Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Sechstes Capitel.

Die Morgenpromenade am Kursaal in Ems war äußerst belebt und eine zahlreiche und glänzende Gesellschaft bewegte sich in der großen Allee hin und her. Die Damen in einfachen eleganten Sommertoiletten hielten je nach ihrem Range und der Stellung, die sie sich durch ihre persönlichen Eigenschaften in der Gesellschaft erworben, eine Art von Cercle, indem sie in kurzer Unterhaltung die Herren ihrer Bekanntschaft begrüßten, bald stehen bleibend, bald mit Diesem oder Jenem einige Schritte auf der Promenade machend.

Daneben sah man alte mürrische Herren, welche hierher gekommen waren, um den während des Jahres angesammelten Staub der Bureaux aus ihren Kehlen und ihren Lungen fortzuspülen; Diplomaten, welche hier ihre Sommervilleggiatur hielten, weniger um der Heilkraft der Quellen willen, als weil die Anwesenheit des Königs von Preußen, wenn derselbe auch ganz ausschließlich seiner Badekur lebte, dennoch in dieser Zeit der absoluten Stagnation in der Politik hier noch die meiste Gelegenheit bot, um ein wenig zu hören und zu sehen, was in der Welt vorging oder sich vorbereitete.

In den letzten Tagen war in das Stillleben des Badeaufenthalts ein wenig mehr Leben und Bewegung gekommen; man hatte gelesen, daß der Erbprinz von Hohenzollern als Candidat für den spanischen Thron aufgestellt sei, und daß derselbe diese Candidatur angenommen habe. Man wußte, daß dieses Ereigniß, welches an sich von keiner besondern Bedeutung zu sein schien, eine große Aufregung in der französischen Presse erregt hatte. Im Corps legislatif war eine Interpellation erfolgt, und der Herzog von Gramont hatte eine sehr kategorische und sogar etwas verletzende Erklärung abgegeben; auch war der Botschafter des Norddeutschen Bundes Baron von Werther in Ems angekommen. Das Alles ließ darauf schließen, daß die spanische Thronfrage und die Candidatur des Prinzen Leopold Gegenstand der Verhandlungen zwischen dem Könige Wilhelm und dem Kaiser Napoleon geworden sei oder werden würde und namentlich unter den sich im Ferienaufenthalt hier befindenden Diplomaten war dadurch eine gewiße neugierige Spannung hervorgerufen, doch nahm im Ganzen die Gesellschaft wenig Theil daran. Man war seit einigen Jahren ja gewöhnt, daß hier und da kleine Differenzen zwischen Frankreich und Preußen entstanden, und da dieselben jeder Zeit mit der äußersten Courtoisie von beiden Seiten wieder ausgeglichen waren, so legte man auch diesmal der so plötzlich aufgetauchten Frage keine große Bedeutung bei, und um so weniger als ja die ganze Sache Preußen und Deutschland so unendlich wenig anzugehen schien.

So war denn die ganze Gesellschaft auf der Brunnenpromenade in Ems ebenso heiter, als der blaue sonnige Himmel, welcher sich über dem reizenden Bergthal ausspannte. Es waren nur Worte leichter und fröhlicher Conversation, welche man unter den Klängen der Badecapelle miteinander wechselte.

Bereits war der Prinz Georg von Preußen auf der Promenade erschienen und hatte sich in liebenswürdigster Weise mit den ihm bekannten Damen und Herren der Badegesellschaft unterhalten, und mit allgemeiner Spannung erwartete man den König Wilhelm, welchen man pünktlich zur festgesetzten Stunde auf der Promenade erscheinen zu sehen gewohnt war, um seinen Kränchen-Brunnen zu trinken.

»Ich habe gestern Abend die neuesten Zeitungen mit Nachrichten aus Frankreich gelesen,« sagte der Präsident des evangelischen Oberkirchenraths Dr. Matthis, eine hagere, trockene Gestalt mit bureaukratisch faltigem, kränklichem Gesicht, indem er sich zu dem Regierungspräsidenten von Bernuth, einem schlanken, hoch blonden Mann mit starkem Schnurrbart, welcher in militairischer kräftiger Haltung neben ihm ging, wandte, »es scheint mir doch ein wenig bunt in Frankreich auszusehen. Wenn ich dazu die plötzliche Ankunft des Baron von Werther nehme, so kommt mir die Lage der Dinge doch etwas beunruhigend vor. Mir scheint die öffentliche Meinung in Paris sehr montirt zu sein, und die Erklärung des Herzogs von Gramont im Corps legislatif beweist, daß die Regierung sich ein wenig unter dem Druck dieser öffentlichen Meinung befindet. Es wäre doch entsetzlich,« sagte er seufzend, »wenn wir hier aus unserm ruhigen Badeleben durch ernste und gefährliche Catastrophen aufgeschreckt werden sollten.«

»Ich glaube nicht daran, Excellenz,« sagte Herr von Bernuth, »dieses Spiel hat sich ja seit 1866 schon oftmals wiederholt, – erinnern Sie sich nur an Luxemburg. Damals schrieben die französischen Journale flammende Artikel, und so viel man davon erfuhr, führte auch die französische Diplomatie eine sehr hochmüthige Sprache, so daß Jedermann damals an den Ausbruch des Krieges glaubte. Die ruhige kaltblütige Heftigkeit des Kaisers und des Grafen Bismarck haben damals dem Sturm getrotzt und derselbe hat keine gefährlichen Wetterwolken empor getrieben, – so wird es auch diesmal wieder sein, man wird sich wohl jetzt ebenso wenig einschüchtern lassen, wie damals und die ganze Sache hat ja auch für beide Theile lange nicht die Bedeutung wie die Luxemburger Affaire.«

Der Geheimrath Matthis schüttelte bedenklich den Kopf.

»Mir will das nicht recht geheuer vorkommen,« sagte er, – »es wäre wirklich traurig, wenn die Kur, die mir so gut bekommt, unterbrochen werden sollte.«

Sie waren an die Quelle gekommen, Herr Matthis füllte seinen Becher und schlürfte vorsichtig in kleinen Zügen das Heil bringende Wasser ein, während Herr von Bernuth rasch in kräftigen Zügen seinen Becher leerte.

»Sehen Sie, Exzellenz,« sagte er dann, »dort kommt Seine Majestät. Ich bitte, sehen Sie den Herrn an, so lange dies Gesicht so heiter und ruhig blickt, haben wir nichts für den europäischen Frieden zu fürchten.«

Der Geheimrath Matthis hatte bei den Worten des Präsidenten hastig seinen Becher geleert, von der schnell in seine Kehle dringenden Flüssigkeit gereizt, begann er heftig zu husten, und sein Taschentuch vor den Mund haltend, blickte er nach dem Eingang der Allee hin, wo so eben der König Wilhelm in einem einfachen dunklen Civilanzug, einen Cylinderhut auf dem Kopf, einen Stock in der Hand erschien, begleitet von dem Flügeladjutanten, Grafen Lehndorf, einem schönen, hoch gewachsenen Mann mit starkem dunklem Bart, der ebenfalls in Civil erschienen war.

Der Präsident von Bernuth hatte Recht; der König ging so frisch, so leichten und kräftigen Schritts einher; sein Gesicht strahlte von einer so ruhigen milden Heiterkeit, daß man unmöglich dem Gedanken Raum geben konnte, daß ernste Sorgen um den Frieden der Welt ihn erfüllen könnten.

Der König schritt rasch durch die Allee nach der Quelle hin und erwiderte rechts und links freundlich mit der Hand winkend die ehrerbietigen Begrüßungen der bei seinem Vorbeischreiten tief sich verneigenden Badegäste. Der König begrüßte schnell, aber herzlich den Prinzen Georg, welcher ihm entgegentrat und wandte sich dann zu seinem Leibarzt Dr. von Lauer, der den Becher Seiner Majestät aus dem Kränchen-Brunnen füllen ließ.

