Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Drittes Capitel.

In einem großen Zimmer des Hotels zur Sonne in St. Dizier waren dreißig bis vierzig von den hannöverschen Emigranten versammelt, theils ganz junge Männer, theils ältere Leute, deren Mienen und Haltung man die gedienten Militairs ansah. Sie Alle standen in Reihen an der einen Seite des Zimmers und blickten ernst und finster nach dem Tisch hin, an welchem der Major von Adelebsen, der Ordonnanzofficier des Königs Georg, saß und auf welchem Actenpackete und eine Anzahl von Bankbillets und Goldrollen lagen.

Neben dem Major von Adelebsen saß der frühere Lieutenant de Pottere, ein junger Mann mit dichtem, sorgfältig frisirtem Haar, welches tief in die auffallend niedrige Stirn herabreichte, mit großen, etwas starr blickenden Augen und einem starken blonden Schnurrbart auf der Oberlippe des Mundes, um welchen ein gleichgültig stereotypes Lächeln spielte.

Der Lieutenant de Pottere hatte eine Namensliste der Emigranten vor sich und hielt eine Feder in der Hand bereit, die Proceduren des Majors von Adelebsen zu protocolliren.

»Unterofficier Rühlberg!« rief Herr von Adelebsen, indem er den etwas unsicheren Blick seines Auges über die Emigranten hingleiten ließ.

In militairischer Haltung trat der Unterofficier an den Tisch heran.

»Ich habe Sie nunmehr aufzufordern,« sagte Herr von Adelebsen, »zur Erklärung darüber, was Sie über Ihre Zukunft beschlossen haben. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Sie die Ihnen zustehende Pension von Seiner Majestät erhalten können oder aber eine einmalige Abfindungssumme, wenn Sie das vorziehen. Geben Sie mir Ihre Erklärung, wohin Sie nachher zu gehen beabsichtigen.«

»Ich bitte, mich ein für allemal abzufinden, Herr Major,« erwiderte der Unterofficier, »ich will mit einer Anzahl meiner Kameraden nach Algier gehen, um dort unser Glück in einer Colonie zu versuchen.«

»Sie wollen nach Algier gehen?« fragte Herr von Adelebsen ein wenig befremdet, »Sie wissen doch, daß Seine Majestät eine Niederlassung in Algier nicht für zweckmäßig erachten können, und daß Allerhöchstdieselben befohlen haben, den Legionairen von einer Auswanderung nach Algier abzurathen.«

»Zu Befehl, Herr Major,« erwiderte der Unterofficier, »Herr Minister von Münchhausen hat uns das auseinandergesetzt und uns dabei zugleich gerathen, nach Hannover zurückzukehren, und,« fügte er mit einer gewissen Bitterkeit hinzu, »die Strafe, die man uns vielleicht dictiren würde, ruhig abzusitzen. Ich bin ganz überzeugt,« fuhr er fort, »daß Seine Majestät die besten Absichten mit uns hat, und daß Er nach den Berichten, die man ihm erstattet hat, überzeugt ist, daß eine Colonie in Algier uns keinen Vortheil bringen könne. Aber ich muß Ihnen sagen, Herr Major, daß ich durchaus keine Lust habe, nach der Heimath zurückzukehren, um mich dort einsperren zu lassen. Wenn Seine Majestät uns eine Amnestie würde verschaffen können, so wäre es etwas Anderes. Unter diesen Umständen muß ich aber dabei bleiben zu versuchen, meine Zukunft auf meine eigene Kraft zu gründen; und ich bleibe daher bei meiner Erklärung, daß ich nach Algier gehen will und bei meiner Bitte, mir die Abfindungssumme auszuzahlen.«

»Wenn aber doch Seine Majestät,« sagte der Lieutenant de Pottere mit einer etwas näselnden Stimme, »eine solche Colonie nicht für zweckmäßig hält –«

»Der Herr Major,« fiel der Unterofficier ein, »haben uns gesagt, daß wir die völlig freie Entschließung hätten, unsere Zukunft einzurichten, wie wir wollten. Ich habe mir die Sache reiflich überlegt und bleibe dabei, daß ich nach Algier gehen will. Vorzüglich,« fuhr er fort, »möchte ich ein für allemal abgefunden sein, wohin ich mich dann wende, kann und wird ja übrigens Seiner Majestät ganz gleichgültig sein.«

»Es ist Seiner Majestät gewiß nicht gleichgültig,« sagte Herr von Adelebsen mit sanfter Stimme, »wie sich die Zukunft seiner früheren Soldaten gestaltet, und deshalb –«

»Darf ich bitten, Herr Major,« fiel der Unterofficier, sich in strammer Haltung aufrichtend, ein, »meine Erklärung zu Protocoll nehmen zu lassen? Mein Entschluß steht unwiderruflich fest.«

Herr von Adelebsen gab dem Lieutenant de Pottere einen Wink. Dieser schrieb die Erklärung des Unterofficiers nieder und der Major zählte die Abfindungssumme in Banknoten und Zwanzigfrankstücken ab und händigte sie dem Unterofficier ein, der mit vorsichtiger Sorgfalt seinen Namen unter die ihm vorgelegte Quittung setzte und dann zu den Übrigen zurücktrat.

»Dragoner Cappei!« rief Herr von Adelebsen.

Der junge Mann trat heran.

»Ihre Erklärung?« fragte Herr von Adelebsen.

»Ich wünsche, nach Hannover zurück zu gehen,« sagte Cappei.

