Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.
Die Märzrevolution in Berlin

 

London, Oktober 1851.

Das zweite Zentrum der revolutionären Bewegung war Berlin. Und nach dem in den früheren Artikeln Auseinandergesetzten wird man nicht überrascht sein, zu sehen, daß dort diese Bewegung bei Weitem nicht jene einmüthige Unterstützung fast aller Klassen fand, von der sie in Wien begleitet war. In Preußen war die Bourgeoisie bereits in wirkliche Kämpfe mit der Regierung verwickelt worden; das Ergebniß des »Vereinigten Landtags« war offene Feindseligkeit gewesen; eine Bourgeoisrevolution nahte drohend, und diese Revolution hätte bei ihrem ersten Ausbruch ebenso einhellig sein können, wie die in Wien, wäre nicht die Pariser Februarrevolution vorher eingetreten.

Dies Ereigniß überstürzte die ganze Entwicklung, und überdies vollzog es sich unter einem Panier, ganz verschieden von dem, unter welchem die preußische Bourgeoisie sich anschickte, ihre Regierung zu bekriegen. Die Februarrevolution stürzte in Frankreich gerade jene Regierungsform, welche die preußische Bourgeoisie in ihrem eigenen Lande aufzurichten beabsichtigte. Die Februarrevolution trat als eine Revolution der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie auf; sie proklamirte den Sturz des Bourgeoisregimes und die Emanzipation des Arbeiters. Nun hatte die preußische Bourgeoisie in letzter Zeit gerade genug an Arbeiterbewegungen im eigenen Lande gehabt. Allerdings, nachdem der erste Schrecken über die schlesischen Unruhen vorüber war, hatte sie sogar versucht, diese Bewegung zu ihrem eigenen Vortheil auszunutzen; aber ein gesunder Abscheu vor dem revolutionären Sozialismus und Kommunismus war bei ihr zurückgeblieben; und als sie daher in Paris an der Spitze der Regierung Männer sah, die ihr als die gefährlichsten Gegner des Eigenthums, der Ordnung, Religion, Familie und der anderen Penaten des modernen Bourgeois erschienen, empfand sie sofort eine erhebliche Abkühlung ihrer eigenen revolutionären Gluth. Sie wußte, daß der Moment benutzt werden mußte, und daß sie ohne die Hilfe der Arbeitermassen unterliegen würde, aber es mangelte ihr der Muth. Daher unterstützte sie die Regierung bei den ersten partiellen Erhebungen in den Provinzen und bemühte sie sich, die Bevölkerung Berlins in Ruhe zu erhalten, die durch fünf Tage hindurch sich vor dem königlichen Schlosse ansammelte, um die Neuigkeiten zu besprechen und eine Veränderung der Regierung zu verlangen; und als endlich, nach dem Bekanntwerden des Sturzes Metternichs, der König einige geringfügige Zugeständnisse machte, hielt die Bourgeoisie die Revolution für vollendet und beeilte sie sich, Seiner Majestät für die Erfüllung aller Wünsche des Volkes zu danken. Aber darauf erfolgte der Angriff des Militärs auf die Menge, die Barrikaden, der Kampf und die Niederlage des Königthums. Nun verändert sich alles; gerade die Arbeiter, die die Bourgeoisie im Hintergrund zu halten wünschte, waren in den Vordergrund gedrängt worden, hatten gefochten und gesiegt und waren ganz plötzlich zum Bewußtsein ihrer Kraft gelangt. Beschränkungen des Wahlrechts, der Preßfreiheit, des Rechts auf der Geschworenenbank zu sitzen, des Versammlungsrechts – Beschränkungen, die der Bourgeoisie sehr angenehm gewesen wären, da sie nur Klassen betroffen hätten, die unter ihr standen, waren nun nicht mehr möglich. Die Gefahr einer Wiederholung der Pariser Szenen der »Anarchie« war zu drohend. Vor dieser Gefahr verschwanden alle bisherigen Zwistigkeiten. Gegenüber dem siegreichen Arbeiter vereinigten sich langjährige Freunde und Feinde, obwohl er noch nicht die geringste besondere Forderung für sich selbst aufgestellt hatte, und das Bündniß zwischen der Bourgeoisie und den Anhängern des umgestürzten Systems wurde noch auf den Barrikaden von Berlin geschlossen. Die nothwendigen Zugeständnisse, aber nicht mehr als unvermeidlich, sollten gemacht werden; ein Ministerium sollte aus den Führern der Opposition im Vereinigten Landtag gebildet werden, und zum Dank dafür, daß es die Krone rettete, sollte ihm die Unterstützung aller der Stützen der alten Regierung, des Feudaladels, der Bureaukratie, der Armee, zu Theil werden. Das waren die Bedingungen, unter denen die Herren Camphausen und Hansemann die Bildung eines Kabinets unternahmen.