»Ich habe vortrefflich geschlafen, mein lieber Lauer,« sagte der König, indem er den Becher ergriff, »überhaupt bekommt mir diesmal die Kur ganz ausgezeichnet. Es ist eine vortreffliche Quelle, die Sie mir verordnet haben, sie bringt meine Natur für ein Jahr immer wieder in Ordnung.«

Er leerte mit langen Zügen seinen Becher und athmete dann tief auf, als fühle er die wohlthätige Wirkung des Getränks.

»Eure Majestät sehen in der That in den letzten Tagen und heute besonders ganz ausnehmend wohl und kräftig aus,« sagte Herr von Lauer, indem er den scharfen Blick seines klugen und geistvollen Auges auf der kräftigen Gestalt des Königs ruhen ließ. »Aber ich würde, um die Quelle zur vollen Wirksamkeit zu bringen, am liebsten sehen, daß Eure Majestät Ihr Militair- und Civilcabinet zu Hause gelassen hätten, denn die Enthaltung von allen Arbeiten, von aller geistigen Unruhe ist die erste Bedingung einer guten Wirkung des Bades, und leider halten Eure Majestät diese nothwendige geistige Diät nicht mit eben der Sorgfalt, mit welcher Sie die materiellen Diätvorschriften beobachten.«

»Leider ist das nicht so ganz möglich,« erwiderte der König, »indeß kann ich Sie versichern, daß ich auch in dieser Beziehung so viel als es angeht, Ihren Vorschriften nachkomme, und namentlich habe ich keine aufregenden und beunruhigenden Arbeiten,« fügte er hinzu, während es wie ein leiser vorübergehender Schatten über sein Gesicht flog.

»Ich fürchte doch, daß Eure Majestät als Bade-Patient immer noch zu viel arbeiten, denn nach der Anzahl von Depeschen, welche einlaufen –«

»Controliren Sie meine Depeschen?« fragte der König lächelnd.

»Als Eurer Majestät Leibarzt,« sagte Herr von Lauer, »müßte ich hier im Bade eigentlich Alles controliren, was in Eurer Majestät Leben eingreift; aber zu der Bemerkung, welche ich so eben zu machen mir erlaubte, bin ich auf zufällige Weise gekommen; ich wohne im steinernen Hause neben dem Zimmer des Hofraths St. Blanquart« –

»Nun,« fragte der König.

– »der Geheimrath Abeken, Majestät, kommt nun sehr häufig von seiner Wohnung in Huyns Gartenhaus zu St. Blanquart, um von den Depeschen nach ihrer Dechiffrirung sofort Kenntniß zu nehmen, und seit einigen Tagen höre ich bis tief in die Nacht hinein fortwährend das Vorlesen der Zahlen der Chiffres. Diese ruhig und monoton ausgesprochenen Zahlen tönen in meinen Schlaf hinein, und wenn ich morgens früh aufwache, so höre ich bereits wieder, wie sich Zahl an Zahl in der Arbeit des Dechiffrirens an einander reiht; – ob man in der Nacht überhaupt aufgehört hat, weiß ich nicht. Und alle diese unendlichen Zahlenreihen,« fuhr er fort, »haben doch einen Inhalt, dieser Inhalt muß endlich zu Eurer Majestät gelangen und ist jedenfalls der Feind meiner Kur. Ich bin mehrmals schon sehr böse gewesen und möchte am liebsten das ganze Dechiffrirbureau von Eurer Majestät durch eine chinesische Mauer trennen, so lange bis mein Brunnen seine Wirkung gethan.«

Der König lachte herzlich.

»Nun,« sagte er, »Abeken und der arme St. Blanquart werden wohl nicht so gefährliche Feinde meiner Gesundheit sein, lassen Sie sie nur immerhin, ich verspreche Ihnen, ich werde mich nicht zu sehr anstrengen.«

Und freundlich den Kopf neigend, wandte er sich zur Seite.

Der Geheimrath Matthis hatte den Hustenanfall überwunden, und der König winkte ihn freundlich heran, fragte ihn nach der Wirkung der Kur und wandte sich dann zu dem Präsidenten von Bernuth.

»Wenn ich hier die Badegesellschaft in Ems ansehe,« sagte er heiter, so muß ich glauben, daß dies Wasser ein Lebenselixir ist, welches meine ganze Regierungsmaschine durchdringt und verjüngt, meine Kirchenverwaltung, meine Administration, meine Diplomatie und selbst meine Officierscorps suchen sich hier Kraft und Stärkung, und so dringt diese Quelle von Ems in alle Adern des preußischen Staatslebens.«

»Wenn die Quelle Eurer Majestät Kraft und Gesundheit stärkt,« erwiderte Herr von Bernuth, »so durchdringt sie ja ohnehin schon den Organismus des preußischen Staats mit neuer Lebenskraft und verdient die Dankbarkeit aller Ihrer Unterthanen.«

Der König nickte freundlich mit dem Kopf und trat dann zu dem in der Nähe stehenden Botschafter am Pariser Hofe, Freiherrn von Werther, einem schlanken eleganten Mann mit bleichem Gesicht und militairisch geschnittenem Haar und Bart.

»Benedetti ist diese Nacht angekommen,« sagte der König mit etwas gedämpfter Stimme, indem er durch einen Wink der Hand Herrn von Werther aufforderte, ihn auf seiner Promenade zu begleiten. »Er hat mich um eine Audienz gebeten, ich habe ihm sagen lassen, daß ich ihn erst Mittags empfangen könne, da ich morgens mit meiner Kur zu thun habe und auch am Vormittage mehrere Geschäfte zu erledigen muß. Er ist jedenfalls nicht zufällig hier, denn er war erst vor wenigen Tagen auf Urlaub nach Wildbad gegangen und hatte so eben seine Kur begonnen. Jedenfalls kommt er in dieser Hohenzollerschen Angelegenheit, welche in Frankreich täglich mehr Staub aufwirbelt. Es würde mir lieb sein, wenn ich bevor ich ihn empfange, über den Gegenstand seiner Mission unterrichtet wäre. Wollen Sie ihn besuchen, und wenn Sie es in der Unterredung mit ihm erfahren können, mir ungefähr mittheilen, was er will. Ich wünsche aber nicht,« fuhr er fort, »daß Sie in eigentliche Discussion mit ihm eintreten, – wenn er über die Angelegenheit spricht, so sagen Sie ihm einfach, daß der Prinz Leopold mich um Rath gefragt habe, und daß ich nicht im Stande gewesen sei, seinem Wunsch, die spanische Krone anzunehmen, ein Hinderniß entgegenzustellen.«

»Ich zweifle nicht, Majestät,« sagte Herr von Werther, »daß der Graf Benedetti hierher gesendet ist, um Eurer Majestät dasselbe zu sagen, was mir bereits der Herzog von Gramont und Herr Ollivier in ziemlich allgemeiner Weise ausgesprochen haben, daß nämlich Frankreich die Thronbesteigung des Prinzen von Hohenzollern, den man dort hartnäckig für einen preußischen Prinzen erklärt, nicht dulden könne, und daß man verlangen müsse, daß Eure Majestät den Prinzen zur Verzichtleistung veranlasse.«

»Ich begreife nicht, was sie wollen,« sagte der König einen Augenblick stehen bleibend, »ich kann mir unmöglich denken, daß der Kaiser Napoleon, dessen Gesundheit in der letzten Zeit immer weniger fest gewesen ist, darauf ausgehen sollte, einen Conflict zu suchen, und doch erscheint diese ganze Behandlung der Hohenzollerschen Candidatur wie eine Provocation, denn einen politischen Grund, sich so sehr darüber zu echauffiren, sehe ich in der That nicht. Der Prinz Leopold ist kein preußischer Prinz – und wenn er es wäre, glaubt man denn, daß er in diesem von Parteien zerrissenen spanischen Lande preußische Politik machen könnte? Jeder König, der dort auf den Thron steigt, wird genug zu thun haben, um sich auf demselben zu erhalten und der inneren Verwirrungen Herr zu werden. Ich begreife die ganze Sache nicht,« fuhr er fort, – »ich hoffe, daß das Alles nur ein kleines Strohfeuer sein wird, wie man sie in Frankreich von Zeit zu Zeit anzuzünden liebt, und daß der Kaiser Napoleon auch diesmal wie bei der Luxemburger Angelegenheit, die doch eigentlich ernsterer Natur war, das Feuer der Kriegspartei ein wenig dämpfen wird.«