»Sie sind militairpflichtig gewesen,« sagte Herr von Adelebsen. »Haben Sie es sich überlegt, daß man Sie vielleicht bestrafen und in die preußische Armee einstellen wird? Es läge vielleicht, wenn Sie sich dieser Gefahr nicht aussetzen wollen, in Ihrem Interesse, wie sich viele andere Ihrer Kameraden bereits entschlossen haben, nach Amerika zu gehen –«

»Ich danke, Herr Major,« erwiderte Cappei ruhig, »ich bin entschlossen, zu tragen, was mir in Hannover widerfahren wird, und will in die Heimath und zu meiner Familie zurückkehren.«

Er empfing die ihm zukommende Summe Geldes, der Lieutenant de Pottere protocollirte seine Erklärung und Cappei trat zurück.

Einer nach dem Andern aus der Reihe der Emigranten wurde aufgerufen, Zwei oder Drei erklärten, daß sie nach Amerika gehen wollten, alle Übrigen sprachen den Entschluß aus, mit dem Unterofficier Rühlberg nach Algier auszuwandern.

»Ich muß Sie Alle nochmals darauf aufmerksam machen,« sagte Herr von Adelebsen, »daß, wie ich bereits dem Unterofficier bemerkt habe, Seine Majestät nicht glauben könne, daß Sie in Algier Ihre künftige Wohlfahrt finden. Sie werden dort in einem fremden Lande ohne Hülfsmittel und ohne Unterstützung sein und es vielleicht bereuen, daß Sie sich zu einem solchen Entschluß haben beeinflussen lassen.«

»Niemand hat uns beeinflußt!« riefen Mehrere der Emigranten. »Wir haben selbst schon lange ehe unsere Officiere mit uns über die Colonie gesprochen haben, den Gedanken gefaßt, wenn der König uns nicht mehr erhalten könnte, uns in Algier eine Zukunft zu gründen.«

»Ich muß aber ausdrücklich bemerken,« sagte Herr von Adelebsen, »daß Seine Majestät mir befohlen haben, ganz bestimmt zu erklären, daß Diejenigen, welche nach Algier gehen, niemals auf irgend eine Unterstützung von seiner Seite zu rechnen haben. Bedenken Sie, was es heißt, in einem ganz fremden Lande unter unbekannten Verhältnissen sich eine Existenz zu gründen.«

»Wir werden im fremden Lande,« rief der Unterofficier Rühlberg, einen Schritt vortretend, »immer noch Menschen finden, die uns mit Rath und That beistehen und Gefühl für Leute haben, welche ihrem König im Unglück treu geblieben sind, – wir haben freilich nicht geglaubt, daß es so kommen würde, denn dann würden wir wohl kaum die Heimath verlassen haben, und was die Bemerkung betrifft, die der Herr Major so eben gemacht haben, so können Sie ganz ruhig sein, Niemand von uns wird künftig die Unterstützung der Kasse Seiner Majestät in Anspruch nehmen. Jedenfalls werden wir immer noch besser in Algier daran sein, wo uns wenigstens die französische Regierung freundlich entgegenkommt, als wenn wir über das weite Meer nach Amerika hinzögen, wo wir ohne alle Hülfe sterben und verderben können.«

»In Amerika wären wir freilich weiter fort,« rief eine Stimme aus den Reihen, »und wenn wir Alle dort wären, so wäre man doch sicher, daß Niemand von uns der königlichen Kasse zur Last fällt.«

Der Major warf einen schnellen Blick von unten herauf nach der Gegend, woher diese Stimme erschallt war. Der Lieutenant de Pottere drehte seinen Schnurrbart und sagte:

»Sie müssen ruhig sein und nicht durcheinander sprechen.«

»Ich glaube, wir sind abgefunden,« rief es aus den Reihen, »und haben hier nichts mehr zu thun, gehen wir.«

Und sich kurz umwendend, verließen sie Alle das Zimmer, indem sie den Refrain des alten hannöverschen Soldatenliedes anstimmten:

»Lustige Hannoveraner seien wir.«

Herr von Adelebsen und der Lieutenant de Pottere packten die Papiere und das übrig gebliebene Geld zusammen und zogen sich stillschweigend in ihre Zimmer zurück.

»Nun Cappei,« sagte der Unterofficier Rühlberg zu dem jungen Dragoner, welcher schweigend und gedankenvoll mit den Übrigen die Treppe hinabstieg, »wollt Ihr Euch nicht noch eines Bessern besinnen und mit uns nach Algier gehen. Denkt doch, wie schön es ist, wenn wir Alle zusammen bleiben und unser Dorf nach althannöverscher Manier einrichten, da können wir es doch noch zu Etwas bringen, ein freies und selbstständiges Leben führen und an die alte Heimath zurückdenken, wie sie früher war.«

»Es thut mir leid, Euch zu verlassen,« sagte Cappei, – »aber unsere Sache ist zu Ende, das alte Hannover ist für immer versunken. Was hilft es dem Einzelnen, gegen den Weltlauf anzukämpfen – ich liebe meine Heimath, und die Heimath bleibt ja doch dieselbe, mag nun dieser oder jener König, dieses oder jenes Gesetz herrschen.«

»Nun, geht hin,« sagte der Unterofficier, »Ihr werdet es noch bereuen, aber Verliebten ist keine Vernunft zu predigen. Ihr kommt doch heute Abend noch zu uns, wir wollen noch einmal lustig zusammen sein; in dieser Nacht noch wollen wir nach Marseilles reisen, um uns nach Algier einzuschiffen. Wir haben unsere Empfehlung an den Präfecten dort, und das Comité, welches unsere Officiere in Paris bilden, wird dafür sorgen, daß wir von dort aus gut empfohlen werden. Tüchtige und rechtliche Leute, die arbeiten können, kann man überall brauchen, und wir werden unsern Weg schon machen.«

Die Emigranten zogen über den Marktplatz von St. Dizier, von den ihnen begegnenden Bürgern freundlich begrüßt, nach dem Restaurant hin, in welchem sie sich gewöhnlich zu versammeln pflegten.

