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XII.
Der Fall Wiens

 

London, März 1852.

Als endlich die konzentrirte Armee Windischgrätz' den Angriff auf Wien begann, waren die Kräfte, welche die Vertheidigung aufzubringen vermochte, gänzlich ungenügend. Von der Nationalgarde konnte nur ein Theil auf die Verschanzungen gebracht werden. Allerdings hatte man auch in aller Eile eine proletarische Garde gebildet, aber da man zu spät mit dem Versuch begonnen hatte, auf diese Weise die zahlreichste, kühnste und thatkräftigste Bevölkerungsklasse verwendbar zu machen, war sie zu wenig mit dem Gebrauch der Waffen und den ersten Anfängen der Disziplin vertraut, um erfolgreich Widerstand leisten zu können. So war die akademische Legion, drei- bis viertausend Mann stark, bis zu einem gewissen Grade gut einexerzirt und disziplinirt, tapfer und enthusiastisch, vom militärischen Standpunkt aus die einzige Truppe, die im Stande war, erfolgreich zu wirken. Aber was bedeutete sie, zusammen mit den paar verläßlichen Nationalgarden und der wirren Masse der bewaffneten Proletarier, gegenüber den weit zahlreicheren regulären Soldaten Windischgrätz', ganz abgesehen von den räuberischen Horden Jellachichs, Horden, die schon durch ihre Lebensgewohnheiten für einem Kampf von Haus zu Haus, von Gasse zu Gasse äußerst verwendbar waren! Und die Insurgenten hatten der zahlreichen und gut ausgerüsteten Artillerie, die Windischgrätz so skrupellos verwendete, nichts als einige alte, abgenützte, schlecht bespannte und schlecht bediente Kanonen entgegenzusetzen.

Je näher die Gefahr heranzog, desto größer wurde die Verwirrung in Wien. Der Reichstag konnte sich bis zum letzten Moment nicht dazu aufraffen, die ungarische Armee Perczels zu Hilfe zu rufen, die wenige Meilen unterhalb der Hauptstadt lagerte. Der Sicherheitsausschuß faßte einander widersprechende Beschlüsse, da seine Energie ebenso wie die der Massen der Volkswehr mit der wechselnden Fluth und Ebbe von Gerüchten und Gegengerüchten stieg und fiel. Nur in einem Punkte waren sie alle einig: in der Respektirung des Eigenthums; und das geschah in einem, unter solchen Umständen fast lächerlichen Maße. Zur endgiltigen Feststellung eines Vertheidigungsplans geschah sehr wenig. Bem, der einzige Mann am Orte, der Wien hätte retten können, wenn es damals überhaupt Jemand retten konnte, ein fast unbekannter Ausländer, ein Slave von Geburt, trat von dieser Aufgabe zurück, erdrückt von allgemeinem Mißtrauen. Hätte er daran festgehalten, so würde man ihn vielleicht als Verräther gelyncht haben. Messenhauser, der Kommandant der revolutionären Streitkräfte, mehr ein Romandichter als auch nur ein Subalternoffizier, war seiner Aufgabe nicht im Geringsten gewachsen; und doch hatte die Volkspartei nach acht Monaten revolutionärer Kämpfe keinen fähigeren Militär hervorgebracht oder an sich gezogen.