»Auch ich bin davon überzeugt, Majestät,« erwiderte Herr von Werther, »denn nach all den Eindrücken, die ich habe, wünscht der Kaiser wirklich aufrichtig die Erhaltung des europäischen Friedens und guter Beziehungen zu Eurer Majestät. Indeß läßt sich nicht verkennen,« fuhr er fort, »daß diese Hohenzollersche Frage die öffentliche Meinung im hohen Grade aufgeregt hat, allerdings unter Vorgang der Regierungsjournale – doch bei meiner Abreise von Paris war diese Aufregung sehr groß, und nach dem, was ich aus den Zeitungen sehe, steigt sie von Tage zu Tage. Ollivier ist äußerst abhängig von der öffentlichen Meinung, der Herzog von Gramont folgt Ollivier, und der Kaiser steht, je mehr sein Körper und seine Nerven schwach werden, immer mehr unter dem Einfluß seiner Minister und seiner Umgebung.«

»Nun,« sagte der König, »ich werde wahrhaftig nichts dazu thun, um die Situation zu verschlimmern, ich werde ein freundliches Entgegenkommen zeigen, da ich wahrlich kein Interesse daran habe, den Prinzen Leopold zu diesem spanischen Abenteuer zu treiben, aber ebenso wenig kann ich ihm auch dasselbe verbieten, ich würde ja auch dazu eigentlich gar kein Recht haben. Wenn er mich um Rath fragt, so ist das eine Courtoisie, – wenn er aber meinen Rath nicht befolgen will, so kann ich ihn kaum dazu zwingen – jedenfalls bin ich als König von Preußen der ganzen Angelegenheit völlig fremd, meine Regierung hat mit derselben garnichts zu thun. Nun wir werden ja sehen,« sagte er, »gehen Sie inzwischen zu Benedetti und erklären Sie ihm zugleich nochmals, warum ich ihn erst am Nachmittag empfangen kann, er wohnt in der Stadt Brüssel.«

Mit freundlichem Kopfnicken entließ der König den Baron Werther und wendete sich zu dem Oberpräsidenten von Möller, einem Mann von etwa fünf und fünfzig Jahren, dessen kluges und offenes Gesicht mit den frischen Farben und den hellen Augen sein Alter weniger verrieth als das bereits stark ergraute, ziemlich lang zurückgestrichene Haar.

»Guten Morgen, mein lieber Möller,« sagte der König, »es freut mich, Sie hier zu sehen. Ich bin begierig, von Ihnen zu erfahren, wie es in Hessen steht, und ob meine neuen Unterthanen dort noch immer so unzufrieden sind, daß sie Preußen geworden sind.«

»Majestät,« sagte Herr von Möller, »die allgemeine Stimmung in der Provinz, deren Leitung Allerhöchst dieselben mir übertragen haben, söhnt sich immer mehr mit der neuen Ordnung der Dinge aus. Alle Vernünftigen, namentlich auch die Vertreter des Handels und der Industrie empfinden immer mehr die Vorzüge einem großen Staatswesen anzugehören, und ich gebe mir die größte Mühe überall auf die mildeste Weise die alten Verhältnisse mit den neuen Zuständen zu versöhnen.« –

»Ganz recht, ganz recht,« fiel der König ein, »Sie handeln darin ganz in meinem Sinn. Man muß alle berechtigten Eigenthümlichkeiten schonen, alle Erinnerungen an die Vergangenheit achten –«

»Die Erinnerungen an die Vergangenheit, Majestät, stehen uns bei der Bevölkerung von Kurhessen vielleicht weniger entgegen, als bei derjenigen von Hannover. Die Hessen haben viele Anhänglichkeit an die Traditionen ihrer Vergangenheit, aber gerade durch die Persönlichkeit des letzten Kurfürsten, der ja überall wenig Sympathie hatte, haben jene Erinnerungen an Intensivität und Einfluß verloren. Den nachdrücklichsten und hartnäckigen Widerstand findet die Regierung leider bei den Geistlichen, welche befürchten, daß die Einverleibung in Preußen dem lutherischen Bekenntniß Gefahr bringen, und daß die Einführung der Union beabsichtigt werden könnte.«

Der König blieb einen Augenblick stehen und blickte sinnend vor sich hin.

»Mein Gott,« fuhr er fort, »daß doch gerade die Priester des Christenthums sich so wenig zu den Ideen der Liebe und Duldung erheben können, welche den Erlöser selbst erfüllten. Was ist denn die Union, dieses Werk meines unvergeßlichen Vaters, anders, als der Ausdruck der wahrhaft christlichen Toleranz, um alle Bekenner des evangelischen Glaubens zu einer evangelischen Kirche zu vereinigen.

»Nun ich hoffe,« sprach er weiter, »der gesunde Sinn der Gemeinden wird kräftiger sein, als der eigensinnige Zelotismus der Geglichen. Übrigens liegt es mir ja unendlich fern, den Gewissen irgend welchen Zwang anthun zu wollen und einen Druck zur Einführung der Union auszuüben. Sie werden mir über das Alles noch ausführlich berichten,« sagte er, »sobald ich eine Stunde freie Zeit habe.«

Er grüßte Herrn von Möller und wendete sich zu zwei Damen, welche in einfacher Morgentoilette an der Seite der Promenade stehen bleibend, sich tief verneigten.

Es waren die berliner Künstlerinnen, Fräulein Marie Keßler mit dem anmuthig gedankenvollen Ausdruck in den weichen sinnenden Augen und Fräulein Anna Schramm, deren lebhafte Blicke von Geist und Laune funkelten.

»Nun, meine Damen,« sagte der König, »ich hoffe, daß die Vorstellung, welche Sie mit Herrn Bethge und Herren Behrend zum Besten der Abgebrannten in Pera veranstaltet haben, einen recht günstigen Ertrag für die armen Opfer jener unglücklichen Catastrophe erzielt hat.«

»Die Rechnungen sind noch nicht abgeschlossen, Majestät,« erwiderte Fräulein Keßler, »doch hoffen wir, daß nach der Gesammteinnahme ein erheblicher Überschuß sich ergeben wird.«

»Ich habe mich sehr über Ihr Unternehmen gefreut,« sagte der König »und spreche Ihnen nochmals meinen Dank dafür aus. Es ist ein schöner Zug des immer mehr erstarkenden und erwachenden Nationalgefühls, daß wenn auch im fernsten Auslande Deutsche von dem Schlage des Unglücks getroffen werden, die besten Kräfte der Nation sich vereinigen, um ihnen beizustehen, und es hat mich hoch erfreut, daß meine berliner Künstler und Künstlerinnen auch in dieser Beziehung mit edlem Beispiel vorangegangen.«

Mit ritterlich artigem Gruß gegen die beiden Damen schritt er weiter, begrüßte noch die verschiedenen Bekannten auf der Promenade, während er die vorgeschriebene Anzahl von Bechern an der Quelle leerte und kehrte dann, vom Grafen Lehndorf gefolgt, nach seiner Wohnung im Badehause zurück.

Rüstigen und leichten Schrittes stieg er die Treppe hinauf, trat durch das Wohnzimmer in den einfachen Raum, welcher ihm als Arbeitscabinet diente; an dem Fenster dieses Zimmers stand der breite Schreibtisch; ein Sopha und einige Lehnstühle mit rothem Plüsch überzogen, bildeten das ganze Ameublement dieses anspruchslosen Aufenthalts des mächtigen Monarchen.

Der Flügeladjudant war im Vorzimmer zurückgeblieben. Der König reichte seinen Hut und seinen Stock seinem Leibkammerdiener Engel, welcher in ernster ruhiger Haltung, in seinem blauen Frack mit den goldenen Knöpfen fast an einen hohen Staatsbeamten erinnernd, seinem königlichen Herrn entgegengetreten war.

»Ich lasse den Geheimrath Abeken bitten,« sagte der König, setzte sich, während der Kammerdiener hinausging, an seinen Schreibtisch und öffnete einige für ihn dort hingelegte Privatbriefe.

