Fritz Mauthner
Aus dem Märchenbuch der Wahrheit
Fritz Mauthner

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Der Dichter und die Muse

Es war einmal einer, der hieß Voltz, und alle seine Schulkameraden waren übereingekommen, er sei ein Dichter. Er war wohl wirklich so was, denn er machte sich nichts daraus. Er lebte seinen Tag dahin und hatte Einfälle, und am nächsten Tage waren sie wieder dahin wie ein Regenbogen von gestern. Er hatte nämlich nicht schreiben gelernt.

Eines Tages merkte er, daß er alt würde, denn er hatte keine Einfälle mehr. Da bekam er Lust zu schreiben. Er fragte einen uralten Dichter um Rat, einen Greis, dem der Lorbeer im Laufe der Zeit ins Gehirn hineingewachsen war und ihm so den Kopf ausfüllte.

»Ich möchte schreiben,« sagte Voltz, »denn ich habe keine Einfälle mehr. Zum Lernen aber bin ich schon zu alt. Was fang ich an?«

Der Greis kratzte sich zwischen seinen Lorbeerblättern und sprach:

»Gehn Sie zu einer Muse. Das sind famose Frauenzimmer. Gute Schreiblehrerinnen. Und wenn man erst schreiben kann, dann diktieren sie gern.«

»Das wär' was für mich,« sagte Voltz, denn er hatte ja keine Einfälle mehr.

Er stellte sich also auf den Kopf und befand sich im Lande der Musen. Ganz ordentlich bewarb er sich um die Hand einer Muse und verlobte sich mit ihr. Sie waren Bräutigam und Braut und sehr glücklich, und er wartete darauf, daß sie ihn das Schreiben lehrte. Sie aber war sehr verliebt in den Dichter Voltz und verlangte von ihm gerade hübsche Einfälle. Daraus sollte er Reime machen auf ihre Augen, auf ihre Haare und ihre Fingerspitzen. Er gab sich große Mühe, und es ging auch halbwege. Wenn sie ihn mit ihren Augen durch und durch sah, wenn sie ihr schwarzes Haar hinunterfließen ließ und ihn mit ihren Fingerspitzen bei den Ohrläppchen zupfte, so fielen ihm oft kleine hübsche Reime ein, so daß er sich dann und wann wieder etwas jünger fühlte. Die kleinen Reime aufschreiben aber lehrte sie ihn nicht. Die seien ihr Eigentum, ihr Brautgeschenk. Was sie ihn lehrte, war aber, Blumen für sie zusammenzustellen, so daß sie und die Blumen sich reimten. Das war sehr schwer, aber ganz und gar nicht schreibsam.

Wieder fragte er den uralten Dichtergreis um Rat. Der kratzte sich den Lorbeer und sagte:

»Sie sind wirklich noch jung. In die Muse darf man sich nicht verlieben, die muß man solide heiraten.«

Da machte der Dichter Voltz nur: Ach! und folgte dem Rat. Er stellte sich und die Muse wieder auf die Füße und heiratete sie. Der Standesbeamte nämlich verlangte von beiden eine passende Stellung.

Vor der Tür des Standesamtes war auch eine Papierhandlung.

»Endlich sind wir Mann und Weib,« sagte Voltz. »Wie wär's, wenn wir gleich mit dem Unternehmen anfingen?«

»Ach ja,« sagte die Muse. »Aber du mußt die Sache auch ernst nehmen und fleißig sein. Und wie du wieder den Schlips sitzen hast.«

Sie rückte ihm den Schlips zurecht und begann den Schreibunterricht.

Als er schreiben konnte, war er vergnügt und rief: »Nun kann's losgehen, nun will ich schreiben, was du mir vorsagst.«

Die Muse sann nach, während sie drei Paar weiße Handschuhe in Benzin auswusch; dann diktierte sie ihm siebenunddreißig Einladungen zu einem Fest. Immer wieder: Dichter Voltz und Frau geben sich die Ehre, und so weiter.

Voltz war sehr vergnügt, so leicht hatte er sich die Sache doch nicht gedacht.

Dann brachte seine Frau hundert alte Bücher angeschleppt und befahl ihm, sie abzuschreiben. Alles durcheinander, da eine Seite und dort eine Seite. Je wirrer, desto besser. Und je schneller, desto besser. Schnelle Abschriften würden mit Gold bezahlt, und das junge Paar brauchte Gold.

Nach vierundzwanzig Stunden schon besaß Voltz eine große Fertigkeit im schnellen und wirren Abschreiben. Die Finger taten ihm zwar weh, aber der Kopf schmerzte nicht ein bißchen.

Seine Frau hatte nun Gold und kaufte dafür Rehrücken, Salat und Schlagsahne, ein Seidenkleid und Teekonfekt, für ihren Mann eine neue Kneiferschnur.

Sie gaben ein sehr gelungenes Fest, und Voltz sprach einen ganz gereimten Toast auf die Damen. Den hatte ihm die Frau mittags nach dem Abschreiben diktiert.

Seit diesem Tage sprach man von Voltz nicht mehr als von einem jungen Talente, was ihn immer geärgert hatte. Man nannte ihn »unseren Voltz«, »einen unserer ersten Schriftsteller«, lobte an ihm die entzückende Formgewandtheit und die erstaunliche Produktivität.


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