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XIII.
Der Ausgang der konstituirenden Versammlung in Berlin

 

London, März 1852.

Am 1. November fiel Wien und am 9. desselben Monats zeigte die Auflösung der konstituirenden Versammlung in Berlin, wie sehr dies Ereigniß sofort den Muth und die Kraft der kontrerevolutionären Partei in ganz Deutschland gehoben hatte.

Die Ereignisse des Sommers 1848 in Preußen sind bald erzählt. Die konstituirende Versammlung, oder vielmehr die »Versammlung, zu dem Zwecke erwählt, eine Verfassung mit der Krone zu vereinbaren«, und ihre Majorität von Vertretern der Bourgeoisinteressen hatte sich längst dadurch um alle öffentliche Achtung gebracht, daß sie sich aus Furcht vor den energischeren Elementen der Bevölkerung zu allen Intriguen der Krone hergab. Sie hatte die verhaßten Privilegien des Feudalismus bestätigt oder vielmehr wiederhergestellt und so die Freiheit und die Interessen der Bauernschaft verrathen. Sie war weder im Stande gewesen, eine Verfassung zu entwerfen, noch auch die allgemeinen Gesetze in irgend einer Weise zu verbessern. Sie hatte sich fast ausschließlich mit feinen theoretischen Unterscheidungen beschäftigt, bloßen Formalitäten und Fragen konstitutioneller Etiquette. Die Kammer war tatsächlich mehr eine Schule parlamentarischer Lebensart für ihre Mitglieder als eine Körperschaft, an der das Volk ein Interesse nehmen konnte. Die beiden Seiten des Hauses waren überdies ziemlich gleich stark und die Entscheidung lag fast stets bei den wankelmüthigen Zentren, deren Schwankungen von rechts nach links und umgekehrt, zuerst das Ministerium Camphausen, dann das Ministerium Auerswald-Hansemann stürzten. Aber während derart die Liberalen hier wie überall die Gelegenheit ungenutzt vorübergehen ließen, organisirte der Hof die Elemente seiner Kraft unter dem Adel und dem zurückgebliebensten Theil der Landbevölkerung, sowie in der Armee und der Bureaukratie. Nach dem Sturze Hansemanns wurde ein Ministerium von Bureaukraten und Offizieren gebildet, alles eingefleischte Reaktionäre, das jedoch anscheinend sich den Forderungen des Parlaments fügte; und die Versammlung, die sich an den bequemen Grundsatz hielt, »nur die Maßregeln und nicht die Leute« anzusehen, ließ sich thatsächlich so sehr übertölpeln, daß sie dieses Ministerium mit Beifall begrüßte, während sie natürlich kein Auge für die Konzentration und Organisation der kontrerevolutionären Streitkräfte hatte, die dasselbe Ministerium recht offen betrieb. Endlich, nachdem der Fall Wiens das Signal gegeben, entließ der König seine Minister und ersetzte sie durch »Männer der That« unter der Führung des jetzigen Ministerpräsidenten Manteuffel. Da erwachte die träumende Versammlung mit einem Male zur Erkenntniß der Gefahr; sie sprach dem Kabinet ihr Mißtrauen aus, was sofort durch einen Erlaß beantwortet wurde, der den Sitz der Kammer von Berlin, wo sie im Falle eines Konflikts auf die Unterstützung der Massen zählen konnte, nach Brandenburg verlegte, einer kleinen Provinzialstadt, die völlig von der Regierung abhing. Die Versammlung erklärte jedoch, sie könne nicht vertagt, verlegt oder aufgelöst werden, außer mit ihrer eigenen Zustimmung. Inzwischen marschirte General Wrangel an der Spitze von ungefähr 40 000 Mann in Berlin ein. In einer Versammlung der städtischen Behörden und der Offiziere der Bürgerwehr wurde beschlossen, keinen Widerstand zu leisten. Und nun, nachdem die Versammlung und ihre Hintermänner, die liberale Bourgeoisie, der vereinigten reaktionären Partei gestattet hatten, jede Stellung von Bedeutung einzunehmen und ihren Händen fast jedes Mittel der Vertheidigung zu entwinden, begann die große Komödie des »passiven und gesetzlichen Widerstands«, die sie zu einer glorreichen Nachahmung des Beispiels Hampdens und der ersten Maßregeln der Amerikaner im Unabhängigkeitskrieg gestalten wollten. Berlin wurde in Belagerungszustand erklärt, und Berlin blieb ruhig; die Bürgerwehr wurde von der Regierung aufgelöst, und ihre Waffen wurden mit der größten Pünktlichkeit abgeliefert. Die Kammer wurde während zwei Wochen von einem Versammlungsort zum anderen gejagt und überall durch Militär auseinandergetrieben, und die Mitglieder der Versammlung flehten die Bürger an, ruhig zu bleiben. Als endlich die Regierung die Kammer für aufgelöst erklärte, beschloß diese, die Erhebung der Steuern für ungesetzlich zu erklären, und dann zerstreuten sich ihre Mitglieder im Lande, die Steuerverweigerung zu organisiren. Aber sie entdeckten, daß sie sich in der Wahl ihrer Mittel kläglich getäuscht hatten. Nach einigen bewegten Wochen, denen strenge Maßregeln der Regierung gegen die Opposition folgten, gab Jedermann den Gedanken auf, einer abgestorbenen Nationalversammlung zu Liebe, die nicht einmal den Muth gehabt, sich selbst zu vertheidigen, die Steuern zu verweigern.

