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XIV.
Die Anfänge des Jahres 1849

 

London, April 1852.

Die ersten Monate des Jahres 1849 wurden von den Regierungen Preußens und Oesterreichs benutzt, die Vortheile weiter zu verfolgen, die sie im Oktober und November 1848 erlangt. Der österreichische Reichstag hatte seit der Einnahme Wiens in einem kleinen mährischen Landstädtchen, Namens Kremsier, ein rein nominelles Dasein geführt. Die slavischen Abgeordneten, die mit ihren Mandatgebern hauptsächlich dazu geholfen hatten, die österreichische Regierung aus ihrer jämmerlichen Lage wieder zu erheben, wurden dort für ihren Verrath an der europäischen Revolution besonders streng gezüchtigt. Sobald die Regierung ihre Kraft wieder erlangt hatte, behandelte sie den Reichstag und seine slavische Majorität mit der größten Verachtung, und als die ersten Erfolge der kaiserlichen Waffen die baldige Beendigung des Krieges in Ungarn erwarten ließen, wurde der Reichstag am 4. März aufgelöst und die Abgeordneten durch Militär auseinandergetrieben. Da erkannten endlich die Slaven, daß sie genarrt waren, und nun riefen sie: »Laßt uns nach Frankfurt gehen und dort die Opposition fortsetzen, die uns hier unmöglich gemacht ist.« Aber da war es zu spät, und schon die Thatsache, daß sie keine andere Alternative hatten als entweder ruhig zu bleiben oder in die machtlose Frankfurter Nationalversammlung einzutreten, diese Thatsache allein zeigt schon ihre völlige Hilflosigkeit.

So endeten für jetzt und sehr wahrscheinlich für immer die Versuche der Slaven Deutschlands, ein selbständiges nationales Dasein zu erringen. Zersplitterte Ueberreste zahlreicher Nationen, deren Nationalität und politische Lebenskraft längst erstickt worden und die daher seit fast tausend Jahren gezwungen gewesen sind, den Spuren einer mächtigeren Nation zu folgen, von der sie überwunden worden, ebenso wie die Welschen in England, die Basken in Spanien, die Niederbretonen in Frankreich und in jüngerer Zeit die spanischen und französischen Kreolen in jenen Theilen Nordamerikas, die neuerdings von der angloamerikanischen Rasse besetzt worden – diese sterbenden Nationalitäten, die Böhmen, Kärnthner, Dalmatiner u. s. w., hatten versucht, die allgemeine Konfusion von 1848 zur Wiederherstellung des politischen status quo auszunutzen, der im Jahre des Herrn 800 bestand. Die Geschichte eines Jahrtausends müßte ihnen gezeigt haben, daß ein solcher Rückschritt unmöglich war; daß, wenn das gesammte Gebiet östlich der Elbe und Saale einst von einer Reihe miteinander verwandter slavischer Völker bewohnt war, diese Thatsache nur die historische Tendenz und gleichzeitig die physische und intellektuelle Kraft der deutschen Nation anzeigte, ihre alten östlichen Nachbarn zu unterwerfen, aufzusaugen und sich zu assimiliren; daß diese absorbirende Tendenz der Deutschen stets eines der mächtigsten Mittel gebildet hat und noch bildete, wodurch die Zivilisation des westlichen Europa im Osten dieses Kontinents verbreitet wurde; daß diese Tendenz erst dann aufhören könne zu wirken, wenn der Prozeß der Germanisirung an der Grenze großer, geschlossener, ungebrochener Nationen anlangte, die fähig sind ein selbständiges nationales Leben zu führen, wie die Ungarn und in gewissem Grade die Polen, und daß es daher das natürliche und unvermeidliche Schicksal dieser sterbenden Nationen war, den Prozeß der Auflösung und Aufsaugung durch ihre stärkeren Nachbarn sich vollenden zu lassen. Das ist allerdings keine schmeichelhafte Aussicht für den nationalen Ehrgeiz der panslavistischen Träumer, denen es gelungen war, einen Theil der Böhmen und Südslaven in Bewegung zu setzen; aber dürfen sie erwarten, die Geschichte werde um tausend Jahre zurückschreiten, einigen schwindsüchtigen Gesellschaften von Leuten zu Liebe, die in jedem Theil des Landes, das sie bewohnen, Deutsche neben sich und um sich finden, die seit fast undenklichen Zeiten für alle Zwecke der Zivilisation keine andere Sprache haben als die deutsche, und denen die ersten Bedingungen des nationalen Lebens fehlen: große Volkszahl und Geschlossenheit des Gebiets?