Nach kurzer Zeit trat der Geheime Legationsrath Abeken, seine Vortragsmappe unter dem Arm in das Zimmer.

Er war ein kleiner Mann von einundsechzig Jahren, dessen ganze Erscheinung trotz der etwas lebhaften und nervösen unruhigen Bewegung noch ein wenig den Stempel des geistlichen Standes trug, für den er sich in seiner Jugend bestimmt hatte. Sein blondes Haar und sein kleiner blonder Schnurrbart erschienen noch wenig ergraut, und aus seinen lebhaften, scharf blickenden Augen blitzte das Feuer jugendlicher Frische.

»Guten Morgen, mein lieber Abeken,« sagte der König, freundlich mit dem Kopf nickend und seinen langjährigen vertrauten Diener, der ihn als vortragender Rath des auswärtigen Ministeriums auf allen seinen Reisen begleitete, die Hand reichend. »Setzen Sie sich, theilen Sie mir mit, was Neues von Berlin gekommen ist. Ich muß Sie übrigens bitten,« sagte er schalkhaft lächelnd – während Herr Abeken einen Sessel heranzog und seine Mappe öffnete – »daß Sie die Leute nicht im Schlaf stören –«

Herr Abeken sah ganz erstaunt den König an.

»Ich wüßte nicht, Majestät.«

»Lauer hat sich beklagt,« fuhr der König in demselben scherzhaften Ton fort, »daß Sie und St. Blanquart am späten Abend und am frühesten Morgen schon wieder ihn fortwährend mit dem monotonen Geräusch der Lectüre der Zahlen des Depeschenchiffres verfolgen.«

»Nun Majestät,« sagte Herr Abeken lächelnd, »ich hoffe, daran wird sich Herr von Lauer gewöhnen, wie man sich an das Geräusch einer Mühle gewöhnt, und wenn er nach Berlin zurückkommt, wird er das Dechiffrirbureau neben seinem Zimmer vermissen.«

»Wie steht die Hohenzollersche Angelegenheit in Berlin,« fragte der König. »Sie wissen, daß Benedetti angekommen ist, es scheint, daß es da einige Weitläufigkeiten geben wird.«

»Herr von Thiele berichtet, Majestät,« sagte der Geheimrath Abeken, indem er einen Bericht aufschlug, den er aus seiner Mappe genommen hatte, »daß der französische Geschäftsträger Le Sourd eine äußerst scharfe und bestimmte Sprache führe und erklärt habe, daß die französische Regierung unter keiner Bedingung die Thronbesteigung des Prinzen von Hohenzollern in Spanien dulden könne. Und diese Sprache des Geschäftsträgers zusammengehalten mit den Äußerungen des Herzogs von Gramont im Corps legislatif flößen Herrn von Thiele die äußersten Besorgnisse ein, und er fürchtet, daß in Paris ein Hintergedanke bestehe. Der Legationsrath von Kendell ist nach Barzin gegangen, um dem Grafen Bismarck persönlich über die Sache Bericht zu erstatten und demselben den Wunsch auszusprechen, daß er, wenn möglich unter diesen Umständen nach Berlin zurückkehren möchte.«

»Der arme Bismarck,« sagte der König, »er hat seine ländliche Ruhe so nöthig, und ich gönne sie ihm so von Herzen nach all' den Arbeiten, die er den Winter über gehabt hat. Aber freilich,« fuhr er fort, »wenn die Sache, was ich noch immer nicht glauben kann, irgend wie ernsthaft werden sollte, so wird er seine Sommerruhe wohl unterbrechen müssen. Ich kann ja auch hier nicht ohne Minister auf irgend welche politische Verhandlungen wirklich eingehen, doch vermag ich in der That kaum abzusehen –« er schwieg einen Augenblick.

»Was haben Sie sonst noch?« fragte er.

»Abgesehen von dieser spanischen Frage, Majestät,« sagte der Geheimrath Abeken, »ist in der auswärtigen Politik völliger Stillstand. Was Eure Majestät vielleicht besonders interessiren wird, ist ein Bericht über die Zustände in Rumänien.«

Der König nickte leicht mit dem Kopf.

»Es sieht dort bunt aus,« sagte er.

»Sehr bunt, Majestät,« erwiderte der Geheimrath Abeken, »die Lage ist dort so verworren, daß bereits in den Parteien sich Stimmen erheben, welche das Einschreiten der Schutzmächte gegen die Verfassung von 1860 für dringend nöthig erachten. Es scheint, daß die Zustände in Rumänien keine freie Verfassung ertragen. In allen Schichten der Bevölkerung fehlt es an Vertretern, welche die nötige Einsicht zur Ausübung verfassungsmäßiger Rechte besitzen. Die Verfassung dient nur dem Ehrgeiz der Parteien und legt der Thätigkeit des Fürsten, und wenn er persönlich die größte Energie hätte, überall hemmende Ketten an. Gerade diejenigen welche den Regierungsantritt des Fürsten begünstigten, die Führer der radicalen Partei, sind am wenigsten geneigt seine Autorität zu stärken. Sie wollen ihn zu einem lenkbaren Zögling machen und erschweren ihm das Leben in jeder Weise, Senat und Deputirtenkammer sind seit den vier Jahren der Regierung des Fürsten Carl schon dreimal aufgelöst, und der Auflösung folgte jedes Mal eine Agitation durch das ganze Land, die das öffentliche Leben aufs tiefste erschüttert.«

»Lassen Sie mir den Bericht hier,« sagte der König, »der arme Carl von Hohenzollern thut mir leid, daß er sich in diese Verwirrung hinein begeben hat, welche zu lösen ihm kaum gelingen möchte. Es ist merkwürdig,« sagte er, während Herr Abeken den Bericht auf den Schreibtisch des Königs legte, »daß das Beispiel in der Familie, den Prinzen Leopold nicht abhält, auch seinerseits sich auf den Weg ähnlicher Abenteuer zu begeben, die vielleicht noch unangenehmer und verhängnißvoller werden können. Der Fürst Anton hat an diesem kleinen rumänischen Thron schon genügend empfunden, was solche Expeditionen kosten. Das spanische Unternehmen möchte wohl leicht noch etwas theurer werden können. Wenn keine eiligen Sachen mehr da sind,« sagte er dann, »so bitte ich Sie das Übrige für morgen zu vertagen. Ich möchte noch hören, ob Wilmowsky etwas Dringendes vorzutragen hat und einige Briefe lesen, die ich so eben erhalten, bevor ich Benedetti empfange,« sagte er mit leichtem Seufzer. »Der Kronprinz hat mir sehr ausführlich über seine Begegnung mit dem Kaiser Alexander in Breslau geschrieben, und es ist mir eine rechte Herzensfreude gewesen, zu sehen, daß auch dort wieder die mir so lieben Familienbeziehungen den innigsten Ausdruck gefunden haben. Der Kaiser hat dem Kronprinzen selbst den St. Georgsorden zweiter Klasse an die Brust geheftet und zugleich an Fritz Carl denselben Orden geschickt, wozu er mich schon früher um die Erlaubniß gebeten hatte. Das Alles freut mich ungemein, die Beziehungen zu dem russischen Hause hege und pflege ich wie ein theures Vermächtniß meines Vaters und wünsche von Herzen, daß dieselben Beziehungen in der künftigen Generation auch fort leben mögen.«

»Abgesehen von diesen Traditionen,« sagte der Geheimrath Abeken, welcher sich erhoben und seine Mappe unter den Arm genommen hatte, »welche ja in der glorreichsten Geschichte Preußens wurzeln, sind die guten Beziehungen mit Rußland auch im Hinblick auf die politischen Verhältnisse der Gegenwart von der äußersten Wichtigkeit, und gerade in Augenblicken wie der gegenwärtige, in welchem nach anderer Seite hin die Keime zu Verwickelungen sich zeigen, tritt mir so recht lebhaft die Nothwendigkeit entgegen, mit dem mächtigen Nachbar im Osten in fester Einigkeit zu leben, damit für alle Eventualitäten nach dorthin uns der Rücken gedeckt ist.«

»Nun,« sagte der König lächelnd, »dafür ist ja gesorgt, in dieser Beziehung dürfen wir keine Bedenken haben, nötigenfalls unsere ganze Kraft nach der andern Seite hinzurichten. Auf Wiedersehen, mein lieber Abeken,« sagte der König, »wollen Sie veranlassen, daß Benedetti zum Diner eingeladen wird. Senden Sie mir Wilmowsky und,« fügte er lächelnd mit dem Finger drohend hinzu, »stören Sie mir Lauer nicht wieder im Schlaf.«

Der Geheime Legationsrath verließ das Cabinet.

