Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.
Die Frankfurter Nationalversammlung

 

London, Januar 1852.

Der Leser wird sich vielleicht erinnern, daß wir in den sechs vorhergehenden Artikeln die revolutionäre Bewegung in Deutschland bis zu den zwei großen Siegen des Volkes vom 13. März in Wien und 18. März in Berlin verfolgten. Wir sahen, daß sowohl in Oesterreich wie in Preußen eine konstitutionelle Regierung eingesetzt und für jede künftige Politik der Liberalismus oder die Prinzipien der Bourgeoisie als maßgebend erklärt wurden, und daß der einzige merkliche Unterschied zwischen diesen beiden großen Zentren der Bewegung darin bestand, daß in Preußen die liberale Bourgeoisie in den Personen zweier reicher Kaufleute, der Herren Camphausen und Hansemann, direkt die Zügel der Gewalt ergriff, während in Oesterreich, wo die Bourgeoisie politisch weit ungebildeter war, die liberale Bureaukratie ins Amt stieg und erklärte, die Macht für jene auszuüben. Wir haben ferner gesehen, wie die Parteien und Klassen der Gesellschaft, die bis dahin in der Opposition gegen die alte Regierung einig gewesen waren, nach dem Siege oder sogar schon während des Kampfes auseinandergingen; und wie dieselbe liberale Bourgeoisie, die allein Nutzen von dem Siege hatte, sofort sich gegen ihre Verbündeten von gestern wandte, eine feindliche Haltung gegenüber jeder extremeren Klasse oder Partei annahm und mit den besiegten feudalen und bureaukratischen Elementen ein Bündniß schloß. Es war thatsächlich schon im Beginn des revolutionären Dramas klar, daß die liberale Bourgeoisie sich gegen die niedergeworfenen, aber nicht vernichteten feudalen und bureaukratischen Parteien nur behaupten konnte, wenn sie sich auf die extremeren Volksparteien stützte, und daß sie andererseits gegen den Ansturm dieser radikaleren Massen der Hilfe des Feudaladels und der Bureaukratie bedurfte. Es war also klar, daß die Bourgeoisie in Oesterreich und Preußen nicht genügend Kraft besaß, sich in der Macht zu behaupten und die Staatseinrichtungen ganz ihren Bedürfnissen und Ideen anzupassen. Das liberale Bourgeoisministerium war nur eine Durchgangsstation, von der aus das Land, je nach der Wendung, welche die Dinge nahmen, entweder zu dem vorgeschritteneren Stadium des unitarischen Republikanismus fortschreiten oder in das alte klerikal-feudale und bureaukratische Regime zurücksinken mußte. Auf alle Fälle war die wirkliche, entscheidende Schlacht noch zu schlagen; die Märzereignisse hatten den Kampf nur eingeleitet.

Da Oesterreich und Preußen die zwei führenden Staaten in Deutschland bildeten, wäre jeder entscheidende revolutionäre Sieg in Wien oder Berlin von entscheidender Bedeutung für ganz Deutschland geworden. Und in der That bestimmten die Ereignisse des März 1848 in den beiden Städten in ihrer Weise die Richtung der Bewegung in Deutschland. Es wäre daher überflüssig, auf die Bewegungen in den kleineren Staaten zurückzukommen, und wir könnten uns ausschließlich auf die Darstellung der österreichischen und preußischen Angelegenheiten beschränken, wenn das Bestehen dieser Kleinstaaten nicht eine Körperschaft ins Leben gerufen hätte, die schon durch ihr Dasein der schlagendste Beweis der abnormen Situation Deutschlands und der Unvollständigkeit der jüngsten Revolution war; eine Körperschaft, so abnorm, so lächerlich schon durch ihre Stellung, und doch so erfüllt von ihrer eigenen Wichtigkeit, daß die Geschichte wahrscheinlich nie ein Gegenstück zu ihr liefern wird. Diese Körperschaft war die sogenannte deutsche Nationalversammlung in Frankfurt am Main.