Kein Wunder, daß die Erhebung des Panslavismus, hinter der sich in allen den slavischen Gebieten Deutschlands und Ungarns das Streben nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit dieser zahllosen kleinen Nationen verbarg, überall mit den europäischen revolutionären Bewegungen feindlich zusammenstieß, und daß die Slaven, obwohl sie behaupteten für die Freiheit zu fechten, unterschiedslos (mit Ausnahme des demokratischen Theils der Polen) auf der Seite des Despotismus und der Reaktion gefunden wurden. Dies war der Fall in Deutschland, in Ungarn, und sogar hie und da in der Türkei. Verräther an der Volkssache, Beschützer und die Hauptstützen der Kabalen der österreichischen Regierung, brandmarkten sie sich selbst in den Augen aller revolutionären Nationen. Und obwohl nirgends die Masse der Bevölkerung an den kleinen, von den panslavistischen Führern erregten nationalen Zänkereien Antheil nahm, schon aus dem Grunde, weil sie zu unwissend war, wird es doch unvergessen bleiben, daß in Prag, einer halbdeutschen Stadt, Schaaren slavischer Fanatiker den Ruf bejubelten und wiederholten: »Lieber die russische Knute als die deutsche Freiheit!« Nach der Ernüchterung, die ihr erster Anlauf von 1848 hinterlassen, und nach der Lektion, die ihnen die österreichische Regierung ertheilt, ist es nicht wahrscheinlich, daß ein anderer Versuch bei einer späteren Gelegenheit gemacht werden wird. Aber wenn sie nochmals versuchen sollten, sich unter ähnlichen Vorwänden mit den kontrerevolutionären Mächten zu verbinden, so liegt die Pflicht Deutschlands klar zu Tage. Kein Land, das im Zustand der Revolution und in einen auswärtigen Krieg verwickelt ist, kann eine Vendee mitten in seinem Herzen dulden.

Auf die Verfassung, die der Kaiser gleichzeitig mit der Auflösung des Reichstags erließ, brauchen wir nicht nochmals zurückzukommen, da sie niemals in faktische Wirksamkeit trat und jetzt vollständig beseitigt ist. Der Absolutismus ist seit dem 4. März 1849 in Oesterreich nach allen Richtungen hin wieder hergestellt.

In Preußen traten die Kammern im Februar zusammen, um die neue, vom König gegebene Verfassung zu bestätigen und zu revidiren. Sie tagten ungefähr sechs Wochen lang, unterthänig und demüthig genug gegenüber der Regierung, aber doch nicht so willig, wie der König und seine Minister es gern gesehen hätten. Sobald sich daher eine passende Gelegenheit fand, wurden sie aufgelöst.

So waren Oesterreich und Preußen für den Augenblick die Fesseln parlamentarischer Ueberwachung losgeworden. Die Regierungen vereinigten nun die gesammte Staatsgewalt in sich selbst und konnten sie dort zur Anwendung bringen, wo sie gerade gebraucht wurde: Oesterreich gegen Ungarn und Italien, Preußen gegen Deutschland. Denn auch Preußen rüstete zu einem Feldzug, durch den die »Ordnung« in den kleineren Staaten wiederhergestellt werden sollte.

Da jetzt die Kontrerevolution in den zwei großen Zentren der Bewegung von Deutschland, in Wien und Berlin, gesiegt hatte, blieben nur die kleineren Staaten, in denen der Kampf noch nicht entschieden war, obwohl auch dort die Wage sich mehr und mehr zu Ungunsten der Revolution neigte. Diese kleineren Staaten fanden, wie schon bemerkt, einen gemeinsamen Mittelpunkt in der Frankfurter Nationalversammlung. Nun war wohl der reaktionäre Geist dieser sogenannten Nationalversammlung längst offenbar geworden, so sehr, daß das Volk in Frankfurt selbst die Waffen gegen sie ergriffen hatte; aber immerhin war sie ihrem Ursprung nach mehr oder weniger revolutionärer Natur. Sie nahm im Januar eine abnorme revolutionäre Stellung ein; obwohl ihre Kompetenz niemals bestimmt worden war, war sie schließlich zu der Entscheidung gekommen – die jedoch niemals von den größeren Staaten anerkannt wurde – daß ihre Beschlüsse Gesetzeskraft besitzen sollten. Unter diesen Umständen und da die konstitutionell-monarchische Partei durch die Kräftigung der Absolutisten ihre Stellung völlig verändert fand, ist es kein Wunder, daß die liberale, monarchistische Bourgeoisie fast ganz Deutschlands ihre letzten Hoffnungen auf die Majorität dieser Versammlung setzte, ebenso wie das Kleinbürgerthum, der Kern der demokratischen Partei, in seiner wachsenden Noth sich um die Minorität derselben Körperschaft schaarte, die in der That die letzte geschlossene Phalanx der Demokratie bildete. Auf der anderen Seite erkannten die größeren Regierungen, und besonders das preußische Ministerium, immer deutlicher die Unvereinbarkeit einer derartigen unkontrollirbaren erwählten Versammlung mit dem wiederhergestellten monarchischen System Deutschlands, und wenn sie nicht sofort deren Auflösung erzwangen, so ist dies nur dem Umstand zuzuschreiben, daß die Zeit noch nicht gekommen war und daß Preußen hoffte, die Versammlung vorher noch zur Förderung seiner eigenen ehrgeizigen Absichten ausnutzen zu können.