Der junge Cappei trennte sich an der Ecke des Marktplatzes von ihnen und schritt langsam dem Hause des Holzhändlers Challier zu. Er ging über den großen Hof und trat durch den Flur in das Wohnzimmer des Hauses, in welchem er so lange als ein freundlich empfangener Gast aus- und eingegangen war, und von welchem er sich nun trennen sollte, um den Kampf mit einer ungewissen Zukunft aufzunehmen.

Der alte Herr Challier saß allein in seinem Lehnstuhl, die so eben ausgegebene Zeitung des kleinen Orts lesend. Er legte bei dem Eintritt des jungen Mannes das Blatt aus der Hand, erhob sich und trat ihm mit herzlichem Gruß entgegen.

»Alles ist abgemacht, Herr Challier,« sagte Cappei in ziemlich reinem, aber im deutschen Accent anklingenden Französisch, »die Legion ist aufgelöst, wir sind Alle frei und können hingehen, wohin wir wollen. Und alle diese Kameraden, die nun drei Jahre lang Freud und Leid mit einander getheilt haben, werden sich wohl schwerlich jemals wieder zusammenfinden.«

»Das ist recht traurig,« sagte der alte Herr Challier, langsam den Kopf schüttelnd. »So ist also die Sache Ihres Königs aufgegeben, – das thut mir aufrichtig leid, denn ich habe immer so viel Sympathie für sein Schicksal und für Sie Alle gehabt; und wir Bürger von St. Dizier nehmen gewiß ganz besondern Antheil an Allem, was den König betrifft, seit er unserer Stadt die Ehre erzeigt hat, der Pathe des Kindes eines unserer Mitbürger zu sein. Ich bin ein alter Bragars,« sagte er, indem seine dunklen Augen in lebhaftem Feuer aufleuchteten, »und ich hätte mich von Herzen gefreut, wenn ich Sie hätte ausziehen sehen können, um für Ihren König und sein Recht zu fechten, – das Schicksal geht seinen eigenen Weg, – es hat nicht sein sollen. Wir verlieren alle liebe Freunde mit ihnen,« fuhr er fort, »und mir wird es in meinem Hause recht leer vorkommen, wenn ich Sie nicht mehr sehe. Haben Sie Ihren Entschluß fest gehalten,« fragte er, »nach Ihrem Vaterlande zurückzukehren? – Ich würde mich kaum dazu entschließen können,« sagte er, »wenn ich mich in Ihre Lage denke, in einem Lande zu leben, in welchem eine fremde Herrschaft alle Erinnerungen an eine ruhmvolle Vergangenheit begraben hat.«

Ernst erwiderte der junge Mann:

»Es liegt fast ein Vorwurf in Ihren Worten für mich, Herr Challier, und doch kann ich nicht anders handeln. – Sie sind Franzose und wenn es möglich wäre, daß Ihr Vaterland ein Schicksal träfe wie das meinige, so würde Ihr Gefühl natürlich sein. Bei mir, da ist es etwas Anderes, Hannover ist ein kleines Land, ein kleiner Theil jenes großen Deutschlands, das ja doch das gemeinsame Vaterland für uns Alle ist. Wir Hannoveraner lieben unsere Eigenart und Selbständigkeit, wir haben mit fester Treue an den Fürsten gehangen, die so lange über uns geherrscht haben. Wir beklagen und empfinden tief den Verlust unserer Selbstständigkeit, aber wir sind doch immer nur ein Glied des Ganzen, – die neue Regierung, welche über uns herrscht, ist ja auch eine deutsche, und Deutsche bleiben wir auch unter den neuen Verhältnissen. Sollen wir uns darum von dem großen ganzen Vaterlande ausschließen, weil wir nicht weiter leben können, wie wir es bisher gewohnt waren? Für das Recht unseres Königs konnten wir kämpfen, wenn der König aber dies Recht aufgiebt, wie könnten wir in unversöhnlichem Haß den andern Deutschen gegenüber stehen! Übrigens,« fuhr er fort, »werde ich vielleicht nicht immer in meiner Heimath bleiben, nachdem ich meine Verhältnisse dort geordnet und meine Stellung klar gemacht habe, – und darüber,« fügte er etwas zögernd hinzu, »möchte ich mit Ihnen, Herr Challier, bevor ich scheide, noch ein ernstes Wort sprechen. Sie haben mich mit väterlicher Güte aufgenommen, ich will Ihnen klar und ohne Rückhalt meine Gedanken über die Zukunft mittheilen. Billigen Sie dieselben nicht,« sagte er seufzend, »so werde ich meine Pläne ändern und Hoffnungen aufgeben, welche mir die liebsten und schönsten sind.«

Herr Challier blickte ihn ein wenig erstaunt an und sagte im herzlichen Ton:

»Sie wissen, mein junger Freund, daß mein Rath und meine Erfahrung, wenn ich Ihnen mit denselben nützen kann, Ihnen stets zu Gebote stehen.«

Er setzte sich in seinen Lehnstuhl und lud den jungen Mann ein, in einem Sessel neben ihm Platz zu nehmen. Dieser jedoch blieb vor dem alten Herrn stehen, senkte einen Augenblick nachdenkend den Kopf, wie um seine Gedanken zu ordnen, und sprach dann mit bewegter Stimme:

»Sie haben mich kennen gelernt, Herr Challier, als heimathlosen Flüchtling, und dennoch haben Sie mir freundlich Ihr Haus geöffnet. Sie haben mich in den Kreis Ihrer Familie aufgenommen und ich darf annehmen, daß Sie Vertrauen zu mir haben, obgleich Sie nie vorher Etwas von mir gehört, obgleich Sie nicht wissen, woher ich stamme und welches meine Vergangenheit war.«

