Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Fünftes Capitel.

Der Kaiser Napoleon kehrte nach einer Spazierfahrt durch das Bois de Boulogne nach St. Cloud zurück. Als er durch das Gitterthor in den Hof des alten erinnerungsreichen Schlosses eingefahren war, welches die schönen Tage von Marie Antoinette, die weithin glänzende Siegesherrlichkeit Napoleon I. und die letzten Tage des Königthums Carls X. gesehen hatte, und sich auf den Arm des Generals Favé gestützt, nach seinen Gemächern begeben hatte, meldete ihm der Dienst thuende Kammerdiener, der ihm die Thür des Vorzimmers öffnete, daß der Herzog von Gramont angekommen sei und Seine Majestät bitte, ihm in einer dringenden Angelegenheit sogleich nach seiner Rückkehr Gehör zu schenken.

Der Kaiser, welcher sich während der Fahrt heiter und lebhaft mit dem General Favé unterhalten hatte und dessen Gesicht den Ausdruck einer frohen, zufriedenen Stimmung trug, wurde bei dieser Mittheilung ernst und blickte fast finster vor sich nieder.

»Ist es denn nicht möglich,« sagte er leise, »einen Tag von diesen ewigen Sorgen und Qualen der Politik befreit zu bleiben, die uns wie mit eisernen Klammern festhält, so bald sie uns einmal erfaßt hat und die alles friedliche, menschliche Glück zerstört.«

Seufzend reichte er dem Kammerdiener seinen Hut und seinen Stock und befahl, den Herzog von Gramont einzuführen, welcher wenige Augenblick darauf in das Cabinet seines Souverains trat.

Der Herzog war bleich, sein sonst so ruhiges, gleichmäßiges und lächelndes Gesicht zeigte die Spuren tiefer innerer Erregung. Er hielt einige Papiere in der Hand und erwiderte hastig und ohne seine sonstige etwas ceremonielle und doch anmuthige, verbindliche Höflichkeit die freundliche Begrüßung des Kaisers.

»Ich habe Eurer Majestät,« sagte er schnell sprechend, »eine ebenso überraschende, als unangenehme Nachricht mitzutheilen, eine Nachricht, welche Eure Majestät ebenso sehr befremden und ebenso peinlich berühren muß, als dies bei mir der Fall gewesen ist.«

Ein Ausdruck von Ermüdung und von Widerwillen erschien auf dem Gesicht des Kaisers. Abermals tief seufzend ließ er sich in einen Lehnstuhl sinken und sagte, indem er dem Herzog einen Sessel neben sich bezeichnete mit matter, tonloser Stimme:

»Sprechen Sie, mein lieber Herzog – Sie wissen,« fügte er mit einem gezwungenen Lächeln hinzu, »mein großer Oheim pflegte zu sagen, daß die Mittheilung böser Nachrichten niemals aufgeschoben werden müsse, – die guten erfährt man immer früh genug. Leider,« sagte er ganz leise vor sich hin, »kommen sie nicht häufig.«

»Ich erhielt bereits gestern, Sire,« sprach der Herzog von Gramont, der vor dem Kaiser stehen geblieben war, »den Wortlaut einer Rede, welche der Marschall Prim in den Cortes gehalten hat, und welche mich auf das Peinlichste berührt. Eure Majestät wissen, wie große Bereitwilligkeit überall gezeigt worden ist, um die Restauration des Prinzen von Asturien einzuleiten und zu unterstützen. Ich mußte daher auf das Höchste erstaunt sein, zu erfahren, daß der Marschall Prim den Cortes gegenüber auf das aller Bestimmteste erklärt hat, daß die bisherigen Negotiationen einen König für Spanien zu finden, sich nach allen Richtungen hin zerschlagen hätten.«

»Nun,« sagte der Kaiser lächelnd, »das wissen wir ja, das ist vollkommen wahr und sehr zufriedenstellend. Wenn man keinen andern König finden kann, wird man endlich wohl auf den kleinen Don Alphonso zurückkommen müssen.«

»Aber, Sire,« fuhr der Herzog von Gramont fort, »nachdem der Marschall diese Mittheilung gemacht, hat er hinzugefügt, er werde nicht für das Werk der Restauration arbeiten und zur Zurückführung Don Alphonso's niemals die Hand bieten, und dieses Niemals, Sire, hat er dreimal betont.«

Der Kaiser lächelte abermals.

