Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Sechstes Capitel.

In dem schottischen Cabinet der Villa Braunschweig in Hietzing saß der König Georg V. in seinem Lehnstuhl vor dem großen, mit golddurchwirkter rother Decke überhangenen Tisch.

Der König trug den weiten Überrock seiner österreichischen Uniform und rauchte aus einer langen hölzernen Cigarrenspitze.

Er war soeben aus dem großen Garten der Villa von seinem Morgenspaziergang zurückgekehrt, und seine älteste Tochter, die Prinzessin Friederike, welche ihn begleitet hatte, stand neben ihm.

Der König war in den letzten Jahren seines Exils merklich älter geworden, und ein schmerzlich leidender Zug lag auf seinem Gesicht, wenn auch in der Unterhaltung zuweilen noch seine alte Heiterkeit und sein alter Humor hervortrat. Sein dünnes Haar begann grau zu werden, die scharfen classischen Formen seines schönen Profils traten markirter als sonst hervor und gaben seinem früher so weichen und jugendlichen Gesicht einen Zug von Härte und Strenge, die ihm sonst fern gewesen war.

Die Prinzessin Friederike im dunklen Morgenanzug, einem kleinen mit Pelz besetzten Mantel von schwarzem Sammet und einem Hut von gleichem Stoff, vereinigte in ihrer Erscheinung den Eindruck fürstlicher Würde und Hoheit mit jugendlicher Anmuth und einer fast schüchternen Bescheidenheit. Die Prinzessin war groß und schlank gewachsen, ihr einfach frisirtes, natürlich gelocktes goldblondes Haar ließ die edle Wölbung der reinen und weißen Stirn fast ganz frei. Ihre großen blauen, durch die Tiefe des Blickes dunkel leuchtenden Augen drückten muthigen Stolz und sanfte Bescheidenheit zu gleicher Zeit aus. Ihr leicht aufgeworfener, schön gezeichneter Mund vereinigte eine gewisse trotzige Zurückhaltung mit kindlicher Naivetät.

Die Prinzessin blickte mit inniger Theilnahme auf ihren Vater herab, welcher mit widersprechenden Gedanken und Gefühlen zu kämpfen schien, und mit heftiger Bewegung der Lippen große Wolken bläulichen Dampfes vor sich hinblies.

»Von allen schweren Schicksalsschlägen,« sagte der König, »die mich in diesen letzten Jahren betroffen haben, hat Nichts so schmerzlich mich berührt, als die Erfahrungen, die ich in diesen Tagen machen muß – daß Diejenigen, welche mir und meiner Sache bisher in allem Unglück so treu geblieben, jetzt sich gegen mich richten und von mir abfallen; und,« fuhr er fort, »daß diese das Vertrauen an den Sieg meines Rechts vollkommen verloren haben, daß sie es wagen, so gegen mich aufzutreten.«

»Aber Papa,« sagte die Prinzessin mit sanfter Stimme, »weißt Du denn gewiß, ob auch Alles so richtig ist, wie es Dir aus der Ferne erscheint – und wie vielleicht Manche,« fügte sie ein wenig zögernd hinzu, »ein Interesse haben, es Dir darzustellen. Ich kenne nur Wenige von den Officieren in Paris, aber ich kenne Herrn von Düring, und von ihm kann ich doch unmöglich annehmen, daß er irgend Etwas gegen das Interesse unserer Sache oder gegen Dich sollte thun wollen.«

»Ich auch nicht,« rief der König lebhaft, mit zwei Fingern seiner rechten Hand auf den Tisch schlagend. »Ich kann es auch nicht glauben, ich stehe vor einem unlösbaren Räthsel. Doch liegen die Thatsachen vor mir, meine Officiere und Düring an ihrer Spitze widersetzen sich der Ausführung meiner Befehle. Ich habe Düring das Commando über die Emigranten abgenommen und ihn der Führung der Geschäfte meines General-Adjutanten enthoben. Ich habe beides an Herrn von Tschirschnitz übertragen. Die erste Nachricht, die ich von diesem sonst so treuen und vortrefflichen Officier erhalte, ist die Erklärung, daß er es mit seiner Ehre und seinem Gewissen nicht vereinigen könne, die Befehle auszuführen, die ich ihm in Betreff der Auflösung der Emigration gegeben habe. Ist das nicht offene Auflehnung, ist das nicht Subordination – das höchste Vergehen, dessen ein Officier sich schuldig machen kann?«

»Aber,« sagte die Prinzessin, »Herr von Düring, wie auch Herr von Tschirschnitz haben ja ebenso wie alle übrigen Officiere freiwillig unser Unglück und unser Exil getheilt. Sie haben Alle die Carrière aufgegeben, welche sich ihnen in Sachsen öffnete, und welche sie auch, wie so viele andere Officiere der hannöverschen Armee, in Preußen hätten finden können. Wenn solche Leute den Befehlen, die Du ja doch,« fügte sie mit sanfter schmeichelnder Stimme hinzu, »selbst nur nach langem Kampf gegeben hast – wenn sie diesen Befehlen widerstreben, wenn sie nicht müde werden, ihre Vorstellungen dagegen zu erheben – sollte man dann nicht annehmen, daß sie irgend einen ehrenwerthen und verständigen Grund dazu haben, daß irgend ein Mißverständniß vorliegt, welches man aufklären müßte.«

»Oh mein Gott, mein Gott ja!« rief der König, schmerzlich aufseufzend, indem er den Kopf in die Hand stützte. »Das habe ich mir auch schon oft gesagt, es ist ja doch unmöglich, daß eine Anzahl von Männern, die bisher so treu waren, mit einem Male darauf arbeiten sollten, mir und meiner Sache zu schaden.«

