Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.
Die Junischlacht und ihre Rückwirkung auf Deutschland. Der Frankfurter Aufstand

 

London, Februar 1852.

Schon im April 1848 sah sich der revolutionäre Wildbach auf dem ganzen Kontinent von Europa durch das Bündniß eingedämmt, das jene Klassen der Gesellschaft, die aus den ersten Siegen den Nutzen gezogen, sofort mit den Besiegten geschlossen. In Frankreich hatten sich das Kleinbürgerthum und die republikanische Fraktion der Bourgeoisie mit der monarchistischen Bourgeoisie gegen die Proletarier zusammengethan. In Deutschland und Italien hatte die siegreiche Bourgeoisie sich eifrigst um die Unterstützung des Feudaladels, der staatlichen Bureaukratie und der Armee gegen die Masse des Volkes und der Kleinbürger beworben. Bald kamen die vereinigten konservativen und kontrerevolutionären Parteien wieder empor. In England gestaltete sich eine unzeitige und schlecht vorbereitete Volksdemonstration (10. April) zu einer vollständigen und entscheidenden Niederlage der Volkspartei. In Frankreich mißlangen ebenso zwei ähnliche Unternehmungen (16. April und 15. Mai). In Italien gewann König Bomba seine Macht am 15. Mai mit einem einzigen Schlage wieder. In Deutschland befestigten sich die verschiedenen neuen Bourgeoisregierungen und ihre konstituirenden Versammlungen, und wenn der ereignißreiche 15. Mai in Wien zu einem Siege des Volkes führte, so war das ein Ereigniß von blos sekundärer Bedeutung, das als das letzte Aufflackern der Volksenergie angesehen werden darf. In Ungarn schien die Bewegung in das ruhige Fahrwasser vollkommener Gesetzlichkeit einzulenken, und die polnische Bewegung wurde, wie wir gesehen, durch preußische Bajonette im Keime erstickt. Aber noch war die Wendung, welche die Dinge schließlich nehmen sollten, in keiner Weise entschieden, und jeder Zoll Boden, den die revolutionären Parteien in den verschiedenen Ländern verloren, trieb sie nur an, sich zur entscheidenden Aktion fester aneinander zu schließen.

Der entscheidende Kampf nahte. Er konnte nur in Frankreich ausgefochten werden, denn so lange England an dem revolutionären Ringen nicht theilnahm und Deutschland zersplittert blieb, war Frankreich dank seiner nationalen Selbständigkeit, seiner Zivilisation und Zentralisation das einzige Land, das den umgebenden Ländern den Anstoß einer mächtigen Umwälzung mittheilen konnte. Als daher am 23. Juni 1848 die blutige Schlacht in Paris begann, als jedes weitere Telegramm, jede weitere Post den Augen Europas immer klarer die Thatsache enthüllte, daß diese Schlacht zwischen der Masse des arbeitenden Volkes auf der einen Seite und allen anderen Klassen der Pariser Bevölkerung, unterstützt durch die Armee, auf der anderen Seite geschlagen ward; als der Kampf mehrere Tage fortgeführt wurde, mit einer Erbitterung, die in der Geschichte der modernen Bürgerkriege unerhört ist, aber ohne auffälligen Vortheil für die eine oder andere Seite – da wurde es Jedermann klar, daß das die große Entscheidungsschlacht war, die, wenn die Insurrektion siegte, den ganzen Kontinent mit erneuten Revolutionen überschwemmen, oder, wenn diese niedergeworfen wurde, zu der wenigstens vorübergehenden Wiederaufrichtung des kontrerevolutionären Regimes führen mußte.

Die Proletarier von Paris wurden geschlagen, dezimirt, zerschmettert, so sehr, daß sie sich selbst jetzt noch nicht von dem Schlage erholt haben. Und unmittelbar darauf erhoben in ganz Europa die neuen und alten Konservativen und Kontrerevolutionäre das Haupt mit einer Keckheit, die bewies, wie gut sie die Bedeutung des Ereignisses verstanden. Die Presse wurde allenthalben chikanirt, das Versammlungs- und Vereinsrecht geschmälert, jedes unbedeutende Ereigniß in jeder kleinen Provinzialstadt benutzt, die Bevölkerung zu entwaffnen, den Belagerungszustand zu verhängen und die Truppen in den neuen Manövern und Kunstgriffen einzuexerziren, die Cavaignac gelehrt. Und zum ersten Mal seit dem Februar war gezeigt worden, daß die Unbesiegbarkeit einer Volkserhebung in einer Großstadt eine Täuschung sei; das Ansehen der Armeen war wieder hergestellt; die Soldaten, die bis dahin in jedem Straßenkampf von Bedeutung besiegt worden, gewannen die Zuversicht, daß sie auch dieser Art des Krieges gewachsen seien.