»Es giebt Fälle,« sagte er, die Spitzen seines Schnurrbarts drehend, »in denen man Dasjenige am entschiedensten und bestimmtesten zurückweist, was man zu thun entschlossen ist und dessen Ausführung man vorbereitet.«

»Eure Majestät haben vollkommen Recht,« erwiderte der Herzog von Gramont, »und gerade von diesem Gedanken ausgehend, bin ich dahin gekommen, der Rede des Marschall Prim keinen besonderen Werth beizulegen, obgleich es mich immerhin befremdete, ihn eine Combination, über welche er ja füglich hätte schweigen können, so bestimmt ablehnen zu sehen, während dieselbe doch von Olozaga und Serrano durchaus nicht so absolut zurückgewiesen ist. Die Rede des Marschalls fand aber,« fuhr er fort, »eine sehr unerfreuliche Ergänzung und Erklärung in einem Bericht des Herrn Mercier de Lostende, Eurer Majestät Botschafter in Madrid. Schon gestern Abend erhielt ich ein Telegramm des Botschafters, in welchem er mir sagt, daß die Candidatur des Prinzen von Hohenzollern sehr weit fortgeschritten zu sein scheint, – wenn sie nicht schon entschieden sei. Der General Prim selbst habe es ihm gesagt und er habe sogleich Herrn Bartholdy abgesendet, um seinen detaillirten Bericht zu überbringen, denselben durch mündliche Mittheilung zu ergänzen und die Befehle Ihrer kaiserlichen Majestät einzuholen.«

»Die Candidatur Hohenzollerns,« sagte der Kaiser, – »mein Gott, diese Sache hielt ich ja seit einem Jahre fast für abgethan. Woher ist denn dieselbe jetzt wieder auf die Tagesordnung gekommen,« fragte er, den Blick scharf und forschend auf den Herzog von Gramont richtend, »und woher kommt es, daß ich garnichts davon erfahren habe? Man hätte sich darüber verständigen können, da sie jetzt so plötzlich hervortritt, ist die Sache in der That sehr unangenehm – ich habe mich der Königin gegenüber,« fügte er leiser hinzu, »einigermaßen engagirt, sie hat ihre Abdankung unterzeichnet.«

»Es scheint,« sagte der Herzog von Gramont, »daß der Marschall Prim hier ganz eigenmächtig und hinter dem Rücken seiner Collegen und aller spanischen Staatsmänner gehandelt hat, denn Herr Olozaga, den ich sogleich befragte, erklärte mir, daß er von der ganzen Angelegenheit nichts wisse und sprach sich zugleich in den aller entschiedensten und stärksten Ausdrücken gegen diese ganze Combination aus, von welcher er vollkommen einsah, daß sie nur geeignet sein könne, große Verwirrungen hervorzurufen.«

»Wäre die Sache früher herangetreten,« sagte der Kaiser, immer noch halb zu sich selbst sprechend, – »man hätte sich darüber verständigen können – in diesem Augenblick als fait accompli setzt es mich in der That in die äußerste Verlegenheit. – – Es scheint, daß der Marschall Prim den Spaniern einen König geben möchte, welcher ihm allein seinen Thron zu verdanken hätte. Er commandirt die Armee und unter einem Könige seiner Erfindung wird er allerdings auf lange hinaus der allmächtige Minister sein. Aber ich begreife in der That nicht, daß Serrano und die Übrigen darauf haben eingehen können.«

»Es scheint, daß sie überrumpelt sind,« sagte der Herzog von Gramont, »und daß sie sich in keiner Weise die Consequenzen klar gemacht haben, welche diese Candidatur nach sich ziehen muß, – denn,« fuhr er fort, »wenn ein preußischer Prinz auf den spanischen Thron steigt, während zugleich der König von Preußen schon jetzt die fast unbestrittene Hegemonie in Deutschland hat, so ist das Reich Carl V. wieder hergestellt und in jedem Kampf mit Deutschland würden unsere Grenzen an den Pyrenäen bedroht sein. Die traditionelle Politik Frankreichs erfordert es, daß wir uns einer solchen Combination auf das Äußerste und Entschiedenste widersetzen, um so mehr als in der Person des Prinzen von Hohenzollern durch seine Verwandschaftsbeziehungen mit dem portugiesischen Königshause auch die Idee der iberischen Einheit ihren Ausdruck findet.«

Napoleon lächelte ein wenig bei den lebhaft und erregt gesprochenen Worten des Herzogs.