Ob es im Beginn des November 1848 schon zu spät war, bewaffneten Widerstand zu versuchen, oder ob ein Theil der Armee, wenn er ernstlichen Widerstand fand, sich auf die Seite der Kammer geschlagen und auf diese Weise die Sache zu ihren Gunsten entschieden hätte, ist eine Frage, die wohl nie gelöst werden wird. Aber in der Revolution wie im Kriege ist es immer nothwendig, dem Feinde die Spitze zu bieten, und der Angreifer ist im Vortheil; in der Revolution wie im Kriege ist es unumgänglich nothwendig, im entscheidenden Moment alles zu wagen, wie die Chancen auch stehen mögen. Es giebt keine erfolgreiche Revolution in der Geschichte, die nicht die Wahrheit dieses Satzes bekundete. Für die preußische Revolution war aber im November 1848 der entscheidende Moment gekommen; die preußische konstituirende Versammlung, die offiziell an der Spitze der ganzen revolutionären Bewegung stand, bot dem Feinde nicht die Stirne, denn sie zog sich bei jedem Vorrücken desselben zurück; noch weniger ging sie zum Angriff vor, denn sie wagte nicht einmal sich zu vertheidigen; und als der entscheidende Moment kam, als Wrangel an der Spitze von vierzigtausend Mann an die Thore von Berlin pochte, da fand er keineswegs, wie er und seine Offiziere fest erwartet, jede Straße mit Barrikaden verrammelt, jedes Fenster in eine Schießscharte verwandelt, sondern die Thore offen und in den Straßen als einziges Passagehinderniß friedliche Berliner Bürger, die sich köstlich über den Streich amüsirten, den sie Wrangel dadurch gespielt, daß sie sich, an Händen und Füßen gebunden, den überraschten Soldaten überlieferten. Es ist wahr, wenn die Versammlung und das Volk Widerstand leisteten, war es möglich, daß sie geschlagen wurden; Berlin konnte bombardirt, und viele Hunderte konnten getödtet werden, ohne daß der schließliche Sieg der königlichen Partei dadurch verhindert wurde. Aber das war kein Grund, die Waffen ohne Weiteres niederzulegen. Eine Niederlage nach hartnäckigem Kampfe ist eine Thatsache von ebenso revolutionärer Bedeutung, wie ein leicht gewonnener Sieg. Die Niederlagen von Paris im Juni und von Wien im Oktober 1848 haben zur Revolutionirung der Köpfe der Bevölkerung dieser zwei Städte jedenfalls weit mehr beigetragen, als die Siege vom Februar und März. Die Versammlung und die Bevölkerung Berlins hätten vielleicht das Schicksal der beiden oben genannten Städte getheilt; aber sie wären ruhmvoll unterlegen und hätten in den Gemüthern der Ueberlebenden ein Verlangen nach Rache hinterlassen, das in revolutionären Zeiten einen der mächtigsten Antriebe zu energischem und leidenschaftlichem Handeln bildet. Bei jedem Kampfe ist es selbstverständlich, daß derjenige, der den Handschuh aufnimmt, Gefahr läuft, geschlagen zu werden; aber ist das ein Grund, sich für geschlagen zu erklären und zu unterwerfen, ohne das Schwert gezogen zu haben?

