Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Zweites Capitel.

Der Legationsrath Bucher hatte seinen Vortrag bei dem Kanzler des Norddeutschen Bundes, Grafen von Bismarck, beendet.

Der Graf saß in dem Lehnstuhl vor dem Schreibtisch bequem zurückgelehnt, die kraftvolle markige Gestalt erschien noch breiter und voller im Militairüberrock, – die Züge seines Gesichts waren stärker geworden und drückten noch mehr als früher feste, entschlossene Willenskraft aus. Das Haar an seinen Schläfen und der volle Schnurrbart hatten sich mehr und mehr weiß gefärbt, ohne daß dadurch sein Gesicht älter erschien, – der frische Ausdruck seiner klaren, grauen Augen, welche bald streng und drohend, bald tief und gemüthvoll blickten, gab seiner ganzen Erscheinung einen gewissen Schimmer jugendlicher Lebendigkeit.

Vor dem Grafen stand, ein Packet zusammengelegter Papiere in der Hand, der Legationsrath Bucher.

Sein kränkliches feines Gesicht mit den kalt und ernst blickenden kleinen Augen, dem fest geschlossenen Mund und der etwas scharf vorspringenden Nase, seine magere Gestalt, welche dem Grafen Bismarck gegenüber fast winzig erschien, – seine etwas gebückte Haltung, – das Alles gab der Erscheinung dieses merkwürdigen Mannes, der früher seiner politischen Überzeugung Heimath und Existenz geopfert und nunmehr das Vertrauen des großen deutschen Staatsmannes zu erwerben und zu erhalten gewußt hatte, einen Ausdruck, der die Mitte hielt zwischen dem Typus eines Bureaukraten und eines Professors.

»Haben Sie die Schrift von Vilbort gelesen,« fragte der Graf – ›l'oeuvre de Monsieur de Bismarck‹ – es wird in Paris viel besprochen –«

»Und ist auch bereits in deutscher Übersetzung erschienen,« bemerkte der Legationsrath, »es enthält viel Interessantes und manche sehr bemerkenswerthe Zeugnisse über das, was Herr Vilbort während des Krieges von 1866 selbst gesehen und erlebt hat. – Ob freilich Alles das wahr ist, was Vilbort über die Äußerungen mittheilt, die Eure Excellenz ihm selbst gegenüber gemacht haben, das müssen Sie selbst besser beurteilen können, als ich –«

»Im Allgemeinen,« sagte Graf Bismarck, »so weit ich das Buch zu durchblättern Zeit gefunden habe, – giebt er meine Äußerungen richtig wieder, – und das ist schon sehr viel. – So oft man mit einem Journalisten spricht, muß man sich gefallen lassen, daß er Alles, was man gesagt oder nicht gesagt hat, wiedererzählt, wie er es aufgefaßt hat, – oder wie er es aufgefaßt zu sehen wünscht, – das hindert mich übrigens nicht,« fuhr er fort, »mich ganz freimüthig und offen gegen diese Herren auszusprechen, wenn ich Gelegenheit habe, einen von ihnen zu sehen; – ich halte mit dem, was ich denke und was ich will, nicht hinter dem Berge, – die ängstliche Geheimnißkrämerei der alten Diplomatie hat keinen Sinn mehr in unserer Zeit, – freilich muß ich dann auch die öffentliche Beurtheilung dessen, was ich gesagt habe, nicht scheuen, und, – Gott sei Dank, – dafür habe ich ganz gesunde Nerven.«

»Herr Vilbort,« sagte der Legationsrath Bucher, »scheint mir durch die Offenheit, mit welcher Eure Excellenz sich ihm gegenüber ausgesprochen haben, etwas eitel geworden zu sein; – er hält sich für einen Geschichtschreiber, – und das ist er in der That nicht, – auch geht durch sein ganzes Werk ein gewisses sentimentales Jammern über den Krieg, der doch, da die Conflicte einmal unlösbar geworden, eine Nothwendigkeit war.«

»Diese Richtung des Buches,« fiel Graf Bismarck ein, »das jedenfalls in Frankreich viel gelesen werden wird, ist mir am wenigsten unangenehm, – die Franzosen können in der That eine Warnung vor den traurigen Folgen eines großen Krieges brauchen, – es scheint, daß dort wieder der Chauvinismus erhitzt wird, und daß man die Geister für einen Krieg vorbereitet, für den Fall, daß man der inneren Schwierigkeiten nicht Herr werden sollte.«

»Glauben Eure Excellenz wirklich,« fragte der Legationsrath, »daß man in Paris ernstlich an einen Krieg denken könnte, – gerade jetzt in dem Augenblicke, in welchem die Zügel des persönlichen Regiments gelockert sind, in dem Augenblick, in welchem Ollivier, der Mann des Friedens, Minister geworden ist?«

»Die Berichte aus Paris,« sagte Graf Bismarck mit leichtem Achselzucken, »sprechen von den friedlichen Dispositionen der Regierung, – ich glaube auch, daß der Kaiser, der arme kranke Mann, sich nach dem Frieden sehnt, – schon um persönlich Ruhe zu haben, – aber Alles,« fuhr er fort, »was dort geschieht, kann zu irgend einem plötzlichen Ausbruch führen, auf den wir heute mehr als je gefaßt sein müssen.

»Sehen Sie,« sprach er nach kurzem Nachdenken, während er die Augen sinnend emporschlug, »dieser unglückliche Pistolenschuß, der Victor Noir tödtete, diese lauten Anklagen von Flourens, die ungeschickte Verhaftung Rocheforts, ein Bonaparte vor Gericht, des Mordes angeklagt, das Alles bricht über das Kaiserreich herein, – das ist ein furchtbares Verhängniß, – und das constitutionelle Regiment kann die immer höher aufwallenden Wogen nicht beschwören. Die Coterie des Krieges, welche durch einen ruhmvollen Feldzug den Glanz des Kaiserreichs wieder herstellen will, gewinnt an Boden, – der Kaiser ist schwach, – wird man ihn nicht eines Tages dahin bringen, das Äußerste zu wagen, um den festen Boden wieder zu gewinnen, der ihm täglich mehr unter den Füßen verschwindet. Er wird vielleicht den Krieg machen aus Schwäche, denn die Schwäche ist tollkühner als die Kraft.

