Fritz Mauthner
Aus dem Märchenbuch der Wahrheit
Fritz Mauthner

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Die Einsamkeit

Ein blasser Mann war allein, aber das machte ihm nichts. Er saß am Fenster und war allein mit der belebten Straße, mit den Häusern gegenüber, mit den Bücherschränken in seiner Stube, mit der Weinflasche auf dem Tisch und mit der Katze auf dem Teppich. Er blickte hinaus, dann las er wieder und trank, die Katze schnurrte, es war ein behagliches Alleinsein.

Da kam die Dämmerung und der blasse Mann lehnte sich zurück. Sehnsucht faßte ihn. Wenn doch jemand käme.

Da schlurfte es die Steintreppen herauf, wie wenn ein nasser Fetzen zerbrochenes Glas scheuert. Und über die Schwelle unter der Tür durch die Ritze floß es herein und kroch heran. Die Einsamkeit selbst. Sie stand und lag und kroch und erhob sich wieder in schlottrigen Maskenkleidern. Eine nasse schwarze Schleppe zog sich so lang hinter ihr her, daß das Ende noch draußen vor der Türschwelle blieb. Wie seine letzte Geliebte auf dem Maskenball war die Einsamkeit gekleidet. Rock und Schleppe von einer vornehmen Frau, das Leibchen von einer Gänsehirtin. Auf dem falschen Haar den Helm von irgendeiner toten griechischen Göttin, und durch die Augenschlitze der Larve blickte es schwarz.

Die Einsamkeit stand vor ihm, fahl und grau. Er wartete darauf, daß sie zu sprechen und zu lachen begann. Aber sie lachte nicht einmal. Nur aus seinen Bücherschränken hörte er das Bohren und Nagen der Würmer. Die Katze fauchte, der Wein roch fade. Die Häuser gegenüber kriegten Risse, und die Menschen auf der Straße jagten wie hungrige Hunde. Man hatte eben die elektrischen Lampen angezündet.

Der blasse Mann sprang auf und schrie: »Wer bist du?«

Er riß der Einsamkeit die Larve vom Gesicht. Die klebte in seiner Hand. Und hinter der Larve ein schwarzer hohler Raum, hohl und schwarz in dem schlottrigen Maskenkleide.

Die Einsamkeit aber hob die hohlen Arme und umarmte den blassen Mann fest mit eisernen Klammern.


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