Kurze Zeit darauf während welcher der König noch einige der für ihn persönlich angekommenen Briefe geöffnet und durchflogen hatte, trat der Geheime Cabinetsrath von Wilmowsky ein, auf seinem länglichen Gesicht, dessen unterer Theil von einem kurzen weichen Bart umgeben war, lag ruhige Heiterkeit und ein fast humoristischer Zug umgab die klaren und scharf blickenden Augen, seine breite, von vollem ergrautem Haar umgebene Stirn war zugleich hoch und schön gewölbt, und in seiner Haltung zeigte er die ruhige und klare Sicherheit des Hofmannes.

»Sind die Bestimmungen über die Feier des dritten August nunmehr vollständig getroffen,« fragte der König, nachdem er seinen Cabinetsrath freundlich begrüßt und derselbe ihm gegenüber Platz genommen hatte. »Es liegt mir diese Feier ganz besonders am Herzen. Die Aufrichtung eines Denkmals für den hochseligen König ist eine Pflicht der Dankbarkeit, welche ich schon lange empfunden und welche ich mich besonders freue, noch während meines Lebens abtragen zu können.«

»Eure Majestät hatten befohlen,« sagte der Geheime Cabinetsrath, »daß von den Civilbehörden außer den Deputationen sämmtlicher in Berlin bestehenden Behörden und der Regierung in Potsdam nur die Oberpräsidenten der Provinzen eingeladen werden sollten.«

»Ganz recht,« sagte der König, »einfach und schlicht wie der Sinn meines Vaters war, soll auch die Feier der Enthüllung des Denkmals sein, auch wenn kein großer Pomp entfaltet wird, so wird das Gefühl des preußischen Volkes und seine frommen Erinnerungen dennoch diesem Act seine schöne und hohe Bedeutung geben.«

»Von den Rittern des eisernen Kreuzes,« fuhr der Geheime Cabinetsrath fort, »sollen wie Eure Majestät bestimmten, nur diejenigen von Berlin, Potsdam und Spandau zugezogen werden –«

»Die Ritter des eisernen Kreuzes,« sagte der König sinnend – »um das Denkmal des verewigten Herrn, dessen einfacher frommer Sinn dieses eiserne Denkzeichen an eine eiserne Zeit stiftete! Sie werden immer weniger,« fuhr er mit weicher Stimme fort, »diese alten Kämpfer für die Befreiung Deutschlands – noch einige Jahre und das edle Zeichen wird aus meiner Armee verschwunden sein, – sie werden dann dort oben Alle versammelt sein um meinen Vater und meine Mutter – und ich auch! – So Gott will aber soll der Geist nicht verloren gehen, welcher in jenem Zeichen lebt, der Geist der frommen und treuen Hingebung an das Vaterland, der Geist, der uns lehrt, das eiserne Schwert nur zu gebrauchen für eine Sache, auf welcher der Segen des heiligen Kreuzes ruht.«

»Übrigens,« fuhr der Geheime Cabinetsrath von Wilmowsky nach einigen Augenblicken fort, »wird eine umfassende Repräsentation der Stadt Berlin bei der Feier statt finden, worüber der Polizeipräsident von Wurmb, der heute oder morgen hier eintrifft, Eurer Majestät noch nähere Mittheilungen machen wird. Auch von allen Großstädten der Monarchie sind Deputationen angemeldet, ebenso von Seiten der Provinzial-Stände.«

»Wenn es nur nicht zu groß und geräuschvoll wird,« sagte der König. »Nun,« fuhr er fort, »Jedermann in Preußen kennt ja den Sinn meines Vaters, und man wird verstehen, daß auch in diesem Sinne die Feier gehalten werden muß. Es sollen Deputationen der russischen Armee erscheinen,« fuhr er dann fort, »ich will darüber noch mit Treskow das nähere besprechen. Diese Aufmerksamkeit des Kaisers Alexanders freut mich ganz besonders, der hochselige Herr legte ja stets so hohen Werth auf die russische Freundschaft und lächelte stets so still glücklich, wenn es im Palais hieß, die Russen kommen. Es wird ein schöner, aber tief ergreifender Tag werden,« sagte er, »und ich werde so recht ruhig und zufrieden sein, wenn ich erst das liebe und so schön gelungene Erzbild meines Vaters als ein Denkmal der großen und unvergeßlichen Zeit werde aufgerichtet haben. Lassen Sie mir das ganze Programm hier,« sagte er dann, »ich will Alles genau noch prüfen, und wenn ich Wurmb gehört habe, Alles definitiv feststellen. Was haben Sie sonst noch?«

Der Geheime Cabinetsrath nahm seine Papiere zur Hand und begann den Vortrag über die laufenden Geschäftssachen, welche der König hier im Bade mit derselben Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit erledigte, als in Berlin.

Um drei Uhr Nachmittags erschien im Badehause der französische Botschafter Graf Benedetti. Er war bereits zum Diner angekleidet und trug unter dem schwarzen Frack das breite Orangeband des Ordens vom schwarzen Adler, den Stern dieses höchsten preußischen Ordens und das Großkreuz der Ehrenlegion auf der Brust. Sein blasses, glattes und bartloses Gesicht, dessen runde Stirn von dünnem ergrauendem Haar umgeben war, zeigte die vollkommenste gleichgültige Ruhe. Ein heiteres, freundlich höfliches Lächeln lag auf seinen Lippen, und seine klaren grauen Augen, welche selten einen bestimmten Ausdruck zeigten, blickten so völlig unbefangen umher, daß Niemand, der den Botschafter in die Wohnung des Königs eintreten sah, an das Vorhandensein irgend einer, auch nur einigermaßen ernsten politischen Frage hätte glauben können.

Der Flügeladjutant vom Dienst meldete den Botschafter sofort Seiner Majestät und führte ihn unmittelbar darauf in das königliche Arbeitscabinet.

König Wilhelm hatte sich erhoben, trat dem Grafen Benedetti einen Schritt entgegen und reichte ihm mit freundlicher Bewegung die Hand, welche dieser, sich tief verneigend, ehrerbietig ergriff.

»Ich glaube zu wissen, weßwegen Sie kommen,« sagte der König, – »wir werden uns leicht darüber verständigen und aus dieser Sache wird kein Conflikt entstehen.«

Er deutete, während er sich vor seinen Schreibtisch setzte, auf einen Sessel, welcher neben demselben stand.

»Eure Majestät,« sagte Benedetti, indem er sich niederließ, »haben die Gnade, dieselbe Überzeugung auszusprechen, in welcher ich hierher gekommen bin, – ich bin gewiß, daß es unendlich leicht sein wird, den Gegenstand der Beunruhigung verschwinden zu lassen, welcher in den letzten Tagen aufgetaucht ist, und welcher die Regierung des Kaisers, meines allergnädigsten Herrn, sehr lebhaft beschäftigt.«

Der König blickte ruhig und erwartungsvoll in das unbewegliche Gesicht des Botschafters.

»Die öffentliche Meinung in Frankreich, Majestät,« fuhr dieser fort, »erblickt in der Annahme der spanischen Throncandidatur von Seiten des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern eine ernste Gefährdung der französischen Interessen, und die Regierung des Kaisers, welche,« fügte er hinzu, »mehr als irgend eine andere Veranlassung hat, der öffentlichen Meinung in ausgedehnter Weise Rechnung zu tragen, kann sich, wenn sie auch weit entfernt von der allgemeinen Aufregung ist, dennoch diesem Einfluß nicht verschließen. Eure Majestät wissen, wie hohen Werth der Kaiser persönlich und alle Mitglieder seiner Regierung darauf legen, daß in den Beziehungen zwischen Preußen und Frankreich keine Trübung entstehe, und daß kein Mißverständniß die aufrichtige Freundschaft und das Vertrauen stören, welches zum Wohl beider Nationen besteht und zu dessen Erhaltung ich nach meinen Kräften mitzuwirken seit Jahren den ehrenvollen und erfreulichen Beruf habe.«

Der König nickte wie die letzten Worte betätigend leicht mit dem Kopf, ohne etwas zu erwidern.