»Für uns,« fuhr der Graf fort, »ist der Krieg um so weniger zu fürchten, je mehr die innere Kraft Frankreichs täglich zersetzt wird, – aber der arme Kaiser thut mir leid, – es ist doch eine groß angelegte und im Grunde gute Natur, – und für Europa ist das Kaiserreich eine Wohlthat, – denken Sie, wenn alle diese in den Tiefen gährenden Elemente in Frankreich wieder entfesselt würden!

»Man hat mir da,« fuhr er fort, indem er ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch nahm, »einen Brief Eugen Duponts mitgetheilt, in welchem dieser thätige Agent der Internationale und Secretair von Carl Marx in London dem Comité in Genf auseinandersetzt, daß die Zeit gekommen sei, in welcher der action sécrète et souterraine die allgemeine revolutionaire Schilderhebung in Europa folgen müsse. Merkwürdigerweise,« sagte er, einen Blick in das Schriftstück werfend, »will Dupont den Ausgangspunkt dieser großen Revolution nach England verlegen, weil in Frankreich die Regierung noch zu stark sei.«

»England sei das einzige Land,« fuhr er fort, »in welchem eine wirkliche socialistische Revolution gemacht werden könnte, das englische Volk aber könne diese Revolution nicht machen, Fremde müßten sie ihm machen und der Punkt, wo man zuerst losbrechen solle, sei Irland.«

Der Legationsrath Bucher lächelte. »Das sind Träumereien,« sagte er, »wie sie von Zeit zu Zeit sich immer wiederholen, ohne zu praktischen Resultaten zu führen.«

»Die Ideen dieses Dupont sind Träumereien, – das ist ganz richtig,« fiel Graf Bismarck ein, – »aber in Frankreich ist die Sache ernster, – dort haben die gemäßigten Mitglieder der Internationale vollständig die Führung verloren und die extremsten Doctrinen dringen immer mehr in die Arbeiterbevölkerung, – bei jeder unruhigen Bewegung kann die Commune proclamirt werden. – Das Alles gährt um den Kaiser herauf und kann ihn eines Tages dazu drängen, einen Verzweiflungscoup zu machen; – wir müssen von dort her immer auf etwas Unerwartetes gefaßt sein.«

»Die Elemente der Gährung,« sagte der Legationsrath, »von denen Eure Excellenz sprechen, sind aber nicht nur in Frankreich vorhanden, sondern erfüllen die ganze Welt, – auch unter den deutschen Arbeitern macht die Internationale Fortschritte, – ich glaube, daß die Regierungen zu dieser Frage Stellung nehmen müssen.«

»Das sagt mir auch Wagner,« rief Graf Bismarck, – »aber welche Stellung soll man dazu nehmen? – Die alten Parteibildungen beginnen sich zu zersetzen, keine der vorhandenen Parteien kann sich dazu erheben, den neuen Zeitfragen mit freiem und klarem Blick entgegen zu treten, – und gerade dieser socialen Frage gegenüber müßte doch die Regierung sich auf eine im Volke selbst wurzelnde Partei stützen. – Das wäre eine Aufgabe für die Conservativen,« sagte er sinnend, – »aber leider verlieren gerade diese sich immer mehr in unmögliche und unpraktische Theorien.«

»Nun,« fuhr er fort, – »wir müssen darüber nachdenken, – jetzt will ich ein wenig hören, was die auswärtige Politik macht.«

Er reichte mit freundlichem Kopfnicken dem Legationsrath die Hand und dieser zog sich mit einer kurzen stummen Verbeugung zurück.

»Ist Jemand im Vorzimmer?« fragte Graf Bismarck den Kammerdiener, welcher auf seinen starken Glockenzug erschien.

»Der englische Botschafter, Excellenz.«

»Ich lasse bitten.«

Der Minister-Präsident erhob sich und machte einige Schritte nach der Thür, durch welche Lord Augustus Loftus, der Botschafter Ihrer Majestät der Königin Victoria am preußischen Hofe und beim Norddeutschen Bunde, in das Cabinet trat.

Lord Loftus, eine durchaus englische Erscheinung, hatte in seinen Gesichtszügen und in seiner ganzen Haltung eine gewisse feierliche Würde und Zurückhaltung, welche ein wenig gegen das offene, freie Wesen des Grafen Bismarck abstach. Der Lord setzte sich dem preußischen Minister-Präsidenten gegenüber vor den großen Schreibtisch in der Mitte des geräumigen Cabinets, und begann, da der Graf nach einigen gleichgültigen Begrüßungsworten schweigend seine Anrede erwartete, nach einem kurzen Räuspern:

»Sie wissen, lieber Graf, wie sehr die Regierung Ihrer Majestät darauf bedacht ist, in den Beziehungen der Cabinette unter einander alle Ursachen des Mißtrauens und der Besorgnisse zu beseitigen, welche dem Frieden Europas gefährlich werden könnten.«

Graf Bismarck neigte zustimmend den Kopf und, indem er eine große Papierscheere ergriff und dieselbe spielend in der Hand bewegte, sagte er im höflichsten Ton einer gleichgültigen Conversation:

»Die Regierung Ihrer Majestät ist in diesem Bestreben vollkommen von denselben Wünschen geleitet, welche auch uns beseelen und welche wohl, wie ich glaube, von allen Cabinetten Europas getheilt werden. Ich freue mich, von Neuem zu constatiren, daß gerade durch diese allseitigen Wünsche die beste Garantie für die Erhaltung des europäischen Friedens gewährt wird.«

Lord Loftus schien ein wenig decontenancirt.

»Die guten Wünsche aller europäischen Regierungen,« sagte er, »sind gewiß eine ganz vortreffliche Garantie des Friedens. Indessen,« fuhr er ein wenig zögernd fort, »um eine wirklich praktische und vor allen Dingen dauernde Basis für die internationale Ruhe und Stabilität zu schaffen, wird es vor Allem noch nöthig sein, concrete Gründe gegenseitigen Mißtrauens und gegenseitiger Besorgnisse zu beseitigen.«

»Ich wüßte in der That nicht,« sagte Graf Bismarck, den Botschafter wie erstaunt anblickend, »daß in diesem Augenblick irgend welche Fragen beständen, welche dem Frieden auch nur die entfernteste Gefahr zu bringen vermöchten. Überall ist die tiefste Ruhe, ich kann Sie versichern, daß wir wenigstens mit keinem europäischen Cabinet in Erörterungen stehen, welche bedenkliche und kritische Punkte berühren.«

»Ich hatte bei meiner Bemerkung von vorhin,« erwiderte Lord Loftus, »auch weniger diplomatische Fragen im Sinne, welche gegenwärtig zur Erörterung ständen und zu Differenzen führen könnten, ich dachte vielmehr an thatsächliche Verhältnisse, welche vielleicht weniger ein Grund, als ein Ausdruck gegenseitigen Mißtrauens sind und deren Beseitigung im Interesse der ruhigen Entwickelung der Zukunft Europas liegen möchte.«

»Und welche thatsächliche Verhältnisse meinen Sie?« fragte Graf Bismarck mit vollkommener Ruhe und einem leichten Anflug von Erstaunen in seinem scharfen, fest auf den Botschafter gerichteten Blick.

