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IV.
Oesterreich

 

London, September 1851.

Wir haben nun Oesterreich zu betrachten, jenes Land, das bis zum März 1848 den Augen des Auslands fast ebenso fest verschlossen war wie China vor dem letzten Krieg mit England.

Natürlich können wir hier nur Deutschösterreich in Betracht ziehen. Die Angelegenheiten der polnischen, ungarischen, italienischen Oesterreicher gehören nicht zu unserem Thema, und soweit sie seit 1848 die Schicksale der Deutschösterreicher beeinflußt haben, werden sie später in Betracht kommen.

Die Regierung des Fürsten Metternich drehte sich um zwei Angelpunkte: erstens suchte sie jede einzelne der verschiedenen Nationen, die der österreichischen Herrschaft unterworfen waren, durch alle anderen Nationen in Schach zu halten, die sich in der gleichen Lage befanden. Zweitens, und das war stets das Hauptprinzip absoluter Monarchien, stützte sie sich auf zwei Klassen, die feudalen Großgrundbesitzer und die hohe Finanz; und sie versuchte dem Einfluß und der Macht jeder dieser Klassen durch die der anderen die Wage zu halten, so daß die Regierung volle Freiheit des Handelns behielt. Der grundbesitzende Adel, dessen ganzes Einkommen aus feudalen Revenuen aller Arten bestand, mußte eine Regierung unterstützen, die seinen einzigen Schutz gegen jene niedergetretenen Sklaven bildete, von deren Ausbeutung er lebte. Wenn einmal der weniger begüterte Theil dieses Adels sich zu einer Opposition gegen die Regierung aufraffte, wie 1846 in Galizien, ließ Metternich eben diese Sklaven gegen ihn los, die um jeden Preis die Gelegenheit benützten, furchtbare Rache an ihren nächsten Unterdrückern zu nehmen.

Auf der anderen Seite waren die großen Kapitalisten der Börse an die Metternichsche Regierung durch die großen Summen gefesselt, die der Staat von ihnen geborgt. Oesterreich, das 1815 seine volle Macht wiedererlangt hatte, das die absolute Monarchie in Italien seit 1820 wiederhergestellt hatte und aufrechthielt, das durch den Bankerott von 1810 eines Theiles seiner Verpflichtungen entledigt war, hatte nach dem Wiener Frieden seinen Kredit auf den großen europäischen Geldmärkten bald wiedergewonnen, und in dem Maße, als sein Kredit stieg, von ihm Gebrauch gemacht. Daher hatten alle die großen Geldmänner Europas erhebliche Theile ihres Kapitals in den österreichischen Staatspapieren angelegt; sie alle waren an der Erhaltung des Kredits dieses Landes interessirt, und da die Erhaltung des österreichischen Kredits immer wieder neue Anleihen erforderte, waren sie von Zeit zu Zeit gezwungen, neue Kapitalien vorzuschießen, um den Kredit jener Schuldverschreibungen aufrecht zu erhalten, für die sie bereits Geld vorgestreckt hatten. Der lange Friede nach 1815 und die anscheinende Unmöglichkeit, ein tausendjähriges Reich, wie Oesterreich, umzustürzen, vermehrte den Kredit der Metternichschen Regierung in erstaunlichem Maße und machte sie sogar unabhängig von den Wiener Bankiers und Börsenspekulanten; denn so lange Metternich genug Geld in Frankfurt und Amsterdam erhalten konnte, hatte er natürlich die Genugthuung, die österreichischen Kapitalisten zu seinen Füßen zu sehen. Sie waren überdies auch in jeder anderen Beziehung völlig in seiner Gewalt. Die großen Profite, die Bankiers, Spekulanten und Staatslieferanten stets aus einer absoluten Monarchie zu ziehen verstehen, wurden wett gemacht durch die fast unumschränkte Macht, welche die Regierung über ihre Personen und Vermögen besaß; nicht der geringste Schatten einer Opposition war daher von dieser Seite zu erwarten. Metternich konnte also mit Sicherheit auf die Unterstützung der zwei mächtigsten und einflußreichsten Klassen des Reiches rechnen, und er verfügte außerdem über eine Armee und eine Bureaukratie, die nicht besser für die Zwecke des Absolutismus eingerichtet sein konnten. Die Offiziere und Zivilbeamten im österreichischen Dienst bilden eine besondere Rasse; ihre Väter haben dem Kaiser gedient und ihre Söhne werden desgleichen thun; sie gehören zu keiner der mannigfaltigen Nationen, die unter den Flügeln des Doppeladlers vereinigt sind; sie werden, und wurden auch früher stets, von einem Ende des Reiches an das andere versetzt, von Polen nach Italien, von Deutschland nach Transsylvanien; der Ungar, Pole, Deutsche, Rumäne, Italiener, Kroate, jedes Individuum, das nicht den Stempel eines »kaiserlich-königlichen« Amtes trägt, das einen besonderen nationalen Charakter aufweist, wird von ihnen gleichmäßig verachtet; sie haben keine Nationalität oder vielmehr, sie allein bilden die wirkliche österreichische Nation. Es ist klar, welch schmiegsames und gleichzeitig kraftvolles Werkzeug eine derartige zivile und militärische Hierarchie in den Händen eines intelligenten und energischen Staatsleiters abgeben mußte.

