte vor sich hin.

Erstaunt sah ihm die Commerzienräthin eine Zeit lang zu, dann sagte sie in etwas vorwurfsvollem Ton, in dem sich jedoch ein Anklang unruhiger Besorgniß beimischte:

»Du scheinst unsere Gesellschaft nicht zu beachten und vollständig in Deinen geschäftlichen Combinationen vertieft zu sein. Vielleicht wäre es besser, die Berechnungen über Deine Geschäfte in Deinem Zimmer vorzunehmen und hier Dich ein wenig der Unterhaltung mit Deiner Familie zu widmen – oder,« fuhr sie fort, »hast Du so peinliche und unangenehme Nachrichten erhalten, daß Dich ernste Sorgen selbst hierher verfolgen?«

»Es ist unerhört,« sprach der Commerzienrath halb zu sich selber, »es ist eine sehr unangenehme Geschichte, – es waren noch verschiedene Personen dabei; morgen wird vielleicht ganz Berlin davon sprechen! Was kann man thun? Wie kann man dem Scandal vorbeugen?«

»Aber ich bitte Dich,« sagte die Commerzienräthin, welche jetzt ernstlich beunruhigt zu sein schien, »so sage uns doch endlich, was Dich so aufregt – wovon kann morgen ganz Berlin sprechen? Deine Unternehmungen und Deine financielle Stellung sind doch nicht auf den Zufall begründet? Es kann doch keine Katastrophe Dein Haus und Dein Geschäft vernichtend treffen?«

»Haus und Geschäft,« rief der Commerzienrath achselzuckend, indem er noch immer unruhig und hastig auf- und niederschritt, »das kommt nicht in Betracht – aber meine gesellschaftliche Stellung, der Name meiner Tochter – was wird man dazu sagen? Wie werden alle meine Feinde mich verhöhnen!«

Jetzt wurde auch Fräulein Anna aufmerksam.

»Du hast von mir gesprochen, lieber Papa,« sagte sie. »Ich bitte Dich, was giebt es – so erzähle uns doch.«

»Ich muß Dich jetzt sehr ernstlich bitten,« sagte die Commerzienräthin im strengen Ton, »uns mitzutheilen, was Dich so sehr in Unruhe versetzt, denn nach Deinen letzten Worten geht es mich doch ebenso sehr an als Dich, ja vielleicht mehr, denn unsere gesellschaftliche Stellung aufrecht zu erhalten,« sagte sie, den Kopf erhebend, »und über den Ruf meiner Tochter zu wachen, das ist doch vorzugsweise meine Aufgabe.«

»Was es giebt,« rief der Commerzienrath, indem er an den Theetisch herantrat, – »etwas sehr Unangenehmes, etwas sehr Böses, meine Tochter ist beleidigt, – öffentlich beleidigt, verhöhnt im Restaurationszimmer bei Borchard vor einer Menge von Officieren, vor verschiedenen unbekannten Herren, welche die Geschichte natürlich so schnell als möglich weiter tragen werden. Wie werden alle meine Feinde triumphiren, welche mich schon so lange beneidet haben und gewiß so sehnlich wünschen, endlich einmal Gelegenheit zu finden, um sich an mir rächen zu können.«

»Was ist geschehen,« fragte jetzt auch Fräulein Anna ernst und dringend, »wer hat mich beleidigt und wie? Ich muß es wissen.«

»Wer?« sagte der Commerzienrath, »Du wirst ihn kaum kennen, ein ganz unbedeutender, junger Officier von irgend einem Linienregiment, dem ich die Ehre erwiesen habe, ihn in mein Haus einzuladen, eigentlich nur, weil ich ihn bei meinem Freunde, dem Baron von Rantow, einmal begegnete, ein kleiner Lieutenant von Büchenfeld.«

Anna wurde bleich wie der Tod, ihre großen Augen starrten mit entsetztem Ausdruck auf ihren Vater. Sie stützte die Hand auf den Tisch, ihre ganze Gestalt schwankte unsicher hin und her.

»Lieutenant von Büchenfeld,« sprach sie leise mit fast tonloser Stimme, während ihre Mutter einen schnellen forschenden Blick auf sie warf, indem ein leichtes höhnisches Lächeln um ihren hochmüthig aufgeworfenen Mund zuckte.