Unter diesen Umständen begann der Kampf. Im Verhältniß zu ihren ganz ungenügenden Vertheidigungsmitteln und zu dem völligen Mangel an militärischer Uebung und Organisation in ihren Reihen, war die Vertheidigung der Wiener eine höchst heldenmüthige. Auf vielen Punkten wurde der Befehl buchstäblich ausgeführt, den Bem noch als Kommandant ertheilt hatte, »den Posten bis zum letzten Mann zu vertheidigen«. Aber die Uebermacht war zu groß. Eine Barrikade nach der anderen wurde von der kaiserlichen Artillerie in den langen und breiten Straßen, welche die Hauptverkehrsadern der Vorstädte bilden, hinweggefegt; und am Abend des zweiten Tags der Kämpfe waren die Kroaten im Besitz der Häuserreihe am Glacis der Altstadt. Ein schwacher und ungeordneter Angriff der ungarischen Armee war völlig mißglückt; und inmitten eines Waffenstillstands, während einige Parteien in der inneren Stadt kapitulirten, andere zauderten und Verwirrung verbreiteten, während die Reste der akademischen Legion sich an neue Verschanzungen machten, drangen die Kaiserlichen in die Altstadt ein, und inmitten eines allgemeinen Durcheinanders ward diese genommen.

Die nächsten Folgen dieses Sieges, die Brutalitäten und Hinrichtungen des Standrechts, die unerhörten Grausamkeiten und Infamien, welche die auf Wien gehetzten slavischen Horden begingen, sind zu bekannt, als daß sie hier näher geschildert werden müßten. Die weiteren Folgen, die völlig neue Wendung, welche die deutschen Angelegenheiten durch die Niederlage der Wiener Revolution erfuhren, sind später zu beleuchten. Hier haben wir nur noch zwei Punkte zu betrachten, die mit der Erstürmung Wiens zusammenhängen. Die Bevölkerung dieser Hauptstadt hatte zwei Bundesgenossen – das ungarische und das deutsche Volk. Wo blieben sie in dieser Stunde der Prüfung?

Wir haben gesehen, daß die Wiener mit der ganzen Hochherzigkeit eines eben befreiten Volkes sich für eine Sache erhoben hatten, die zwar in letzter Linie auch die ihrige, zunächst aber und vor Allem die der Ungarn war. Ehe sie duldeten, daß die österreichischen Truppen gegen Ungarn marschirten, lenkten sie lieber deren ersten und fürchterlichsten Anprall gegen sich selbst. Und während sie in so edelmüthiger Weise sich beeiferten, ihre Bundesgenossen zu unterstützen, trieben die Ungarn Jellachich, gegen den sie erfolgreich gefochten, gegen Wien, und verstärkten also durch ihren Sieg die Macht, welche diese Stadt anzugreifen vorhatte. Unter diesen Umständen war es die offenbare Pflicht Ungarns, ohne Zögern und mit allen verfügbaren Kräften – nicht dem Wiener Reichstag, nicht dem Sicherheitsausschuß oder sonst einer leitenden Körperschaft in Wien, sondern der Wiener Revolution Sukkurs zu leisten. Und selbst wenn Ungarn vergessen konnte, daß Wien die erste Schlacht Ungarns geschlagen, durfte es seiner eigenen Sicherheit wegen nicht vergessen, daß Wien der einzige Vorposten der ungarischen Unabhängigkeit war, und daß nach dem Falle Wiens nichts mehr den Vormarsch der kaiserlichen Truppen gegen Ungarn selbst hindern konnte. Nun sind uns alle die Momente sehr wohl bekannt, die die Ungarn zur Vertheidigung ihrer Unthätigkeit während der Einschließung und Erstürmung Wiens vorbringen konnten und vorgebracht haben: der ungenügende Zustand ihrer eigenen Streitkräfte, die Weigerung des Reichstags und jeder anderen offiziellen Körperschaft Wiens, sie herbeizurufen, die Nothwendigkeit, auf dem Boden der Verfassung zu bleiben und Komplikationen mit der deutschen Zentralgewalt zu vermeiden. Aber was den ungenügenden Zustand der ungarischen Armee anbelangt, so ist es Thatsache, daß man in den ersten Tagen nach dem Ausbruch der Revolution in Wien und der Ankunft Jellachichs auch ohne reguläre Truppen auskommen konnte, da die österreichischen Linientruppen noch lange nicht konzentrirt waren, und daß eine muthige und unablässige Verfolgung der ersten Vortheile über Jellachich, selbst blos mit dem Landsturm, der bei Stuhlweißenburg gefochten, genügt hätte, eine Verbindung mit den Wienern herzustellen und jede Konzentrirung der österreichischen Armee um sechs Monate hinauszuschieben. Im Krieg, und besonders in der revolutionären Kriegführung, ist Schnelligkeit des Handelns, bis ein entscheidender Erfolg errungen, die erste Regel; wir dürfen das unbedenklich auf rein militärische Erwägungen hin behaupten. Perczel durfte nicht Halt machen, ehe er die Vereinigung mit den Wienern vollzogen. Wohl war einige Gefahr damit verbunden, aber wer hat je eine Schlacht gewonnen, ohne etwas dabei zu wagen? Und wagte die Bevölkerung Wiens nichts, wenn sie, viermalhunderttausend Köpfe stark, die Streitkräfte gegen sich lenkte, die bestimmt waren, zur Niederwerfung der zwölf Millionen Ungarn auszumarschiren? Der militärische Fehler, dadurch begangen, daß man wartete, bis die Oesterreicher vereinigt waren, und dann die schwächliche Demonstration bei Schwechat machte, die endete, wie sie zu enden verdiente, in einer unrühmlichen Niederlage – dieser militärische Fehler schloß sicherlich mehr Gefahren in sich, als ein kühner Marsch auf Wien gegen die aufgelösten Briganten Jellachichs.