»Und der Regierungsrath Meding steht doch auch auf der Seite der Officiere,« sagte die Prinzessin, »auch er warnt vor der Auflösung der Legion in der Art und Weise, wie sie begonnen wurde. Es ist doch unmöglich anzunehmen, daß alle diese Herren nicht irgend einen Grund für ihre übereinstimmende Überzeugung haben sollten. Ich bitte Dich, Papa,« fuhr sie mit dringendem Ton fort, »die Sache doch recht genau zu prüfen und nicht nach einseitigen Berichten und Vorträgen zu entscheiden.«

»Gott weiß es,« rief der König, »wie schwer es mir wird, überhaupt die Legion aufzulösen und alle diese treuen Soldaten, die meinem Schicksal gefolgt sind, sich selbst zu überlassen. Aber es kann ja nicht anders sein, je schwerer ich mich dazu entschlossen habe, um so schmerzlicher berührt mich der Widerstand, dem ich begegne. – Ich werde,« rief er nach kurzem Nachdenken, »sie Alle noch einmal hören, – ich will die ganze Frage nochmals reiflich überlegen, denn ich stehe vor einer für mich und die Zukunft meines Hauses hoch wichtigen Entscheidung.«

»Und wenn die Legion aufgelöst wird,« sagte die Prinzessin, »würde es dann nicht nöthig sein, für die armen Emigrirten die freie und straflose Rückkehr in die Heimath vom König von Preußen zu erwirken? – Windthorst hat sich ja erboten, Verhandlungen zu diesem Zweck einzuleiten.«

»Niemals,« rief der König lebhaft, »niemals werde ich meine Autorisation zu solchen Verhandlungen geben! Das hieße die Annection meines Königreichs anerkennen, das hieße zugestehen, daß der König ein Recht habe, meine treuen Soldaten wegen ihrer Anhänglichkeit und Ergebenheit zu bestrafen. – Und das werde ich nie zugestehen.«

Nach einem kurzen Schlag an der Thür trat des Königs Kammerdiener Thoms in das Cabinet und meldete, der Staatsminister Graf Platen stehe zu Seiner Majestät Befehl.

»Er soll kommen,« rief der König lebhaft. »Auf Wiedersehen, mein Töchterchen,« sagte er, indem er aufstand und die Hand nach der Prinzessin ausstreckte, welche dicht zu ihm herantrat und ihm ihre Stirn reichte, auf die er zärtlich seine Lippen drückte.

»Rufen Sie den Kronprinzen und den Geheimen Cabinetsrath,« sagte er dann zu dem Kammerdiener, welcher den Grafen Platen in das Cabinet geführt hatte und nun die beiden Flügel der Thür für die Prinzessin öffnete. Prinzessin Friederike verließ mit leichtem freundlichen Gruß gegen den sich tief verneigenden Minister das Zimmer ihres Vaters.

Der Graf von Platen-Hallermund, Minister der auswärtigen Angelegenheiten des früheren Königreichs Hannover und jetziger alleiniger Rathgeber des verbannten Königs, war damals sechsundfünfzig Jahre alt. Die letzten Jahre hatten seine früher noch jugendliche und kräftige Erscheinung wesentlich älter und gebrechlicher gemacht. Zwar zeigten seine Bewegungen noch die frühere Elasticität, auch trug sein volles, etwas langes und gelocktes Haar noch eine gleichmäßig schwarze Farbe, doch war sein Schnurrbart stark ergraut, seine Gesichtszüge waren welk und abgespannt.

Der Graf, welcher einen Morgenanzug von einfacher Eleganz trug, küßte die Hand, welche der König ihm reichte und setzte sich dann in einen der großen, mit schottischem Seidenstoff überzogenen Lehnstuhl neben seinem Herrn.

»Ich bin erfreut, Eurer Majestät mitzutheilen,« sagte er, »daß die Abwicklung der Liquidation der Wiener Bank sich noch günstiger für unsere Kasse stellen wird, als es anfänglich den Anschein gehabt hat. Es haben sich einige günstige Verkäufe realisiren lassen, so daß, wenn Alles ferner gut geht, Eure Majestät mit einem Verlust von nicht ganz zwei Millionen Gulden davonkommen werden.«

Der König seufzte tief auf.

»Sie wissen, mein lieber Graf,« sagte er, »wie geringen Werth das Geld an sich für mich hat. Es ist für mich immer nur Mittel zum Zweck. In diesem Augenblick muß es mir dienen, um den heiligsten und höchsten Zweck zu verfolgen, den ich kenne – die Wiedererlangung meines Rechts und die Zukunft meines Hauses. Und in dieser Beziehung berührt mich dieser an sich nicht bedeutende Verlust sehr schmerzlich, denn meine Mittel sind ja ohnehin schon beschränkt genug.«

»Dank der vortrefflichen Verwaltung des Commerzienraths Simon, in dessen Händen nunmehr wieder Eurer Majestät Vermögen gelegt ist,« sagte Graf Platen, »werden sich ja die Verluste verschmerzen lassen. Doch,« fuhr er fort, »wird es nunmehr auch dringend nothwendig, mit dieser unglücklichen Emigration in Frankreich ein Ende zu machen, welche bereits so viel verschlungen hat und Eurer Majestät in jedem Jahr dreihundertfünfzigtausend Thaler kostet. Wenn man diese Summe nicht so schnell als möglich aus Eurer Majestät Ausgabenbudget verschwinden läßt, so werden wir von Deficit zu Deficit fortschreiten, und eine successive Capitalsverzehrung wird Eure Majestät endlich in die Lage bringen, Nichts mehr zu besitzen und sich aus materieller Noth Preußen auf Gnade oder Ungnade zu ergeben.«

»Traurig, traurig!« rief der König, »daß es dahin gekommen ist! Mein Gott,« fuhr er fort, »wenn man die nach England geretteten Papiere damals vor der Amortisation verkauft hätte, was Herr von Malortie verhinderte, – oder wenn die in Hannover befindlichen Bestände vor der letzten Beschlaglegung auf mein Vermögen in Sicherheit gebracht wären, was wiederum Herr von Malortie nicht that, dann wäre ich niemals in die traurige Lage gekommen, so viele treue und ergebene Menschen einem ungewissen Schicksal überlassen zu müssen.«

Rasch öffnete sich die Thür. Der Kronprinz Ernst August trat in's Zimmer, ihm folgte der Geheime Cabinetsrath Lex.

