Fritz Mauthner
Aus dem Märchenbuch der Wahrheit
Fritz Mauthner

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Der bittere Kaffee

Der Bauer lag im Sterben. Seit drei Tagen wußte es die Bäuerin, seit einer Stunde wußte er es selber. Der Bader war dagewesen und hatte die schiefen Achseln gezuckt und der Schäfer hatte gar versichert: der Bauer überlebt die Nacht nicht.

Der Bauer und die Bäuerin haben siebenundzwanzig Jahre miteinander gehaust, und brav gehaust. Gute Christen und gute Eheleute, gut gegen ihre Kinder und gut gegeneinander. Gezankt, ja oft, aber nicht mehr als schicklich und recht.

Jetzt sitzt die Bäuerin nicht lange am Sterbelager des Mannes. Sie schüttet das kleine Blechmaß voll Kaffeebohnen in die Mühle und mahlt gemächlich; dann kocht sie den Kaffee auf und gießt ihn in zwei Töpfe; auch Milch dazu.

Der Bauer verschlingt ihre Bewegungen mit den Augen. Er fühlt, wie ihm die Kälte in den Beinen schon bis über die Knie zieht. Aber er hat einen brennenden Wunsch. Seit siebenundzwanzig Jahren tut die Frau die Haut von der Milch in ihren Kaffeetopf. Heute möchte er die Haut haben! Heute nur!

Vielleicht tut sie's heute; und wenn er dann morgen nicht stirbt, wenn er wieder gesund wird, so ist sie die Gefoppte. Aber er ist ein stolzer Bauer und sagt nichts. Er schaut sie nur bittend an. Sie versteht seinen Blick. Aber sie tut die Haut in ihren Topf. Der Bauer stöhnt leise auf.

Die Bäuerin holt aus der Schublade zwei Stücke Zucker. Auch sie denkt nach. Wenn der Bauer jetzt gleich stirbt, anstatt bis morgen zu warten, dann kann sie ein Stück Zucker ersparen oder in ihren Kaffee eins mehr hineinwerfen. Ihm muß es doch einerlei sein, ob er heute stirbt oder morgen. Und ruhig läßt sie beide Stücke Zucker in ihren Topf gleiten; den Kaffee ohne Zucker hält sie dem Sterbenden an den Mund.

»Du, der ist aber bitter.«

»Ach was, dir schmeckt nichts mehr! Da könnt' man sich die Beine ausreißen, wär' auch umsonst!«

»Könntest nicht noch ein Stückerl Zucker 'rein tun?«

»Trink ihn nur so. Hast halt schon den Totengeschmack auf der Zunge. Da hilft aller Zucker der Welt nicht.«

Und der Bauer trank mit nassen Augen den letzten Kaffee.


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