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XIX.
Das Ende der deutschen Nationalversammlung

 

London, 24. September 1852.

Während der Süden und Westen Deutschlands in offenem Aufstand war und während die Regierungen von der Eröffnung der ersten Feindseligkeiten bis zur Uebergabe von Rastatt mehr als zehn Wochen brauchten, um dieses letzte Aufflammen der ersten deutschen Revolution zu ersticken, verschwand die Nationalversammlung von der politischen Bühne, ohne daß man ihrem Abgang irgendwie Aufmerksamkeit geschenkt hätte.

Wir verließen diese erhabene Körperschaft in Frankfurt, bestürzt über die frechen Angriffe der Regierungen auf ihre Würde, über die Ohnmacht und die verrätherische Nachlässigkeit der von ihr selbst geschaffenen Zentralgewalt, über die Erhebungen des Kleinbürgerthums zu ihrem Schutze und die der Arbeiter für ein revolutionäreres Endziel. Die äußerste Trostlosigkeit und Verzweiflung herrschte unter ihren Mitgliedern; die Ereignisse hatten plötzlich eine so deutliche und entscheidende Gestalt angenommen, daß die Illusionen dieser gelehrten Gesetzgeber über ihre wirkliche Macht und Bedeutung in wenig Tagen gänzlich zusammenbrachen. Die Konservativen hatten auf das Signal ihrer Regierungen hin bereits eine Versammlung verlassen, die nur noch im Gegensatz zu den eingesessenen Obrigkeiten fortbestehen konnte. Die Liberalen warfen in völliger Auflösung die Flinte ins Korn; auch sie legten ihre Mandate nieder. Die Herren Abgeordneten rissen zu Hunderten aus. Ursprünglich acht- bis neunhundert an der Zahl, nahmen sie so reißend ab, daß bald zur Beschlußfähigkeit der Versammlung die Anwesenheit von hundertfünfzig und wenige Tage später von hundert Mitgliedern für genügend erklärt wurde. Und auch diese waren schwer zusammenzubringen, obwohl die ganze demokratische Partei zurückblieb.

Der Weg, den dieser Ueberrest eines Parlaments einzuschlagen hatte, lag klar genug zu Tage. Die Versammlung mußte sich offen und entschieden dem Aufstand anschließen und ihm so das Maß von Kraft mittheilen, das ihm die Gesetzlichkeit zuführen konnte, indeß sie selbst dadurch eine Armee zu ihrem Schutze erwarb. Sie mußte die Zentralgewalt auffordern, allen Feindseligkeiten sofort Einhalt zu thun, und mußte sie, wenn, wie vorauszusehen, diese Gewalt das weder thun konnte noch wollte, sofort beseitigen und durch eine energischere Regierung ersetzen. War es nicht möglich, Truppen der Aufständischen nach Frankfurt zu bringen (was im Anfang leicht geschehen konnte, solange die Regierungen der Einzelstaaten noch schlecht vorbereitet und unschlüssig waren), dann konnte die Versammlung ihren Sitz ohne Weiteres mitten in das aufständische Gebiet verlegen. Geschah alles das sofort und mit Nachdruck, nicht später als Mitte oder Ende Mai, dann würde es sowohl der Erhebung wie der Nationalversammlung noch eine Aussicht auf Erfolg eröffnet haben.