»Ich habe Ihnen vertraut,« erwiderte Herr Challier, »weil Sie hergekommen sind als der Diener eines edlen und unglücklichen Fürsten. Man dient dem Unglück nicht, wenn man nicht ein edles und treues Herz hat, darum habe ich Sie aufgenommen, wie man einen braven und rechtschaffenen Mann aufnimmt, und,« fügte er mit der den Franzosen so eigentümlichen Höflichkeit des Herzens hinzu, »ich habe mich in meinem Urtheil und meinem Vertrauen nicht getäuscht, denn nun Sie uns verlassen, fühle ich, daß ein Freund von uns scheidet.«

»Ich gehe in mein Vaterland zurück,« erwiderte Cappei, »um so bald es mir möglich ist, wieder vor Sie hintreten zu können, nicht mehr als der heimathlose Unbekannte, sondern als ein Mann, der Ihnen nachweisen kann, woher er stammt, was er war und was er ist, als ein Mann, der einen, wenn auch kleinen, aber sichern Besitz hat, und der es darum wagen kann, Ihnen eine Bitte auszusprechen, von der sein ganzes Lebensglück abhängt, – die Bitte,« fügte er mit zitternder Stimme hinzu, »mir das Schicksal Ihrer Tochter Luise anzuvertrauen, welche ich liebe mit aller Wärme und Treue, die das Erbtheil unseres Stammes sind – deren Glück ich alle Kraft meines Lebens widmen werde und ohne welche meine Zukunft öde und freudlos sein würde.«

Der alte Herr Challier hatte ruhig und ernst zugehört. Sein Auge ruhte einen Augenblick mit liebevoller Theilnahme auf dem jungen Mann; dann sprach er mit milder freundlicher Stimme:

»Ich habe Ihnen gesagt, Herr Cappei, daß ich volles Vertrauen zu Ihnen habe, daß ich Sie für einen Ehrenmann halte, – daraus folgt, daß ich, was Ihre Person betrifft, keine Bedenken trage, Ihnen das Glück meiner Tochter anzuvertrauen, – ich bin nicht reich,« fuhr er fort, »aber ich habe nur die einzige Tochter und besitze genug, um ihr, auch wenn die Wahl ihres Herzens auf einen armen Mann fällt, eine sichere Existenz begründen zu können. Ob Sie Vermögen besitzen oder nicht, ist deshalb nicht entscheidend für die Beantwortung Ihrer Frage, aber,« fuhr er fort, »die Grundlage einer sorgenfreien Existenz für die Zukunft meiner Tochter liegt in dem Geschäft, das ich hier betreibe. Würde ich es verkaufen, so würde der Kaufpreis in Geld nicht den Werth repräsentiren, den es in der Hand eines geschickten und fleißigen Mannes hat. Deshalb habe ich stets den Wunsch gehegt, daß der Mann, den meine Tochter einst sich zum Gefährten ihres Lebens erwählt, mein Geschäft fortsetzt. Ich fühle es vollkommen,« fuhr er fort, »was es heißt, sein Vaterland zu verlassen, – aber in Ihrer Heimath sind die Verhältnisse so verändert, und die jetzigen Zustände können Ihnen so wenig erfreulich sein, daß es vielleicht Ihren eigenen Wünschen entsprechen könnte, hierher zurück zu kommen. Haben doch auch viele meiner Landsleute Frankreich verlassen und in Deutschland eine neue Heimath gefunden, warum sollten Sie nicht in unserer Mitte auch Ihre künftige Heimath begründen können? Könnten Sie diesen meinen sehnlichsten Herzenswunsch erfüllen, so würde ich kein Bedenken hegen, die Zukunft meines Kindes Ihnen anzuvertrauen, vorausgesetzt, daß meine Tochter die Gefühle theilt, welche Sie für sie hegen, – worüber Sie,« fügte er lächelnd hinzu, »vielleicht ein wenig unterrichtet sind.«

»Ich glaube,« sagte Cappei mit leiser Stimme, »daß Fräulein Luise mir nicht abgeneigt ist –«

Die Thür öffnete sich, die Tochter des Herrn Challier trat ein. Sie hatte eine Freundin besucht und trug einen einfachen kleinen Hut, mit Rosenknospen garnirt, und ein leichtes Tuch um die Schultern. Ihr frisches Gesicht war vom Gang leicht geröthet, ihre glänzenden Augen richteten sich einen Augenblick wie fragend auf ihren Vater und auf den jungen Hannoveraner. Sie eilte auf den alten Herrn zu, bot ihm mit anmuthiger Bewegung ihre Wange zum Kuß dar und reichte dann Cappei mit freundlichem Gruß die Hand.

»Du kommst eben recht,« sagte Herr Challier, »um eine Frage zu beantworten, welche ich soeben an unsern jungen Freund hier richtete, und über welche er sich ganz klar auszusprechen zu scheuen schien.«

Luise blickte zuerst verwundert auf, ihr Auge suchte das ihres Geliebten, – sie schien zu verstehen, um was es sich handelte, und senkte tief erröthend den Kopf auf die Brust nieder.

