Fritz Mauthner
Aus dem Märchenbuch der Wahrheit
Fritz Mauthner

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Das Weib

Mann und Weib schoben ihren Karren vorwärts, aufwärts. Seit Monaten zogen sie so dieselbe Straße, immer langsam bergauf.

Es gebar das Weib zwei Kinder. Da legte der Mann sie mit den Kindern auf den Karren zu den Gewändern und dem Mundvorrat. Das Weib bedeckte sich und die Kinder mit den Gewändern und nährte die Zwillinge und sang dazu. Der Mann schob den Karren allein weiter, trocknete die Stirn und war froh.

Da rief das Weib:

»Auf den Karren gehöre ich allein mit deinen Kindern. Nimm deinen Mundvorrat auf den Rücken!«

Der Mann nahm die Nahrungsmittel auf seinen Rücken und war's zufrieden.

Da rief das Weib:

»Es ist ein Unding, daß du hinter dem Karren hergehst und ihn vor dir hinschiebst. Der Mann gehört an die Spitze. Nimm ein Seil um deine Brust und zieh, anstatt zu schieben. Dann können wir dich immer sehen und können dich anspornen, wenn du ermüdest.«

Der Mann war's zufrieden. Er legte sich ein hartes Seil um die Brust und zog den Karren mit Weib und Kindern bergauf, den Brotsack auf dem Rücken. Das Weib trieb ihn mit einem Stachelstocke an. Die Kinder klatschten zum Scherz mit kleinen Peitschen in die Luft.

Da rief das Weib:

»Ich will die gleichen Pflichten haben wie du. Du sollst nicht allein an dem Karren ziehen. Ich will mich mit dir zusammen anspannen.«

Und sie sprang wie eine Katze dem Mann auf die Schulter. Da blieb sie sitzen. Der Mann keuchte schwer.

Da rief das Weib:

»Nun will ich aber auch die gleichen Rechte haben wie du. Ich will deine Kraft lenken.«

Und sie wandte den Mann und das Gefährt, und der Karren rollte abwärts, über den Mann hinweg. Dem hatten die Räder das Rückgrat gebrochen.


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