Aber ein so entschlossenes Vorgehen war von den Vertretern des deutschen Spießbürgerthums nicht zu erwarten. Diese hochstrebenden Staatsmänner waren noch immer nicht von ihren Illusionen befreit. Jene Mitglieder des Parlaments, die ihren fatalen Glauben an dessen Kraft und Unverletzlichkeit verloren, hatten sich bereits auf die Strümpfe gemacht; die zurückbleibenden Demokraten waren nicht leicht dahin zu bringen, die Träume von Macht und Größe aufzugeben, in denen sie seit zwölf Monaten geschwelgt. Treu der Methode, die sie bis dahin verfolgt, scheuten sie vor jeder entscheidenden That zurück, bis jede Möglichkeit des Erfolgs, ja jede Möglichkeit des Untergangs in Ehren verschwunden war. Um eine erkünstelte, wichtigthuende Thätigkeit zu entfalten, deren völlige Ohnmacht bei ihren hochtrabenden Ansprüchen nur Mitleid und Spott erregen konnte, fuhren sie fort, Resolutionen, Adressen und Aufforderungen au einen Reichsverweser zu richten, der nicht einmal Notiz von ihnen nahm, und an Minister, die offen mit dem Feinde verbündet waren. Und als endlich Wilhelm Wolfs, Abgeordneter für Striegau und einer der Redakteure der »Neuen Rheinischen Zeitung«, der einzige wirkliche Revolutionär in der ganzen Versammlung, erklärte, wenn es ihnen Ernst sei mit ihren Worten, dann müßten sie dem Geschwätz ein Ende machen und vor Allem den Reichsverweser, den ersten Volksverräther, für vogelfrei erklären, da brach die ganze zusammengedrängte tugendhafte Entrüstung dieser Herren Parlamentarier mit einer Wucht hervor, von der sich niemals auch eine Spur gezeigt, als die Regierungen sie mit Insulten überhäuften.

Unzweifelhaft war Wolffs Vorschlag das erste vernünftige Wort, das innerhalb der Mauern der Paulskirche gesprochen wurde; unzweifelhaft, denn er verlangte gerade das, was noth that; und eine so offene Sprache, die direkt auf das Ziel losging, mußte eine Beleidigung jener gefühlvollen Seelen sein, bei denen nichts entschieden war als die Unentschiedenheit, und die, zu feige zu handeln, ein- für allemal zu dem Entschluß gekommen waren, daß nichts zu thun gerade das sei, was sie zu thun hätten. Jedes Wort, das einem Blitze gleich die verblendete aber absichtliche Beneblung ihrer Geister erhellte, jeder Wink, der geeignet war, sie aus dem Labyrinth zu führen, in dem sie um jeden Preis solange als möglich verbleiben wollten, jede klare Auffassung vom wirklichen Stande der Dinge war natürlich ein Verbrechen gegen die Majestät der souveränen Versammlung.

Bald nachdem die Stellung der ehrenwerthen Herren Abgeordneten in Frankfurt trotz aller Resolutionen, Aufrufe, Interpellationen und Proklamationen unhaltbar geworden war, zogen sie sich zurück, aber nicht in das Aufstandsgebiet; das wäre ein zu kühner Schritt gewesen. Sie wandten sich nach Stuttgart, wo die württembergische Regierung eine Art abwartender Neutralität beobachtete. Hier entsetzten sie endlich den Reichsverweser seines Amtes und erwählten aus ihrer eigenen Mitte eine Regentschaft von fünf Mitgliedern. Diese Regentschaft machte sich schleunigst daran, ein Milizgesetz annehmen zu lassen, das thatsächlich in gebührender Form allen Regierungen Deutschlands zugesandt wurde.

Diese, die ausgesprochenen Feinde der Versammlung, wurden aufgefordert, Streitkräfte zu ihrer Vertheidigung auszuheben! Dann wurde – natürlich auf dem Papier – eine Armee zur Vertheidigung der Nationalversammlung geschaffen. Divisionen, Brigaden, Regimenter, Batterien, alles war geregelt und festgesetzt. Nichts fehlte, als die Wirklichkeit, denn dieses Heer wurde natürlich nie ins Leben gerufen.

Noch eine letzte Aussicht bot sich der Nationalversammlung dar. Die demokratische Bevölkerung sandte aus allen Theilen des Landes Deputationen, um sich dem Parlament zur Verfügung zu stellen und es zu energischem Handeln anzutreiben. Das Volk, das die Absichten der württembergischen Regierung kannte, beschwor die Nationalversammlung, diese Regierung zu offener und thätiger Theilnahme an dem benachbarten Aufstand zu zwingen. Aber das durfte nicht sein. Die Nationalversammlung hatte sich dadurch, daß sie nach Stuttgart ging, der Gnade der württembergischen Regierung ausgeliefert. Die Abgeordneten wußten das und drängten daher die Bewegung im Volk zurück. Dadurch verloren sie den letzten Rest von Einfluß, den sie sich etwa noch hätten bewahren können. Sie ernteten die Verachtung, die sie verdienten, und die württembergische Regierung, gedrängt von Preußen und dem Reichsverweser, machte der demokratischen Posse ein Ende, indem sie am 18. Juni 1849 den Sitzungssaal des Parlaments absperrte und den Mitgliedern der Regentschaft Weisung gab, das Land zu verlassen.