»Er war,« sprach der Commerzienrath eifrig, – »Du mußt es ja doch wissen, damit Du danach Dein Benehmen einrichten kannst, – er war in Gesellschaft mehrerer Officiere und schien mir schon, als ich in das Zimmer trat und von Jenen unbemerkt in der Nähe an einem Tische Platz nahm, um eine kleine Erfrischung zu mir zu nehmen, sehr aufgeregt, – die Herren mochten wohl schon lange bei einander gesessen und viel getrunken haben. Der junge Herr von Rantow kam ebenfalls zu ihnen, und es fielen zwischen ihm und Herrn von Büchenfeld einige anzügliche Redensarten von Nebenbuhlerschaft, von einer Dame und so weiter, auf die ich nicht besonders Acht gab. Der Lieutenant von Büchenfeld machte einige sehr wegwerfende Bemerkungen über die fragliche Dame und sagte, er würde ihre Liebe im Ecarté gegen einen Louisd'or versetzen. Die heitere Gesellschaft griff diesen Gedanken auf, man brachte Karten, Herr von Rantow, der ein vortrefflicher Cavalier ist, gab sich die größte Mühe, das Spiel zu verhindern und schien nur darauf einzugehen, um in der sehr erregten Gesellschaft nicht noch größeren Eclat herbeizuführen. Herr von Büchenfeld, welcher kaum noch seiner Sinne mächtig schien, verspielte das Recht seiner Bewerbung um die fragliche Dame gegen hundert Louisd'or, – ich ahnte noch immer nichts Böses, – dann warf er die Karten mit den lauten Worten hin: – Du hast das schöne Fräulein Cohnheim gewonnen, ich wünsche Dir Glück dazu, aber der Einsatz ist zu hoch, ich kann ihn nicht annehmen. – Ich war wie vom Schlage getroffen, ich wußte kaum, was ich sagen und was ich thun sollte, nur mit Mühe behielt ich die Fassung, um mit einigem Anstand das Zimmer zu verlassen.«

Anna schwankte wie gebrochen zu einem Sessel und sank auf denselben nieder, das Gesicht mit den Händen bedeckend und krampfhaft schluchzend. Der Commerzienrath eilte zu ihr hin und streichelte mit besorgter Miene ihr schönes glänzendes Haar.

»Ja, es ist schrecklich, mein armes Kind, so ganz unschuldig beleidigt und gekränkt zu werden. Aber tröste Dich, rege Dich nicht zu sehr auf. Verschweigen konnte ich es ihr ja doch nicht,« sagte er, zu seiner Frau gewendet, »sie mußte es ja doch erfahren.«

»Das kommt davon,« sagte die Commerzienräthin, indem sie mit kaltem strengem Blick zu ihrer Tochter hinübersah, »wenn man nicht vorsichtig in der Auswahl der Personen ist, die man in seiner Gesellschaft zuläßt, – der Lieutenant von Büchenfeld, glaube ich, war der junge, mir unbekannte Officier, mit welchem Du neulich den Cotillon tanztest, den Du Herrn von Rantow abgeschlagen hattest, das kommt davon; solche Leute setzen sich dann Dinge in den Kopf, fassen Hoffnungen, und da ihnen der Takt der vornehmen Gesellschaft mangelt, so begehen sie schließlich irgend eine Niedrigkeit zum Dank für Wohlwollen und Freundlichkeit.«

»O, wie wäre es möglich gewesen,« rief Fräulein Anna, ohne die Worte ihrer Mutter zu beachten und nur mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, »wie wäre es möglich gewesen, so Etwas zu denken, an eine solche Schlechtigkeit und Erbärmlichkeit zu glauben, – und das, nachdem –« sie bedeckte abermals das Gesicht mit den Händen und sank still weinend in sich zusammen.

»Nun, mein Kind,« sagte der alte Commerzienrath, den die heftige Erregung seiner Tochter tief zu beunruhigen begann, »so übermäßig ernsthaft muß man die Sache auch nicht nehmen. Es läßt sich immer noch ein Weg finden, das Alles auszugleichen, und vielleicht ein sehr guter, ein sehr ehrenvoller Weg. Ich bin,« fuhr er fort, »mit dem Herrn von Rantow nach Hause gegangen, welcher mir gleich nachfolgte, als ich das Lokal verlassen hatte. Wir haben ein sehr ernstes Gespräch mit einander geführt, das sich auf den Fall bezog, und das ich Dir eigentlich erst morgen mittheilen wollte,« sprach er weiter, – »indeß, da ich mich nun einmal habe hinreißen lassen, die ganze Sache zu erzählen, so ist es besser, wenn wir darüber auch heute gleich sprechen.«

Fräulein Anna blickte erwartungsvoll ihren Vater an, der einige Male rasch im Zimmer auf- und niederging; dann vor einem Tische stehen bleibend und mit einem schnellen Seitenblicke auf seine Frau, welche sich in einen Lehnstuhl gesetzt hatte und grade aufgerichtet, mit strenger Miene die weitere Entwickelung dieser Scene erwartete, begann er, eine gewisse würdevolle Wichtigkeit in seinen Ton legend:

»Der junge Herr von Rantow, der ein ganz vortrefflicher Cavalier ist, und der ganz genau weiß, was in der großen Welt und in der feinsten Gesellschaft sich schickt und paßt –«

»Besser als andere Leute,« fiel die Commerzienräthin ein, »welche sich in die Gesellschaft eindrängen, und welche man nie hätte aufnehmen sollen –«