Aber, hat man gesagt, ein derartiger Vorstoß der Ungarn, wenn nicht von einer offiziellen Körperschaft gebilligt, wäre eine Verletzung deutschen Gebiets gewesen, hätte eine Verwicklung mit der Zentralgewalt in Frankfurt nach sich gezogen und hätte vor Allem die Aufgebung der gesetzlichen und konstitutionellen Politik bedeutet, welche die Stärke der ungarischen Sache bildete. Aber die offiziellen Körperschaften in Wien waren bloße Nullen! War es der Reichstag, waren es die verschiedenen demokratischen Ausschüsse, die sich für Ungarn erhoben hatten, oder war es das Volk in Wien, und es allein, das zum Gewehr gegriffen, um die erste Schlacht um Ungarns Unabhängigkeit zu kämpfen? Es war nicht diese oder jene offizielle Körperschaft Wiens, für die es einzutreten galt; alle diese Körperschaften konnten und mußten im Fortgang der revolutionären Entwicklung umgestoßen werden; es war vielmehr die Herrschaft der Revolution selbst, die ununterbrochene Entwicklung der Volksbewegung, um die allein es sich handelte, und die allein Ungarn vor der Invasion bewahren konnte. Welche Formen diese revolutionäre Bewegung in der Folge annehmen mochte, das war Sache der Wiener und nicht der Ungarn, so lange Wien und Deutschösterreich im Ganzen fortfuhren, deren Verbündete gegen den gemeinsamen Feind zu sein. Aber es fragt sich, ob wir in diesem hartnäckigen Bestehen der ungarischen Regierung auf eine gewissermaßen gesetzliche Autorisation nicht das erste deutliche Symptom jenes Systems zu erblicken haben, sich hinter eine ziemlich zweifelhafte Gesetzlichkeit zu verschanzen, das zwar Ungarn nicht rettete, aber wenigstens in einer späteren Zeit vor einem englischen Bourgeoispublikum seinen gehörigen Effekt machte.

