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IX.
Der Panslavismus. Der Krieg in Schleswig-Holstein

 

London, Februar 1852.

Böhmen und Kroatien (ein anderes abgerissenes Glied der slavischen Völkerfamilie, auf das die Ungarn in derselben Weise wirken, wie auf Böhmen die Deutschen) waren die Heimath des sogenannten Panslavismus. Weder Böhmen noch Kroatien besaßen die Kraft, als eigene Nationen zu existiren. Ihre Nationalitäten, nach und nach durch historische Ursachen untergraben, die sie in kraftvolleren Rassen aufgehen lassen, konnten nur dann erwarten eine Art Selbständigkeit wiederzugewinnen, wenn sie sich mit anderen slavischen Nationen verbanden. Es gab da 22 Millionen Polen, 45 Millionen Russen, 8 Millionen Serben und Bulgaren; warum nicht eine mächtige Konföderation aus den 80 Millionen Slaven bilden, um den Eindringling auf dem heiligen slavischen Boden zurückzudrängen oder zu vernichten, den Türken, den Ungarn, und vor Allem den verhaßten aber unentbehrlichen »Njemez«, den Deutschen?

So wurde in den Studirstuben einiger slavischen Dilettanten in der Geschichtswissenschaft jene lächerliche antihistorische Bewegung geboren, eine Bewegung, die auf nichts Geringeres abzielte, als die Unterjochung des zivilisirten Westens unter den barbarischen Osten, der Stadt unter das Land, des Handels, der Industrie, des Wissens unter die primitive Agrikultur slavischer Leibeigener. Aber hinter der lächerlichen Theorie stand die furchtbare Wirklichkeit des russischen Reiches, jenes Reiches, das durch jede seiner Bewegungen den Anspruch erhebt, ganz Europa als die Domäne der slavischen Rasse zu betrachten, und ganz besonders des einzigen kraftvollen Theiles dieser Rasse, der Russen; jenes Reiches, das mit zwei Hauptstädten wie Petersburg und Moskau noch nicht seinen Schwerpunkt gefunden hat, so lange die Stadt des Zaren (Konstantinopel heißt im Russischen Zarigrad, des Zaren Stadt), die jeder russische Bauer als die wahre Metropole seiner Religion und seiner Nation ansieht, nicht thatsächlich die Residenz seines Kaisers ist; jenes Reiches, das während der letzten 150 Jahre durch jeden Krieg, den es begann, nie Land verloren, sondern stets gewonnen hat. Und in Mitteleuropa sind die Intriguen sehr wohl bekannt, durch die die russische Politik das neu in die Mode gekommene System des Panslavismus gefördert, ein System, das besser als sonst irgend ein denkbares seinen Zwecken entsprach. Die böhmischen und kroatischen Panslavisten arbeiteten also im direkten Interesse Rußlands, einige absichtlich, andere ohne es zu wissen; sie verriethen die Sache der Revolution um des Schattens einer Nationalität willen, die im besten Falle das Schicksal der polnischen Nationalität unter russischer Herrschaft getheilt hätte. Man muß jedoch zur Ehre der Polen bemerken, daß sie sich niemals in nennenswerthem Maße in jenen panslavistischen Fallen verwickelten, und wenn einige ihrer Aristokraten wüthende Panslavisten wurden, so wußten sie, daß sie unter dem russischen Joch weniger zu verlieren hatten als durch eine Empörung ihrer eigenen leibeigenen Bauern.

Die Böhmen und Kroaten beriefen nun einen slavischen Kongreß nach Prag ein, der die allgemeine Verbrüderung der Slaven vorbereiten sollte. Der Kongreß wäre auch ohne das Eingreifen des österreichischen Militärs völlig mißlungen. Die verschiedenen slavischen Sprachen sind eben so verschieden von einander wie das Englische, das Deutsche und das Schwedische, und als man die Verhandlungen eröffnete, fehlte die gemeinsame slavische Sprache, durch welche die Redner sich verständlich machen konnten. Man versuchte es mit dem Französischen, aber die Majorität verstand auch das nicht, und die armen slavischen Enthusiasten, deren einziges gemeinsames Empfinden der gemeinsame Haß gegen die Deutschen war, sahen sich schließlich gezwungen, sich in der verhaßten deutschen Sprache auszudrücken, als der einzigen, die sie Alle verstanden. Gerade um dieselbe Zeit versammelte sich noch ein anderer Slavenkongreß in Prag, in der Gestalt galizischer Ulanen, kroatischer und slovakischer Grenadiere und böhmischer Kanoniere und Kürassiere; und dieser wirkliche, bewaffnete Slavenkongreß unter dem Kommando von Windischgrätz jagte in weniger als vierundzwanzig Stunden die Begründer der eingebildeten slavischen Suprematie aus der Stadt und zerstreute sie in alle Winde.