»Der Herr von Rantow,« fuhr der Commerzienrath fort, indem er die Brust hervorstreckte und versuchte, durch einen imponirenden Blick die Zwischenreden seiner Frau abzuschneiden, »hat mir gesagt, wie leid es ihm thäte, daß diese Scene stattgefunden habe, – er habe alles Mögliche gethan, um sie zu vermeiden, und habe es schließlich für das Beste gehalten, auf den Scherz der aufgeregten Gesellschaft einzugehen, um so schnell als möglich von der ganzen Sache abzukommen. Er habe natürlich nicht im Entferntesten ahnen können, daß der Herr von Büchenfeld in so unglaublicher Weise den Namen einer Dame unter solchen Umgebungen und solchen Verhältnissen nennen würde. Nachdem das vorgefallen, hat er mir gesagt,« fuhr der Commerzienrath mit etwas gedämpfter Stimme fort, »werde ihm Nichts übrig bleiben können, als für die Ehre der Dame, die in seiner Gegenwart und in Beziehungen auf ihn so unerhört beleidigt sei, persönlich einzutreten.«

Die Commerzienräthin lehnte sich steif zurück, indem ein befriedigtes Lächeln auf ihrem Gesicht erschien.

Anna richtete flammenden Blickes den Kopf empor.

»Warum bedarf es eines fremden Armes, um uns zu vertheidigen, – oh,« fuhr sie fort, indem ihre Lippen bebten und ihre Hände sich krampfhaft verschlangen, »warum ist man wehrlos gegen solche Niedrigkeit und Erbärmlichkeit?«

»Du bist nicht wehrlos, mein Kind,« sagte der Commerzienrath, indem er zu ihr herantrat und ihr leicht mit der Hand über den Kopf strich, »der junge Herr von Rantow wird morgen schon, wenn dieser Lieutenant von Büchenfeld wieder für vernünftige Worte zugänglich ist, ihn zu einer öffentlichen und bestimmten Ehrenerklärung auffordern, und, wenn er sich weigert, so wird er ihn zwingen,« sagte er mit stolzem und wichtigem Ausdruck, »ihm mit den Waffen in der Hand Rechenschaft zu geben.«

»Damit er womöglich noch verwundet oder erschossen wird,« rief Fräulein Anna, verächtlich die Achseln zuckend, »und ich noch mehr der Gegenstand des öffentlichen Gespräches und des öffentlichen Spottes werde.«

»Des Spottes niemals, mein Kind,« sagte die Commerzienräthin mit einem ruhigen kalten Ton, »wenn ein Cavalier wie Herr von Rantow zu Deiner Vertheidigung auftritt, so wird es Niemand wagen, Dich zu verspotten.«

»Nun,« rief Anna, »mag es sein, wie es will, ich bin Herrn von Rantow dankbar, daß er mich in Schutz nimmt gegen diese elende, niedrige Beleidigung, ich bin, weiß Gott, unschuldig an dem, was daraus entstehen kann.«

»Herr von Rantow hat sich benommen als ein ganz vortrefflicher junger Mann von der besten Erziehung und dem feinsten Gefühl. Er hat mir weiter gesagt, daß es für eine junge Dame immer peinlich sei und unangenehm, wenn zwei Herren ihretwegen eine Ehrensache miteinander hätten, und wenn sie namentlich von Jemand vertheidigt werden müßte, der in keinen weiteren Beziehungen zu ihr stände – das brächte sie immer in eine schiefe Stellung dem Publikum gegenüber und gebe Anlaß zu allen möglichen Voraussetzungen und Gesprächen. Er habe nun, – hat er mir weiter gesagt, – schon seit längerer Zeit den Wunsch in sich getragen, in nähere Beziehung mit meiner Familie zu treten, nachdem sein Vater mit mir so nahe geschäftliche Verbindungen eingegangen sei und unsere Interessen auf Jahre hinaus sich verbunden hätten. Er habe Dir, mein Kind, aber erst Gelegenheit geben wollen, ihn genauer kennen zu lernen, bevor er es habe wagen wollen, bei mir um Deine Hand anzuhalten. Dieses zufällige und plötzliche, so unangenehme Ereigniß aber mache ihm den Muth und lege ihm fast die Pflicht auf, jetzt mit seinen Wünschen hervorzutreten. Man werde über die Sache viel sprechen und wenn er zu einem Rencontre mit Herrn von Büchenfeld gezwungen werden sollte, so werde die Welt seinen Namen ohnehin mit dem Deinigen in Verbindung bringen. Wenn Du deshalb nach Deiner kurzen Bekanntschaft mit ihm Dich entschließen könntest, ihm Dein Leben und Deine Zukunft anzuvertrauen, so glaubt er, daß Alles sich besser gestalten und allen peinlichen Erörterungen die Spitze abgebrochen werden könne, da er dann auch vollkommen berufen und berechtigt sei, für Dich gegen Deinen Beleidiger aufzutreten.«

»Der junge Mann,« sagte die Commerzienräthin, »hat wirklich ein feines und richtiges Gefühl, und ich theile ganz seine Ansicht, daß unter diesen Verhältnissen eine schnelle Erledigung einer Sache, die uns ja nicht ganz unerwartet kommt, am besten sei.«