»Es ist eine Thatsache,« sprach Lord Loftus weiter, »welche offen vor Europa da liegt, daß die französische Regierung in den letzten Jahren ganz besondere Anstrengungen gemacht hat, um ihre Militairmacht auf eine außergewöhnliche Höhe zu erheben. Das Gleiche findet bei Ihnen statt, und Sie werden mir zugeben, daß es eine gewisse Besorgniß und Beunruhigung erregen kann, wenn man zwei der bedeutendsten europäischen Mächte bis an die Zähne bewaffnet einander gegenüber stehen sieht.«

»Es liegt ja aber,« fiel Graf Bismarck in demselben ruhigen, fast gleichgültigen Ton ein, »zwischen Frankreich und uns durchaus keine Veranlassung zu irgend welchen Mißverständnissen vor; im Gegentheil kann ich Sie versichern, daß unsere Beziehungen zu Paris die besten und freundlichsten sind.«

»Und doch stehen Sie sich,« bemerkte Lord Loftus, »mit so übermäßig angespannten Militairkräften gegenüber, als ob Sie gegenseitig jeden Tag den Ausbruch irgend eines Conflictes zu besorgen hätten. Dieser Zustand,« fuhr er etwas lebhafter fort, »wenn er auch den Frieden nicht unmittelbar gefährdet, läßt doch Europa nicht zu sicherem Bewußtsein der Ruhe kommen, und ich glaube, daß besser als alle diplomatischen Versicherungen eine ernste und nachdrückliche Reducirung der unter den Waffen stehenden militairischen Streitkräfte alle die unruhigen Besorgnisse zerstreuen würde, welche angesichts des gegenwärtigen Zustandes sowohl die Cabinette, als die Geschäftswelt erfüllen, – wenn die Armeen Frankreichs und Preußens sich nicht mehr in voller Kriegsrüstung gegenüber stehen, dann wird Europa endlich aufathmen können, befreit von dem Druck, welcher in den letzten Jahren auf ihm lastet.«

Graf Bismarck schwieg einen Augenblick, seine Züge nahmen einen ernsten Ausdruck an, er richtete den Blick seiner klaren grauen Augen scharf und durchdringend auf den Botschafter und sagte dann:

»Haben Sie, mein theurer Lord, den Auftrag, die Frage, welche Sie soeben berührten, zwischen Frankreich und uns Namens Ihrer Regierung zur Sprache zu bringen?«

»Ich habe nicht den Auftrag,« erwiderte der Lord, »bestimmte Anträge zu stellen, bestimmt formulirte Wünsche auszusprechen, – doch bin ich allerdings veranlaßt, die allgemeine Besorgniß, welche die militairischen Rüstungen in Frankreich und Deutschland der Regierung Ihrer Majestät einflößen, Ihnen nicht zu verhehlen und zugleich auch dem Gedanken Ausdruck zu geben, daß Sie sowohl als die französische Regierung dem ganzen civilisirten Europa einen großen Dienst leisten würden, wenn Sie sich geneigt finden ließen, im gleichen Verhältniß die unter den Waffen stehenden Streitkräfte zu reduciren und dadurch thatsächlich das Vertrauen auf dauernde Erhaltung des Friedens zu erkennen zu geben. Würde ich bei Ihnen die Geneigtheit finden, auf diesen Ideengang einzugehen, so würde die Regierung Ihrer Majestät gern bereit sein, ihre Vermittelung in einer ebenso wichtigen, als delicaten Sache zwischen zwei ihr gleich befreundeten Mächten eintreten zu lassen.«

»Und wissen Sie,« fragte Graf Bismarck, ohne daß ein Zug seines Gesichtes sich veränderte, »ob derselbe Gedanke, den Sie mir hier so eben auszusprechen die Güte haben, auch dem Kaiser Napoleon gegenüber von Ihrer Regierung geltend gemacht worden ist?«

»Ich glaube, Ihnen mittheilen zu können,« erwiderte Lord Loftus, »daß dies geschehen ist, und daß der Kaiser sich vollkommen bereit erklärt hat, seine kriegsbereiten Streitkräfte nach derselben Verhältnißzahl zu reduciren, welche von Ihnen angenommen werden möchte.«

Ein feines, fast unmerkliches Lächeln flog über das Gesicht des Grafen Bismarck.

»Es würde dann immer die Frage sein,« sagte er in leichtem Ton, »wer denn mit der Abrüstung anzufangen hätte – und wer dieselbe controliren könnte, Fragen, an denen oft schon ähnliche Verhandlungen gescheitert sind, – doch,« fuhr er dann mit ernstem und nachdrucksvollem Ton fort, »ich will diese Frage nicht aufwerfen, denn sie würde keine practische Bedeutung haben, da ich Ihnen von vorn herein auf das Bestimmteste erklären muß, daß ich garnicht in der Lage bin, auf eine Negociation in der von Ihnen angedeuteten Weise eingehen zu können, und ich würde es bedauern, wenn ich in die Lage käme, der Regierung Ihrer Majestät auf eine directe Äußerung in jenem Sinne eine bestimmt ablehnende Antwort geben zu müssen.«

»So halten Sie es dennoch für möglich,« fragte Lord Loftus, ein wenig erstaunt über diese so klare und bestimmte Erklärung, »daß aus den Fragen, welche gegenwärtig in Europa vorhanden sind, nach irgend welcher Richtung hin ein ernster Conflict entstehen könnte, der die Erhaltung einer solchen Waffenrüstung für Frankreich und für Preußen nöthig macht?«