Der Prinz Ernst August war eine lang und hoch aufgeschossene Gestalt, fast noch höher, als sein Vater, doch während die Gestalt des Königs in ihrer Proportion einen harmonischen Eindruck von Würde und Majestät machte, hatten die Glieder des jungen Prinzen noch keine rechte Festigkeit und seinen Bewegungen fehlte die anmuthige Leichtigkeit und Sicherheit. Das schöne glänzende Haar des Prinzen war kurz geschnitten und von der schmalen zurücktretenden Stirn aufwärts emporgekämmt. Der Blick seiner Augen, den er oft durch eine Lorgnette mit großen Gläsern verhüllte, war freundlich und gutmüthig. Seine platte, eingedrückte Nase und sein breiter etwas vorstehender Mund, mit schönen frischen Zähnen, war von jeder Ähnlichkeit mit dem edlen Schnitt der Gesichtszüge seines Vaters weit entfernt und das freundliche Lächeln, welches gewöhnlich seinen Mund umspielte, berührte nicht so sympathisch als die liebenswürdige Heiterkeit, welche das Gesicht des Königs erhellte.

Der Geheime Cabinetsrath, welcher hinter dem Kronprinzen in das Zimmer trat, mochte etwa zwei- bis dreiundsechzig Jahre alt sein. Seine auffallend kleine, magere Gestalt war gebückt und in sich zusammengefallen, sein faltiges, bartloses Gesicht mit dem kurzen grauen Haar zeigte einen stets mürrischen, kalt abwehrenden Ausdruck, und seine kleinen, scharfen und geistvollen Augen blickten mit einem leisen Anflug von kritischer Ironie durch die Gläser seiner feinen Brille.

Der Kronprinz schritt schnell zu seinem Vater hin, beugte sich zu demselben herab, und der König küßte ihn herzlich auf die Stirn. Dann setzte sich der Prinz zu dem König und dem Grafen Platen, während der Cabinetsrath auf der andern Seite des Tisches Platz nahm.

»Darf ich Sie bitten, mein lieber Graf,« sagte Georg V., sich an den Minister wendend, »mir nunmehr Ihre Meinungen über die Maßregeln auszusprechen, welche nothwendig werden, um die Auflösung der Emigration, welche ich leider unabänderlich habe beschließen müssen, durchzuführen.«

»Majestät,« sagte der Graf Platen, indem er sich in sich zusammenschmiegte, »ich muß zunächst noch einmal darauf zurückkommen, genau zu constatiren, daß mit den Allerhöchst Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der königliche Hofhalt und die zur Geltendmachung Ihrer Rechte nothwendigen Ausgaben auf die Dauer nicht bestritten werden können, wenn die zur Erhaltung der Emigration notwendige sehr hohe Summe von nahezu vierhunderttausend Thalern jährlich nicht aus dem Ausgabebudget verschwindet. Um diese Ersparniß zu machen, um zu gleicher Zeit die Emigrirten, welche, um der königlichen Sache zu dienen, ihre Heimath verlassen haben, nicht dem Elend Preis zu geben, habe ich mir erlaubt, Eurer Majestät vorzuschlagen, noch eine einmalige bedeutende Ausgabe nicht zu scheuen und jedem Mitglied der Emigration die Summe von vierhundert Francs auszuzahlen, damit derselbe sich, sei es durch Auswanderung, sei es auf irgend eine andere Weise, eine neue Existenz schaffen kann.«

»Es wird eine große Summe werden,« sagte der Kronprinz, indem er mit den Zähnen an den Nägeln seiner Finger biß.

»Diese einmalige Ausgabe,« sagte Graf Platen, sich halb gegen den Prinzen wendend, »ist nothwendig, um den König vor dem Vorwurf zu schützen, daß Seine Majestät die ihm treu gebliebenen Soldaten einfach verläßt.«

»Und ich hoffe,« rief der König lebhaft, »daß die Summe genügend bemessen ist.«

»Vollkommen genügend, Majestät,« sagte Graf Platen, »um so mehr, da für Diejenigen, welche nach Amerika auswandern wollen, noch außerdem das freie Reisegeld gewährt wird. Nun aber,« fuhr er fort, »hat sich herausgestellt, daß die Officiere der Emigration aus Gründen, die ich nicht begreifen kann,« fügte er achselzuckend hinzu, »sich der Auflösung der Emigration in einer dem dienstlichen Gehorsam sehr wenig entsprechenden Weise widersetzen.«

Der König biß schweigend auf seinen Schnurrbart.

»Eure Majestät,« fuhr Graf Platen fort, »haben das Commando an Herrn von Tschirschnitz übertragen, aber auch dieser scheint nicht geneigt zu sein, die Maßregeln Eurer Majestät rücksichtslos durchzuführen. Ich halte es deshalb für nothwendig, daß Eure Majestät Allerhöchst Ihren Ordonnanzofficier, den Major von Adelebsen, nach Paris entsenden und ihm nicht nur die Geschäfte Ihres General-Adjutanten, sondern auch das Commando der Legion übertragen, damit die nothwendige und befohlene Auflösung der Legion schleunigst und ohne Weitläufigkeit vollzogen werde. Es scheint,« sprach er weiter, »daß die Officiere die Absicht haben, einen Verband unter den Emigrirten zu gegenseitiger Unterstützung herzustellen und auf diese Weise vielleicht noch eine Colonisation in Algerien auszuführen, für welche sie sehr große Neigung hatten.«