Sie gingen nunmehr nach Baden, in das Lager des Aufstandes; aber dort waren sie jetzt überflüssig. Niemand beachtete sie. Die Regentschaft fuhr jedoch fort, durch ihre Maßnahmen im Namen des souveränen deutschen Volkes das Vaterland zu retten. Sie machte einen Versuch, sich von auswärtigen Mächten anerkennen zu lassen, indem sie Jedem Pässe ausstellte, der sie von ihr nehmen wollte. Sie erließ Proklamationen und sandte Kommissäre aus, dieselben Gebiete Württembergs zum Aufstand zu bringen, deren thätige Unterstützung sie verschmäht hatte, als es noch Zeit gewesen war; natürlich ohne Erfolg. Wir haben einen Originalbericht vor uns, den einer dieser Kommissäre, Herr Rösler, Abgeordneter für Oels, der Regentschaft sandte; sein Inhalt ist recht charakteristisch. Er ist von Stuttgart, den 30. Juni 1849 datirt. Nachdem er die Abenteuer eines halben Dutzend dieser Kommissäre auf erfolglose Suche nach Geld beschrieben, giebt er eine Reihe von Entschuldigungen dafür zum Besten, daß er noch nicht auf seinen Posten gegangen, und ergeht sich dann in gar gewichtigen Betrachtungen über mögliche Differenzen zwischen Preußen, Oesterreich, Bayern und Württemberg und ihre möglichen Konsequenzen. Nachdem er ausführlich darüber gehandelt, kommt er jedoch zu dem Schlusse, daß nichts mehr zu hoffen sei. Dann schlägt er vor, einen Postdienst aus zuverlässigen Männern für die Beförderung von Nachrichten einzurichten und ein Spionagesystem zur Ausforschung der Absichten des württembergischen Ministeriums und der Truppenbewegungen zu organisiren. Dieser Brief ist nie an seine Adresse gekommen, denn als er geschrieben wurde, war die Regentschaft bereits ganz in das »Ministerium des Aeußern«, d. h. nach der Schweiz übergegangen; und während der arme Herr Rösler sich noch den Kopf über die Absichten des furchtbaren Ministeriums einer Macht sechsten Ranges zerbrach, hatten bereits hunderttausend preußische, bayrische und hessische Soldaten die ganze Angelegenheit in der letzten Schlacht unter den Mauern von Rastatt erledigt.

So verschwand das deutsche Parlament und mit ihm die erste und letzte Schöpfung der deutschen Revolution. Seine Einberufung war das erste Zeugniß davon, daß es eine Revolution in Deutschland thatsächlich gegeben; und es bestand so lange, als diese, die erste deutsche Revolution, noch nicht zu einem Abschlusse gelangt war. Gewählt unter dem Einfluß der Kapitalistenklasse von einer zerstückelten und zerstreuten Landbevölkerung, die zum größten Theil erst aus der Erstarrung des Feudalismus erwachte, diente dies Parlament dazu, alle die großen populären Namen aus der Zeit von 1820-48 zusammen auf die politische Bühne zu bringen und sie dann völlig zu Grunde zu richten. Alle die Berühmtheiten des Bourgeoisliberalismus waren hier vereinigt. Die Bourgeoisie erwartete Wunder; sie erntete Schmach für sich und ihre Vertreter. Die Klasse der industriellen und handeltreibenden Kapitalisten erlitt in Deutschland eine schwerere Niederlage als in irgend einem anderen Lande. Sie wurde zuerst in den einzelnen Staaten Deutschlands niedergeworfen, gedemüthigt, aus dem Amte gejagt, und dann im deutschen Zentralparlament aufs Haupt geschlagen, entehrt und mit Hohn überhäuft. Ein liberales Regiment, die Herrschaft der Bourgeoisie, sei es unter einer monarchischen oder republikanischen Regierungsform, ist fortan unmöglich in Deutschland.