»Das ist ja ganz wie in alten Ritterromanen,« sagte Anna mit schneidendem Hohn, »der Baron von Rantow will sich seine Dame mit dem Degen in der Hand erobern – aber« fuhr sie fort »das ist doch wenigstens ritterlicher Sinn, wenigstens ist es wahrlich besser, als auf so plumpe Weise ein wehrloses Mädchen zu beleidigen. Wenn Herr von Rantow diesen Preis für seine Vertheidigung verlangt, – so soll er ihn haben – er ist ja eine vortreffliche Partie« fuhr sie bitter fort, »und ich muß ja glücklich sein, daß ich aus dieser ganzen traurigen Geschichte noch mit einem so guten Abschluß davon komme. Sage dem Baron,« sprach sie in kaltem Ton zu ihrem Vater gewendet, »daß ich seine Bewerbung annehme, da er so muthig und selbstverleugnend meine Vertheidigung übernommen hat.«

Mit befriedigtem Ausdruck neigte die Commerzienräthin den Kopf.

Herr Cohnheim eilte auf seine Tochter zu und küßte sie zärtlich auf die Stirn. Anna stand auf.

»Doch muß ich,« sprach sie, »bitten, daß er mich einige Tage von seinen Besuchen dispensirt. Diese ganze Sache hat mich natürlich angegriffen und aufgeregt, und ich wünsche, mich zu sammeln. Auch bin ich nicht im Stande ihn zu sehen, bevor diese Angelegenheit mit Herrn von Büchenfeld« – sie sprach diesen Namen mit unendlicher Verachtung aus – »geordnet ist, ich kann doch unmöglich meinen künftigen Gemahl selbst in den Kampf mit seinem Gegner schicken.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ sie schnell das Zimmer.

»Ich bin sehr erfreut,« sagte die Commerzienräthin, »daß diese so äußerst unangenehme Sache doch einen so befriedigenden Ausgang nimmt. Ich fürchtete schon, daß die romantischen Grillen, zu welchen Anna so viel Neigung zeigt, unsern Plänen Schwierigkeiten entgegenstellen würden. So wird sich ja aber Alles ganz vortrefflich ordnen, und wenn sie, wie ich einen Augenblick besorgte, eine thörichte Neigung für diesen jungen unbedeutenden Officier gehabt haben sollte, so ist ja jetzt Alles auf's Beste geordnet. Hoffentlich wird auch die Affaire keine ernsten Folgen haben,« fügte sie nachlässig hinzu.

»So etwas kommt ja so oft zwischen diesen jungen Herren vor,« sagte der Commerzienrath, »und wie selten hört man, daß es wirklich lebensgefährlich wird. Es läßt sich ja auch jetzt gar nicht ändern, und wir müssen das Beste hoffen. Ich glaube übrigens nicht,« fügte er hinzu, »daß dieser junge Büchenfeld es wirklich zum Äußersten kommen lassen wird. Die anderen Officiere schienen mir ebenfalls durch sein Betragen sehr unangenehm berührt, ich glaube, daß die Sache mit einer Ehrenerklärung erledigt werden wird – der alte Herr von Rantow ist, so viel ich weiß, ein Freund von dem Vater des Lieutenants und wird ebenfalls darauf hinwirken können. Damit ist ja denn Alles gut, und alle boshaften Gespräche über uns und unsere Tochter, welche dieser Vorfall hervorrufen wird, werden auf der Stelle niederschlagen, wenn wir ihre Verlobung mit Herrn von Rantow sogleich proclamiren.«

Er setzte sich behaglich in seinen Lehnstuhl und nahm eine Tasse Thee.

Noch lange saß das Ehepaar beisammen, Pläne für die Zukunft besprechend, welche sich durch die Verbindung mit dem vornehmen Hause so glänzend gestalten würden.

Fräulein Anna war ruhig und gefaßt in ihr Zimmer gegangen, als sie die Thür hinter sich geschlossen, sank sie wie gebrochen in sich zusammen, – lange stand sie schweigend, die Hände in einander gefaltet, die Blicke starr auf den Boden geheftet.

»Wie schnell,« sprach sie mit dumpfer Stimme, »sind die Träume verflogen, die mich hier gestern noch so süß umgaukelten, wie schnell sind all die Liebesblüthen meines Herzens geknickt, aus denen ich einen reichen Kranz für mein Leben zu winden hoffte.«

Sie blickte um sich her, als ob ihr der gewohnte Raum, in dem sie sich befand, fremd sei, als ob sie ihre Gedanken sammeln müsse, um sich klar zu werden, wo sie sich befände, und was mit ihr vorgegangen sei. Dann zuckte wieder glühender Zorn über ihr Gesicht.