»Herr Cappei,« sagte der alte Herr, »hat mir soeben mitgetheilt, daß er, wenn seine Angelegenheiten in seiner Heimath geordnet sein werden, zu uns zurückkommen will, um Dir seine Hand anzutragen, nachdem Du, wie es scheint, bereits in dem Besitz seines Herzens bist. Ich habe die Entscheidung darüber von Deiner Entschließung abhängig gemacht, – was würdest Du sagen, wenn unser junger Freund hier seinen Antrag nunmehr auch an Dich richtetet?«

Einen Augenblick blieb das junge Mädchen mit gesenktem Kopf stehen, ein flüchtiger, halb scheuer, halb vertrauensvoller Blick traf den jungen Mann, dann richtete sie sich empor, trat mit festem Schritt an die Seite des jungen Mannes und sprach:

»Ich bin eine Tochter der Bragars von St. Dizier, mein Vater, ich verstehe nicht, meine Gefühle zu verbergen, – mögen Andere es für schicklich halten, zu verhüllen, was ihr Herz bewegt, – ich sage offen, was ich empfinde, – ich liebe ihn,« fuhr sie mit strahlenden Blicken fort, »mein Herz gehört ihm und wird ihm ewig gehören. Und Du, mein Vater, weißt, daß ich meine Liebe keinem Unwürdigen schenke.«

Der Alte blickte mit stolzer Freude auf seine Tochter.

»Brav, mein Kind,« sagte er, »das ist recht und tapfer gesprochen, und ebenso offen will ich Dir ohne Umschweife antworten. Ich gebe dem Bunde Eurer Herzen mit Freuden meinen Segen.«

Cappei breitete die Arme aus, das junge Mädchen sank an seine Brust und er drückte seine Lippen auf ihr glänzendes Haar.

»Gehen Sie nach Ihrer Heimath zurück, ordnen Sie Ihre Angelegenheiten und,« fügte er hinzu, »kommen Sie bald zurück, – ich verlange nicht als unerläßliche Bedingung, daß Sie Ihre künftige Heimath hier in unserm Frankreich wählen; ein Mann muß am besten wissen, was er zu thun hat, und ein Weib muß dem Manne ihres Herzens folgen. Ich muß es mir ja gefallen lassen, mein Kind von mir gehen zu sehen, – das ist der Lauf der Natur, aber,« fuhr er fort, indem seine Lippen bebten und seine Stimme leicht zitterte, »Sie kennen den Wunsch meines Herzens, Sie wissen, wie glücklich es mich machen würde, zu denken, daß mein Kind einst an meinem Sterbebette stehen wird, und daß ich ihr und meinen Enkeln das alte Haus überlassen kann, in welchem so viele meiner Vorfahren seit einer Reihe von Generationen gelebt haben.«

Luise sagte Nichts, langsam hob sie den Kopf von der Brust ihres Geliebten empor und sah den jungen Mann mit ihren großen glänzenden Augen fragend und bittend an.

»Ich kehre zurück,« sagte dieser rasch mit entschlossenem Ton, »um meine Heimath da zu begründen, wo ich das Glück meines Herzens gefunden habe. Ich würde wahrlich lieber garnicht fortgehen, aber ich muß in die Heimath, um meine Angelegenheiten zu ordnen, und mein kleines Vermögen zu sichern. Denn,« fügte er mit fester Stimme hinzu, »nicht dem heimathlosen Bettler soll Ihre Tochter ihre Hand reichen.«

Ein glückliches Lächeln erhellte das Gesicht des alten Herrn, er streckte seine beiden Hände aus, – die jungen Leute ergriffen sie und beugten sich zärtlich zu ihm herab.

Einen Augenblick blieben alle Drei in inniger Umarmung, sie hörten nicht, daß die Thüre sich öffnete, und erst der Ton rascher Schritte ließ sie aufblicken.

Herr Vergier war eingetreten, – starr und bleich stand er in der Mitte des Zimmers, seine Lippen bebten, seine scharfen, stechenden Augen blickten mit unheimlich spähendem Feuer auf die Gruppe vor ihm.

Die beiden jungen Leute waren zur Seite getreten, der alte Herr erhob sich, ging Herrn Vergier entgegen und sprach, indem er ihn mit kräftigem Händedruck begrüßte:

»Sie sind ein alter Freund meines Hauses, und als solchen will ich Ihnen vor allen Andern zuerst sagen, welches für meine Familie so wichtige Ereigniß hier so eben sich vollzogen hat.«

Er theilte mit kurzen Worten Herrn Vergier, dessen blitzende Augen mit höhnischen, feindlichen Blicken auf den beiden jungen Leuten ruhten, welche Hand in Hand hinter ihrem Vater standen, die Verlobung seiner Tochter mit.

»Sie wissen,« sagte Herr Vergier, als der Alte geendet, mit zitternder, rauh klingender Stimme, indem seine Gesichtszüge vor heftiger Aufregung zuckten, »wie tiefen Antheil ich an Allem nehme, was Ihr Haus betrifft, – aber die Gefühle, welche mich bei der Mittheilung erfüllen, die Sie mir so eben gemacht, können nicht erfreulich sein,« fügte er mit bitterm Ton hinzu. »Ich hatte Hoffnungen gehegt, welche durch das, was Sie mir sagen, auf immer zerstört worden sind. Fräulein Luise,« fuhr er mit brennendem Blick fort, »kannte diese Hoffnungen, sie hat mir dieselben bisher nicht genommen. Sie hatte ein Jahr verlangt, um mir eine bestimmte Antwort zu geben, und nun sehe ich, daß sie nur eine so kurze Frist gebraucht hat, um sich über die Wahl ihres Herzens zu entscheiden.«

Mühsam nach Fassung ringend, stützte er sich auf die Lehne eines Stuhls.

Luise sah ihn mit einem weichen Blick aus ihren offenen klaren Augen an. Rasch trat sie zu ihm und reichte ihm die Hand.