»Nun,« sagte er, »der Prinz Leopold wird wohl so bald nicht in der Lage sein, mit der unumschränkten Autorität Carl V. und Philipp II. über die Armeen Spaniens verfügen zu können, und das spanische Nationalgefühl würde es ihm wohl ein wenig schwer machen, im Fall einer Verwickelung mit Deutschland unsere Grenzen zu bedrohen, um so mehr da mit der Herstellung der Monarchie auch der Einfluß Roms auf die spanische Politik wieder erheblich mächtiger werden muß. Allein,« fuhr er fort, »die Sache ist immerhin unangenehm und berührt mich besonders in diesem Augenblick sehr peinlich. Auch ist die Art und Weise der plötzlichen Mittheilung eines im Stillen vorbereiteten fait accompli durch den Marschall Prim geradezu eine Beleidigung Frankreichs. Man muß auf der Stelle in Madrid erklären lassen, daß Frankreich diese Candidatur nicht annehmen könne. Der Marschall Prim,« sagte er, »soll fühlen, daß er noch nicht der Mann ist, um ohne mich auch nur zu fragen, Dinge von solcher Wichtigkeit zum Abschluß zu bringen. Wir werden Mercier sofort anweisen müssen, eine sehr energische Sprache zu führen ich glaube, das wird die Sache sehr schnell erledigen.«

»Sire,« sagte der Herzog von Gramont, »ich stimme mit Eurer Majestät vollkommen darin überein, daß sich hier eine vortreffliche Gelegenheit bietet, um das so tief gesunkene Prestige Frankreichs in Europa wieder herzustellen. Dies Prestige muß allerdings tief gesunken sein, wenn der Marschall Prim, noch dazu ohne Einverständniß seiner Collegen in der Regierung, es wagt, in einer so rücksichtslosen Weise über Frankreich vollkommen hinweg zu gehen. Und es hat sich in Folge dessen auch,« fuhr er fort, »die öffentliche Meinung in Paris bei der ersten Nachricht über diese neueste Wendung der spanischen Verhältnisse auf das Äußerste erregt gezeigt. Die Journale führen eine sehr heftige Sprache und verlangen von der Regierung Eurer Majestät, daß dieselbe den Beweis liefere, Frankreich sei noch nicht aus der Reihe der europäischen Großmächte ausgestrichen.«

Der Kaiser trommelte nachdenklich mit den Fingern auf der Lehne seines Fauteuils. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck einer tiefen Mißstimmung.

»So sehr ich nun auch,« fuhr der Herzog von Gramont fort, »die Nothwendigkeit anerkenne, schnell und energisch zu handeln, so vermag ich noch nicht die Ansicht zu der meinigen zu machen, daß unsere Action sich gegen Spanien zu richten habe.«

Der Kaiser blickte befremdet auf.

»Aber wohin denn,« fragte er.

»Sire,« sagte der Herzog von Gramont, indem ein zufriedenes und fast überlegenes Lächeln um seinen fein geschnittenen Mund spielte, »das Prinzip der Regierung Eurer Majestät beruht auf der unbedingten Anerkennung des souverainen Selbstbestimmungsrechts der Nation. Eure Majestät nennen sich mit berechtigtem Stolz den Kaiser durch die Gnade Gottes und durch den Willen der Nation – diesem Prinzip gemäß hat Frankreich stets das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf das Sorgfältigste geachtet und vertreten, und auch den spanischen Angelegenheiten gegenüber vom ersten Augenblick an officiell erklärt, daß es sich jeder Einmischung in das Recht der spanischen Nation sich nach ihrem eigenen Willen und Belieben zu constituiren, auf das Gewissenhafteste enthalten werde. Würde Eurer Majestät Regierung nun den Spaniern verbieten wollen, sich irgend einen König, der ihnen passend erscheint, zu erwählen, so würde damit einem Prinzip scharf entgegengetreten werden, welches Frankreich so wohl im Innern wie nach außen hin, bis jetzt proclamirt hat. Der Eindruck einer solchen Erklärung müßte beim französischen Volke ein sehr ungünstiger sein, und könnte bei dem großen Nationalstolz der Spanier dahin führen, daß die ganze Nation die Partei des Prinzen von Hohenzollern ergriffe, nur um ihr souveraines Selbstbestimmungsrecht zu wahren, und daß gerade das, was wir vermeiden wollen, vielleicht um so sicherer geschähe. Auch richtet sich der Unwille der öffentlichen Meinung, die sich in den Artikeln der Journale kund giebt, nicht gegen Spanien –«