Gänzlich hinfällig ist der Hinweis auf mögliche Konflikte mit der Frankfurter Zentralgewalt. Die Frankfurter Machthaber wurden durch den Sieg der Kontrerevolution in Wien thatsächlich gestürzt; sie wären ebenso gestürzt worden, wenn die Revolution in Wien die nöthige Unterstützung gefunden hätte, ihre Gegner zu besiegen. Und das gewichtige Argument endlich, daß Ungarn den gesetzlichen und konstitutionellen Boden nicht verlassen durfte, mag britischen Freihändlern imponiren, wird aber niemals in den Augen der Geschichte als hinreichend gelten. Man nehme an, die Wiener hätten sich am 13. März und 6. Oktober ängstlich an die »gesetzlichen und konstitutionellen Mittel« gehalten, was wäre dann aus der »gesetzlichen und konstitutionellen« Bewegung und allen den glorreichen Schlachten geworden, die Ungarn zum erstenmale in den Gesichtskreis der zivilisirten Welt brachten? Gerade der gesetzliche und konstitutionelle Boden, auf dem sich die Ungarn nach ihrer Behauptung 1848 und 1849 bewegten, war für sie durch die höchst ungesetzliche und unkonstitutionelle Erhebung der Wiener Bevölkerung am 13. März erobert worden. Es gehört hier nicht zu unserer Aufgabe, die Geschichte der ungarischen Revolution zu erörtern, aber es erscheint uns angebracht zu bemerken, daß es völlig nutzlos ist, ausdrücklich nur gesetzliche Mittel des Widerstands gegen einen Feind zu gebrauchen, der solche Bedenken verachtet, und daß ohne dieses ewige Hervorkehren der Gesetzlichkeit, das Görgey sich zu Nutze gemacht und gegen die Regierung ausgespielt hat, die Ergebenheit der Armee Görgeys an ihren Führer und die schmähliche Katastrophe von Vilagos unmöglich gewesen wäre. Und als schließlich die Ungarn, um ihre Ehre zu retten, gegen das Ende des Oktober 1848 die Leitha überschritten, war das nicht ebenso ungesetzlich wie es ein unmittelbarer und entschlossener Angriff gewesen wäre?

Man weiß, daß wir keine unfreundlichen Gefühle gegen Ungarn hegen. Wir standen während seiner Kämpfe auf seiner Seite; und wir dürfen wohl sagen, daß unsere Zeitung, die »Neue Rheinische Zeitung«, mehr als jede andere dazu beigetragen hat, die ungarische Sache in Deutschland populär zu machen, dadurch daß sie die Natur des Kampfes zwischen den Magyaren und Slaven erklärte und den ungarischen Krieg in einer Reihe von Artikeln verfolgte, denen die Anerkennung zu Theil wurde, in fast jedem späteren Buche über den Gegenstand plagiirt zu werden, die Schriften von geborenen Ungarn und »Augenzeugen« nicht ausgenommen. Auch jetzt noch betrachten wir Ungarn als den natürlichen und nothwendigen Bundesgenossen Deutschlands während jeder zukünftigen kontinentalen Umwälzung. Aber wir waren streng genug gegen unsere eigenen Landsleute, um ein Recht zu haben, unsere Meinung über unsere Nachbarn frei herauszusagen. Außerdem haben wir hier die Thatsachen mit der Unparteilichkeit des Historikers zu verzeichnen, und so wir müssen erklären, daß in diesem besonderen Falle die hochherzige Kühnheit der Bevölkerung Wiens nicht nur viel erhabener, sondern auch viel weitschauender war als die behutsame Vorsicht der ungarischen Regierung. Und es möge uns als Deutschen noch weiter gestattet sein zu erklären, daß wir alle die prunkenden Siege und glorreichen Schlachten des ungarischen Feldzugs nicht gegen die spontane, isolirte Erhebung und den heroischen Widerstand der Wiener, unserer Landsleute, eintauschen möchten, wodurch Ungarn die Zeit gewann, jene Armee zu organisiren, die so große Dinge verrichten konnte.