Was die anderen Klassen der Bevölkerung anbelangt, so kümmerte sich Metternich, ganz in dem Geiste eines Staatsmanns des ancien régime, wenig um ihre Zustimmung. Ihnen gegenüber kannte er nur eine Politik: ihnen in der Form von Steuern soviel als möglich abzuzapfen und sie gleichzeitig ruhig zu erhalten. Die industrielle und kommerzielle Bourgeoisie entwickelte sich nur langsam in Oesterreich. Der Donauhandel war verhältnißmäßig unbedeutend; das Reich besaß nur einen Seehafen, Triest, und dessen Handel war sehr beschränkt. Die Industriellen erfreuten sich eines ausgiebigen Schutzes, der in den meisten Fällen bis zum völligen Ausschluß jeder auswärtigen Konkurrenz ging; aber dieser Vortheil war ihnen hauptsächlich mit Rücksicht auf die Vermehrung ihrer Steuerkraft gewährt worden und wurde in hohem Maße wett gemacht durch innere Beschränkungen der Industrie, Privilegien von Zünften und anderen feudalen Korporationen, die ängstlich aufrecht erhalten wurden, so lange sie nicht mit den Zwecken und Absichten der Regierung in Konflikt geriethen. Der Kleingewerbtreibende wurde in die engen Schranken dieser mittelalterlichen Zünfte eingepfercht, die einen ununterbrochenen Krieg der einzelnen Gewerbe untereinander um ihre Privilegien im Gange hielten und zugleich den Mitgliedern dieser Zwangsvereinigungen eine Art erblicher Stabilität verliehen, indem sie die Mitglieder der arbeitenden Klassen so gut wie gänzlich von der Möglichkeit ausschlossen, auf der gesellschaftlichen Stufenleiter emporzusteigen. Der Bauer und der Arbeiter endlich wurden blos als steuerbares Material behandelt und man kümmerte sich um sie nur insoweit, daß man sie so viel als möglich in denselben Lebensbedingungen erhielt, unter denen sie gerade existirten und ihre Väter vor ihnen existirt hatten.

Zu diesem Zwecke wurde jede alte, festgesetzte, angestammte Autorität in derselben Weise wie die des Staates aufrecht erhalten; die Autorität des Gutsherrn über den bäuerlichen Gutsunterthanen, die des Fabrikanten über den Fabrikarbeiter, die des Handwerksmeisters über den Gesellen und Lehrjungen, die des Vaters über den Sohn wurde überall streng von der Regierung gewahrt, und jede Art des Ungehorsams von ihr als eine Uebertretung des Gesetzes mit dem Universalwerkzeug der österreichischen Justiz bestraft – dem Stock.

Um endlich das System dieser Bestrebungen zur Erzeugung einer künstlichen Stabilität zu vervollständigen, wurde die geistige Nahrung, die dem Volke gestattet ward, mit der peinlichsten Sorgfalt ausgewählt und so spärlich als möglich zugetheilt. Die Erziehung lag überall in den Händen der katholischen Geistlichkeit, deren Häupter ebenso wie die großen feudalen Grundbesitzer an der Erhaltung des bestehenden Systems aufs Stärkste interessirt waren. Die Universitäten waren in einer Weise organisirt, daß sie nur bloße Spezialisten hervorzubringen vermochten, von denen man im besten Falle in einzelnen besonderen Wissenszweigen Fortschritte erwarten durfte; nie aber konnten sie jene allgemeine freie Bildung verleihen, deren Verbreitung man von anderen Universitäten erwartet. Es gab absolut keine Zeitungspresse, außer in Ungarn, und die ungarischen Blätter waren in allen anderen Theilen der Monarchie verboten. Das Gebiet der allgemeinen Literatur hatte sich seit einem Jahrhundert nicht erweitert; es war nach dem Tode Josefs II. wieder verengt worden. Und überall an der Grenze, wo immer die österreichischen Staaten an ein zivilisirtes Land grenzten, war eine Kette von Zensoren in Verbindung mit der Kette von Zollbeamten aufgestellt, die es verhinderten, daß irgend ein Buch oder ein Blatt aus dem Ausland nach Oesterreich kam, ehe sein Inhalt zwei oder dreimal gründlich durchforscht und völlig frei auch von der leisesten Befleckung durch den bösartigen Geist der Zeit erfunden ward.