»Die Idee wäre durchaus nicht übel,« sagte der König. »Nach den Versprechungen der französischen Regierung hätte den armen Emigrirten dort ein gutes Loos bereitet werden können, und ich habe den Gedanken nur aufgegeben, weil er im ganzen Land Hannover einen so lebhaften Widerspruch fand, und weil Deputationen auf Deputationen zu mir gekommen sind, um mich zu bitten, die algerische Colonisation nicht zu erlauben. Die Leute haben dort in Hannover gar keinen Begriff gehabt, um was es sich handelt. Sie glaubten, die Emigranten sollten in die Fremdenlegion verkauft werden, wie sie sich ausdrückten. Sie haben zuweilen sehr unklare Ideen, diese Hannoveraner, und bleiben dann sehr hartnäckig in ihrem Ideenkreis stecken. Aber ich mußte ja auf eine so allgemein im Lande verbreitete Ansicht Rücksicht nehmen.«

»Es möchte ja vielleicht,« fiel der Kronprinz ein, »eine Colonisation in Algerien ganz angenehm und vortheilhaft für die Leute gewesen sein können. Aber – so lange sie zusammen bleiben, werden wir sie nie ganz von der Tasche los werden können, wenn es der Colonie irgend einmal schlecht gegangen wäre, so hätte man immer auf uns recurrirt, und die ganze Geschichte wäre eine ewige Veranlassung zu neuen Ausgaben gewesen. Die Hauptsache ist, daß die Leute Alle auseinander gebracht werden, und je weiter fort, um so besser, denn um so schwerer wird es ihnen werden, uns wieder zur Last zu fallen.«

»Das ist nicht mein Gesichtspunkt,« rief der König, das Haupt erhebend. »Mir kommt es nur darauf an, so gut ich es unter meinen jetzigen Verhältnissen kann, für das Wohl meiner Leute zu sorgen, und außerdem habe ich die politische Rücksicht zu nehmen, Ansichten und Wünsche der Bevölkerung meines Königreichs so viel als möglich zu schonen.«

»Jedenfalls,« sagte Graf Platen, »werden Eure Majestät nach reiflicher Erwägung beschließen, die Legion definitiv aufzulösen und eine Auswanderung der Leute nach Algerien möglichst zu inhibiren. Es ist aber nöthig, diesen Beschluß schleunigst auszuführen, damit vor dem 1. April Alles beendet sei und mit dem neuen Rechnungsjahr die Belastung unserer Kasse fortfalle. Wenn also Eure Majestät befehlen, den Major von Adelebsen dorthin zu senden, so –«

Der König hatte das Haupt in die Hand gestützt und dachte längere Zeit schweigend nach.

»Wäre es nicht,« sagte Georg V. endlich, indem er den Kopf emporrichtete, und das Gesicht nach der Seite des Grafen Platen und dem Kronprinzen hinwandte, »wäre es nicht am besten, um die Sache am einfachsten in Ordnung zu bringen und alle weiteren Schwierigkeiten zu vermeiden, wenn ich nach Paris telegraphirte und den Regierungsrath Meding, den Major von Düring und vielleicht noch einige der Officiere hierherkommen ließ, um ihnen persönlich meine Befehle zu ertheilen und die Mißverständnisse aufzuklären, welche doch wohl in der ganzen Sache bestehen müssen, da ich mir anders den eigenthümlichen Widerstand nicht erklären kann, den man mir entgegensetzt.«

Graf Platen bog den Oberkörper zusammen, warf einen schnellen Seitenblick auf den Kronprinzen und sagte:

»Ich fürchte, Majestät, daß eine solche Maßregel, wie Allerhöchstdieselben sie hier andeuten, nur eine erneute Discussion über die ganze Frage hervorrufen und die schleunige Ausführung der von Eurer Majestät gefaßten Beschlüsse noch weiter hinausschieben würde. Eure Majestät haben bereits den Befehl an die Officiere gesandt, daß dieselben sich jeder Theilnahme an Verbindungen der Soldaten zu gegenseitiger Unterstützung fern halten sollen. Damit ist also ausgeschlossen, daß irgend Etwas geschehen könne, was die dortige Sachlage ändert; wenn Eure Majestät nunmehr den Major von Adelebsen mit bestimmten Vollmachten nach Paris entsenden, so wird die ganze Angelegenheit sehr bald erledigt sein. Es ist übrigens,« fuhr er mit einem abermaligen schnellen Seitenblick nach dem Kronprinzen hinüber, »der Feldwebel Stürmann von der Emigration hierher gekommen, um sich im Auftrage seiner Kameraden persönlich zu erkundigen, was denn eigentlich der Wille und Befehl Eurer Majestät sei.«

»Sie haben den Feldwebel gesprochen?« fragte der König schnell.

»Nur flüchtig, einen Augenblick,« erwiderte der Graf Platen mit einem leichten Anflug von Verlegenheit. »Ich wollte Eurer Majestät nicht vorgreifen. Vielleicht wäre es zweckmäßig, wenn Höchstdieselben ihn selbst anhörten.«

»Einen Feldwebel anhören, ohne daß ich meine Officiere gehört habe,« rief der König lebhaft, »das geht nicht. Ich glaube,« sagte er nach einem augenblicklichen Nachsinnen, »daß es am besten sein wird, vor Allen Meding und Düring hierher kommen zu lassen, um zu hören, wie die Sache dort liegt und was sie denn eigentlich für Gründe gegen die von mir beschlossene Art der Auflösung der Emigration haben.«

Graf Platen rieb sich die Hände und neigte den Kopf hin und her, ohne indeß etwas zu sagen.

»Aber Papa,« sagte der Kronprinz, mit einer gewissen Schwierigkeit die Worte hervorbringend, »Du wirst doch nicht von dem einmal gefaßten Beschluß wieder abgehen? Es scheint mir doch –«

Ein Schlag an der Thür ertönte.

»Wer ist da?« fragte der König mit seiner lauten hellen Stimme.

Der Kammerdiener trat ein und sprach:

»Der Ordonnanzofficier Major von Adelebsen bittet um die Erlaubniß, Eurer Majestät eine Meldung machen zu dürfen.«

»Er soll kommen,« rief der König etwas verwundert.