»Oh, daß es so enden muß! Hätte ich ihn verloren, hätte sich selbst seine Liebe von mir abgewendet, es wäre ein edler Schmerz gewesen, ein Schmerz, der die Seele hätte beugen, aber nicht erniedrigen können. Aber das Bewußtsein, daß ich das edelste und reinste Gefühl meines Herzens unwürdig weggeworfen habe, daß ich der Gegenstand des Spottes, des Hohnes, der Verachtung habe sein können, – und warum?« – rief sie, die Hände ringend, – »weil ich einen Schritt gethan habe, der nicht gewöhnlich ist, weil ich mich vor seinem Stolz habe demüthigen wollen, weil ich geglaubt habe, daß er einen solchen Schritt verstehen und würdigen könne. Oh, das ist hart, sehr hart! Ich kann alle meine Hoffnungen auf Lebensglück vergessen, ich werde es zu tragen wissen, wie so viele Frauen eine glänzende Existenz führen, beneidet von der Menge, aber kalt und öde in ihrem Innern. Aber das werde ich nie überwinden, daß meine Liebe verachtet, verhöhnt und mit Füßen getreten ist, daß Der, dem ich den letzten Tropfen meines Blutes hätte opfern mögen, mich öffentlich hat beleidigen können zum Ergötzen seiner Kameraden in ihrer Weinlaune.«

Mit einer raschen Bewegung trat sie an einen kleinen Tisch von antik geschnitztem Eichenholz und öffnete mit einem zierlichen goldenen Schlüssel, den sie an ihrer venetianischen Uhrkette trug, eine mit Elfenbein und Gold incrustrirte Cassette.

»Da liegen die Reliquien meiner Träume,« sprach sie mit dumpfem traurigem Ton, aus ihren großem brennenden Augen fiel eine Thräne auf den Inhalt des kleinen Kästchens.

»Hier ist das erste Bouquet, das er mir gegeben,« sagte sie leise, indem sie einen kleinen vertrockneten Blumenstrauß emporhob, »vertrocknet wie diese Blumen sind meine Gefühle, welche gestern noch so schön und hoffnungsreich erblühten, – wie oft haben meine Lippen auf diesen Blumen geruht! Vorbei! Vorbei!«

Und wie vor der Berührung des kleinen Bouquets zurückschaudernd, warf sie dasselbe mit einer raschen Wendung in den Kamin, dessen Feuer langsam in Kohlengluth zusammenzusinken begann. Die trockenen Blumen flammten hoch auf und blieben dann als ein Häuflein dunkler Asche auf den glühenden Kohlen liegen.

Sie preßte die Hände auf ihr Herz und sah starr diesem Zerstörungswerk zu. Dann nahm sie den ganzen übrigen Inhalt der Cassette, ebenfalls kleine Bouquets, mehr oder weniger verwelkt, verschiedene andere Cotillongeschenke und warf Alles in die Gluth, welche einen Augenblick aufflackernd, mit hellem Schein das Zimmer erhellte.

»Die Vergangenheit ist vorbei,« sagte sie schmerzlich, »meine Zukunft wird wie diese Kohlen mehr und mehr Licht und Wärme verlieren, bis endlich Alles in todte Asche zusammensinkt. Oh, könnte ich mein Herz ebenfalls zu Asche werden lassen! Aber wenn auch seine Liebe gestorben ist, für das Leiden wird es immer noch Gefühle der Empfindung behalten.«

Sie sank auf ihren Divan nieder, drückte den Kopf in die Hände, und ihr starrer Jammer löste sich in einem Strom wohltätiger Thränen. –

– Auch der Lieutenant von Büchenfeld hatte fast in starrer Bewußtlosigkeit die Nacht zugebracht. Seine heftige, innere Erregung, die unnatürliche Spannung aller seiner Gefühle, und die Wirkung des schweren Weines hatten ihn bis zum Morgen in einem Zustand gehalten, welcher weder Schlaf noch Wachen war, und in welchem die Bilder der Erinnerungen wild durch einander wogten, ohne sich selbst auch nur in den unklaren Gestalten des Traumes festhalten zu lassen.

Langsam erwachte er aus diesem lethargischen Zustande am andern Morgen, und allmälig begann es ihm mehr und mehr klar zu werden, was am Tage vorher mit ihm vorgegangen. Das erste Gefühl, dessen er sich vollkommen bewußt wurde, war ein tiefer, bitterer Schmerz über die Täuschung seiner Liebe, welche trotz seines lange gefaßten Entschlusses gestern bei der Botschaft seiner Geliebten wieder einen Augenblick mit frischen Hoffnungen sich bekränzt hatte.

»Warum hat sie mir nicht gleich Alles geschrieben,« flüsterte er, ohne von seinem Lager sich zu erheben – »oder warum ist sie nicht allein gekommen, warum hat sie mir in Gegenwart des Mannes, dem sie das Andenken an mich geopfert, den Abschied geben wollen? Sollte das eine absichtliche Kränkung, ein absichtlicher Hohn sein, oder bin ich ihr so gleichgültig gewesen, daß sie nach der Kälte ihrer Gefühle die meinigen bemessen hat?«

Lange lag er schweigend da unter dem Eindruck dieses schmerzlichen Gedankens, dann tauchte die Erinnerung der weiteren Ereignisse des Tages deutlicher in ihm auf. Er entsann sich des Spiels, das er gemacht, er entsann sich, daß er den Namen des Fräulein Cohnheim laut und mit bitteren Bemerkungen genannt habe. Ein Gefühl der Scham und Reue überkam ihn.