»Niemand ist Herr der Gefühle seines Herzens,« sagte sie – »Sie waren der Freund meiner Kindheit, bleiben Sie mein Freund für mein künftiges Leben und verzeihen Sie mir, wenn ich die Gefühle nicht erwidern konnte, die Sie mir entgegen trugen, – Sie werden das vergessen,« fügte sie freundlich hinzu, – »Sie werden gewiß, wie ich es Ihnen von ganzem Herzen wünsche, bei einer andern Wahl mehr Glück finden, als ich Ihnen hätte bieten können.«

Herr Vergier hatte nur zögernd die Hand des jungen Mädchens einen Augenblick ergriffen.

»Es ist nicht nur der Schmerz um den Verlust meiner Liebe,« sagte er mit einer noch immer vor Aufregung halb erstickten und unsichern Stimme, »welche mich bewegt, aber ich bin Franzose, und es schneidet mir in's Herz, daß ich die Tochter meines Freundes, deren Glück mir theuer ist, wie mein eigenes, sich ihrem Vaterlande entfremden sehe. Der Krieg mit diesem Preußen, das drohend an unsern Grenzen steht, ist nur eine Frage der Zeit. Er wird vorbereitet von beiden Seiten, er muß kommen, Jedermann in Frankreich fühlt das, man hat schon mehrfach deutsche Spione bei uns entdeckt. Und schon sind Stimmen laut geworden,« fuhr er immer eifriger fort, indem sein Gesicht vor Aufregung zuckte, und seine Blicke sich wie Dolchspitzen auf den jungen Emigranten richteten – »schon sind Stimmen laut geworden, welche behaupten wollen, daß diese hannöversche Legion, welche so plötzlich auseinandergeht, nur der Deckmantel gewesen sei, um genaue Kundschaft über die inneren Verhältnisse unseres Landes zu erhalten. – Und wenn ich denken sollte,« rief er, seiner nicht mehr mächtig, indem ein leichter Schaum auf seine Lippen trat, – »daß meine Geliebte ein Werkzeug werden sollte in der Hand eines Feindes Frankreichs – –«

Eine helle Zornröthe flammte aus dem Gesicht des jungen Hannoveraners auf, mit einem raschen Schritt trat er zu Herrn Vergier hin, mit einer drohenden Bewegung erhob er die Hand –

Luise warf sich ihm entgegen; bittend faltete sie die Hände, ihre Augen richteten sich mit magnetischer Gewalt auf ihren Geliebten.

Dieser ließ langsam den Arm sinken, der Ausdruck seines Gesichts wurde ruhig, beinahe sanft und milde.

»Ich habe Ihnen, ohne es zu wollen, wehe gethan, mein Herr,« sagte er, »ich bin störend eingetreten in die Hoffnungen Ihres Herzens, ich verstehe Ihren Schmerz und Ihre Aufregung, – ich muß Ihnen viel vergeben, – aber Worte, wie Sie so eben ausgesprochen, sollte niemals ein Mann von Ehre einem Andern sagen. Ich bin nach Frankreich gekommen,« fuhr er fort, »im Dienst meines Königs und als ein Feind jener Macht, welche wie Sie glauben, mit Ihrem Vaterland in Kampf treten soll. Dies allein sollte mich vor einem so elenden und niedrigen Verdacht schützen, wie Sie ihn gegen mich ausgesprochen, aber ich glaube, Herr Challier und Fräulein Luise kennen mich genug, und auch Sie sollten mich genug kennen, um zu glauben, daß auch wenn ich nicht als Hannoveraner und als Legionair des Königs Georg hergekommen wäre, ich doch unfähig sein würde, in solcher Weise Vertrauen und Gastfreundschaft zu täuschen. Wenn Sie ruhig darüber nachdenken, werden Sie mir Gerechtigkeit widerfahren lassen und,« fügte er mit offener Herzlichkeit hinzu, »ich hoffe, Sie werden vergessen, was ich Ihnen, ohne es zu wollen, Böses gethan und dahin kommen, die Freundschaft, welche Sie für Herrn Challier und seine Tochter gehegt, auch mir zu schenken; seien Sie überzeugt, daß ich Alles thun werde, um mich derselben würdig zu machen.«

Luise dankte mit einem innigen Blick ihrem Geliebten für seine Worte.

Herr Vergier hatte mit gewaltiger Anstrengung seine tiefe Aufregung bemeistert. Er zwang seine zuckenden Lippen zu einem freundlichen Lächeln, er schlug seine Augen nieder und reichte Cappei die Hand.

»Verzeihen Sie mir,« sagte er mit tonloser Stimme, indem seine Worte nur einzeln und abgebrochen hervordrangen, »verzeihen Sie mir meine kränkende Äußerung. Mein augenblickliches Gefühl riß mich hin, – ich bin Franzose und mißtrauisch gegen alle Fremden. Ich will die Vergangenheit und die Täuschung meiner Hoffnungen zu vergessen suchen; vielleicht wird die Zeit uns in Freundschaft zusammenführen.«

Cappei ergriff Herrn Vergiers dargebotene Hand.

Diese Hand war feucht und kalt wie Eis, sie erwiderte den Druck des Hannoveraners nicht und erschrocken ließ dieser sie wieder los.

»Erlauben Sie, daß ich mich zurückziehe,« sagte Herr Vergier, »ich passe in diesem Augenblick nicht in Ihre Gesellschaft.«

Und mit einer flüchtigen Verbeugung sich empfehlend, eilte er hinaus.