Major von Adelebsen trat ein. Er war ein Mann von einundvierzig Jahren, etwas über Mittelgröße, von magerer Gestalt und eckigen, wenig eleganten Bewegungen. Sein Gesicht war bleich, von einer etwas gelblichen Farbe und unregelmäßigen Zügen, welche wenig sympathisch berührten, obgleich in ihnen mehr zurückhaltende Abgeschlossenheit lag, als jene eigenthümlich-charakteristische Häßlichkeit, welche auf die Dauer zu gewinnen oder wenigstens zu imponiren vermag. Seine Blicke waren unstät und unruhig bewegt und richteten sich bei seinem Eintritt forschend auf den Kronprinzen, der ihm erwartungsvoll entgegensah.

Der Major von Adelebsen, welcher die kleine Uniform des frühern hannöverschen Garderegiments trug, näherte sich dem König und sprach im Ton dienstlicher Meldung:

»Majestät, der Lieutenant von Mengersen und der Lieutenant Heyse sind von Paris hier angekommen und bitten Eure Majestät im Auftrage ihrer sämmtlichen Kameraden in dringenden Angelegenheiten um Audienz.«

Der König richtete den Kopf mit fragendem Ausdruck empor. Ein leichter freudiger Schimmer flog über seine Züge.

»Und was haben sie mir zu melden?« fragte er.

»Sie haben ein Schriftstück mitgebracht, welches sie mir mitgetheilt und welches ihren Auftrag enthält. Der Inhalt dieses Schriftstücks jedoch hat mich in so hohem Grade befremdet, daß ich fast Anstand nehmen muß, denselben Eurer Majestät mitzutheilen.«

»Sprechen Sie,« sagte der König im ernsten Ton, während der Kronprinz und Graf Platen einen raschen Blick miteinander wechselten.

»Eure Majestät,« fuhr der Major von Adelebsen fort, »haben durch Ihren letzten Befehl den Officieren in Paris verboten, sich irgendwie bei Verbindungen der Emigration zu gegenseitiger Unterstützung zu betheiligen und sich überhaupt jedes Einflusses auf die Entschließungen der Soldaten über ihr künftiges Leben zu enthalten.«

»Ganz Recht,« sagte der König.

»Die Officiere erklären nun,« sagte Herr von Adelebsen, »daß sie es für ein Gebot ihrer Ehre hielten, die Emigranten, welche sie so lange Zeit unter ihrem Befehl gehabt und welche sich ihnen voll Vertrauen angeschlossen hätten, ja, welche sie in dem kritischen Augenblick des Jahres 1867 zum Theil selbst zur Emigration veranlaßt hätten, nicht schutz- und rathlos im fremden Lande zu verlassen. Sie hielten sich für verpflichtet, denselben in jeder Weise auch ferner ihren Rath und Beistand zu Theil werden zu lassen. Vor Allem aber könnten sie nicht glauben,« fuhr er mit lebhafterem Ton fort, »daß der Befehl, welcher ihnen allerdings mit Eurer Majestät Unterschrift vorgelegt worden sei, von Allerhöchstdenselben wirklich in voller Kenntniß des Inhalts unterschrieben sei, da eine Bestätigung der Allerhöchsten Unterschrift auf dem Papier sich nicht vorfindet. Sie hätten deßhalb die Lieutenants von Mengersen und Heyse abgesandt, um Eure Majestät ihre Bedenken vorzutragen und Allerhöchstdieselben zu bitten, wenn Sie wirklich jenen Befehl gegeben, denselben in Gegenwart der genannten Officiere Allerhöchsteigenhändig zu unterzeichnen.«

Der König sprang empor, eine flammende Röthe flog über sein Gesicht, er biß die Zähne aufeinander und stieß mit einem zischenden Laut mehrmals den Athem aus seinen Lippen.

Der Kronprinz lächelte still vor sich hin, Graf Platen ließ den Kopf auf die Brust sinken und schlug die Augen zu Boden nieder.

»Dahin ist es also gekommen,« rief der König mir lauter Stimme, »daß die Officiere meiner Armee es wagen, an einem Befehl zu zweifeln, der meine königliche Unterschrift trägt, daß sie von mir, ihrem obersten Kriegsherrn, die Erfüllung jener constitutionellen Form verlangen, welche für die Civilverwaltung des Königreichs gesetzlich vorgeschrieben war. Welcher Geist,« sprach er in dumpfem Ton, »muß in jenen Kreisen herrschen, wenn so Etwas möglich ist. Welcher Dämon muß seine Gewalt über diese Officiere üben, daß sie es wagen, mir so gegenüber zu treten.«

»Es ist allerdings,« sagte der Major von Adelebsen, »ein höchst unmilitairisches und vermessenes Vorgehen. Ich habe den Herren Vorstellungen gemacht, ich habe versucht, sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Aber,« fügte er achselzuckend hinzu, »es ist vergeblich gewesen. Sie bestehen mit Entschiedenheit darauf, den Befehl in ihrer Gegenwart von Eurer Majestät vollzogen zu sehen, da sie denselben anders nicht für gültig erkennen können.«

»Sagen Sie den Herren,« rief der König mit zitternder Stimme, »daß ich sie nicht empfangen wolle, daß ich ihnen befehlen lasse, augenblicklich nach Paris zurückzureisen. Ich werde ihnen,« fügte er mit mühsam unterdrückter Erregung hinzu, »meinen Willen in einer Form kundgeben, an welcher sie keinen Zweifel werden hegen können.«

Herr von Adelebsen verneigte sich, indem ein leichtes Lächeln der Befriedigung um seine Lippen spielte und verließ das Zimmer.