»Aber wie wollen Sie denn, – –« fiel der Kaiser ein, indem er den Herzog fragend ansah.

»Sire,« sprach der Minister lebhaft weiter, »nicht darin, daß die spanische Nation ihr Recht, sich einen König zu wählen, frei ausübt, liegt eine Gefahr für Frankreich, sondern darin, daß ein Prinz des preußischen Königshauses eine solche Wahl annimmt, und daß in Folge dieser Annahme später die preußische Politik im Fall feindlicher Beziehungen zu Frankreich in Madrid Rückhalt und Unterstützung finden wird.«

Der Kaiser neigte mit einem feinen Lächeln das Haupt und strich mit der Hand über das Kinn.

»Ich verstehe,« sagte er leise.

»Mir scheint deshalb,« fuhr der Herzog fort, »daß wir nicht den Spaniern verbieten sollen, sich irgend einen König zu wählen, sondern daß wir uns an den Punkt wenden müssen, wo die Gefahr für uns liegt, und daß wir vom Könige von Preußen verlangen müssen, er solle dem Prinzen von Hohenzollern die Annahme der spanischen Krone verbieten.«

Der Kaiser wiegte gedankenvoll den Kopf hin und her.

»Dadurch enthalten wir uns,« fuhr der Herzog fort, »jeder Beleidigung der spanischen Nation, jedes Eingriffs in das nationale Selbstbestimmungsrecht – wir folgen dem Zuge der öffentlichen Meinung in Frankreich, welche sich nicht gegen Spanien, sondern ausschließlich gegen Preußen richtet und in der ganzen Candidatur des Erbprinzen von Hohenzollern nur eine Intrigue des Grafen Bismarck erblickt, – wir haben außerdem die Chance des Erfolges für uns, denn ich glaube nicht, daß man in Berlin geneigt sein wird, um dieser Frage willen einen ernsten Conflikt entstehen zu lassen. Und endlich,« fügte er mit Betonung hinzu, »wird sich durch diese Behandlung der Sache, die so oft vergebens gesuchte Gelegenheit finden, der Welt zu zeigen, daß der Schwerpunkt der öffentlichen Angelegenheiten Europas noch nicht definitiv von Paris nach Berlin verlegt worden ist. Der Rückzug, welchen die preußische Politik in dieser Sache zweifellos antreten wird, kann der öffentlichen Meinung Frankreichs als ein großer moralischer Sieg dargestellt werden und dies wird das schwer erschütterte Prestige mit einem Schlage wieder herstellen. Wenn in Folge unserer Intervention die Candidatur des Erbprinzen von Hohenzollern zurückgezogen werden muß, so wird dies der Regierung Eurer Majestät ebenso viel nützen, als eine gewonnene Schlacht oder die Erwerbung von Compensationsobjecten, zu welcher bisher der vergebliche Versuch gemacht wurde.«

Er schwieg und blickte erwartungsvoll und forschend auf den Kaiser.