Nach den Siegen des Volkes in Wien und Berlin verstand sich die Einberufung einer Repräsentativversammlung für ganz Deutschland von selbst. Diese Versammlung wurde daher gewählt und trat in Frankfurt zusammen, neben dem alten Bundestag. Das Volk erwartete von der deutschen Nationalversammlung, sie werde jede strittige Angelegenheit ordnen und als die höchste gesetzgebende Gewalt für die Gesammtheit des deutschen Bundes handeln. Der Bundestag aber, der sie einberufen, hatte ihre Befugnisse in keiner Weise festgestellt. Niemand wußte, ob ihre Beschlüsse Gesetzeskraft haben oder ob sie der Sanktion des Bundestags oder der der einzelnen Regierungen unterstehen sollten. Angesichts dieser Verworrenheit mußte die Versammlung, wenn sie nur einen Funken von Energie besaß, ohne Weiteres den Bundestag – die unpopulärste Körperschaft in Deutschland – auflösen, heimschicken und durch eine Bundesregierung ersetzen, die sie aus ihren eigenen Mitgliedern erwählte. Sie mußte sich für den einzigen gesetzlichen Ausdruck des souveränen Willens des deutschen Volkes erklären und dadurch jedem ihrer Beschlüsse Gesetzeskraft verleihen. Sie mußte vor Allem sich in den Besitz einer organisirten bewaffneten Macht im Lande setzen, die genügend war, jeden Widerstand der Regierungen niederzuwerfen. Und alles das war leicht, sehr leicht in jenem Anfangsstadium der Revolution. Aber es war zu viel, so etwas von einer Versammlung zu erwarten, deren Majorität aus liberalen Advokaten und doktrinären Professoren bestand, von einer Versammlung, die zwar Anspruch darauf machte, die Blüthe deutschen Geistes und deutschen Wissens zu verkörpern, die aber in Wirklichkeit nichts war als eine Schaubühne, auf der alte, überlebte politische Charaktere ihre unfreiwillige Lächerlichkeit und ihre Impotenz des Denkens und Handelns vor den Augen von ganz Deutschland zum Besten gaben. Diese Versammlung alter Weiber hatte vom ersten Tage ihres Daseins an mehr Angst vor der geringsten Volksbewegung, als vor allen reaktionären Verschwörungen aller deutschen Regierungen zusammengenommen. Sie berieth unter der Aufsicht des Bundestags, ja, sie bettelte förmlich um die Sanktionirung ihrer Beschlüsse durch den Bundestag, denn ihre ersten Resolutionen mußten durch diese verhaßte Körperschaft verkündigt werden. Statt ihre eigene Souveränetät geltend zu machen, vermied sie absichtlich die Diskutirung einer so gefährlichen Frage. Statt sich mit einer bewaffneten Volksmacht zu umgeben, ging sie über alle gewaltthätigen Uebergriffe der Regierungen zur Tagesordnung über; Mainz wurde dicht unter ihren Augen in Belagerungszustand versetzt, die Bevölkerung dort entwaffnet, und die Nationalversammlung rührte sich nicht. Später erwählte sie den Erzherzog Johann von Oesterreich zum Reichsverweser und erklärte, alle ihre Beschlüsse sollten Gesetzeskraft haben; aber der Erzherzog Johann wurde in seine neue Würde erst eingesetzt, nachdem man die Zustimmung aller Regierungen erlangt, und er wurde nicht von der Versammlung, sondern vom Bundestag eingesetzt. Und was die Gesetzeskraft der Erlasse der Versammlung anbelangt, so wurde sie von den größeren Regierungen nie anerkannt und von der Nationalversammlung nie mit Nachdruck geltend gemacht; diese Frage blieb daher unentschieden.

So zeigt sich uns das Bild einer Versammlung, die den Anspruch erhob, die einzige gesetzliche Vertretung einer großen und souveränen Nation zu sein, und die doch niemals den Willen oder die Macht besaß, ihren Ansprüchen Geltung zu verschaffen. Die Verhandlungen dieser Körperschaft, die ohne jegliches praktische Ergebniß blieben, waren nicht einmal von theoretischem Werth, da sie blos die abgebrauchtesten Gemeinplätze veralteter philosophischer und juristischer Schulen wiederkäuten; jeder Satz, der in dieser Versammlung ausgesprochen oder vielmehr hergestammelt wurde, war längst schon unendlich oft und unendlich besser gedruckt worden.