In der letzten Periode seines Daseins diente das deutsche Parlament dazu, für immer jene Partei zu schänden, die seit dem März 1848 an der Spitze der offiziellen Opposition gestanden, die Demokraten, die Vertreter der Interessen des Kleinbürgerthums und theilweise auch der Bauernschaft. Diese Klasse erhielt im Mai und Juni 1849 die Gelegenheit, ihre Fähigkeit zur Bildung einer festen Regierung in Deutschland zu zeigen. Wir haben gesehen, wie sie scheiterte; nicht so sehr an der Ungunst der Verhältnisse als an ihrer ausgeprägten und fortgesetzten Feigheit bei allen entscheidenden Bewegungen, die seit dem Ausbruch der Revolution vor sich gegangen waren; an der Kurzsichtigkeit, Kleinmüthigkeit und Unentschlossenheit, die ihr geschäftliches Gebahren kennzeichnen, und die sie in die Politik übertrug. Im Mai 1849 hatte sie durch dieses Vorgehen das Zutrauen der wirklich kämpfenden Armee aller europäischen Insurrektionen, der Arbeiterklasse, verloren. Und doch waren ihre Aussichten nicht ungünstig. Das deutsche Parlament befand sich ausschließlich in ihren Händen, seitdem die Reaktionäre und Liberalen sich zurückgezogen. Die Landbevölkerung stand auf ihrer Seite. Zwei Drittel der Armeen der kleineren Staaten, ein Drittel der preußischen Armee, die Mehrheit der preußischen Landwehr waren bereit, sich ihr anzuschließen, wenn sie nur entschlossen und mit jener Kühnheit handelte, die das Ergebniß einer klaren Einsicht in den Stand der Dinge ist. Aber die Politiker an der Spitze dieser Klasse waren nicht scharfsichtiger als die Masse der Kleinbürger, die ihnen folgte. Sie zeigten sich sogar noch verblendeter, noch eifriger an absichtlich genährten Illusionen hängend, noch leichtgläubiger, noch unfähiger, beherzt mit den Thatsachen zu rechnen, als selbst die Liberalen. Auch ihre politische Bedeutung ist unter den Gefrierpunkt gesunken. Aber da sie ihre gemeinplätzlichen Prinzipien nicht thatsächlich zur Ausführung gebracht hatten, wären sie im Stande gewesen, unter sehr günstigen Umständen vorübergehend wieder aufzuleben, wenn ihnen nicht ebenso wie ihren Kollegen von der »reinen Demokratie« in Frankreich der Staatsstreich des Louis Bonaparte diese letzte Hoffnung genommen hätte.

Die Niederschlagung des Aufstandes im südwestlichen Deutschland und die Auseinanderjagung des deutschen Parlaments bringen die Geschichte der ersten deutschen Revolution zum Abschluß. Wir haben nur noch einen Abschiedsblick auf die siegreichen Mitglieder der kontrerevolutionären Allianz zu werfen. Dies soll in unserem nächsten Briefe geschehen. Dieser Brief ist von der Herausgeberin der englischen Ausgabe, Eleanor Marx-Aveling, trotz eifrigsten Suchens nicht gefunden worden. Es ist kaum anzunehmen, daß Marx ihn nicht geschrieben. Eher wäre es möglich, daß der Brief von der Redaktion der »Tribune« aus dem einen oder anderen Grunde begraben wurde. Als Schlußkapitel an Stelle des verloren gegangenen hat die Herausgeberin sicher völlig zweckentsprechend der Artikelserie den Bericht über den Kölner Kommunistenprozeß angehängt, den Marx in der »Tribune« gegeben. Der Uebers.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 23. Oktober 1852.)


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