Napoleon stand langsam auf, ging einige Male im Zimmer auf und nieder und blieb am Fenster stehen, sinnend auf seine Rosenbeete hinausblickend. Dann wandte er sich, die Hand auf die Fensterbrüstung gestützt, zum Herzog zurück und sprach:

»Es liegt viel Wahres in dem Gedanken, den Sie da so eben ausgesprochen haben. Es wäre vielleicht eine Angelegenheit um die Vergangenheit zu verbessern. Das Ganze würde freilich,« sagte er achselzuckend, »im Wesentlichen nur ein Theatercoup sein. Aber,« fügte er hinzu, »die öffentliche Meinung wird ja doch nur durch solche Theatercoups bestimmt, und es ist jedenfalls am besten, wenn man sie ausführen kann ohne ernsthafte Gefahr. Doch,« sagte er dann mit tiefem Ernst, »sind wir vor solcher Gefahr sicher, sind wir vollkommen gewiß, daß wir in Preußen nicht auch diesmal wie so oft vorher auf einen bestimmten und festen Widerspruch stoßen werden, daß sich aus der Sache nicht ein wirklicher und ernster Conflikt entwickelt, den ich in diesem Augenblicke um keinen Preis heraufbeschwören möchte.«

Der Herzog von Gramont richtete sich noch gerader empor als sonst, mit einem stolzen Lächeln kräuselte er leicht seinen Schnurrbart und sagte:

»Darüber bin ich ganz sicher, man wird es nicht wagen, ernstlichen Widerstand in Berlin zu leisten, wenn wir nur fest und energisch auftreten, – wie ich überzeugt bin,« fuhr er fort, »daß man es auch bei früheren Gelegenheiten nicht gewagt haben würde, wenn wir bestimmt auf unserer Forderung bestanden hätten. Man hat in Berlin mit so vielen inneren Schwierigkeiten zu kämpfen, die Haltung der süddeutschen Staaten ist höchst widerstrebend, – Österreich steht auf unserer Seite und der General Fleury erhält unausgesetzt die zweifellosesten Beweise der Sympathie des Kaisers Alexander für Eure Majestät und für Frankreich. Ich bin sicher, daß man nachgeben wird und zwar um so leichter und schneller, als man die ehrgeizigen Absichten, welche nach meiner Ansicht im Hintergrunde dieser Combination liegen, nicht wird eingestehen wollen.«

»Dessen müßte man aber,« sagte der Kaiser, »sicher sein, denn die sympathischen Äußerungen gegen den General Fleury vermag ich für nichts anderes anzusehen, als für Worte und Ausdrücke persönlicher Gesinnungen, welche der Kaiser Alexander gewiß hegt, aber welche kaum jemals irgend einen Einfluß auf die Politik Rußlands ausüben werden, – und was Österreich betrifft,« fügte er achselzuckend hinzu, – »Sie sehen die Verhältnisse dort günstiger an, mein lieber Herzog, als ich es zu thun im Stande bin.«

Er schwieg abermals einige Augenblicke nachdenklich.

»Auch weiß ich nicht,« sagte er dann, »ob unsere Armee so schlagfertig ist, daß man die Möglichkeit eines ernsten Conflikts in's Auge fassen darf, – Niel ist todt,« sagte er düster, »und seine sichere und energische Hand ist bis heute noch unersetzt geblieben.

»Doch,« sprach er dann, »unthätig dürfen wir nicht bleiben, und ich komme immer mehr dahin, mich Ihrem Ideengang anzuschließen. Die Situation ist äußerst günstig, Graf Bismarck ist in Barzin, – mit ihm würde man vielleicht nicht so leichten Kaufs fertig werden. Der König Wilhelm ist in Ems allein, – so sehr er Soldat ist, so hegt er doch eine tiefe Scheu vor einem ernsten Conflikt, der seine Armee, welche sein ganzes Volk repräsentirt, auf die Schlachtfelder führen könnte. Außerdem glaube ich nicht, daß er nach seiner persönlichen Auffassung einen seinem Hause nahe stehenden Prinzen gern das Abenteuer dieses spanischen Königsversuchs wird bestehen lassen. Die Sache kann in Ems vielleicht ganz leicht und glatt erledigt werden, und Ihrer und Olliviers Geschicklichkeit,« sagte er lächelnd, »wird es dann überlassen sein, das Resultat als einen Triumph unserer Energie der öffentlichen Meinung in Frankreich darzustellen.

»Benedetti ist in Wildbad?« fragte er.