Unter diesen Umständen ließ die angebliche neue Zentralgewalt Deutschlands alles so, wie sie's gefunden. Weit entfernt, die lang ersehnte Einheit Deutschlands zu verwirklichen, beseitigte sie nicht einmal die allerunbedeutendsten der Fürsten, die es beherrschten; sie zog die Bande nicht enger, die die einzelnen Provinzen Deutschlands zusammenhielten; sie that nicht den geringsten Schritt, die Zollschranken niederzureißen, die Hannover von Preußen und Preußen von Oesterreich trennten; sie machte nicht einmal den leisesten Versuch, die berüchtigten Gebühren abzuschaffen, die überall in Preußen die Flußschiffahrt hemmten. Aber je weniger die Nationalversammlung that, desto lauter bramarbasirte sie. Sie schuf eine deutsche Flotte – auf dem Papier; sie annektirte Polen und Schleswig; sie ließ Deutschösterreich einen Krieg gegen Italien führen, verhinderte aber die Italiener, den Oesterreichern in ihre sichere Zufluchtsstätte auf deutsches Gebiet zu folgen; sie ließ die französische Republik hoch leben und empfing ungarische Gesandtschaften, die sicherlich mit konfuseren Ideen über Deutschland heimkehrten als die, mit denen sie gekommen waren.

Diese Versammlung war zu Beginn der Revolution das Schreckgespenst aller deutschen Regierungen gewesen. Sie hatten ein ganz diktatorisches und revolutionäres Vorgehen von ihr erwartet, gerade in Folge der Unbestimmtheit, in der man ihre Kompetenzen gelassen. Die Regierungen spannen daher ein weitumfassendes Netz von Intriguen, um den Einfluß dieser gefürchteten Körperschaft einzuengen; aber sie hatten mehr Glück als Verstand, denn diese Versammlung besorgte die Geschäfte der Regierungen besser, als sie selbst es hätten thun können. Zu diesen Intriguen gehörte vor Allem die Einberufung lokaler Repräsentativversammlungen, und daher beriefen nicht blos die Kleinstaaten ihre Kammern, sondern auch Preußen und Oesterreich ließen konstituirende Versammlungen zusammentreten. In diesen besaß ebenso wie im Frankfurter Parlament die liberale Bourgeoisie oder ihre Alliirten, liberale Advokaten und Beamte, die Majorität, und die Dinge entwickelten sich hier ungefähr in derselben Weise wie dort, mit dem einzigen Unterschied, daß die deutsche Nationalversammlung das Parlament eines imaginären Landes war, da sie es abgelehnt hatte, jenes Gebilde zu schaffen, das doch ihre erste Lebensbedingung war, nämlich ein geeintes Deutschland; daß sie die imaginären Maßregeln einer von ihr selbst geschaffenen imaginären Regierung diskutirte, die nie verwirklicht werden sollten, und imaginäre Beschlüsse faßte, um die sich kein Mensch kümmerte. In Oesterreich und Preußen dagegen waren die konstituirenden Versammlungen wenigstens wirkliche Parlamente, die wirkliche Ministerien stürzten und einsetzten und mindestens für einige Zeit ihre Beschlüsse den Fürsten aufzwangen, gegen die sie zu kämpfen hatten. Auch sie waren feige genug und ermangelten einer höheren Auffassung revolutionären Handelns; auch sie verriethen das Volk und legten die Macht wieder in die Hände des feudalen, bureaukratischen und militärischen Despotismus. Aber sie waren dabei wenigstens gezwungen, praktische Fragen von unmittelbarem Interesse zu diskutiren und auf der Erde mit anderen Leuten zu leben, während die Frankfurter Flausenmacher niemals glücklicher waren, als wenn sie im »Luftreich des Traumes« herumirren konnten. Daher bilden die Verhandlungen der Berliner und Wiener konstituirenden Versammlungen einen wichtigen Theil der Revolutionsgeschichte Deutschlands, während die langathmigen Abhandlungen des Frankfurter Narrenkollegiums blos den Sammler literarischer und antiquarischer Kuriositäten interessiren.

Das deutsche Volk, das die Nothwendigkeit tief empfand, der verhaßten territorialen Zerrissenheit ein Ende zu machen, welche die Gesammtkraft der Nation zersplitterte und zu Nichte machte, erwartete eine Zeit lang von der Frankfurter Nationalversammlung zum mindesten den Beginn einer neuen Aera. Aber das kindische Gebahren dieser Gesellschaft von Weisheitskrämern kühlte den nationalen Enthusiasmus bald ab. Die schmachvollen Vorgänge, die der Waffenstillstand von Malmö (September 1848) hervorrief, brachten die Entrüstung des Volkes zum Ueberwallen gegen eine Versammlung, von der man erwartet hatte, sie werde der Nation ein freies Feld für ihre Bethätigung schaffen, und die anstatt dessen, getrieben von unerhörter Feigheit, nichts that, als die Grundlagen, auf denen das jetzige kontrerevolutionäre System aufgebaut ist, in ihrer früheren Festigkeit wieder herzustellen.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 27. Februar 1852.)


 << zurück weiter >>