»Graf Platen,« rief der König, indem er sich wieder in seinen Lehnstuhl niedersetzte, »Sie werden mir eine zweite Ausfertigung des Befehls vorlegen, ich werde meine Unterschrift unter demselben beglaubigen lassen. Zugleich lassen Sie Vollmachten für den Major von Adelebsen ausfertigen, damit er alle Functionen des Majors von Düring sofort übernehmen könne. Er soll auf der Stelle nach Paris reisen, um die Auflösung der Legion durchzuführen.«

»Wäre es nicht zweckmäßig, Majestät,« sagte Graf Platen, »bei dem Geist des Widerspruchs, der unter den Officieren in Paris zu herrschen scheint, die hauptsächlichsten Führer derselben von dort zu entfernen. Ich meine insbesondere den Major von Düring und den Premierlieutenant von Tschirschnitz, durch welche sich doch die Übrigen mehr oder weniger bestimmen lassen.«

»Gewiß,« sagte der König, »lassen Sie sogleich die Befehle ausfertigen. Düring soll nach Bern, Tschirschnitz nach Basel sich begeben und dort meine weiteren Bestimmungen abwarten.«

Er lehnte sich wie erschöpft in seinen Stuhl zurück und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Würde es aber nicht zweckmäßig sein,« sagte der Geheime Cabinetsrath mit seiner feinen und hohen Stimme, »da nun die Auflösung der Legion in Frankreich durchgeführt werden soll und werden wird, dafür Sorge zu tragen, daß diese Maßregel, welche man ohne Zweifel viel besprechen wird, in den Augen der Welt und namentlich in den Augen der französischen Regierung nicht so ausgelegt werde, als ob Eure Majestät auf Ihr Recht verzichten und jede Thätigkeit für die Wiedererlangung desselben für immer aufgeben?«

»Ich glaube kaum,« sagte Graf Platen, »daß man die Sache so ansehen könnte. Jedermann weiß, daß die Mittel Eurer Majestät beschränkt sind, und Jedermann wird begreifen, daß Allerhöchstdieselben auf die Dauer solche Ausgaben nicht durchzusetzen vermögen.«

»Doch, doch,« rief Georg V., »der Cabinetsrath hat vollkommen Recht. Lassen Sie durch Lumé de Luine ein Schreiben an den Kaiser Napoleon aufsetzen, worin ich ihm die Gründe meiner Maßregeln auseinandersetze, ihm für den Schutz, den er bisher den hannöverschen Emigranten gewährt hat, danke und zugleich erkläre, daß die Auflösung der Legion lediglich durch finanzielle Rücksichten geboten sei und daß ich trotzdem niemals aufhören würde, jede Gelegenheit zu ergreifen, um für mein verletztes Recht zu kämpfen.«

Der Kronprinz wollte Etwas bemerken, rasch aber stand der König auf und sagte:

»Ich danke Ihnen, meine Herren, ich will allein sein.«

Flüchtig berührte er mit den Lippen die Stirn des Kronprinzen, welcher sich ihm näherte und dann das Cabinet verließ. Graf Platen und der Geheime Cabinetsrath folgten und der König blieb allein.

Er ließ den Kopf auf die Brust niedersinken. Längere Zeit hörte man in dem stillen Zimmer Nichts als die tiefen, unruhigen Athemzüge, welche seine Brust bewegten.

»Welch ein hartes, schweres Schicksal,« rief er dann. – »Ich habe meinen Thron und mein Königreich verloren! Ich bin von meinem Volk getrennt, dessen Glück die ganze Kraft und Arbeit meines Lebens gewidmet war, und nun muß ich es erleben, daß auch Diejenigen, welche mein Unglück theilten, und welche in der Verbannung mir treu geblieben, sich von mir wenden. So hat,« rief er schmerzlich aus, »diese Zeit alle Begriffe verwirrt, alle sonst so heiligen Bande gelockert, daß sogar die Officiere meiner Armee, dieser Armee, welche so heldenmüthig und opferfreudig sich für mich geschlagen, mir nicht mehr vertrauen und sich gegen mich auflehnen!«

Er stand auf und blieb vor seinem Stuhle stehen. Schmerzlich zuckte sein edles Gesicht und die blicklosen Augen wandten sich umher, als wollten sie mit gewaltiger Willensanstrengung das Dunkel durchbrechen, welches ihn umgab.

»Wer zeigt mir,« rief er, »wo die Wahrheit liegt, wo der rechte Weg ist, den ich zu gehen habe! Ich habe nach bestem Wissen und Gewissen meine Beschlüsse gefaßt, ich habe gethan, was ich für meine Pflicht hielt, – und nun finde ich mich einsam und verlassen, verlassen von Denen, welche ich für die Treuesten hielt! Fast möchte ich irre werden an dem, was ich für recht erkannt, denn Diejenigen, welche jetzt meinem Willen widerstreben, habe ich stets als fest und muthig erkannt. Und die mich hier mit Rath umgeben –«

Er seufzte tief auf.

»Ich weiß, wie viel dem Grafen Platen zu den Eigenschaften fehlt, welche den großen Staatsmann machen, ich weiß, wie leicht er zu beeinflussen ist. – Und doch, doch kann ich nicht anders handeln, ich habe die Mittel nicht mehr, den Kampf in der Weise fortzusetzen wie bisher. Und jene Emigranten, die ich ferner nicht unterstützen kann, werden ja, wenn sie von derselben Begeisterung für ihre Sache erfüllt sind, welche einst ihre Väter auf allen Schlachtfeldern Europa's für ihren König kämpfen ließ, Mittel finden, sich mir dennoch zu erhalten und vielleicht –

»Oh, wer giebt mir Licht in diesem Dunkel – oh, daß ich nur einmal die Blicke und Mienen Derjenigen sehen könnte, die zu mir sprechen. Ich würde leichter erkennen können, wo die Wahrheit liegt.«

Er sank wieder auf seinen Stuhl nieder, stützte den Kopf in die Hände und blieb lange in tiefem Sinnen versunken.

Dann plötzlich schien ein Gedanke in ihm aufzusteigen, rasch bewegte er die goldene Glocke, welche auf einem schön ciselirten Teller vor ihm stand. Der Kammerdiener trat ein.