In einer Revolution verdient ohne Unterschied Jeder als ein Verräther behandelt zu werden, der eine entscheidende Position befehligt und sie übergiebt, statt den Feind zu zwingen, einen Sturm zu versuchen.

Derselbe Erlaß des Königs von Preußen, der die konstituirende Versammlung auflöste, verkündigte auch eine neue Verfassung; diese beruhte auf dem Entwurf, den eine Kommission der Versammlung hergestellt hatte, erweiterte aber in manchen Punkten die Befugnisse der Krone und machte in anderen die des Parlaments zweifelhaft; sie führte zwei Kammern ein, die bald zusammentreten sollten, um die Verfassung zu bestätigen und zu revidiren.

Wir brauchen kaum zu fragen, wo die deutsche Nationalversammlung während des »gesetzlichen und friedlichen« Kampfes der preußischen Konstitutionalisten blieb. Sie war, wie gewöhnlich in Frankfurt, damit beschäftigt, sehr zahme Resolutionen gegen das Vorgehen der preußischen Regierung zu fassen und das »imposante Schauspiel des passiven, gesetzlichen und einmüthigen Widerstandes eines ganzen Volkes gegen brutale Gewalt« zu bewundern. Die Zentralregierung entsendete Kommissäre nach Berlin, die zwischen dem Ministerium und der Versammlung vermitteln sollten; aber sie hatten dasselbe Schicksal, wie ihre Vorgänger in Olmütz, und wurden höflichst hinauskomplimentirt. Die Linke der Nationalversammlung, das heißt die sogenannte radikale Partei, sandte auch ihre Kommissäre, aber nachdem sie sich gebührend von der völligen Hilflosigkeit der Berliner Versammlung überzeugt und ihre eigene ebenso große Hilflosigkeit bekannt hatten, kehrten sie nach Frankfurt zurück, um Bericht zu erstatten und die bewunderungswürdig friedliche Haltung der Berliner zu bezeugen. Mehr noch! Als Herr Bassermann, einer der Kommissäre der Zentralregierung, berichtete, die jüngsten scharfen Maßregeln der preußischen Minister seien nicht ohne Grund, da man in der letzten Zeit in den Straßen Berlins eine Anzahl gefährlich aussehender Gestalten habe herumstrolchen sehen können, die immer am Vorabend anarchischer Bewegungen auftauchen (und die seitdem den Namen »Bassermannsche Gestalten« behalten haben), da erhoben sich alsbald die würdigen Abgeordneten der Linken und energischen Vertreter der Revolution, um feierlich zu erklären, daß dies nicht der Fall sei!

Innerhalb zweier Monate war also die völlige Ohnmacht der Frankfurter Versammlung für Jedermann offenkundig geworden. Es konnte nicht schärfer bewiesen werden, daß diese Körperschaft ihrer Aufgabe ganz und gar nicht gewachsen war, oder vielmehr, daß sie nicht die leiseste Idee davon hatte, was ihre Aufgabe wirklich war. Die Thatsache, daß das Schicksal der Revolution in Wien und Berlin entschieden wurde, daß in diesen beiden Hauptstädten die wichtigsten und wesentlichsten Fragen erledigt wurden, ohne daß man sich um die Frankfurter Versammlung auch nur im Entferntesten kümmerte – diese Thatsache allein genügt, zu beweisen, daß diese Versammlung ein bloßer Debattirklub war, bestehend aus einer Anzahl leichtgläubiger Tröpfe, die sich von den Regierungen als parlamentarische Marionetten gebrauchen ließen, um zum Vergnügen der Kleinbürger von Kleinstaaten und Kleinstädten produzirt zu werden, so lange man es für vortheilhaft erachtete, diese Herrschaften zu zerstreuen. Wie lange man das für vortheilhaft hielt, werden wir bald sehen. Aber es ist eine bemerkenswerthe Thatsache, daß unter allen den »hervorragenden« Männern dieser Versammlung keiner war, der nur die leiseste Ahnung von der Rolle hatte, die man sie spielen ließ, und daß bis auf den heutigen Tag Exmitglieder des Frankfurter Klubs unwandelbar ganz eigengeartete Organe historischer Wahrnehmung besitzen.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 17. April 1852.)


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