»Die Candidatur des Prinzen von Hohenzollern,« sprach Benedetti weiter, »muß abgesehen von der Irritation in Frankreich, wie die Regierung des Kaisers glaubt und wie auch Eure Majestät gewiß nicht verkennen werden, auch in Spanien selbst eine große Aufregung hervorrufen und wird unausbleiblich dort die Ursache oder wenigstens der Vorwand großer Unruhen und Unordnungen werden. Auch in anderen Ländern, Majestät,« fuhr er mit fast unmerklich erhöhter Betonung fort, »hat die Sache eine lebhafte Beunruhigung erzeugt, – wenn man den übereinstimmenden Äußerungen der englischen Presse Glauben schenken darf, so ist auch die öffentliche Meinung in England einig darin, eine Combination zu beklagen, welche die Ruhe Spaniens ebenso sehr zu bedrohen scheint, als die guten Beziehungen, die in diesem Augenblick die großen europäischen Mächte miteinander verbinden. Die Regierung des Kaisers hat keinen andern Wunsch, als allen diesen Beunruhigungen so schnell als möglich ein Ziel zu setzen, und in den Händen Eurer Majestät liegt es, diese Wünsche, diese lebhaften und innigen Wünsche zu erfüllen. Eure Majestät können mit einem Wort alle diese Gefahren beschwören und den Ausbruch eines Bürgerkrieges in der pyrenäischen Halbinsel verhüten, für welche ein Mitglied Ihres Hauses die Verantwortung tragen würde. Der Prinz von Hohenzollern kann die spanische Königskrone nicht annehmen, ohne dazu von Eurer Majestät autorisirt zu werden. Sobald Eure Majestät ihn von diesem auch für ihn selbst gefährlichen Unternehmen, abzuhalten die Gnade haben, so werden die Beunruhigungen, welche jetzt alle Welt erfüllen, in einem Augenblick aufhören. Die hohe Weisheit Eurer Majestät und die großherzigen Gefühle, welche Sie erfüllen, werden Ihren Entschluß bestimmen. Ich beschwöre Eure Majestät, Europa diesen neuen Beweis von den edlen Gesinnungen zu geben, in welchen Allerhöchstdieselben bei jeder Gelegenheit beigetragen haben, den allgemeinen Frieden zu erhalten und zu befestigen. Die Regierung des Kaisers,« fügte er hinzu, »wird in einem solchen Entschluß Eurer Majestät eine neue und innige Befestigung der guten Beziehungen zwischen Frankreich und Preußen erblicken und wird einen solchen Entschluß, wie ich versichern darf, mit hoher Freude und dankbarer Anerkennung entgegennehmen, ebenso wie sie überzeugt ist, daß derselbe in ganz Europa allgemeine Befriedigung erregen wird.«

Der König hatte vollkommen ruhig und ohne ein äußeres Zeichen seiner Gedanken die Worte des Botschafters angehört, er sah einen Augenblick schweigend zu Boden und richtete dann den klaren Blick seines offenen, freien Auges fest auf Benedetti.

»Mein lieber Graf,« sagte er, »es ist vor allen Dingen nothwendig, jedes Mißverständniß und jede falsche Auslegung über die Art meiner Intervention in dieser ganzen Angelegenheit auszuschließen. Alle Verhandlungen, welche über den Gegenstand geführt wurden, haben sich ganz ausschließlich zwischen der spanischen Regierung und dem Prinzen von Hohenzollern bewegt. Die preußische Regierung ist allen diesen Verhandlungen nicht nur vollkommen fern geblieben, dieselbe war ihr sogar gänzlich unbekannt, auch ich persönlich habe in keiner Weise in dieselbe eingegriffen. Ich habe es sogar entschieden verweigert, einen Agenten des Marschall Prim zu empfangen, welcher in dieser Sache nach Berlin geschickt wurde und habe mich zum ersten Male über die ganze Frage überhaupt geäußert, als der Prinz Leopold bereits ganz entschieden war, die ihm gemachten Vorschläge anzunehmen und meine Erklärung darüber erbat. Dies fand bei meiner Ankunft in Ems statt, und ich habe mich einfach darauf beschränkt, dem Prinzen zu erklären, daß ich nicht glaubte, seinen Absichten ein Hinderniß in den Weg legen zu sollen. Die ganze, an sich schon sehr unbedeutende Einwirkung, welche ich meinerseits auf die Sache habe üben können, ist also rein passiver Natur gewesen und hat sich ganz ausschließlich auf meine Stellung als Chef des Gesammthauses Hohenzollern bezogen. Lediglich in dieser Eigenschaft und nicht in derjenigen als König von Preußen bin ich von dem Entschluß des Prinzen unterrichtet worden, auch habe ich meinem Ministerrath in keiner Weise die Frage vorgelegt, und die preußische Regierung als solche, ist außer Stande eine Interpellation über die Sache zu beantworten, die ihr vollkommen unbekannt geblieben ist, und für welche sie ebenso wenig verantwortlich sein kann, als irgend ein europäisches Cabinet.«

Der König schwieg.

Benedetti, welcher mit schärfster, ehrerbietigster Aufmerksamkeit seinen Worten gefolgt war, verneigte sich, wie um anzudeuten, daß er den Sinn derselben vollkommen erfaßt habe.

»Eure Majestät wollen mir erlauben,« sprach er mit seiner sanften, geschmeidigen Stimme, »ehrfurchtsvoll zu bemerken, daß die öffentliche Meinung, namentlich diejenige in Frankreich den Sinn und die Bedeutung des scharfen Unterschiedes in der Stellung Eurer Majestät, welche Allerhöchstdieselben so eben hervorzuheben die Gnade hatten, nach meiner Überzeugung nicht zu erfassen im Stande sein wird. Die öffentliche Meinung sieht in dem Erbprinzen von Hohenzollern nichts anderes als ein Mitglied der in Preußen regierenden Familie und kann sich, wie ich glaube, von der Auffassung nicht los machen, daß der Prinz, indem er die spanische Königskrone annimmt, in einer und derselben Dynastie zwei Throne vereinigt. Man wird sich vergebens bemühen, diese Auffassung zu zerstören, das Nationalgefühl Frankreichs ist vollkommen einig in dieser Auffassung, und Eure Majestät werden die Gnade haben, anzuerkennen, daß es der Regierung des Kaisers unmöglich ist, dieser Auffassung gegenüber gleichgültig zu bleiben. Die Regierung des Kaisers befindet sich in der Nothwendigkeit – und ist entschlossen, jener Auffassung der öffentlichen Meinung mit vollem Ernst Rechnung zu tragen.«

»Wenn man die Sache,« sagte der König, »von einer andern Seite auffaßt, so wird doch aber die Regierung des Kaisers nicht verkennen wollen, daß die gegenwärtige Regierung in Spanien von allen Mächten anerkannt und in ihren Entschließungen vollkommen souverain ist. Ich vermag nicht einzusehen,« fuhr er fort, »mit welchem Recht eine europäische Macht sich der Thronbesteigung eines Königs widersetzen könnte, welcher durch die Vertreter des spanischen Volkes frei gewählt werden würde. Wie der spanische Gesandte in Berlin mitgetheilt hat,« fuhr er fort, – »und dies ist,« fügte er mit Betonung hinzu, »die erste und einzige Mittheilung, welche die preußische Regierung überhaupt in der ganzen Angelegenheit erhalten hat, – werden die spanischen Cortes auf den zwanzigsten dieses Monats zusammen berufen werden. Wenn wirklich für die innere Ruhe Spaniens aus der Candidatur des Prinzen Leopold diejenigen Gefahren zu besorgen sein sollten, auf welche Sie, mein lieber Graf, vorhin aufmerksam gemacht haben, so wird es Sache der Cortes sein, jede Candidatur zurückzuweisen und damit die ganze Sache zu beendigen.«