»Ist Graf Platen noch im Hause,« fragte der König rasch.

»Zu Befehl, Majestät, der Graf ist bei Seiner königlichen Hoheit dem Kronprinzen.«

»Rufen Sie ihn und den Kronprinzen.«

Wenige Augenblicke darauf erschienen der Prinz Ernst August und der Graf Platen abermals in dem Cabinet des Königs.

»Sie sprachen mir vorhin,« sagte Georg V., »von dem Feldwebel Stürmann. Ist er hier? Ich will ihn sprechen.«

Graf Platen wechselte einen Blick mit dem Kronprinzen und erwiderte dann:

»Der Feldwebel ist hier, Majestät, er hat soeben noch Seiner Königlichen Hoheit Bericht über die Verhältnisse und Stimmungen unter den Emigranten erstattet.«

»Bringen Sie ihn her,« sagte der König kurz.

Graf Platen ging hinaus und kehrte nach kurzer Zeit mit einem Mann von etwa vier- bis fünfundfünfzig Jahren, dem man trotz seiner bürgerlichen Tracht in seiner ganzen Haltung den alten Soldaten ansah, zurück.

Der Feldwebel Stürmann war eine hagere dürre Gestalt von Mittelgröße, sein kurzes graues Haar war militairisch geschnitten; sein langes Gesicht von graugelber Farbe drückte Verschlossenheit und eigensinnige Beschränktheit aus. In seinen kleinen, etwas starr blickenden Augen lag jene listige Verschlagenheit, welche man häufig in dem niedersächsischen Stamme findet. Er trug die Medaille von Langensalza in dem Knopfloch seines einfachen grauen Rockes, trat einige Schritte vor und blieb dann in militairisch dienstlicher Haltung stehen.

»Ich freue mich, Sie hier zu wissen, mein lieber Feldwebel,« sagte der König in kurzem, fast strengem Ton. »Ihre Kameraden haben Sie hierher gesendet, sagen Sie mir, was dieselben denken und was in Paris unter denselben vorgeht.«

Der Feldwebel warf einen Blick auf den Grafen Platen, welcher leicht mit dem Kopf nickte und sprach mit einer etwas schwerfälligen Stimme, indem er mit einer gewissen Mühe langsam die Worte hervorbrachte.

»Ich bin hierher gekommen, Königliche Majestät, um genau zu erfahren, was denn eigentlich Eurer Majestät Willen und Befehl ist, da weder ich, noch meine Kameraden uns vollkommen klar darüber sind.«

»Und warum nicht,« fragte der König kurz.

»Die Herren Officiere,« sagte der Feldwebel, »welche mit uns nach Holland gegangen sind, welche uns in der Schweiz und in Frankreich commandirt haben, und zu welchen wir Alle das größte Vertrauen hatten, haben uns vor einiger Zeit gesagt, daß es der Wille Eurer Majestät sei, für uns eine Colonie in Algerien zu gründen, damit wir dort uns eine neue Heimath schaffen und abwarten können, bis der Moment gekommen wäre, für das Recht Eurer Majestät in den Kampf zu gehen.

»Weiter,« sprach der König.

»Wir haben uns Alle bereit erklärt,« fuhr der Feldwebel fort, »dorthin zu gehen, obgleich uns viel Schlimmes von dem Lande erzählt wurde. Aber für Eure Majestät und für unsere heilige Sache,« fuhr er fort, indem er die Hand auf die Brust legte, »würden wir ja bis an's Ende der Welt gehen.

»Nun aber,« sagte er nach einem augenblicklichen Schweigen, indem er abermals zum Grafen Platen hinüberblickte, »hat uns vor vier Wochen der Herr Major von Adelebsen und der Herr von Münchhausen, welche die Standquartiere der Emigranten bereisten, mitgetheilt, daß Eure Majestät die Colonie in Algerien nicht wollten, daß Sie vielmehr die Legionaire entlassen würden und Jeden auffordern ließen, zu erklären, wohin er zu gehen beabsichtigte. Die Herren Officiere,« sagte er dann, »haben uns nun zwar bestätigt, daß von Eurer Majestät eine Colonie in Algerien nicht mehr gegründet werden würde. Dennoch aber haben sie uns aufgefordert, zusammen zu bleiben und einen Verband zu bilden und uns gegenseitig zu unterstützen, wollen auch versuchen, ob es nicht möglich sei, ohne Betheiligung Eurer Majestät von der französischen Regierung die Herstellung einer Colonie zu erreichen, auf welcher wir eine gemeinschaftliche Existenz uns beschaffen könnten. Es ist darüber viel hin- und hergesprochen, einzelne von den jungen Leuten wollen gern ihr Glück in Algerien versuchen. Wir aber, die älteren und namentlich die Unterofficiere würden uns einem solchen Unternehmen nur anschließen wollen, wenn wir bestimmt wüßten, daß wir darin dem Willen Eurer Majestät gemäß handelten. Und deßwegen bin ich hierher gekommen, um womöglich Eure Majestät zu fragen, was wir thun sollen.«

»Der Unterofficier Stürmann, Majestät,« fiel Graf Platen ein, »und seine Kameraden möchten es besonders Allerhöchstdenselben zur Beherzigung empfehlen, daß sie durch langjährige Dienstzeit eine Pensionsberechtigung erworben haben, welche sie durch ihre Auswanderung aus Hannover der preußischen Regierung gegenüber verwirkten, sie glauben deßhalb, daß Eure Majestät Gerechtigkeit anerkennen werden, wie sie in andern Verhältnissen sich befinden, als die jüngern in der Emigration befindlichen Soldaten.«

»Ich glaube,« sagte der Kronprinz, »daß Du das gewiß anerkennen wirst, Papa, und daß die Unterofficiere jedenfalls anders gestellt werden müssen, als die große Masse der Emigranten.«

»Gewiß,« rief der König lebhaft, »diejenigen gedienten Soldaten, welche eine Pensionsberechtigung erworben haben, sollen keinen Schaden leiden. Meine Kasse,« sagte er mit etwas leiser Stimme, das Gesicht mit fragendem Ausdruck auf den Grafen Platen hinwendend, »wird diese Verpflichtung erfüllen können?«

»Ganz gewiß, Majestät,« erwiderte der Minister.