»Das war nicht würdig, nicht männlich, nicht edel!« rief er, indem er sich auf sein Lager aufsetzte und mit beiden Händen seinen schmerzenden Kopf hielt. »Das hätte ich nicht thun müssen, ich hätte in meiner heftigen Erregung die Gesellschaft fliehen und Nichts trinken dürfen. – Oh,« rief er nach einer Pause, »welch' ein elendes, jämmerliches Ding ist diese so viel gepriesene Liebe! Erst läßt sie so schwer und so bitter leiden, und dann treibt sie zu unwürdigen, zu niedrigen Handlungen. Oh, ich schwöre es,« rief er die Hand erhebend, »ich schwöre, daß ich dieses Gefühl fliehen will wie die Sünde, und daß nie wieder das Bild eines Weibes mein Herz erfüllen soll! Ich will frei sein, stark und ruhig und meiner würdig bleiben!«

Der alte Diener trat ein und meldete, daß das Frühstück im Zimmer des Oberstlieutenants bereit sei, zugleich zeigte er dem Lieutenant an, daß zwei Officiere ihn zu sprechen wünschten und ihn bei seinem Vater erwarteten.

Der Lieutenant sprang empor, kühlte seinen brennenden Kopf mit frischem Wasser und machte in hastiger Eile seine Toilette.

Als er in das Zimmer seines Vaters trat, welcher ihn bereits völlig angekleidet, frisch und munter erwartete, fand er dort die beiden Officiere von den Dragonern und den Husaren, welche Zeugen des gestrigen Abends gewesen waren, in ruhiger Unterhaltung mit dem alten Herrn begriffen.

Beide Officiere traten dem Lieutenant nicht mit der sonst gewohnten herzlichen Unbefangenheit und Vertraulichkeit entgegen, sondern begrüßten ihn mit einer gewissen kalten und gezwungenen Höflichkeit.

»Du hast lange geschlafen,« sagte der Oberstlieutenant heiter, »es war wohl eine scharfe Sitzung gestern Abend, – die Herren hier sind ja auch dabei gewesen, aber das hat sie nicht verhindert, schon frühe auf zu sein. Das ist Recht, man muß sich niemals aus der Ordnung bringen lassen, und fast muß ich mich meines Sohnes schämen, daß er ein solcher Weichling ist, der am andern Morgen noch spürt, wenn er am Abend vorher ein paar Flaschen den Hals gebrochen. Habt Ihr etwa heute Morgen schon wieder eine Partie vor?« fragte er, den Schnurrbart drehend, »damit würde ich nicht einverstanden sein, – erst der Dienst und dann das Vergnügen.«

Die beiden Officiere standen in einiger Verlegenheit schweigend da.

»Wir haben mit Dir zu sprechen,« sagte der Dragoner mit einem Seitenblick auf den alten Herrn, »und möchten es sogleich.«

»Geniren Sie sich nicht vor mir,« sagte der Oberstlieutenant mit heiterm Lächeln, »ich bin nicht mehr im Dienst, ich bin ja nur ein alter gutmüthiger Herr,« fügte er mit einem leichten Anflug von Wehmuth hinzu, »der auch jung war und weiß, was man in der Jugend treibt.«

»Wir möchten aber,« sagte der Husarenofficier – »Dich einen Augenblick allein sprechen. Es handelt sich um eine Ehrensache,« fügte er mit gedämpftem Ton hinzu, doch nicht so leise, daß es der Oberstlieutenant nicht verstanden.

Der alte Herr wurde ernst, warf einen forschenden Blick auf seinen Sohn und die beiden Officiere und sagte dann:

»Ich lasse Dich mit den Herren einen Augenblick allein.«

»Halt, lieber Vater,« rief der Lieutenant von Büchenfeld, »ich bitte Dich, zu bleiben. Ihr erlaubt,« sagte er, »daß ich Euch bitte, vor meinem Vater zu sprechen. Er ist Officier wie wir, und ich weiß kein kompetenteres Urtheil in allen Ehrensachen, als das seinige. Er wird es mir nicht abschlagen, vorläufig mein Zeuge zu sein und sein Urtheil darüber abzugeben, was ich zu thun habe.«

Die beiden Officiere grüßten den Oberstlieutenant militairisch.

»Es wird uns eine große Ehre sein,« sagte der Husar, »wenn der Herr Oberstlieutenant als Dein Zeuge unsere Erklärung mit anhören will.«

Der alte Herr bat die Officiere mit einer stummen Handbewegung Platz zu nehmen und setzte sich dann grade und aufrecht neben seinen Sohn.