»Der Arme thut mir leid,« sagte der alte Herr Challier, ihm nachblickend, »er ist eine so heftige, leicht erregbare Natur, er wird sehr leiden –«

»Ich hätte ihn doch nicht lieben können,« sagte Luise, indem sie mit leichtem Kopfschütteln vor sich niederblickte. »Wenn mein Herz nicht gesprochen hätte,« fügte sie, ihrem Geliebten die Hand reichend, hinzu, »wenn ich ihm vielleicht ohne Liebe meine Hand gegeben hätte, so wären wir Beide unglücklich geworden.« –

Lange noch saßen die beiden jungen Leute beisammen. Freundlich hörte der alte Herr ihr Geplauder und ihre Pläne für die Zukunft an. Es wurde beschlossen, daß der junge Cappei schon am nächsten Morgen abreisen sollte. –

Luise erhob keine Einwendungen gegen diesen Beschluß.

»Je schneller er fortgeht,« sagte sie lächelnd, »um so schneller wird er wiederkehren, und um so schneller werden wir zu einem ruhigen und dauernden Glück kommen, das dann Nichts mehr stören wird.« – –

Am späten Abend brach der junge Mann auf, um noch einmal seine Landsleute, welche um Mitternacht abreisen wollten, zu sehen und mit ihnen die letzten Augenblicke zu verleben.

Sinnend und gedankenvoll schritt er durch die lange Hauptstraße der Stadt nach dem Marktplatz hin. An der Ecke desselben befand sich der Restaurant, in dessen Saal die Legionaire versammelt waren. Die Hannoveraner saßen hier um einen großen Tisch – zahlreiche Freunde aus der Stadt waren bei ihnen, um die letzten Augenblicke mit den ihnen lieb gewordenen Gästen zu verbringen, die so lange unter ihnen geweilt hatten.

Auf dem Tische stand eine große Punschbowle, welcher jedoch heute nur sehr mäßig zugesprochen wurde, – alle Gesichter waren ernst und oft stockte die Unterhaltung. Alle diese einfachen Leute, welche die großen Erschütterungen der Zeit hier im fremden Lande zusammengeführt hatten, fühlten, daß heute die Vergangenheit, welche sie in liebevoller Erinnerung im Herzen trugen, für immer abgeschlossen werde, daß das letzte Band, welches sie hier in der gemeinsamen Verbannung mit der alten Heimath und Allem, was sie Liebes in sich schloß, noch verband, nun für immer zerriß und daß sie nun als Fremde allein und vereinsamt hinaustreten müßten in ein schweres feindliches Leben, um auf ihre eigene Kraft die Zukunft zu erbauen in mühevoller Arbeit.

Der junge Cappei trat ein. – Traurig überblickte er diese Versammlung seiner Kameraden, welche so oft hier heiter und fröhlich beisammen gewesen waren und welche nun auseinander gehen sollten, um sich schwerlich jemals in dieser Welt vereinigt wieder zu begegnen.

Er setzte sich schweigend neben den Unterofficier Rühlberg.

»Was könntet Ihr Euch für eine schöne Zukunft machen,« sagte dieser, indem er dem jungen Manne ein Glas Punsch reichte, – »wenn Ihr mit uns gingt, – Ihr seid noch jung und kräftig, – geschickt zu aller Arbeit und habt mehr gelernt, als wir Alle, – Ihr würdet ein schönes Vermögen in Algier erwerben, – das Euch hundertmal den kleinen Hof daheim ersetzen würde, – von dem Ihr noch gar nicht einmal wißt, ob Ihr ihn erhaltet, – ich sage Euch noch einmal, – geht mit uns, – laßt die Phantasie im Stich, die Ihr Euch in den Kopf gesetzt habt, – es hat noch nie zu etwas Gutem geführt, wenn junge Leute von der Liebe sich den Kopf verdrehen lassen.«

»Ich bitte Euch, Rühlberg,« sagte Cappei sanft aber bestimmt – »laßt mich, – mein Entschluß ist gefaßt, – versprecht mir,« fuhr er abbrechend fort, »Nachricht zu geben, wie es Euch und den Andern geht – ich muß Euch sagen, daß ich nicht viel Vertrauen zu Eurem Unternehmen habe, – hätte der König die Sache gemacht durch einen Vertrag mit der französischen Regierung, so wäre es etwas Anderes gewesen, – aber so, – Ihr werdet vielleicht später einsehen, daß es besser gewesen wäre, gleich nach der Heimath zurückzukehren. – Doch Jeder hat seinen Entschluß gefaßt und muß ihm folgen.«

Er wendete sich zu seinem Nachbar auf der anderen Seite.

Es verging noch eine halbe Stunde, – dann zog der Unterofficier die Uhr und sagte tief aufathmend:

»Es ist Zeit, Leute, – wir müssen aufbrechen!«

Alle erhoben sich.

Rühlberg ergriff sein Glas.

»Wir sind heute zum letzten Male beisammen,« sprach er mit etwas unsicher klingender Stimme, – »und wir wollen auch dies letzte Mal von der alten Sitte hannöverscher Soldaten nicht abweichen, – ein Glas auf das Wohl unseres Königs zu leeren. Sonst haben wir das mit lautem Hurrah gethan, – das wird uns heute nicht mehr frei aus der Brust herauskommen, heute ist unsere Vergangenheit, unsere alte Heimath, unser König für uns gestorben – leeren wir ein stilles Glas zum Andenken an unsern Kriegsherrn, an unsre Armee, an unsere Heimath.«

Alle tranken schweigend und so manches ehrliche treu blickende blaue Auge verschleierte sich mit feuchtem Schimmer, – mancher blinkende Thränentropfen fiel in die Gläser, welche die treuen Söhne Niedersachsens in dieser Stunde des letzten Abschieds von der Vergangenheit dem Andenken ihres Königs weihten.

Dann brach man auf.