Ungefähr dreißig Jahre lang, von 1815 an, wirkte dies System mit überraschendem Erfolg. Oesterreich blieb für Europa fast unbekannt, und ebensowenig war Europa in Oesterreich bekannt. Der gesellschaftliche Zustand jeder Klasse der Bevölkerung und des Volkes in seiner Gesammtheit schien nicht die mindeste Aenderung erfahren zu haben. Wie viel Feindseligkeit auch zwischen den einzelnen Klassen vorhanden sein mochte – und das Bestehen dieser Feindseligkeit war für Metternich eine Hauptbedingung des Regierens, die er sogar förderte, indem er die höheren Klassen zu den Werkzeugen jeder bedrückenden Forderung der Regierung machte und sie mit dem Odium derselben belud –, und wie sehr das Volk die unteren Staatsbeamten hassen mochte, im Allgemeinen gab es nur wenig oder gar keine Unzufriedenheit mit der Zentralregierung. Der Kaiser wurde angebetet, und die Thatsachen schienen dem alten Franz I. recht zu geben, wenn er behaglich meinte, als ihm Zweifel über die Dauerhaftigkeit dieses Systems aufstiegen: »Immerhin, mich und den Metternich halt's noch aus.«

Und doch gab's eine langsame, verborgene Bewegung, die alle Bemühungen Metternichs zunichte machte. Der Reichthum und Einfluß der industriellen und handeltreibenden Bourgeoisie wuchs. Die Einführung des Maschinenwesens und der Dampfkraft in die Industrie wälzte in Oesterreich, wie überall, die alten Verhältnisse und Lebensbedingungen ganzer Klassen der Gesellschaft um; sie verwandelte Hörige in freie Männer, Kleinbauern in Fabrikarbeiter; sie untergrub die alten feudalen Handwerkerkorporationen und raubte vielen derselben die Möglichkeit des Fortbestehens. Die neue kommerzielle und industrielle Bevölkerung kam allenthalben in Kollision mit den alten feudalen Einrichtungen. Die Bourgeoisie, die durch ihre Geschäfte immer mehr veranlaßt wurde, ins Ausland zu reisen, importirte einige sagenhafte Kenntnisse von den zivilisirten Ländern, die jenseits der kaiserlichen Zollschranken lagen; und schließlich beschleunigte die Einführung der Eisenbahnen sowohl die industrielle wie die geistige Bewegung.

Und dann gab es einen gefährlichen Bestandtheil in dem österreichischen Staatsgefüge, die ungarische feudale Konstitution mit ihren parlamentarischen Verhandlungen und ihren Kämpfen der verarmten und oppositionellen Masse des Adels gegen die Regierung und deren Verbündete, die Magnaten. Preßburg, der Sitz des Reichstags, lag geradezu vor den Thoren Wiens.

Alle diese Elemente trugen dazu bei, unter der Bourgeoisie der Städte einen Geist nicht gerade der Opposition, denn eine Opposition war noch unmöglich, aber der Unzufriedenheit zu erzeugen, einen allgemeinen Wunsch nach Reformen mehr administrativer als konstitutioneller Art. Und ebenso wie in Preußen schloß sich ein Theil der Bureaukratie der Bourgeoisie an. Unter dieser erblichen Beamtenkaste waren die Traditionen Josefs II. nicht vergessen; die höher gebildeten Regierungsbeamten, die sich selbst zuweilen mit erträumten möglichen Reformen befaßten, zogen den fortschrittlichen aufgeklärten Despotismus dieses Kaisers dem »väterlichen« Despotismus Metternichs weit vor. Ein Theil des ärmeren Adels stellte sich ebenfalls auf die Seite der Bourgeoisie, und die unteren Klassen der Bevölkerung, die stets Grund genug zur Unzufriedenheit mit den höheren Klassen, wenn nicht mit der Regierung, hatten, konnten in den meisten Fällen nicht umhin, sich den reformatorischen Wünschen der Bourgeoisie anzuschließen.