»Was Frankreich betrifft,« erwiderte Graf Bismarck, »so habe ich darüber kein Urtheil. Glaubt der Kaiser Napoleon, den innern Verhältnissen gegenüber und mit Rücksicht auf seine sonstigen europäischen Beziehungen seine militairischen Streitkräfte vermindern zu können, so mag er es thun, von unserer Seite hat er am allerwenigsten irgend eine Schwierigkeit oder gar eine Feindseligkeit zu besorgen. Ich würde ihm indessen auf einem solchen Wege nicht folgen können, denn die größere oder geringere Stärke der preußischen Militairmacht beruht nicht in dieser oder jener augenblicklichen diplomatischen Constellation, sie ist eine Grundlage des preußischen Staatslebens und kann ohne einen tiefen Eingriff in dessen wesentlichsten Existenzbedingungen nicht modificirt werden. Ich bin aber von vorn herein überzeugt,« fuhr er fort, »daß der König, mein allergnädigster Herr, jedes Eingehen auf diese Frage, ja jede Erörterung derselben auf das Bestimmteste ablehnen würde und ablehnen müßte. Um eine Verminderung und zwar eine wesentliche Verminderung der disponiblen Streitkräfte zu erreichen, müßte man die ganze Militairorganisation Preußens und des Norddeutschen Bundes ändern. Das ist schon verfassungsmäßig schwierig, ja beinahe unausführbar. Außerdem kommt aber dabei noch ein wesentlicher Gesichtspunkt in Frage, den ich Sie wohl in Betracht zu ziehen bitten muß, die preußische Militairorganisation ist nicht nur eine militairische, sondern zu gleicher Zeit auch eine politische und sociale Organisation. Sie ist eine Art von hoher Schule für alle Klassen der Bevölkerung, eine Schule, in welcher die Jugend des Landes die selbstverleugnende Pflichterfüllung lernt, in welcher sie durchdrungen wird von der Hingebung für den König und für das Land, in welcher der Patriotismus gekräftigt und zu vollem klarem Bewußtsein gebracht wird. Man könnte also die Wehrverfassung nicht modificiren, ohne zu gleicher Zeit der militairischen Kraft und der nationalen Einigkeit großen Schaden zu thun, ohne die Überzeugung des Volkes zu verletzen, welche in der allgemeinen Dienstpflicht und der damit zusammenhängenden Stärke der Armee die beste Bürgschaft für die Sicherheit und Größe Preußens erblickt. Sie müssen begreifen, mein theurer Lord,« fuhr er fort, »daß alle diese Gesichtspunkte es mir unmöglich machen, die Idee der gegenseitigen Entwaffnung weiter zu discutiren; – so lange ich Minister bin, würde ich eine solche Idee dem Könige nicht vorschlagen können, und jede weitere Erörterung des Gegenstandes würde zu gar keinem Resultat führen. Ich glaube, es ist der beste Dienst, den ich Ihnen leisten kann, und der größte Beweis aufrichtigsten Entgegenkommens gegen die Regierung Ihrer Majestät, wenn ich sogleich und ohne Umschweife meine Stellung zu der von Ihnen angeregten Frage offen ausspreche. Ich bitte Sie, das, was ich Ihnen gesagt, als meine unbedingt feststehende Ansicht zu betrachten und auch Ihrer Regierung keinen Zweifel über dieselbe zu lassen.« Lord Loftus verneigte sich und sprach:

»Ich erkenne vollkommen das Gewicht der Gründe an, welche Sie mir angeben und werde dieselben dem auswärtigen Amt zur Kenntniß bringen. Ich bedaure,« fuhr er fort, »daß Ihre Mittheilungen mich von der Unmöglichkeit überzeugt haben, den auf Europa lastenden Zustand ängstlicher Besorgniß durch ein einfaches Mittel zu beseitigen.«

»Ich begreife nicht, mein lieber Lord,« sagte Graf Bismarck, »warum Sie von Kriegsbesorgnissen sprechen? Ich kann Ihnen nur wiederholen, daß ich keine Frage sehe, welche dazu Veranlassung bieten könnte; – wenn einige chauvinistische Blätter in Frankreich nicht aufhören, die Welt von Zeit zu Zeit zu beunruhigen, so kann das doch keinen Einfluß auf die Cabinette der Großmächte haben. Mag sich die Börse hin und wieder darüber erschrecken, wir sollten uns dadurch doch in der That keinen Augenblick aus der Ruhe bringen lassen. Vor Allem,« fuhr er mit volltönender Stimme fort, »können derartige auf keinen concreten Gründen beruhende Besorgnisse niemals der Grund sein, daß eine mit dem Ausbau ihrer innern Angelegenheiten beschäftigte, alle Verträge respectirende und mit aller Welt im Frieden lebende Macht ihre langjährige und bewährte Militairverfassung ändern sollte, eine Militairverfassung, auf welcher die Sicherheit beruht, die friedliche und selbstständige innere Entwickelung nöthigenfalls gegen jede Störung schützen zu können.«

»Apropos, haben Sie Nachricht vom König Georg?« fragte Graf Bismarck, als Lord Loftus sich erhob, um sich zu verschieden. »Man theilt mir mit, daß er diese unglückliche Legion in Frankreich, welche ihm so viel Geld kostet, und welche doch in der That sehr wenig geeignet ist, um Hannover wieder von uns zu erobern, jetzt auseinander schickt. Mir thun die armen Leute leid, welche durch dies ganze abenteuerliche Unternehmen ihrem Vaterlande und ihren Familien entzogen sind.«

»Wenn der König seinen Widerstand aufgiebt,« sagte Lord Loftus, »sollte es dann nicht möglich sein, ihm den Genuß seines Vermögens wieder zu geben, welches ihm entzogen ist? Ich weiß, daß der Herzog von Cambridge als nächster Agnat sehr viel Antheil an dieser Angelegenheit nimmt, und es wäre in der That erwünscht, wenn sie in befriedigender Weise geordnet werden könnte.«