Jeder nahm sein kleines Gepäck, – viel hatten sie nicht, diese armen Soldaten des Exils – und in schweigendem Zug ging man durch die dunkeln, leeren Straßen der Stadt nach dem kleinen Bahnhofe. Die letzten Augenblicke vergingen unter Abschiednehmen der Soldaten unter einander und von ihren französischen Freunden, deren sich noch mehrere am Bahnhof eingefunden hatten, – auch Herr Vergier war gekommen und stand bleich und finster unter den Übrigen auf dem Perron, schweigend die Händedrücke der Scheidenden erwidernd.

Da begann in der kleinen Kirche von der baumbekränzten Anhöhe über der Stadt her eine Glocke zu läuten.

Es war die Sterbeglocke, welche die Gebete begleitete, die die Priester für einen aus dem Leben geschiedenen Bürger der Stadt zum Himmel sendeten.

Die einfachen durch die Nacht her klingenden Töne ergriffen mächtig alle diese ernst und traurig gestimmten Menschen. Die Franzosen nahmen die Hüte ab und sprachen ein stilles Gebet für die Seele des Gestorbenen, – auch die Hannoveraner falteten die Hände – Niemand wußte, welchem Todten dies Geläut galt, – aber auch ihnen starb ja heute für immer, was sie so lange im Herzen getragen und so sehr geliebt hatten, – ihre Heimath und ihr König.

Der Zug brauste heran, – noch ein Händedruck, – ein letztes Abschiedswort – und die Hannoveraner stiegen ein in die Waggons, welche sie ihrer neuen unbekannten Zukunft entgegenführen sollten.

»Adieu – adieu – bonne chance!« tönte es aus den Gruppen der Bürger von St. Dizier – Cappei mit den wenigen Emigranten, welche sich zur Überfahrt nach Amerika entschlossen hatten, standen schweigend, mit feuchten Blicken schauten sie auf die Scheidenden hin, – fast zog es den jungen Mann einen Augenblick denen nach, deren Schicksal so lange mit dem seinigen verbunden gewesen war, und die nun ohne ihn hinauszogen zu einem Leben voll Abenteuer und Gefahren – da trat das Bild Luisens mit ihren sanften und liebevollen Augen vor seine Seele – rasch näherte er sich noch einmal dem Waggon und streckte dem Unterofficier Rühlberg, der am Schlage saß, die Hand hin.

»Gott befohlen!« sagte er mit erstickter Stimme, – »und – auf fröhliches Wiedersehn!«

»Das wird schon kommen,« erwiderte der Unterofficier mit einem etwas gezwungenen Lachen, hinter dem er seine innere Bewegung zu verbergen trachtete, »Ihr werdet zur Einsicht kommen – wir werden Euch einen Platz offen halten.«

Die Schaffner eilten an den Zug, – die Locomotive pfiff und langsam begannen die Räder zu rollen.

Noch einmal winkten die Zurückblickenden mit den Händen, mit leisem aber klar durch die nächtliche Stille dringenden Ton schallte das Sterbeglöcklein von der alten Kirche herüber, – die Legionaire auf dem abfahrenden Zug begannen ihr traditionelles Soldatenlied:

»Wir lustigen Hannoveraner sind alle beisammen –«

aber die Töne erklangen in langsamerem Rhythmus als sonst und wie der Zug so immer mehr sich entfernend in die Nacht hinausfuhr, vom klagenden Glockenton begleitet, – da klang das Lied, das sonst so fröhlich in Lager und Feld erschallt war, wie ein Grabgesang an der Bahre eines Todten, den man zur letzten Ruhe hinausführt.

Noch einige Augenblicke und Alles war in der dunkeln Ferne verschwunden, – weithin verklang das Schnauben der Maschine und das Rollen der Räder.

Cappei trennte sich von den Übrigen und ging langsam zur Stadt zurück.

In einer ziemlichen Entfernung folgte ihm Herr Vergier, der sich ebenfalls sogleich nach der Abfahrt des Zuges isolirt hatte. Seine Blicke hefteten sich unbeweglich auf den jungen Mann vor ihm und seine Augen schienen in grünlichem Feuer durch die Nacht zu leuchten, während seine Züge von Grimm und Haß entstellt waren.

Cappei machte einen Umweg und ging an Herrn Challiers Haus vorbei, das in tiefer Ruhe und Dunkelheit da lag.

Einen Augenblick blieb er dort vor dem großen geschlossenen Thor stehen, – er drückte beide Hände an die Lippen und warf einen Kuß nach dem Hause hin.

»Gute Nacht, meine süße Geliebte,« flüsterte er, – und schritt dann rasch weiter nach seiner in der Nähe des Marktplatzes belegenen Wohnung.

Herr Vergier war ihm langsam folgend ebenfalls bis in die Nähe des Challier'schen Hauses gekommen.

Hier blieb er stehen und blickte dem jungen Hannoveraner, der bereits in der Dunkelheit verschwand, nach.

»Hätte ich eine Waffe bei mir,« flüsterte er mit zischender Stimme, »so könnte ein Druck meines Fingers diesen Feind meines Landes, – diesen Räuber meiner Liebe vernichten!«

– »Aber geh' nur hin,« sagte er, die geballte Faust zum nächtlichen Himmel erhebend, – »es giebt noch andere Waffen als die Kugel und den Stahl, – ich werde Dich vielleicht besser und sicherer treffen, geh' nur hin, – Du sollst nicht hierher zurückkehren auf den heiligen Boden Frankreichs, – den Du als Verräther betreten, – Du sollst nicht zurückkehren, um eine holde Blume meines Vaterlandes zu pflücken und mir das Glück meines Lebens zu stehlen.«

Noch einmal sah er mit flammendem Blick dem gehaßten Fremden nach, – dann wendete er sich um und schritt durch die stille Nacht seinem Hause zu.


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