Fritz Mauthner
Aus dem Märchenbuch der Wahrheit
Fritz Mauthner

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Die drei Papageien

Als der römische Kaiserstaat vernichtet wurde, blieb von der ganzen lateinischen Herrlichkeit nichts übrig als marmorne Frauenzimmer ohne Arme, Badewannen ohne Wasser und Hofämter ohne Gehalt. Die alten Römer sahen ein, daß man sich begraben lassen müsse. Sie ließen sich also begraben und nahmen mit sich, was ihnen die Eroberer gelassen: Ahnenbilder, Ahnenasche, Tränenkrüglein, ihre eigenen Knochen und die lateinische Sprache, nichts Wertvolles. Die deutschen Eroberer aber tranken auf dem Grabe Roms einen lustigen Trauersalamander. Denn sie glaubten, es wäre vorbei damit.

Ein gutmütiger Häuptling von der Donau aber ließ sich verleiten, dreien Papageien das Leben zu lassen, trotzdem sie lateinisch sprachen. So ein Papagei, dachte er. Und er schickte die drei Papageien in einem goldenen Käfig seinen Kindern an der Donau.

Bald darauf fiel diesem Häuptling eine Friedensstatue vom Grabmal des Hadrian auf den Kopf, und so blieb er in Italien.

Die Kinder glaubten das Andenken ihres Vaters nicht besser ehren zu können, als durch sorgsame Pflege seines letzten Geschenks. Jeder der drei Papageien erhielt einen besonderen heiligen Hain zur Wohnung, und weil die Papageien unverständliche lateinische Worte hersagten, hielt man sie nach einigen Jahren schon für göttliche Wesen und für Propheten.

Der erste Papagei war goldgelb und sagte immer nur die Worte: Suum cuique, das ist zu deutsch: Du hast recht, er muß bezahlen. Und die guten Leute an der Donau gewöhnten sich daran, das Orakel dieses Papageien zu fordern, sobald sie nur den ersten besten armen Teufel von Schuldner zum Zahlen zwingen wollten. Von diesem Kultus lebten schon nach hundert Jahren unzählige Tempelwächter des goldgelben Papageien mit ihrer Familie und mit ihren Sippen.

Der zweite Papagei war pechrabenschwarz und sagte immer nur die Worte: Medicina non sanat, das ist zu deutsch: Du bist krank und wirst sterben, wenn du nicht gesund wirst. Und die guten Leute an der Donau gewöhnten sich daran, jedesmal das Orakel des pechrabenschwarzen Papageien einzufordern, kurz bevor sie starben. Von diesem Kultus lebten mit ihren Kindern und ihren Sippen unzählige Tempelwächter des schwarzen Papageien.

Der dritte Papagei war blutrot und sagte immer nur die Worte: Te Deum laudamus. Es ist schwer zu sagen, was das auf deutsch heißt. Die Kinder des Häuptlings stritten oft darüber, ob es bedeute: Wir haben viele Feinde erschlagen! oder: Es brennt. Jedenfalls gewöhnten sich die Leute an der Donau daran, das Orakel des blutroten Papageien jedesmal anzurufen, wenn ihnen was fehlte. Da ihnen täglich etwas fehlte, so forderten sie das Orakel täglich, und Scharen von Tempelwächtern des blutroten Papageien, zahlreich wie Heuschreckenschwärme, lebten von diesem Kultus, und diese Tempelwächter gaben ihren Sippen und ihren zahlreichen Kindern nicht einmal etwas ab.

Als die Dinge soweit gediehen waren, kam ein neuer Geist über das Volk an der Donau, und es verlangte die lateinischen Orakel auch zu verstehen. Die Tempelwächter wenigstens sollten alle Lateinisch lernen. Das war schwer, denn die Sprache war tot. Aber wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Man ließ in Italien einige verstorbene alte Römer ausgraben und munterte sie soweit auf, daß sie den Unterricht in den Anfangsgründen übernehmen konnten. Dann verbrannte man ihre schäbigen Reste. Die Tempelwächter aber erbauten aus den Anfangsgründen ein sehr schönes und schwieriges System einer kalten Sprache und machten es zum Gesetz, daß sie doppelte Sporteln bekamen, wenn sie lateinische Orakel gaben, und daß sie ohne Sporteln überhaupt nicht redeten.

Mißtrauische Menschen aber wollen wissen, daß die drei römischen Papageien längst tot sind, und daß die Tempelwächter heimlich eine Zuchtanstalt für lateinische Papageien in ihren Hainen eingerichtet haben. Sonst wäre es ja auch für die Tempelwächter an der Zeit gewesen, sich begraben zu lassen, damals, zugleich mit den toten Worten der heiligen Papageien.


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