Ungefähr um diese Zeit, 1843 oder 1844, wurde in Deutschland ein besonderer Zweig der Literatur begründet, der diesem Wechsel entsprach. Einige österreichische Schriftsteller, Novellisten, Literaturkritiker, schlechte Poeten, sämmtlich von sehr mäßigen Fähigkeiten, aber mit jener besonderen Betriebsamkeit begabt, die der jüdischen Rasse eigen ist, ließen sich in Leipzig und anderen deutschen Städten außerhalb Oesterreichs nieder und veröffentlichten hier, außerhalb des Bereichs Metternichs, eine Anzahl von Büchern und Broschüren über österreichische Angelegenheiten. Sie und ihre Verleger machten ein Heidengeschäft damit. Ganz Deutschland war begierig, in die Geheimnisse der Politik des europäischen China eingeweiht zu werden; und noch neugieriger waren die Oesterreicher selbst, welche diese Publikationen durch den ausgedehnten Schmuggel an der böhmischen Grenze erhielten. Natürlich waren die Geheimnisse, die in diesen Veröffentlichungen verrathen wurden, von keiner besonderen Bedeutung, und die Reformpläne, die ihre wohlwollenden Verfasser ausheckten, trugen den Stempel einer Unschuld, die an politische Jungfräulichkeit grenzte. Eine Verfassung und Preßfreiheit galten als unerreichbar für Oesterreich; administrative Reformen, die Ausdehnung der Rechte der Provinziallandtage, Zulassung von Büchern und Zeitungen aus dem Ausland und eine Milderung der Zensur – weiter gingen die loyalen und unterthänigen Wünsche dieser guten Oesterreicher kaum.

Die zunehmende Unmöglichkeit, den literarischen Verkehr Oesterreichs mit dem übrigen Deutschland und durch Deutschland mit der übrigen Welt zu verhindern, trug jedenfalls viel zur Bildung einer regierungsfeindlichen öffentlichen Meinung bei und machte endlich einem Theil der Bevölkerung Oesterreichs etwas politisches Wissen zugänglich. Daher wurde zu Ende des Jahres 1847 auch Oesterreich, allerdings in geringerem Grade, von jener politischen und politisch-religiösen Agitation erfaßt, die damals in ganz Deutschland herrschte; und wenn ihr Fortschreiten in Oesterreich auch geräuschloser vor sich ging, so fand sie doch genug revolutionäre Elemente vor, auf die sie wirken konnte. Da war der Bauer, Höriger oder feudaler Gutsunterthan, in den Staub getreten durch die drückenden Lasten der Grundherrschaft oder der Regierung; dann der Fabrikarbeiter, den der Polizeistock zwang, unter jeder Bedingung zu arbeiten, die dem Fabrikanten beliebte; dann der Handwerksgeselle, dem die Zunftgesetze jede Aussicht versperrten, in seinem Gewerbe einmal selbständig zu werden; der Kaufmann, der bei jedem Schritte in seinem Geschäft über absurde Vorschriften stolperte; der Fabrikant, in stetem Konflikt mit Handwerkerzünften, die eifersüchtig über ihren Privilegien wachten, und mit gierigen und zudringlichen Beamten, die überall ihre Nase hineinsteckten; endlich der Lehrer, der Gelehrte, der höher gebildete Beamte, die vergeblich gegen eine unwissende und anmaßende Geistlichkeit oder einen stupiden und herrischen Vorgesetzten ankämpften. Kurz, es gab keine Klasse, die zufrieden gewesen wäre, denn die kleinen Konzessionen, welche die Regierung hin und wieder gewähren mußte, erfolgten nicht auf ihre eigenen Kosten, da der Staatsschatz das nicht leisten konnte, sondern auf Kosten des hohen Adels und Klerus; und was die großen Bankiers und Staatsgläubiger anbelangt, so waren die jüngsten Ereignisse in Italien, die wachsende Opposition des ungarischen Reichstags und der ungewohnte Geist der Unzufriedenheit und des Rufens nach Reformen, der sich im ganzen Reiche kundgab, nicht dazu angethan, ihr Zutrauen in die Festigkeit und Zahlungsfähigkeit der österreichischen Monarchie zu verstärken.

So schritt auch Oesterreich langsam aber sicher einer gewaltigen Aenderung entgegen, als plötzlich in Frankreich ein Ereigniß eintrat, das sofort den drohenden Sturm entfesselte und die Versicherung des alten Franz Lügen strafte, das Gebäude werde ihn und Metternich noch aushalten.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 7. November 1851.)


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