Von dieser Niederlage der Arbeiter von Paris kann man die ersten positiven Schritte und bestimmten Pläne der alten feudal-bureaukratischen Partei Deutschlands datiren, die dahin gingen, sogar ihren augenblicklichen Verbündeten, die Bourgeoisie, über Bord zu werfen und in Deutschland den Zustand wiederherzustellen, der vor den Ereignissen des März bestanden. Die Armee war wieder die entscheidende Macht im Staate, und die Armee gehörte dieser Partei, nicht der Bourgeoisie. Selbst in Preußen, wo vor 1848 bei einem Theil der Offiziere in den unteren Rangstufen eine starke Hinneigung zu einem konstitutionellen Regiment beobachtet werden konnte, führte die Unordnung, welche die Revolution in die Armee gebracht, diese raisonnirenden jungen Leute bald wieder zum Gehorsam zurück; kaum erlaubten sich die gemeinen Soldaten den Offizieren gegenüber einige Freiheiten, da leuchtete diesen auch sofort die Nothwendigkeit der Disziplin und des stummen Gehorsams vollkommen ein. Die überwundenen Adeligen und Bureaukraten begannen nun zu erkennen, welche Richtung sie einzuschlagen hätten; die Armee, einiger als je, gehoben durch eine Reihe von Siegen über kleinere Insurrektionen und das Ausland, eifersüchtig auf den großen Erfolg, den die französischen Soldaten eben errungen – diese Armee brauchte man nur beständig in kleine Konflikte mit dem Volke zu bringen, und sie konnte, wenn der entscheidende Moment gekommen, mit einem großen Schlage die Revolutionäre zermalmen und die Anmaßungen der Bourgeoisparlamentarier über den Haufen werfen. Und der richtige Moment für einen solchen entscheidenden Schlag kam bald genug.

Wir übergehen die mitunter merkwürdigen, meist aber langweiligen parlamentarischen Verhandlungen und lokalen Kämpfe, die in Deutschland die verschiedenen Parteien während des Sommers beschäftigten. Es genügt zu sagen, daß die Vertreter der Bourgeoisinteressen trotz zahlreicher parlamentarischer Triumphe, von denen keiner zu irgend einem praktischen Ergebniß führte, zum größten Theil fühlten, daß ihre Stellung zwischen den extremen Parteien von Tag zu Tag unhaltbarer ward, und daß sie sich daher gezwungen sahen, heute die Allianz mit den Reaktionären zu suchen und morgen um die Gunst der populäreren Parteien zu werben. Dieses stete Schwanken gab ihrem Ansehen vor der öffentlichen Meinung den Rest, und der allgemeinen Richtung entsprechend, welche die Ereignisse einschlugen, kam die Verachtung, der sie verfielen, für den Augenblick hauptsächlich den Bureaukraten und Feudalen zu Gute.

Zu Beginn des Herbstes war die Stellung der verschiedenen Parteien zu einander eine so gereizte und kritische geworden, daß die Entscheidungsschlacht unvermeidlich wurde. Das erste Gefecht in diesem Kriege zwischen den demokratischen und revolutionären Massen und der Armee fand in Frankfurt statt. Obwohl nur untergeordneter Art, bildete es doch den ersten Vortheil von einiger Bedeutung, den die Truppen über die Insurrektion errangen und hatte eine große moralische Wirkung. Preußen hatte der Scheinregierung, die von der Frankfurter Nationalversammlung eingerichtet worden, aus naheliegenden Gründen erlaubt, einen Waffenstillstand mit Dänemark abzuschließen, der nicht nur die Deutschen Schleswigs der dänischen Rache preisgab, sondern auch die mehr oder weniger revolutionären Prinzipien gänzlich verleugnete, um die es sich nach der allgemeinen Ansicht im dänischen Kriege handelte. Der Waffenstillstand wurde mit einer Mehrheit von zwei oder drei Stimmen von der Frankfurter Versammlung abgelehnt. Dieser Abstimmung folgte eine Scheinkrise im Ministerium, aber drei Tage später zog die Versammlung ihren Beschluß nochmals in Erwägung, und sie wurde tatsächlich dazu gebracht, ihn umzustoßen und den Waffenstillstand anzuerkennen. Dieses schmachvolle Vorgehen erregte die Erbitterung des Volkes. Barrikaden wurden gebaut, aber man hatte schon genügend Truppen nach Frankfurt dirigirt, und nach einem Gefechte von sechs Stunden wurde die Erhebung unterdrückt. Aehnliche, aber weniger bedeutende Bewegungen fanden im Zusammenhang mit diesem Ereigniß in anderen Theilen Deutschlands statt (Baden, Köln), wurden aber ebenfalls niedergeschlagen.

Dieses einleitende Gefecht gab der kontrerevolutionären Partei den einen großen Vortheil, daß nun die einzige Regierung, die – wenigstens dem Anscheine nach – ganz aus Volkswahlen hervorgegangen war, die Reichsregierung zu Frankfurt, ebenso wie die Nationalversammlung in den Augen des Volkes gerichtet war. Diese Regierung und diese Versammlung hatten sich genöthigt gesehen, gegenüber der Kundgebung des Volkswillens an die Bajonette der Truppen zu appelliren. Sie waren kompromittirt, und wie wenig Anspruch auf Ansehen sie auch bis dahin erworben haben mochten, diese Verleugnung ihres Ursprungs, ihre Abhängigkeit von den volksfeindlichen Regierungen und deren Streitkräften, machte fortan den Reichsverweser, seine Minister und Abgeordneten zu völligen Nullen. Wir werden bald sehen, wie zuerst Oesterreich, dann Preußen und schließlich auch die kleineren Staaten jede Anordnung, jedes Ansuchen, jede Deputation, die von dieser Versammlung impotenter Träumer an sie kamen, mit Verachtung behandelten.

Wir kommen nun zu dem großen Gegenstück der französischen Junischlacht in Deutschland, jenem Ereigniß, das für Deutschland ebenso entscheidend wurde, wie das proletarische Ringen in Paris für Frankreich gewesen; wir meinen die Erhebung und darauffolgende Erstürmung Wiens im Oktober 1848. Aber die Bedeutung dieses Kampfes ist eine so große, und die Erklärung der verschiedenen Umstände, die in erster Linie zu seinem Ausgang beitrugen, wird so viel Raum der »Tribune« beanspruchen, daß wir ihm einen besonderen Brief widmen müssen.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 18. März 1852.)


 << zurück weiter >>