»Niemand wünscht das lebhafter als ich,« rief Graf Bismarck, »wir haben im Interesse der Sicherheit Preußens dem Könige sein Land nehmen müssen, aber sowohl mein allergnädigster Herr wie ich selbst wünschen gewiß auf das Dringendste, daß dem alten, hochberühmten und edlen Welfenhause auch in seiner hannöverschen Linie für die Zukunft eine große und würdige Existenz gesichert bleibe. Aber,« fuhr er fort, »wenn der König einfach seine Legion entläßt, weil er sie nicht bezahlen kann, ohne mit seinen übrigen Agitationen aufzuhören, ohne den Frieden mit uns zu machen, so können wir ihm doch wahrlich nicht die Mittel dazu in die Hände geben. Ich muß bekennen, daß mir diese Legion weniger beachtungswerth erschienen ist, als andere Agitationen des Königs, welche sich der Öffentlichkeit mehr entziehen und für welche ich,« sagte er mit entschiedener Betonung, »niemals die Mittel zur Verfügung stellen kann. Will sich der König in die Notwendigkeit der Verhältnisse fügen, will er mit uns Frieden schließen, so wird er dafür gewiß das bereitere Entgegenkommen finden, und wenn der Herzog von Cambridge sich dafür interessirt, so wird er dem König Georg und dessen ganzem Hause gewiß den besten Dienst leisten, wenn er seinen Einfluß anwendet, um ihn zu einem definitiven und aufrichtigen Frieden zu veranlassen.«

»Ich werde,« sagte Lord Loftus, »wenn sich mir die Gelegenheit bietet, versuchen, in diesem Sinne zu wirken, – ich glaube, daß der Herzog von Cambridge gern die Hand dazu bieten wird, doch ob mit Erfolg, das scheint mir bei dem Charakter des Königs zweifelhaft. Jedenfalls ist meine ganze Thätigkeit in dieser Angelegenheit eine ausschließlich private, hervorgehend aus dem natürlichen Interesse, welches ich für den erlauchten Vetter meiner Königin hege; als Vertreter der englischen Regierung habe ich mit der ganzen Angelegenheit nicht das Geringste zu thun.«

Er erwiderte mit einer etwas steifen Verbeugung den Händedruck des Grafen Bismarck, welcher ihn nach der Thür hin begleitete, und verließ das Cabinet.

In dem großen Vorsaal saß in einem Lehnstuhl die schmächtige, magere Gestalt des Grafen Benedetti mit dem bleichen, fein geschnittenen Gesicht, dessen Züge trotz der listigen Intelligenz, welche in ihnen lag, dennoch niemals einen bestimmten Ausdruck erkennen ließen.

Der Graf erhob sich und begrüßte den englischen Collegen.

»Nun,« sagte er, »haben Sie Ihre Entwaffnungstheorie discutirt, über welche wir gestern sprachen, und von welcher ich überzeugt bin, daß sie in Paris das bereitwilligste Entgegenkommen finden wird?«

»Ich habe darüber gesprochen,« erwiderte Lord Loftus.

»Und?« fragte Benedetti.

»Jede Discussion darüber ist auf das Bestimmteste abgelehnt, man wird das in London sehr bedauern, obgleich die Gründe dafür nicht ohne Berechtigung sind.«

In den kalten klaren Augen Benedetti's erschien ein leichter Schimmer von Befriedigung, er schlug jedoch sogleich den Blick zu Boden und sagte mit ruhigem, fast ausdruckslosem Ton:

»Wenn die Welt sich wegen der militairischen Rüstungen in Frankreich und Deutschland beunruhigt, so wird man nun wenigstens wissen, daß wir es nicht sind, die es verweigern zur Beseitigung dieser Unruhe beizutragen, welche übrigens,« fügte er hinzu, »nach meiner Auffassung ohne Begründung ist.«

Der Kammerdiener des Grafen Bismarck näherte sich dem französischen Botschafter mit der Meldung, daß der Minister-Präsident bereit sei, ihn zu empfangen.

Graf Benedetti verabschiedete sich von Lord Loftus und trat in das Cabinet.

»Nun,« sagte Graf Bismarck, nachdem er ihn mit offener Herzlichkeit begrüßt hatte, »es scheint, daß man in Europa an den Frieden nicht recht glauben will. Man möchte aller Welt die Waffen aus den Händen nehmen und sie in irgend einem großen Arsenal aufbewahren, damit nur ja kein Mißbrauch damit geschieht. Soeben hat mir Lord Loftus wieder von Entwaffnungsideen gesprochen, welche sich ganz wesentlich auf uns beziehen, – ich begreife das in der That nicht,« fuhr er ernster fort, »glaubt man denn, daß zwei große Mächte nur dann im Frieden neben einander leben können, wenn sie Beide nicht die Macht haben, Krieg zu führen? Ich habe nach meiner Ansicht mehr Vertrauen zur Erhaltung des allgemeinen Friedens, wenn alle Mächte stark und kräftig sind, sobald sie nur den aufrichtigen Willen haben, in guten Beziehungen mit einander zu leben. Ich weiß nicht, wie man bei Ihnen über die Möglichkeit einer Reduction der Armee denkt, bei uns ist dies unmöglich, und ich glaube auch, man wird an unsere friedlichen Absichten ohne Einschränkung unserer Armee glauben.«

»Ich theile gewiß vollkommen Ihre Ansicht,« sagte Graf Benedetti, indem er dem Minister-Präsidenten gegenüber vor dem Schreibtisch Platz nahm, »und bin weit entfernt, in einer starken Militairmacht zweier verständig regierten Staaten eine Gefahr für den Frieden zu erblicken. Indeß,« fuhr er fort, »könnte die Idee einer theilweisen Entwaffnung dennoch vielleicht der Beachtung nicht ganz unwürdig sein, wenn man durch eine solche Maßregel der öffentlichen Meinung und den übrigen Mächten neues Vertrauen in die Stabilität der europäischen Ruhe und Ordnung einflößen kann. Von diesem Gesichtspunkt aus ist, wie ich voraussetzen darf, der Kaiser nicht abgeneigt, eine Reduction der militairischen Kräfte in Erwägung zu ziehen, wobei außerdem noch eine wesentliche Erleichterung des Volkes in Betracht kommt, die für die innere Stellung der Regierungen nicht unwesentlich ist.«

»Diese Rücksicht würde bei uns von keiner Bedeutung sein,« sagte Graf Bismarck, »unsere Militair-Verfassung ist mit dem Volke verwachsen, und Niemand im Volk verlangt eine Erleichterung der auf allen Schultern gleich vertheilten militairischen Pflichten.«

Graf Benedetti sah einen Augenblick zu Boden, dann schlug er den Blick mit einer fast naiven Offenheit zu dem preußischen Minister-Präsidenten auf und sprach:

»Ich bin natürlich nicht in der Lage, die inneren Verhältnisse bei Ihnen so eingehend zu beurtheilen, wie Sie dazu im Stande sind, da ich nur als Fremder in dieselben hineinblicke, – aber doch verfolge ich Ihr öffentliches Leben mit vielem Interesse und glaube bemerkt zu haben, daß in den Parteien Ihrer Parlamente die Frage der militairischen Lasten nicht ganz gleichgültig behandelt zu werden scheint. Nach der Zahl der Mannschaften und nach den finanziellen Mitteln ist der Verfassung gemäß der Militairetat auf eine Periode von fünf Jahren festgesetzt, welche im nächsten Jahr zu Ende geht; nach den Stimmen der Presse,« fuhr er fort, »und nach dem, was ich hier und da über die Stimmung der Abgeordneten gehört habe, scheint das Parlament, wenn ihm im nächsten Jahre das Kriegsbudget vorgelegt wird, sehr geneigt zu sein, wesentliche Reductionen zu beschließen, welche gewissermaßen einer theilweisen Entwaffnung gleich kommen würden. Wenn ich mich in der Beurtheilung der hiesigen Verhältnisse nicht täusche,« sprach er weiter, während Graf Bismarck zuhörte und von Zeit zu Zeit die Fingerspitzen an einander schlug, – »so bedürfen Sie, um das richtige Gleichgewicht zwischen der Regierung und dem Parlament zu erhalten, der Übereinstimmung mit allen gemäßigten Nuancen der conservativen und liberalen Parteien. Würde es da nicht vielleicht ein gutes und willkommenes Auskunftsmittel sein, die Rücksichten auf die inneren Verhältnisse und diejenigen auf die auswärtigen Beziehungen zu vereinen durch eine auf diplomatischer Übereinkunft beruhende Armeereduction? Sie würden die europäischen Mächte, England an der Spitze, verpflichten, die öffentliche Meinung beruhigen und vielleicht einer Verlegenheit entgehen, welche immerhin erwachsen könnte, wenn im nächsten Jahr Ihr Parlament erhebliche Reductionen des Militairbudgets beschließen sollte.«

»Diese Verlegenheit,« sagte Graf Bismarck, »kann nicht eintreten, und die Rücksicht, sie zu vermeiden, kann auf meine Beschlüsse keinen Einfluß üben.«

»So glauben Sie,« sagte der Graf Benedetti, »der Zustimmung der Parlamentsmajorität für das Militairbudget auch im nächsten Jahr vollkommen sicher zu sein? Sie verzeihen,« fügte er hinzu, »daß ich über Ihre inneren Angelegenheiten mit Ihnen spreche; aber Sie wissen, wie sehr ich mich für dieselben interessire, und Sie haben mir früher schon öfter erlaubt, mich durch die Unterhaltung mit Ihnen über diese Verhältnisse zu belehren.«

»Unsere inneren Angelegenheiten,« erwiderte Graf Bismarck, artig den Kopf neigend, »liegen ja offen da, und es ist mir immer erfreulich und kann nur zu immer größerer Klärung meiner eigenen Anschauung dienen, mich mit Ihnen über dieselben zu unterhalten. Sie fragten also,« fuhr er fort, »ob ich der Zustimmung des Parlaments zum bisherigen Militairbudget im nächsten Jahre sicher sei? Darauf kann ich Ihnen nur antworten: das weiß ich nicht, denn parlamentarische Majoritäten sind Dinge, die sich nicht vorher berechnen lassen; doch mag dem sein, wie ihm wolle, eine Verlegenheit, wie Sie dieselbe vorher andeuteten, kann für mich nach dieser Richtung hin niemals entstehen. Wenn Sie unsere Verfassung genau studirt haben,« sagte er mit einer kaum vernehmbaren Nuance von Ironie in seiner Stimme, »wie ich nach Ihren Bemerkungen voraussetze, so werden Sie gesehen haben, daß der Artikel 60 – nach der Festsetzung der Friedensstärke in der Armee bis zum 31. December 1871 – weiter bestimmt, daß für die Zukunft die Effectivstärke durch die Bundesgesetzgebung bestimmt werden soll. Wenn also, was ich nicht voraussetzen will, aber auch ebenso wenig für unmöglich erklären kann, der Norddeutsche Reichstag im nächsten Jahre das von den verbündeten Regierungen vorgelegte Militairbudget nicht annimmt, so ist eben ein neues Gesetz nicht zu Stande gekommen, und selbstverständlich gilt dann das bisher bestandene Gesetz so lange, bis früher oder später über das an seine Stelle zu setzende zwischen den Volksvertretern und den Regierungen eine Verständigung erzielt ist. Sie sehen also, daß ich um mein Militairbudget nicht in Verlegenheit kommen kann, und daß, wenn Diejenigen,« fügte er mit scharfer Betonung hinzu, indem seine Gesichtszüge plötzlich einen sehr ernsten, fast strengen Ausdruck annahmen, »welche sich außerhalb Deutschlands vielleicht veranlaßt finden möchten, eine Verminderung der Waffenmacht zu wünschen, die zur Vertheidigung Preußens und des Norddeutschen Bundes nöthig ist, sich auf gewisse parlamentarische Abneigungen gegen die Bewilligung des Militairetats glauben stützen zu können, – daß sie in solchen Voraussetzungen ihre Rechnung – ohne die Bundesverfassung und ohne mich gemacht haben.«

Graf Benedetti verneigte sich.

»Es ist mir erfreulich,« sprach er, »Ihre Ansichten so bestimmt und klar ausgesprochen zu hören. Der ganze Gegenstand,« fuhr er mit leichtem Ton fort, »ist ja eigentlich keine Frage zwischen uns, Frankreich und Preußen können ihre gegenseitige Stärke ohne jedes Mißtrauen ansehen, es wäre nur ein Entgegenkommen gewesen, welches wir gemeinsam den übrigen Mächten hätten zeigen können –«

»Welche aber ihrerseits,« fiel Graf Bismarck ein, »ebenfalls fortfahren, unausgesetzt zu rüsten und zwar in weit größerem Maßstabe, als wir, wie ein Blick auf Österreich und auf Italien zeigt. Ich glaube, es ist besser, ein für alle Mal diese ganze Frage der Rüstungen unerörtert zu lassen und den Frieden wesentlich auf den guten Glauben und das Vertrauen zu stützen, welches die Regierungen einander entgegentragen. Sie können mir,« fuhr er fort, »wahrlich den Vorwurf nicht machen, daß ich es an solchem Vertrauen fehlen lasse, und daß ich, wenn irgend Etwas vorkommt, was die guten Beziehungen nach irgend einer oder der anderen Richtung zu verwirren im Stande wäre, nicht sogleich durch offenes Aussprechen die Gelegenheit zur Aufklärung und zur Beseitigung der Mißverständnisse gebe.«

Ein leichter Ausdruck verschärfter Aufmerksamkeit wurde in dem Blick des Botschafters bemerkbar.