»Ich bitte um die Erlaubniß, Eurer Majestät bemerken zu dürfen,« erwiderte Graf Benedetti, »daß die Regierung des Kaisers weit entfernt ist, das freie Selbstbestimmungsrecht des spanischen Volkes beschränken zu wollen. Die kaiserliche Regierung hat nur die Überzeugung, daß die Combination, welche eigentlich persönlich von dem Marschall Prim ausgegangen ist, die Quelle großer und trauriger Verwickelungen sein würde. Solchen Verwickelungen gegenüber werden Eure Majestät gewiß selbst ein Mitglied Ihrer hohen Familie nicht zur Annahme der Krone autorisiren wollen. Eure Majestät halten allein das Mittel in Händen, um einer so gefahrvollen Lage ein Ende zu machen; und ich bin beauftragt, mich mit der dringenden Bitte an die Weisheit Eurer Majestät zu wenden, von diesem Mittel Gebrauch zu machen.«

»Die Parteien in Spanien,« sagte der König »sind so zahlreich und so viel gespalten, daß auch die Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern kaum im Stande sein würde, dort einen Bürgerkrieg zu vermeiden. Die Parteien sind es dort gewohnt, sich dem Beschluß der Majorität nicht zu fügen und mit den Waffen in der Hand, ihre Rechte oder ihre Ansichten zu vertreten.«

»Ich erkenne vollkommen die Wahrheit der Bemerkung Eurer königlichen Majestät an,« erwiderte Benedetti, indem seine schlanke Gestalt sich etwas zusammenbog – »indessen würde jedenfalls, wenn es trotz der Verzichtleistung des Prinzen Leopold in Spanien zu Unruhe und Kämpfen kommen sollte ein Mitglied Ihres Hauses nicht die Verantwortung für vergossenes Blut zu tragen haben.«

Der König senkte einen Augenblick nachdenklich den Blick zu Boden.

»Mein lieber Graf,« sagte er dann, »Sie können überzeugt sein, daß ich den aufrichtigen Wunsch hege, eine Situation verschwinden zu lassen, welche zu Verwickelungen und Mißverständnissen Veranlassung giebt. Ich muß indeß noch einmal darauf zurückkommen, daß meine ganze persönliche Stellung zu der Frage eine rein negative, wenigstens vollkommen passive ist. Ich habe wahrlich in keiner Weise den Prinzen Leopold irgend wie zur Annahme der ihm angetragenen Candidatur ermuntert, ich habe mich lediglich darauf beschränkt, seinen Entschlüssen kein Hinderniß in den Weg zu legen. Von diesem Standpunkt würde ich mich auch jetzt nur sehr schwer entfernen können, ich kann den Prinzen eben so wenig, wie ich ihn zu seinem Entschluß ermuthigt habe, auch jetzt nicht zwingen, von demselben zurückzukommen. Mir scheint, daß die Regierung des Kaisers, wenn sie wirklich in dieser Sache so große Gefahren erblickt, die ich noch nicht zu sehen im Stande bin, allen ihren Einfluß in Madrid aufwenden sollte, um die dortige Regierung zu bestimmen, daß sie auf das Projekt verzichte.«

»Ich habe bereits die Ehre gehabt, Eurer Majestät zu bemerken, daß die Regierung des Kaisers in keiner Weise in das freie Selbstbestimmungsrecht der spanischen Nation eingreifen möchte. Sie würde die Schwierigkeit der ganzen Lage nur unendlich vergrößern, die kaiserliche Regierung hat vielmehr geglaubt, daß der leichteste und einfachste Weg zur Erledigung der ganzen Angelegenheit der sei, wenn Eure Majestät Allerhöchst Ihre mächtige Autorität gebrauchen, um durch die Verzichtleistung des Prinzen diese Candidatur verschwinden zu lassen. Ich darf mir erlauben, Eure Majestät auf die Präcedenzfälle in Betreff Griechenlands und Neapels aufmerksam zu machen, in welchen ebenfalls das Prinzip festgestellt wurde, daß Prinzen, welche der Dynastie einer Großmacht angehören, nicht zu gleicher Zeit Souveraine eines anderen Landes sein sollen, und auch der Kaiser, mein allergnädigster Herr, hat persönlich dies Prinzip anerkannt, indem er dem Prinzen Murat die Bewerbung um den neapolitanischen Thron untersagte. Eure Majestät werden sich um so mehr in diesem Sinne entscheiden können, als ja Preußen und Deutschland keinen Antheil an den bisherigen Versammlungen genommen haben, also auch keine Concessionen zu machen haben würden, während für Frankreich sehr ernste Interessen auf dem Spiel stehen und während dort, wie ich mir zu wiederholen erlauben muß, die öffentliche Meinung sich in einer sehr bedenklichen Aufregung befindet, einer Aufregung, welche auch der Baron Werther vor seiner Abreise hat wahrnehmen können, und über welche er, wie ich nicht zweifle, Eurer Majestät Bericht erstattet haben wird.«

»Diese Aufregung der öffentlichen Meinung in Frankreich ist mir bekannt,« sagte der König, »die Thatsache ihrer Existenz beweist aber noch nichts für ihre Berechtigung und dann muß ich Ihnen aufrichtig sagen, daß die Erklärung, welche der Herzog von Gramont im Corps legislatif abgegeben hat, mir weit eher dazu geneigt scheint, die öffentliche Meinung noch mehr zu echauffiren, als sie zu beruhigen. Der erste Theil der Erklärung des Herzogs,« fuhr der König fort, »ist sehr richtig und sehr correct. Indessen muß ich Ihnen gestehen, daß der Schlußsatz derselben mich allerdings sehr peinlich berührt hat. Die Worte, welche der Herzog über die Absichten einer fremden Macht gesprochen hat, können doch nur auf Preußen bezogen werden. Wie ich Ihnen gesagt, hat die preußische Regierung an der ganzen Sache nicht den geringsten Antheil gehabt. Jene Worte machen daher fast den Eindruck einer Provokation, und wenn ich auch eine solche in denselben nicht finden will, so wird doch dieser Eindruck in Deutschland vorhanden sein, und er kann dazu beitragen, daß auch in Deutschland die öffentliche Meinung sich aufzuregen beginnt, wodurch dann allerdings die ganze Situation sehr erheblich verschlimmert werden würde.«

Der König hatte die letzten Worte mit etwas erhöhtem Tone gesprochen, ohne daß indeß von seinem Gesicht der Ausdruck ruhiger und freundlicher Höflichkeit verschwunden war.

»Ich möchte Eure Majestät bitten, zu berücksichtigen,« erwiderte Benedetti, »daß der Herzog von Gramont sich in einer auf's höchste aufgeregten Versammlung befand und daß es ihm vor allen Dingen darauf ankommen mußte, jede aufreizende und gefährliche Discussion abzuschneiden und deshalb eine Erklärung abzugeben, welche dieser Versammlung versicherte, daß für den Fall einer Gefährdung der Ehre und der Interessen Frankreichs die Haltung der kaiserlichen Regierung eine feste und entschiedene sein werde. Eure Majestät werden anerkennen, daß die Erklärung des Herzogs von Gramont ihm nur durch den dringenden Wunsch dictirt sein kann, die ganze Frage offen zu halten und alle Erörterungen auszuschließen, welche den guten Beziehungen zu Preußen, auf welche der Kaiser und seine Regierung einen so hohen Werth legen, hätten gefährlich werden können.«

Der König schüttelte langsam den Kopf, als verstehe er diese Argumentationen des Botschafters nicht.