»Ich bitte Sie also, meine Herren,« sagte er mit ernster, fast feierlicher Stimme, »zu sagen, um was es sich handelt.«

Der Dragonerofficier erzählte mit kurzen Worten den Vorgang, welcher am Abend vorher in dem Restaurationslokal von Borchard stattgefunden hatte.

Schweigend hörte der Oberstlieutenant zu, finstere Falten legten sich auf seine Stirn.

»Hat sich der Fall so zugetragen, wie die Herren erzählen? Erinnerst Du Dich, gethan und gesprochen zu haben, was sie so eben mittheilen?«

»Ja,« sagte der Lieutenant.

Sein Vater schüttelte langsam den Kopf.

»Der Referendarius von Rantow«, fuhr der Dragonerofficier zu dem Lieutenant von Büchenfeld gewendet fort, »hat uns als Augenzeugen des Vorfalls aufgetragen, von Dir eine bündige Ehrenerklärung zu verlangen.« –

Eine dunkle Röthe flammte auf dem Gesicht des Lieutenants auf, sein Auge blickte stolz zu seinen Kameraden hinüber, seine Lippen zuckten höhnisch. – »Oder wenn Du dieselbe verweigerst,« – sprach der Dragonerofficier weiter, – »Dir seine Forderung auf fünf Schritt Barriere mit gezogenen Pistolen zu überbringen.«

»Angenommen,« sagte der Lieutenant, »ich werde in einer Stunde meine Secundanten zu Euch senden.«

Die Officiere erhoben sich und wollten grüßend das Zimmer verlassen. Der Oberstlieutenant trat ihnen in den Weg.

»Ich bitte Sie, einen Augenblick zu bleiben, meine Herren,« sagte er. »Mein Sohn hat gewünscht, daß ich sein vorläufiger Zeuge in dieser Sache sei, und Sie haben mich als solchen angenommen. Nicht nur in dieser Eigenschaft, sondern auch als sein Vater muß ich darauf sehen, daß Alles genau so zugehe, wie es seine Ehre als Officier und als Träger meines Namens erfordert. Sie erlauben daher, daß ich meine Meinung ausspreche.«

Die beiden Herren verneigten sich schweigend.

Der Lieutenant sah seinen Vater etwas erstaunt und erwartungsvoll an. Dieser richtete ernst und streng seinen Blick auf ihn und sprach: »Hat die junge Dame, um welche es sich handelt, Dir jemals durch ihr Benehmen gegen Dich irgend welche Veranlassung gegeben, in solchem Ton, wie Du es gethan, von ihr zu sprechen? Bist Du berechtigt, ihr irgend einen Vorwurf zu machen?«

Der Lieutenant wurde bleich, im heftigen inneren Kampf preßte er die Lippen aufeinander, sein Auge senkte sich zu Boden, einige Augenblicke stand er schweigend, ein leises Beben erschütterte seine Gestalt, dann schlug er den Blick zu seinem Vater wieder auf, er schien seiner kämpfenden Gefühle Herr geworden zu sein und mit fester entschlossener Stimme sagte er: »Nein, niemals!«

»Dann,« sagte sein Vater, »ist es Deine Pflicht als Ehrenmann, die Erklärung zu geben, welche man von Dir verlangt, insofern die Ausdrücke derselben Nichts gegen Deine eigene Ehre enthalten. Wenn Du,« fuhr er fort, »was ich tief beklage, Dich hast hinreißen lassen, eine Dame, der Du keinen Vorwurf zu machen hast, öffentlich zu beleidigen, so hast Du nicht das Recht, ihrem Ruf durch den Eclat eines Duells noch mehr zu nahe zu treten, Du hast nicht das Recht, Demjenigen das Leben zu nehmen, der berechtigt ist oder sich verpflichtet fühlt, als der Vertheidiger jener Dame aufzutreten.«

»Herr von Rantow ist der Verlobte des Fräulein Cohnheim,« sagte der Dragonerofficier, »also ihr natürlicher und berufener Vertheidiger.«

»Um so weniger,« sagte der alte Herr, während der Lieutenant abermals tief erbleichend die Hand einen Augenblick auf sein Herz drückte, »darf diese Sache ernste und gefährliche Folgen haben. Hätte die Dame Dir jemals einen Grund zu Deinen Äußerungen gegeben, so wärst Du berechtigt, die Waffen zu ergreifen gegen Denjenigen, der von Dir Rechenschaft darüber fordert – so aber darfst Du es nicht, Du bist verpflichtet, durch Deine eigene Erklärung die Beleidigung zurückzunehmen – um so mehr,« sagte er mit ernstem Blick auf seinen Sohn, »da man eigentlich niemals das Recht hat, eine Dame zu beleidigen. Du bist frei,« fuhr er fort, »Du bist erwachsen, Du bist Officier, Du wirst thun, was Du verantworten kannst. Ich aber sage Dir als Dein Vater, als Edelmann und Officier, der stets auf das schärfste die feinsten Grenzen der Ehre beobachtet hat, daß Du nach meiner innigsten Überzeugung verpflichtet bist, die verlangte Ehrenerklärung zu geben.«

»Wir haben dieselbe aufgeschrieben,« sagte der Dragoner, indem er ein Blatt Papier aus der Uniform hervorzog und es dem Lieutenant übergab.