Der zweite Bundesgenosse Wiens war das deutsche Volk. Aber dies fand sich überall in denselben Kampf verwickelt wie die Wiener. Frankfurt, Baden, Köln waren eben niedergeworfen und entwaffnet worden. In Berlin und Breslau standen sich Volk und Heer auf das Erbittertste gegenüber, und täglich erwartete man einen Ausbruch der Feindseligkeiten. So stand es in jedem lokalen Zentrum der Bewegung. Ueberall waren Fragen in der Schwebe, die nur durch die Gewalt der Waffen entschieden werden konnten; und nun fühlte man zum ersten Male aufs Schwerste die verderblichen Folgen des Fortbestehens der alten Zerrissenheit und Dezentralisation Deutschlands. Die verschiedenen Fragen waren in jedem Staat, jeder Provinz, jeder Stadt, im Grunde dieselben; aber sie tauchten überall unter anderen Formen und Vorwänden auf und hatten in den verschiedenen Gegenden verschiedene Grade der Reife erreicht. So kam es, daß man zwar überall fühlte, welch entscheidende Bedeutung den Ereignissen zu Wien innewohnte, aber daß es doch nirgends möglich war, einen Schlag von Bedeutung zu führen, von dem man erwarten konnte, er werde den Wienern Hilfe bringen, oder eine Diversion zu ihren Gunsten zu machen; zu ihrem Beistand blieben nur noch die Nationalversammlung und die Zentralgewalt von Frankfurt übrig. Von allen Seiten wurden sie angerufen; aber was thaten sie?

Das Frankfurter Parlament und der Bastard, den es als Folge seines blutschänderischen Verkehrs mit dem alten Bundestage in die Welt gesetzt, die sogenannte Zentralgewalt, benutzten die Wiener Bewegung, um ihre eigene völlige Nichtigkeit an den Tag zu legen. Diese verächtliche Versammlung hatte, wie wir gesehen, schon längst ihre Jungfräulichkeit geopfert, und so jung sie war, fing sie bereits an, grauhaarig und in allen Künsten geschwätziger und pseudostaatsmännischer Prostitution erfahren zu werden. Von den Träumen und Illusionen von Macht, von der Wiedergeburt und der Einheit Deutschlands, die sie bei ihrem Beginne erfüllt, blieb nichts als eine Anzahl klingender teutscher Redensarten, die bei jeder Gelegenheit wiederholt wurden, und der feste Glaube jedes einzelnen Abgeordneten an seine eigene Wichtigkeit und an die Leichtgläubigkeit des Publikums. Die ursprüngliche Naivität war verflogen; die Vertreter des deutschen Volkes waren praktische Männer geworden, das heißt, sie waren zur Ueberzeugung gekommen, ihre Stellung als Schiedsrichter über das Schicksal Deutschlands sei um so sicherer, je weniger sie thäten und je mehr sie schwätzten. Nicht etwa, daß sie ihre Verhandlungen für überflüssig hielten; ganz im Gegentheil. Aber sie hatten herausgefunden, daß alle wahrhaft großen Fragen für sie ein verbotenes Gebiet seien, von dem sie sich am besten fern hielten, und gleich einem Konzilium byzantinischer Doktoren des oströmischen Kaiserreichs diskutirten sie daher mit einer Wichtigthuerei und einer Emsigkeit, würdig des Schicksals, das sie schließlich erreichte, theoretische Dogmen, die schon seit Langem in jedem Theil der zivilisirten Welt erledigt waren, oder mikroskopische praktische Fragen, die niemals zu einem praktischen Ergebniß führten. Da die Versammlung also eine Art Lancaster-Schule war, in der die Abgeordneten sich gegenseitig unterrichteten, und da sie demnach für diese die größte Bedeutung hatte, so war sie überzeugt, sie leiste mehr als das deutsche Volk zu erwarten ein Recht habe, und sie betrachtete Jeden als einen Verräther, der die Unverschämtheit besaß, zu verlangen, sie solle zu einem Resultat gelangen.