»Zu Befehl, Majestät,« sagte der Herzog von Gramont, »er muß seit einigen Tagen dort sein, der Botschafts-Secretair Le Sourd führt die Geschäfte in Berlin, welche ohne diesen Zwischenfall im jetzigen Augenblick fast gänzlich bedeutungslos wären.«

»Geben Sie Benedetti den Auftrag,« sagte der Kaiser, »sich sogleich nach Ems zum König Wilhelm zu begeben und dort so schnell als möglich und thunlichst ohne jedes Aufsehen die Zurückziehung der Candidatur des Prinzen von Hohenzollern zu erreichen. Er kann dabei auf das Beispiel Griechenlands hinweisen. Damals wurde ebenfalls bestimmt, daß die Wahl des Königs auf keinen Prinzen aus den regierenden Häusern der Schutzmächte fallen dürfe, auch an das Beispiel Neapels, wo ich selbst dem Prinzen Murat die Aufstellung seiner Candidatur untersagt habe, – Benedetti ist unendlich geschmeidig und insinuant, auch dem Könige Wilhelm eine angenehme und sympathische Person, er wird dort unter den einfachen und zwanglosen Verhältnissen des Badelebens, welche ihm auch eine leichtere Annäherung an den König und einen freieren und natürlicheren Verkehr mit ihm gestatten, ohne Zweifel sehr leicht erreichen können, daß die Candidatur des Erbprinzen zurückgezogen wird. Lassen Sie Benedetti wissen, daß er auf meine höchste Dankbarkeit rechnen kann, wenn er diese Angelegenheit schnell und glücklich zu Ende führt und unterlassen Sie vorläufig jeden officiellen Schritt in Berlin, der verletzen und das Resultat der Unterhandlungen in Ems in Frage stellen könnte.«

Der Herzog verneigte sich.

»Ich werde sofort den Befehl an Benedetti abgehen lassen, Sire,« sagte er.

Napoleon rieb sich mit heiterem Lächeln die Hände.

»Wenn Benedetti reussirt,« sagte er, »so wird Alles vortrefflich gehen. Der König Wilhelm wird die ganze Sache als einen Act freundlicher Höflichkeit ansehen und gern entgegenkommen, und mein Freund, der Graf Bismarck,« fügte er mit eigenthümlicher Betonung hinzu, »wird in seiner ländlichen Einsamkeit zu Barzin nun auch einmal meinerseits eine jener kleinen Überraschungen empfinden, die er mir so oft bereitet hat. Vor allen Dingen aber,« fuhr er fort, »schärfen Sie Benedetti die äußerste Geschmeidigkeit und Rücksicht ein, – handeln Sie schnell und senden Sie mir alle eingehenden Berichte und Telegramme sofort hierher. Wenn wir nach dem Plebiscit dem französischen Nationalgefühl diesen Erfolg vorführen können, so werden wir viel gewonnen haben. Wenn,« fuhr er nach einem augenblicklichen Nachdenken fort, »Sie dahin wirken können, daß durch Olozaga und Serrano auch von den Spaniern die Candidatur des Prinzen Leopold aufgegeben wird, so wird das um so besser sein, doch muß jeder Schein eine Pression vermieden werden.«

Der Herzog von Gramont ergriff mit ehrerbietiger Verneigung die Hand, welche der Kaiser ihm zum Abschied reichte und ging hinaus.

»Fast scheint es dennoch,« sagte der Kaiser, »daß das Glück sich mir zuwendet. Diese Candidatur des Prinzen Leopold, dem ich,« sprach er lächelnd, »diesen zweifelhaften Glanz des spanischen Thrones wirklich gern gegönnt hätte, wird die Handhabe bieten, auch den äußeren Nimbus des Kaiserreichs wieder herzustellen, nachdem dessen nationale Grundlagen wieder durch das Plebiscit befestigt sind, und so wird es mir vielleicht erspart bleiben in die entsetzliche kriegerische Catastrophe, welche seit vier Jahren wie ein Damoklesschwert über meinem Haupte schwebt, hineingerissen zu werden.«

Er zündete eine seiner großen braunen Havannacigarren an, setzte den breitrandigen Strohhut auf und stieg langsam über die, aus seinen Gemächern herabführende Treppe in seinen Rosengarten hinab.


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