Dieser reichte es schweigend, ohne einen Blick darauf zu werfen, seinem Vater.

Der Oberstlieutenant überlas das Blatt langsam und sorgfältig mehrere Male; dann reichte er es seinem Sohn zurück.

»Diese Erklärung ist in würdiger Form abgefaßt,« sagte er, »sie enthält nur dasselbe Anerkenntniß, das Du so eben vor mir und vor diesen Herren ausgesprochen hast und spricht das Bedauern aus, daß Du in der Erregung in einer bewegten Gesellschaft Dich zu Deinen Äußerungen hast hinreißen lassen. Du kannst dieselbe unterzeichnen, – nach meiner Überzeugung mußt Du sie unterzeichnen. Ich hoffe, daß die beiden Herren meiner Meinung sein werden.«

»Es ist eigentlich nicht unsere Sache,« erwiderte der Dragonerofficier, »hier eine solche Meinung auszusprechen oder zu discutiren, indessen nehme ich in diesem besonderen Fall keinen Anstand, es auszusprechen, daß nach meiner Überzeugung durch die Unterzeichnung dieser Erklärung die Sache auf eine für alle Theile befriedigende und ehrenvolle Weise beigelegt sein wird.«

Der Husarenofficier stimmte der Ansicht seines Kameraden bei.

»Ich werde unterzeichnen,« sagte der Lieutenant von Büchenfeld, nahm das Papier und begab sich in sein Zimmer.

»Ob ich ihr einen Vorwurf zu machen habe,« flüsterte er vor sich hin, während er sich an seinen Schreibtisch setzte und die Feder eintauchte, – »oh, wenn er wüßte,« – ein schneller zorniger Blick leuchtete in seinem Auge auf, rasch öffnete er das Schubfach des Tisches und zog aus demselben das kleine Blatt hervor, welches er am Tage vorher von Fräulein Anna erhalten hatte.

Mit einem raschen Zuge setzte er seinen Namen unter die Ehrenerklärung, faltete dieselbe zusammen, legte das Billet dazu und erhob sich, in das Zimmer seines Vaters zurückkehrend.

»Nein,« sagte er dann, indem er plötzlich sinnend stehen blieb – »das wäre unedel, – mag sie ruhig ihrer Wege gehen, sie ist todt für mich, meine Augen werden sie nie wieder sehen, und mein Herz wird das Leid vergessen, das sie mir angethan.«

Er nahm das kleine Billet, riß es in tausend kleine Stücke und streute dieselben in die Luft, dann kehrte er ruhigen festen Schrittes in das Zimmer seines Vaters zurück und übergab das Papier den beiden Officieren.

»Gott sei Dank,« sagte der Dragoner, indem er dem Lieutenant von Büchenfeld herzlich die Hand schüttelte, »daß die Sache so gut zu Ende geführt ist. Ich habe sonst Nichts gegen einen kleinen Kugelwechsel, wenn ein vernünftiger Grund dazu vorhanden ist, aber in diesem Falle hätte es mir doch wahrhaftig wehe gethan, wenn wegen dieser Geschichte, zu der wir halb und halb Veranlassung gegeben haben, Blut hätte fließen sollen.«

Die beiden Officiere grüßten ehrerbietig den Oberstlieutenant und entfernten sich augenscheinlich leichtern und fröhlichern Herzens, als sie gekommen waren.

»Ich bin nicht mit Dir zufrieden mein Sohn,« sagte der Oberstlieutenant in ernstem, aber mehr traurigem, als strengem Ton, »Du hast Dich hinreißen lassen, Etwas zu thun, was ein wahrer Edelmann niemals thun soll.«

Der Lieutenant warf sich im Ausdruck eines lang unterdrückten Gefühls in die Arme seines Vaters.

»Verzeihe mir, mein Vater,« sagte er mit erstickter Stimme, »verzeihe mir, ich habe Unrecht gehabt, aber ich habe es auch hart gebüßt.«

Der alte Herr schüttelte verwundert den Kopf.

»Nun, nun,« sagte er, »Jeder macht einmal einen dummen Streich, nimm Dich künftig mehr in Acht und thu so Etwas nicht wieder.«

»Da ist Etwas nicht klar, die Sache ist nicht in Ordnung,« sprach er dann leise vor sich hin, indem er von einem Seitentisch eine frisch gestopfte Pfeife nahm und dieselbe anzündete. »Ich fürchte, ich bin in Gefahr gewesen, Etwas zu erleben, was ich neulich bei meinem Freunde Rantow so scharf getadelt habe. Vielleicht muß ich Gott danken, daß die Sache so gekommen ist.«

Er setzte sich an den Frühstückstisch und schenkte den duftenden Kaffee aus der spiegelblank geputzten messingenen Sturzmaschine in seine große Mundtasse.


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