Inzwischen verfiel diese klägliche Versammlung in immer größere Verwirrung. Man hatte ihre Deputationen und Kommissäre in Wien wie in Berlin mit der größten Verachtung behandelt; eines ihrer Mitglieder war trotz seiner parlamentarischen Unverletzlichkeit in Wien als gemeiner Empörer hingerichtet worden. Nirgends wurden ihre Erlasse beachtet; wenn die größeren Mächte überhaupt Notiz von ihnen nahmen, so geschah dies nur durch Protestnoten, welche die Berechtigung der Versammlung zur Votirung von Gesetzen und Beschlüssen, die für ihre Regierungen verbindlich sein sollten, bestritten. Die Vertretung der Versammlung, die zentrale Exekutivgewalt, war in diplomatische Zänkereien mit fast allen Kabinetten Deutschlands verwickelt, und trotz aller ihrer Bemühungen konnten weder Versammlung noch Zentralregierung Oesterreich und Preußen dahin bringen, ihre definitiven Ansichten, Pläne und Forderungen auseinanderzusetzen. Schließlich begann die Versammlung wenigstens so viel klar zu erkennen, daß sie jegliche Macht sich hatte entschlüpfen lassen, daß sie in der Gewalt Oesterreichs und Preußens war, und daß sie, wenn sie überhaupt eine Reichsverfassung für Deutschland fertigstellen wollte, sich sofort und mit vollem Ernst an die Arbeit machen mußte. Und gar manche der schwankenden Mitglieder merkten auch klar, daß sie von den Regierungen gründlich zum Narren gehalten worden waren. Aber was konnten sie in ihrer Machtlosigkeit jetzt thun? Der einzige Schritt, der sie noch retten konnte, war der schleunige und entschiedene Uebergang in das Lager des Volkes; indeß war selbst der Erfolg dieses Schrittes mehr als zweifelhaft. Und wo waren in jenem hilflosen Haufen unentschlossener, kurzsichtiger, aufgeblasener Geschöpfe, die, wenn der ewige Lärm einander widersprechender Gerüchte und diplomatischer Noten sie völlig betäubt hatte, ihre einzige Tröstung und Zuflucht in der unendlich wiederholten Versicherung suchten, daß sie die besten, die größten, die weisesten Männer des Landes seien, und daß sie allein Deutschland retten könnten; wo, fragen wir, waren unter diesen Jammergestalten, die ein einziges Jahr parlamentarischen Lebens zu vollständigen Idioten gemacht, wo waren da die Männer für einen raschen und kraftvollen Entschluß, geschweige denn für ein energisches und konsequentes Handeln zu finden?

Endlich warf die österreichische Regierung die Maske ab. In ihrer Verfassung vom 4. März erklärte sie Oesterreich für eine untheilbare Monarchie mit gemeinsamen Finanzen, einem gemeinsamen Zollsystem und gemeinsamem Heerwesen, wodurch sie jede Schranke und Unterscheidung zwischen den deutschen und nichtdeutschen Provinzen beseitigte. Diese Erklärung wurde erlassen angesichts der Resolutionen und Artikel der zukünftigen Reichsverfassung, die von der Frankfurter Versammlung bereits angenommen worden waren. Es war der Fehdehandschuh, den Oesterreich hingeworfen, und der armen Versammlung blieb keine Wahl, sie mußte ihn aufnehmen. Das that sie mit einem Aufwand hochtrabender Redensarten, die Oesterreich im Bewußtsein seiner Macht und der völligen Nichtigkeit der Versammlung ruhig hingehen lassen durfte. Und diese kostbare Vertretung des deutschen Volkes, wie sie selbst sich nannte, wußte, um sich für diesen Schimpf an Oesterreich zu rächen, nichts Besseres zu thun, als sich mit gebundenen Händen und Füßen der preußischen Regierung zu Füßen zu werfen. So unglaublich es scheint, sie bog thatsächlich die Knie vor denselben Ministern, die sie als verfassungswidrig und volksfeindlich gebrandmarkt und auf deren Entlassung sie vergebens bestanden hatte. Die Details dieser schmachvollen Verhandlungen und der tragikomischen Ereignisse, die ihnen folgten, sollen das Thema unseres nächsten Briefes bilden.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 22. April 1852.)


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