»Ich freue mich,« sagte er, »daß diese Beziehungen gegenseitiger Offenheit und Aufrichtigkeit zwischen uns bestehen. Gerade dadurch ist es ja so oft schon möglich gewesen, manche Wolke zu zerstreuen, welche die so guten und befriedigenden Verhältnisse zwischen beiden Regierungen hätte trüben können. Gegenwärtig,« sagte er mit leichtem Lächeln, »sind ja solche Wolken nach keiner Richtung hin vorhanden und –«

»Ganz verschwinden sie niemals,« fiel Graf Bismarck ein, »denn immer und immer wieder kommen von der einen oder der andern Seite her Mittheilungen, welche bei ängstlichen und mißtrauischen Naturen, zu denen ich nicht gehöre,« sagte er sich verneigend, »Bedenken und Sorgen hervorrufen könnten.«

Benedetti blickte ihn erstaunt und fragend an.

»Schon vor längerer Zeit,« sagte Graf Bismarck in ruhigem und fast gleichgültigem Ton, »habe ich Ihnen mitgetheilt, Herr von Usedom hätte uns verschiedene Umstände mitgetheilt, welche fast glauben lassen mußten, daß geheime Unterhandlungen zwischen Frankreich und Italien, bei welchen auch Österreich betheiligt sei, stattfänden.«

»Ich habe damals Gelegenheit genommen,« sagte Graf Benedetti schnell, »in Paris Erkundigungen einzuziehen und Ihnen die Versicherung gegeben, daß die Quelle, aus welcher Herr von Usedom jene Mittheilungen geschöpft hat, eine nicht zuverlässige gewesen sein müsse –«

»Herr von Usedom hat seine Quelle nicht angegeben,« fiel Graf Bismarck ein.

»Jedenfalls,« sagte Graf Benedetti, »war er unrichtig berichtet oder durch den Schein getäuscht und zu falschen Schlüssen veranlaßt worden.«

»Es sind nun,« sprach Graf Bismarck weiter, »in neuester Zeit wiederholt Winke an mich gekommen, daß abermals eine sehr lebhafte Negociation zwischen den Höfen von Paris, Wien und Florenz stattfindet, welche eine Coalition herzustellen bezweckt, die doch offenbar gegen uns keine allzu freundlichen Absichten haben könnte. Ich meinerseits,« fuhr er fort, indem er Benedetti starr ansah und seine große Papierscheere mit der Hand rasch hin und her bewegte, »lege keinen besonderen Werth auf derartige Winke, wenn sie nicht den Nachweis bestimmter und unleugbarer Thatsachen enthalten, vielleicht auch deshalb,« sagte er mit Betonung, »weil ich eine Coalition niemals fürchten würde, welche sich der nationalen Entwicklung Deutschlands entgegenzustellen die Absicht hätte.«

»Ich werde sogleich,« sagte Benedetti eifrig, »nach Paris schreiben und mir bestimmte Aufklärung über diese Frage erbitten. Ich bin aber im Voraus fest überzeugt, daß die Gerüchte, welche zu Ihnen gedrungen sind, jetzt ebenso wenig wie damals Begründung haben, denn ich kenne zu genau den dringenden Wunsch des Kaisers, den europäischen Frieden zu erhalten und ganz besonders die so freundlichen Beziehungen mit dem Könige Wilhelm und seiner Regierung zu pflegen.«

»Ich habe Sie nicht darüber interpelliren wollen, mein lieber Botschafter,« sagte Graf Bismarck, »ich kam auf die Sache nur durch unser Gespräch und durch die Äußerungen, welche Lord Loftus mir vorher gemacht hat. Denn wenn,« fuhr er fort, »ähnliche Winke, wie sie an mich gekommen sind, auch nach London gelangt sein sollten, und wenn man mit solchen Winken die ganz besondere Thätigkeit in Verbindung bringt, welche in Ihrem Militair-Departement herrscht, so würde in dieser Ideenassociation vielleicht ein Grund zu finden sein, warum man von England aus so dringend wünscht, neue und concrete Garantieen für die Erhaltung des europäischen Friedens zu gewinnen. Nur sucht man diese Garantieen an falscher Stelle; doch,« fuhr er abbrechend fort, »ich glaube, wir haben unsere Ideen über den Gegenstand ausgetauscht und stimmen nunmehr im Wesentlichen über denselben überein. Besser als durch die Entwaffnung wird der Friede jedenfalls gesichert sein, wenn alle Veranlassungen vermieden werden, welche zur Entstehung solcher Gerüchte beitragen können, wie ich sie mir so eben zu erwähnen erlaubte.«

»Ganz gewiß,« sagte Benedetti. »Es ist merkwürdig,« fuhr er dann fort, »wie von Zeit zu Zeit immer wieder Fragen auftauchen, welche die glatte und ruhige Oberfläche der europäischen Politik kräuseln. Sie erwähnten so eben der Gerüchte über geheime Verhandlungen zwischen Wien, Florenz und Paris; da wir einmal damit das Gebiet der Hypothesen berührt haben, so darf ich vielleicht meinerseits bemerken, daß, wie man mir aus Paris ganz vertraulich schreibt, dort wieder einzelne Andeutungen vernommen worden sind über einen Plan, den Prinzen von Hohenzollern auf den spanischen Thron zu bringen, einen Plan, über welchen wir ebenfalls früher bereits gesprochen haben und welcher, wenn er wirklich bestehen sollte, ebenfalls geeignet wäre, eine gewisse Beunruhigung hervorzurufen.«

Graf Bismarck sah den Botschafter groß und erstaunt an.