Die böhmischen, mährischen, dalmatinischen und ein Theil der polnischen Abgeordneten (die Aristokratie) im österreichischen konstituirenden Reichstag bekämpften in dieser Versammlung systematisch das deutsche Element. Die Deutschen und ein Theil der Polen (der verarmte Adel) waren in der Versammlung die Hauptvertreter des revolutionären Fortschritts. Die Masse der slavischen Abgeordneten, die ihnen opponirten, waren nicht zufrieden damit, auf diese Weise deutlich die reaktionären Tendenzen ihrer ganzen Bewegung aufzuzeigen, sondern waren charakterlos genug, mit derselben österreichischen Regierung zu intriguiren und zu konspiriren, die ihre Versammlung in Prag gesprengt hatte. Auch diese infame Handlungsweise fand ihre Belohnung; nachdem sie die Regierung während des Oktoberaufstandes 1848 unterstützt hatten, der ihnen endlich die Majorität im Reichstag sicherte, wurde dieser nun fast ausschließlich slavische Reichstag ebenso wie der Prager Kongreß von österreichischen Soldaten auseinandergetrieben und die Panslavisten mit dem Kerker bedroht, wenn sie sich wieder rühren sollten. Und sie haben nichts erreicht, als daß die slavische Nationalität nun überall durch die österreichische Zentralisation bedroht wird, ein Resultat, daß sie ihrem eigenen Fanatismus und ihrer eigenen Blindheit zu danken haben.

Hätten die Grenzen Ungarns und Deutschlands einen Zweifel gestattet, so wäre es auch da zu einer Entzweiung gekommen. Aber glücklicherweise gab es keinen solchen Vorwand, und da die Interessen beider Nationen innig miteinander verknüpft waren, kämpften sie gegen dieselben Feinde, nämlich die österreichische Regierung und den panslavistischen Fanatismus. Das gute Einvernehmen wurde keinen Augenblick getrübt. Dagegen verwickelte die italienische Revolution wenigstens einen Theil Deutschlands in einen für beide Seiten verderblichen Krieg; und wir müssen als Beweis, wie sehr es dem Metternichschen System gelungen war, die Entwicklung des politischen Verständnisses zu hemmen, die Thatsache feststellen, daß im Laufe der ersten sechs Monate des Jahres 1848 dieselben Männer, die in Wien auf die Barrikaden gestiegen, voll Enthusiasmus zu der Armee eilten, die gegen die italienischen Patrioten focht. Diese bedauerliche Ideenverwirrung dauerte indeß nicht lange.

Endlich gab es noch den Krieg mit Dänemark wegen Schleswig und Holstein. Diese Länder, unzweifelhaft deutsch ihrer Nationalität, Sprache und ihren Neigungen nach, sind für Deutschland auch zu seiner Sicherung und zur Entwicklung seines Seewesens und seines Handels nothwendig. Ihre Bewohner hatten während der letzten drei Jahre einen harten Kampf gegen das Eindringen des dänischen Elements geführt. Ueberdies sprachen die Staatsverträge für sie. Die Märzrevolution brachte sie in offenen Konflikt mit den Dänen, und Deutschland unterstützte sie. Aber während in Polen, in Italien, in Böhmen und später in Ungarn die militärischen Operationen mit größtem Nachdruck betrieben wurden, fing man in diesem, dem einzigen populären, dem einzigen wenigstens theilweise revolutionären Kriege, ein System fruchtloser Märsche und Kontremärsche an, und man gestattete auch die Einmischung der auswärtigen Diplomatie, was nach manchem heldenmüthigen Gefecht zu einem höchst kläglichen Ende führte. Die deutschen Regierungen verriethen während des Krieges die revolutionäre Armee von Schleswig-Holstein bei jeder Gelegenheit und ließen sie absichtlich von den Dänen in die Pfanne hauen, wenn sie zerstreut oder getheilt war. Die deutschen Freiwilligenkorps wurden in derselben Weise behandelt.

Und während in dieser Weise der deutsche Name auf allen Seiten nichts erntete als Haß, rieben sich die deutschen konstitutionellen und liberalen Regierungen die Hände vor Freude. Es war ihnen gelungen, die Bewegungen in Polen und Böhmen niederzuwerfen. Sie hatten überall die alten nationalen Gegensätze wieder erweckt, die bisher das Einvernehmen und gemeinsame Vorgehen des Deutschen mit dem Polen und dem Italiener verhindert hatten. Sie hatten die Bevölkerung an Szenen des Bürgerkriegs und der gewaltsamen Niederschlagung durch das Militär gewöhnt. Die preußische Armee hatte in Polen, die österreichische Armee in Prag ihr Selbstvertrauen wiedergewonnen; und während man die »patriotische Ueberkraft«, wie Heine sich ausgedrückt hat, der revolutionären aber kurzsichtigen Jugend nach Schleswig und der Lombardei dirigirte, wo sie den Kartätschen der Feinde erlag, wurde die reguläre Armee, diese wirksame Waffe sowohl für Oesterreich wie für Preußen, in Stand gesetzt, die Gunst des Publikums durch Siege über das Ausland zu erwerben. Aber wir wiederholen es: kaum hatten diese Armeen, welche von den Liberalen gekräftigt wurden, damit man sie gegen radikalere Parteien gebrauchen könne, ihr Selbstvertrauen und ihre Disziplin einigermaßen wieder gewonnen, als sie sich gegen die Liberalen selbst wendeten und die Männer des alten Systems wieder in die Macht einsetzten. Als Radetzky in seinem Lager hinter der Etsch die ersten Befehle der »verantwortlichen Minister« in Wien erhielt, rief er aus: »Wer sind diese Minister? Sie sind nicht die österreichische Regierung! Oesterreich ist jetzt nur noch in meinem Lager; ich und meine Armee, wir sind Oesterreich; und wenn wir die Italiener geschlagen haben, werden wir die Monarchie wieder für den Kaiser erobern.« Und der alte Radetzky hatte recht. Aber die schwachköpfigen »verantwortlichen« Minister in Wien achteten nicht auf ihn.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 25. März 1852.)


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