»Dann,« sagte der Feldwebel Stürmann, »kann ich Eurer Majestät versichern, daß alle meine alten Kameraden höchst zufrieden und Eurer Majestät besonders dankbar sein werden. Ich werde sehr glücklich sein, ihnen das gnädige Versprechen Eurer Majestät mittheilen zu können, und wir werden unser Möglichstes thun, um die jüngern Soldaten von abenteuerlichen Unternehmungen abzuhalten.«

»Am besten wäre es,« sagte der Kronprinz ein wenig zögernd, »wenn sie nach Amerika auswanderten. Dort können sie ja doch noch am ersten ein Unterkommen finden.«

»Zu Befehl, Königliche Hoheit,« sagte der Feldwebel.

»Dann wären sie aber für mich für immer verloren,« sprach der König halb leise zu sich. »Nein, nein,« rief er dann laut, »man soll keinen Einfluß in dieser Beziehung auf ihre Entschließungen üben. Doch,« fuhr er abbrechend fort, indem er sich an den Feldwebel wandte, »haben denn die Leute eine so große Neigung gehabt, nach Algerien zu gehen, daß meine Officiere so sehr auf diesen Plan bestehen? Sie wissen vielleicht, daß im Lande Hannover die ganze Bevölkerung eine große Abneigung gegen dieses Project hat und befürchtet, die Leute könnten dort zu Grunde gehen?«

Der Feldwebel blickte fragend auf den Kronprinzen und Graf Platen; dann sprach er:

»Die Leute sind durch die Officiere fortwährend in dem Gedanken bestärkt worden, daß eine Colonie in Algerien für sie das Beste sei, – ich habe,« fuhr er fort, »immer meine Bedenken dagegen gehabt. Und ich habe wohl so Manches gehört – daß die französische Regierung eine solche Colonie sehr wünsche, um die unbebauten Gegenden in Algerien fruchtbar zu machen. Man hat sich so Manches erzählt.«

Er schwieg abbrechend.

»Was hat man sich erzählt?« fragte der König.

»Nun,« sagte der Feldwebel, »man spricht so Allerlei, was ich Eurer Majestät aber gar nicht erst wiedererzählen möchte.«

»Ich will Alles wissen,« sagte der König. »Was spricht man?«

»Majestät,« sagte der Feldwebel, »das Algerien soll ein schönes und fruchtbares Land sein, es hat aber ungesundes Klima und es ist Niemand da, um es zu bebauen. – Die Franzosen sind sehr schlechte Landarbeiter, da wäre es denn der französischen Regierung wohl sehr angenehm, wenn kräftige deutsche Einwanderer ihnen helfen würden, das Land zu cultiviren. Man hat schon verschiedene solche Colonien gemacht, wie man mir in Paris erzählt hat. Es sind Unternehmer zusammengetreten, um Leute anzuwerben und dort hinzuführen. Den Colonisten soll es schlecht gegangen sein, sie sind von Krankheiten dahingerafft, nachdem sie die ersten Arbeiten gethan und das Land fruchtbar gemacht hatten. Aber die Unternehmer haben große Besitzungen von der Regierung erhalten, sehr einträgliche Herrschaften, und sie sind große, reiche Herren geworden. Nun, das könnte wohl Manchen ja schon locken, um etwas Ähnliches zu unternehmen. Ich kann mir so Etwas von unseren Officieren nicht denken; aber man wird doch etwas stutzig, wenn man Dergleichen so von verschiedenen Seiten hört.«

Der König zuckte zusammen, in schmerzlicher Erregung zitterte sein Gesicht, er streckte den Arm aus und legte die Hand auf die Schulter des Kronprinzen.

»Ernst,« rief er, »Ernst, jetzt sehe ich klar. – Darum also dieser Plan, darum dieser Widerstand gegen meinen Willen.«

Ein fast unwillkürliches Lächeln glitt über die Lippen des Kronprinzen. Graf Platen neigte leicht den Kopf gegen den Feldwebel und sprach dann zum König gewendet:

»Es ist doch gut, daß Eure Majestät die Gnade gehabt haben, den Feldwebel Stürmann anzuhören. In unklaren Verhältnissen führt es immer zur richtigen Erkenntniß, wenn man die Sache von allen Seiten hin beleuchten läßt. – Und es wird gewiß von großem Nutzen sein, wenn der Feldwebel seine Kameraden über den wahren Willen Eurer Majestät aufklärt.«

»Ich danke Ihnen, mein lieber Feldwebel,« sagte der König, »ich gebe Ihnen noch einmal das Versprechen, daß die Pensionsberechtigung der Unterofficiere ihre Anerkennung finden soll.«

Der Feldwebel wandte sich kurz und militairisch um und ging hinaus.

»Ich erwarte also,« sagte Georg V. mit matter Stimme, »daß Sie sogleich die Vollmachten für den Major von Adelebsen ausfertigen. Er soll so schnell als möglich abreisen. Senden Sie sogleich an Meding den Befehl, daß er die Unterstützungen der französischen Behörden in den Stationsorten der Emigration für die Auflösung der Legion bewirke. – Ernst,« fuhr er fort, »Du sollst mich begleiten, ich will einen Spaziergang machen. Ich bedarf der freien weiten Luft, der enge Raum dieses Zimmers erdrückt mich mit all den traurigen Gedanken, mit denen diese bittern Erfahrungen mich erfüllen.«

Er klingelte, der Kammerdiener brachte ihm auf seinen Befehl die kleine österreichische Mütze und die Handschuhe, und, auf den Arm des Prinzen gestützt, schritt er in den Park hinaus.


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