»Ich habe neuerdings,« sagte er, »Nichts wieder von dieser Idee gehört, welche mir, wie ich Ihnen bereits früher bemerkt habe, im Ganzen ein wenig abenteuerlich zu sein schien. Ich habe heute noch wie damals die Ansicht, daß die Regierung des Prinzen Leopold in Spanien nur von sehr kurzer Dauer sein würde und daß sie ihn großen Gefahren und Täuschungen aussetzen müßte. Ich bin fest überzeugt, daß der König, wenn die Sache jemals an ihn herantreten sollte, dem Prinzen gewiß nicht den Rath geben würde, den spanischen Thron anzunehmen, auch wenn die Cortes dort ihm denselben antragen sollten. Ich weiß auch, daß der Vater des Prinzen, der Fürst Anton vollkommen diese Ansicht theilt. Er weiß,« fügte er lächelnd hinzu, »durch die Erfahrung, die er mit dem Fürsten Karl von Rumänien gemacht hat, daß die Souverainetät zuweilen theuer werden kann.«

»Der Prinz Leopold,« sagte Benedetti in gleichgültig hingeworfenem Ton, indem ein schneller forschender Blick den Grafen Bismarck traf, »würde ja auch übrigens, selbst wenn ein Beschluß der Cortes ihm die spanische Krone anbieten sollte, dieselbe niemals ohne Zustimmung und Erlaubniß des Königs annehmen können, da der König als Chef des Hauses bei den Entschlüssen des Prinzen die letzte Entscheidung hat.«

»Das ist nicht der Fall,« sagte Graf Bismarck, »der Prinz würde in letzter Linie in seinen Entschlüssen doch nur von seinem Vater abhängen, und der König würde sich gewiß enthalten, einen bestimmenden Einfluß ausüben zu wollen, – ganz gewiß aber wird er, wie ich wiederholen muß, nach meiner Überzeugung dem Prinzen nicht den Rath geben, ein so gefährliches und unsicheres Abenteuer zu wagen. Ich glaube übrigens kaum,« fuhr er fort, »daß man so bald zur Wahl eines Königs in Spanien gelangen wird; die Personen, welche dort gegenwärtig die Macht in Händen halten, – vielleicht Prim noch mehr als Serrano – werden kaum wünschen, durch die definitive Wahl eines Königs dem gegenwärtigen Zustand, bei welchem sie die Herren des Landes sind, ein Ende zu machen. Die ganze Sache hat nach meiner Überzeugung gar keine practische Bedeutung. Man hat ja früher schon,« fuhr er im leichten, gleichgültigen Ton fort, »den Namen des Prinzen Friedrich Karl mit der spanischen Krone in Verbindung gebracht, vielleicht wäre dieser Prinz, der ein so tapferer Officier und ein so energischer Charakter ist, noch eher im Stande dieses Abenteuer zu bestehen, als es vielleicht der Prinz Leopold sein möchte. Aber alle diese Dinge sind ja Conjecturen und scheinen mir so recht keinen eigentlichen Bestand zu haben.«

»Ich habe den ganzen Gegenstand auch nur erwähnt,« sagte Benedetti, »weil wir einmal auf das Gebiet politischer Conjecturen gekommen waren, zu denen auch die vorhin von Ihnen erwähnte österreichisch-italienische Negociation gehört.«

Graf Bismarck sah den Botschafter scharf und durchdringend an, dann neigte er mit höflicher Zustimmung den Kopf.

»Ich freue mich also von Neuem constatiren zu können,« sagte Benedetti, indem er aufstand, »daß in unsern internationalen Beziehungen kein Punkt existirt, welcher zu Unruhe oder Besorgniß Veranlassung geben könnte, und man wird sich,« fügte er lächelnd hinzu, »in London wohl überzeugen, daß auch ohne Entwaffnung zwei große Mächte in Frieden und Freundschaft neben einander leben können.«

»Das bewaffnete Deutschland,« sagte Graf Bismarck, indem er Benedetti einige Schritte zur Thür geleitete, »ist wenigstens für Niemand eine Drohung – als für Diejenigen, welche sich seiner naturgemäßen freien und nationalen Kraftentwickelung etwa entgegenstellen möchten.«

Benedetti verneigte sich, drückte die dargebotene Hand des Minister-Präsidenten und ging hinaus.

Graf Bismarck schritt einige Male langsam im Zimmer auf und nieder.

»Es ist etwas im Werk,« sagte er, – »dieser englische Entwaffnungsvorschlag beweist, daß man in London der Ruhe nicht traut, man muß dort irgend welche Winke haben, welche Besorgnisse einflößen, und diese erneuete Erwähnung der Candidatur des Prinzen Leopold, einer Sache, die ich längst vergessen habe und deren flüchtigem und vorübergehendem Auftauchen im vorigen Jahre ich niemals eine ernste Bedeutung beilegen mochte – diese Mittheilungen über die geheime Negociation mit Italien und Österreich, welche nicht ganz aus der Luft gegriffen sein können, – es scheint, daß da wieder irgend einer jener verborgenen Schachzüge im Werke ist, denen ich mich seit 1866 unausgesetzt gegenüber befinde. Nun,« sagte er, die Brust weit ausdehnend, »mögen sie ihre geheimen Combinationen machen, sie werden diesmal ebenso wenig zu einer ernsten Gefahr führen, als bisher. In Italien wird man sich wohl nicht so leicht entschließen, die einzige Stütze aufzugeben, welche man in Europa findet. Auch der gute Kaiser Napoleon, der immer älter wird, möchte mit jedem Jahre immer weniger geneigt sein, sich den gefährlichen Chancen eines Krieges auszusetzen, den wir, wenn er einmal entbrannt ist,« fügte er mit dem Ausdruck eiserner Entschlossenheit hinzu, »bis auf's Messer würden führen müssen. Freilich,« sagte er dann nachsinnend, »je schwächer und willenloser er wird, um so leichter möchte es vielleicht der kriegerischen Coterie werden, ihn in eine unüberlegte Unternehmung hineinzuziehen. Die Schwäche des Alters könnte bei ihm zu demselben Resultat führen, das bei Andern durch die Verwegenheit der Jugend hervorgebracht wird. Nun,« sagte er mit ruhigem Ton, »ich arbeite mit aller Macht daran, den Frieden zu erhalten – wenn es aber nicht möglich sein sollte – wir sind gerüstet und können jeder Eventualität mit dem ruhigen Bewußtsein entgegensehen, daß wir gethan haben, was an uns ist, um allen Gefahren zu begegnen. Leider, leider,« sagte er nach einer Pause, »kann ich noch immer nicht dahin kommen, klar und genau zu übersehen, was unter dieser glatten Oberfläche der französischen Politik in den Tiefen gebraut und vorbereitet wird, – wie traurig, daß man nicht überall selbst sein kann und daß man gezwungen ist, durch fremde Augen zu sehen und mit fremden Ohren zu hören.«


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