Als die Erhebung in Wien ausbrach, gab es eine Anzahl von Interpellationen, Debatten, Anträgen und Gegenanträgen in der Nationalversammlung, die natürlich zu nichts führten. Die Zentralgewalt sollte einschreiten. Sie sandte zwei Kommissäre nach Wien, den Exliberalen Welcker und Mosle. Die Fahrten Don Quixotes und Sancho Pansas sind ein Stoff für eine Odyssee im Vergleich mit den Heldenthaten und wunderbaren Abenteuern dieser zwei irrenden Ritter der deutschen Einheit. Da sie es nicht wagten, nach Wien zu gehen, wurden sie von Windischgrätz angeschnauzt, vom idiotischen Kaiser angestaunt und vom Minister Stadion aufs Unverschämteste gefoppt. Ihre Depeschen und Berichte sind vielleicht der einzige Theil der Frankfurter Protokolle, der einen Platz in der deutschen Literatur behaupten wird; sie sind ein fertiger satirischer Roman und ein ewiges Monument der Schande für die Frankfurter Nationalversammlung und ihre Regierung.

Die Linke der Nationalversammlung hatte ebenfalls zwei Kommissäre nach Wien geschickt, die ihre Autorität dort geltend machen sollten, Fröbel und Robert Blum. Als die Gefahr heranrückte, erkannte Blum richtig, daß hier die Entscheidungsschlacht der deutschen Revolution zum Austrag kommen werde, und entschloß sich ohne Zaudern, seinen Kopf einzusetzen. Fröbel war dagegen der Ansicht, es sei seine Pflicht, sich für die wichtigen Aufgaben seiner Stellung in Frankfurt zu erhalten. Blum galt für einen der beredtesten Männer der Frankfurter Versammlung: er war sicher ihr populärstes Mitglied. Seine Beredtsamkeit wäre den Anforderungen eines erfahrenen Parlaments nicht gewachsen gewesen; er liebte zu sehr die seichten Deklamationen eines deutschen Freidenkerpredigers, und seinen Argumenten fehlte sowohl philosophische Schärfe wie die Vertrautheit mit den Thatsachen der Wirklichkeit. Als Politiker gehörte er der »modernen Demokratie« an, einer ziemlich unbestimmten, aber gerade wegen dieses Mangels an Bestimmtheit ihrer Grundsätze sehr beliebten Richtung. Bei alledem war jedoch Robert Blum von Natur aus durch und durch ein, wenn auch etwas abgeschliffener Plebejer, und in entscheidenden Momenten überwanden sein plebejischer Instinkt und seine plebejische Energie die Unbestimmtheit und daher Unentschiedenheit seiner politischen Ueberzeugung und Einsicht. In solchen Momenten erhob er sich weit über das gewöhnliche Niveau seiner Fähigkeiten.

So sah er in Wien mit einem Blick, daß dort, nicht in den elegant sein sollenden Debatten von Frankfurt das Schicksal seines Landes zur Entscheidung kommen müsse. Er faßte sofort seinen Entschluß, gab jeden Gedanken an Rückzug auf, übernahm ein Kommando in der Revolutionsarmee und benahm sich mit außerordentlicher Kaltblütigkeit und Festigkeit. Er war es, der die Eroberung der Stadt um eine erhebliche Zeit hinausschob und eine ihrer Seiten gegen einen Angriff sicherstellte, indem er die Taborbrücke über die Donau verbrannte. Allgemein bekannt ist es, daß er nach der Eroberung Wiens gefangen genommen, vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen wurde. Er starb wie ein Held. Die Frankfurter Versammlung aber nahm trotz ihres Entsetzens diesen blutigen Schimpf mit äußerlich guter Miene auf. Eine Resolution wurde gefaßt, die durch die Milde und diplomatische Glätte ihrer Sprache eher eine Beschimpfung des Grabes des ermordeten Märtyrers bedeutete, als ein verdammendes Urtheil über Oesterreich. Aber man durfte auch nicht erwarten, diese verächtliche Versammlung werde durch die Ermordung eines ihrer Mitglieder, namentlich eines der Führer der Linken, aus ihrer Ruhe gebracht werden.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 9. April 1852.)


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