»Ich begreife nicht,« sagte er, »wie die Ehre und die Interessen Frankreichs durch den Entschluß des Prinzen von Hohenzollern berührt werden können. Die Verhandlungen, welche zu diesem Entschluß geführt haben, sind ja durch die Regierung in Madrid aus freiem Antriebe begonnen. Keine Regierung hat an denselben irgend welchen Antheil genommen, ich begreife nicht, wie daraus irgend ein Conflikt entstehen kann. Und ich will nicht annehmen,« fügte er mit scharfer Betonung hinzu, indem er voll Würde und Hoheit den Kopf emporhob, »daß der Krieg aus einem Fall sich entwickeln könne, bei welchem gar keine europäische Macht betheiligt ist.«

Ein leichtes Zucken zeigte sich in den Augenwinkeln Benedetti's, wie abwehrend hob er ein wenig die Hand empor und rief:

»An eine solche Eventualität, Majestät, auch nur zu denken, kann mir nicht in den Sinn kommen. Meine Anwesenheit hier in Ems allein beweist schon, wie dringend die Regierung des Kaisers eine versöhnliche und allgemein befriedigende Lösung der so plötzlich entstandenen Schwierigkeiten ersehnt, gerade um zu einer solchen Lösung zu gelangen, bin ich beauftragt worden, Eurer Majestät alle diejenigen Gesichtspunkte darzulegen, welche uns zwingen, die Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern dringend zu wünschen.«

»Ich kann Ihnen nur nochmal wiederholen,« sagte der König, »daß es mir unendlich fern liegt, den Prinzen Leopold zur Annahme der spanischen Königskrone zu ermuthigen oder auch eine solche Annahme seinerseits nur zu wünschen, indeß muß ich ihm schon deßhalb, weil er nicht unmittelbar zu meinem königlichen Hause gehört und kein preußischer Prinz ist, die volle Freiheit seines Entschlusses lassen, seine Annahme zurückzuziehen. Indeß,« fügte er hinzu, »um Ihnen zu beweisen, wie sehr auch ich eine allseitig befriedigende Lösung wünsche, kann ich Ihnen mittheilen, daß ich sogleich, als ich von der großen Aufregung in Frankreich unterrichtet worden bin, mich mit dem Fürsten Anton, der sich in Sigmaringen befindet, in Verbindung gesetzt habe, um ihn über seine und des Prinzen Leopold Ansichten zu befragen und zu erfahren, wie sie über die in Frankreich durch den Entschluß des Prinzen Leopold hervorgerufenen Aufregung dächten.

Wenn der Prinz Leopold und sein Vater die ganze Erörterung über den Gegenstand zu beseitigen geneigt wären, so würden ja dadurch alle Schwierigkeiten gehoben, – einen Einfluß auf ihre Entschlüsse auszuüben, aber halte ich mich nicht für berechtigt, und Sie begreifen, mein lieber Graf, daß ich erst dann in der Lage sein werde, unsere heutige Unterredung fortzusetzen, wenn ich genaue Mittheilungen über die Beschlüsse des Fürsten Anton und seines Sohnes haben werde.«

Der König sagte die letzten Worte in einem Ton, welcher andeutete, daß er die Unterredung für beendet halte.

Benedetti verneigte sich tief, ohne indeß aufzustehen und sagte:

»Ich muß mir erlauben Eurer Majestät ehrerbietigst zu bemerken, daß die Regierung des Kaisers sich der stets wachsenden Aufregung der Kammer und der Presse gegenüber, in großer Verlegenheit befindet und dringend wünschen muß, so bald als irgend möglich bestimmte Erklärungen über die endgültige Erledigung dieses Incidenzfalles abgeben zu können. Eure Majestät würden mir daher eine besondere Gnade erweisen, wenn Sie mir ungefähr den Zeitpunkt bezeichnen könnten, bis zu welchem Sie im Besitz der zu erwartenden Nachricht sein können.«

Der König sann einen Augenblick nach.

»Ich kann den Telegraphen nicht benutzen,« sagte er dann, »ich habe hier in Ems keinen Chiffre, durch den ich mit dem Prinzen Anton correspondiren kann. Ich weiß auch nicht ganz genau, wo der Prinz Leopold sich in diesem Augenblick befindet, – indeß kann es unmöglich lange dauern. Ich hoffe, sehr bald genau unterrichtet zu sein und werde Sie dann sofort benachrichtigen.«

Benedetti erhob sich.

»Ich stehe zu Eurer Majestät Befehl,« sagte er, »und habe nur noch den dringenden Wunsch auszusprechen, daß Allerhöchstdieselben mich bald in die Lage setzen möchten, meiner Regierung die glückliche und befriedigende Beseitigung der ganzen Angelegenheit mittheilen zu können.«

»Ich sehe Sie noch bei der Tafel, mein lieber Graf,« sagte der Kaiser, indem er Benedetti die Hand reichte, »und hoffe, daß Ihr Aufenthalt hier in Ems, so gern ich Sie hier auch sehe, sich nicht zu sehr verlängere, und daß Sie bald Ihre unterbrochene Kur in Wildbad wieder aufnehmen können.«

Mit tiefer Verneigung verließ Benedetti das Cabinet, begab sich durch das Vorzimmer in den länglichen einfenstrigen Raum, in welchem bereits die zum Diner befohlenen Personen sich versammelten.

Der König klingelte. Sein Kammerdiener Engel erschien und in kurzer Zeit hatte Seine Majestät die Toilette für das Diner beendet.

»Rufen Sie mir Abeken noch einmal,« sagte der König.

Wenige Minuten darauf trat der Geheime Legationsrath Abeken ebenfalls zum Diner angekleidet in das Zimmer.

Ernst und sinnend sagte der König:

»Sie verlangen von mir die Verzichtleistung des Prinzen von Hohenzollern, sie wollen sich nicht nach Spanien wenden, – es ist in dem Allen ein Hintergedanke, ich fühle das an dem ganzen Wesen Benedetti's, er macht mir den Eindruck, daß er schärfere Instructionen hat, als seine Worte erkennen lassen. Diese fast absichtliche Mühe, die man sich giebt, um die Sache zu einer Frage zwischen Deutschland und Frankreich zu machen, was sie doch nicht ist, kommt mir ein wenig bedenklich vor – und je mehr man sie zu einer deutschen Frage macht, um so weniger bin ich meinerseits im Stande, irgend eine Concession zu gewähren. Jedenfalls telegraphiren Sie nach Berlin, daß Bismarck hierher kommen möge; wenn die Sache irgend eine ernstere Dimension annimmt, muß ich ihn doch bei mir haben. Auch wäre es gut,« fügte er hinzu, »wenn Moltke von seinem Urlaub zurückkäme, es ist immer besser, für alle Fälle vorbereitet zu sein, als überrascht zu werden. Nach dem Diner theilen Sie mir sogleich alle Nachrichten mit, die weiter von Berlin gekommen sind.«

Der Geheime Legationsrath ging hinaus.

»Sollte es möglich sein,« sprach der König mit tiefem Sinnen an das Fenster tretend, »daß auch dieser Kampf mir noch beschieden wäre? Die Mahnung an das Standbild meines Vaters – an das eiserne Kreuz ließen so lebhaft in mir die Bilder jener alten vergangenen Zeiten heraufsteigen, – nun,« sagte er den Blick über die grünen Bäume hin zum Himmel richtend, »in dieser Mahnung liegt auch die Bürgschaft für die Zukunft Preußens und Deutschlands, – wenn Gott den Kampf beschlossen, so wird auch Gott mit uns sein in diesem Kampf!«

Die Thür des Cabinets wurde geöffnet, der Hofmarschall Graf Perponcher trat ein, meldete Seiner Majestät, daß das Diner servirt sei und schritt dann dem Könige voran in den kleinen Versammlungssaal, in welchem das Gefolge und die zur Tafel befohlenen etwa vierzehn Personen versammelt waren.

Der König grüßte die Anwesenden huldvoll und heiter und schritt in den Speisesaal voran, in welchem die königlichen Jäger in ihrer geschmackvollen grünen und silbernen Livree zum Service bereit standen.

Graf Benedetti nahm neben Seiner Majestät Platz, der König unterhielt sich mit ihm während des ganzen Diners in so liebenswürdig, freundlicher und unbefangener Weise, daß alle Anwesenden die Überzeugung gewannen, es könnten keine ernsthaften drohenden Wolken am politischen Horizont bestehen, und daß diese Überzeugung in schnell sich fortpflanzender Mittheilung am Abend die ganze Badegesellschaft von Ems durchdrungen hatte.


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