So groß war die Furcht der neuen Minister vor den erregten Massen, daß in ihren Augen jedes Mittel gut war, wenn es nur dahin zielte, die erschütterten Grundlagen der Autorität zu stärken. Die betrogenen Tröpfe bildeten sich ein, jede Gefahr einer Wiederaufrichtung des alten Systems sei vorbei, und daher benutzten sie die ganze alte Staatsmaschinerie, um die »Ordnung« wieder herzustellen. Kein einziger Bureaukrat oder Offizier der Armee wurde entlassen; nicht die geringste Aenderung wurde im alten bureaukratischen System der Staatsverwaltung vorgenommen. Diese köstlichen verantwortlichen Minister setzten sogar jene Beamten in ihre Stellen wieder ein, die das Volk in der ersten Hitze seines revolutionären Eifers wegen früherer Akte bureaukratischer Anmaßung verjagt hatte. Nichts wurde in Preußen geändert, als die Person der Minister. Selbst das Personal der verschiedenen Ministerien wurde nicht angetastet, und allen den konstitutionellen Amtsjägern, die den Chor der neu erwählten Staatslenker gebildet und auf ihren Antheil an Macht und Aemtern gerechnet hatten, wurde bedeutet, sie sollten warten, bis die Wiederherstellung fester Verhältnisse es ermögliche, im Beamtenpersonal Veränderungen vorzunehmen, die jetzt nicht ohne Gefahr wären.

Der König, der nach der Insurrektion vom 18. März im höchsten Grade muthlos geworden war, merkte bald, daß er für diese »liberalen« Minister ebenso nothwendig war wie sie für ihn. Die Insurrektion hatte den Thron geschont; der Thron war das letzte bestehende Hinderniß der »Anarchie«; die liberale Bourgeoisie und ihre Führer, die jetzt im Ministerium saßen, hatten daher alle Ursache, sich mit der Krone auf den besten Fuß zu stellen. Der König und die reaktionäre Kamarilla, die ihn umgab, wußten das bald herauszufinden und machten es sich zu Nutze, um das Vorgehen des Ministeriums selbst bei jenen unbedeutenden Reformen zu hemmen, die es von Zeit zu Zeit in Angriff nahm.

Die erste Sorge des Ministeriums ging dahin, den jüngsten gewaltsamen Veränderungen eine Art gesetzlichen Anstrichs zu geben. Der Vereinigte Landtag wurde trotz allen Widerspruchs der Bevölkerung einberufen, um als das gesetzliche und konstitutionelle Organ des Volkes ein neues Wahlgesetz für die Erwählung einer Versammlung zu beschließen, die mit der Krone eine neue Verfassung vereinbaren sollte. Die Wahlen sollten indirekte sein, dergestalt, daß die Masse der Wähler einzelne Wahlmänner erwählte, die dann die Abgeordneten wählten. Trotz aller Opposition ging dieses System doppelten Wählens durch. Der Vereinigte Landtag wurde dann noch um die Gewährung einer Anleihe von 40 Millionen Thaler angegangen, die von der Volkspartei bekämpft, vom Landtag aber ebenfalls bewilligt wurde.

Dank diesem Vorgehen des Ministeriums entwickelte sich die Volkspartei, oder wie sie sich nun selbst nannte, die demokratische Partei, äußerst rasch. Diese Partei, an deren Spitze die Klasse der Kleingewerbtreibenden und Kleinhändler stand und die unter ihrer Fahne auch die große Mehrheit der Arbeiterschaft vereinigte, forderte das direkte und allgemeine Wahlrecht, dasselbe, das in Frankreich eingeführt worden, eine einzige gesetzgebende Versammlung, und die völlige und offene Anerkennung der Revolution des 18. März als der Grundlage des neuen Regierungssystems. Ihr gemäßigterer Flügel wollte sich mit einer, in dieser Weise »demokratisirten« Monarchie zufrieden geben; der weiter fortgeschrittene verlangte als letztes Ziel die Errichtung der Republik. Beide Richtungen waren darin einig, daß sie die deutsche Nationalversammlung zu Frankfurt als die oberste Autorität im Lande anerkannten, während die Konstitutionalisten und Reaktionäre einen großen Abscheu vor der Souveränetät dieser Körperschaft zur Schau trugen, die ihnen nach ihren Erklärungen als völlig revolutionär erschien.

Die selbständige Bewegung der Arbeiterklasse war durch die Revolution vorübergehend unterbrochen worden. Die unmittelbaren Bedürfnisse und Umstände der Bewegung machten es unmöglich, eine der besonderen Forderungen der proletarischen Partei in den Vordergrund zu stellen. In der That, so lange der Boden für das selbständige Vorgehen der Arbeiter nicht geebnet war, so lange das direkte und allgemeine Stimmrecht nicht bestand, so lange die sechsunddreißig größeren und kleineren Staaten fortfuhren, Deutschland in zahllose Fetzen zu zerreißen, was konnte da die proletarische Partei Anderes thun, als die für sie entscheidende Bewegung in Paris zu verfolgen und in Gemeinschaft mit den Kleinbürgern um jene Rechte zu ringen, die es ihr ermöglichen sollten, dann ihren eigenen Kampf zu kämpfen.

Es gab daher nur drei Punkte, in denen die proletarische Partei sich in ihrer politischen Thätigkeit wesentlich von der Klasse der Kleinbürger oder der eigentlichen sogenannten demokratischen Partei unterschied; erstens in der Beurtheilung der französischen Bewegung, da die Demokraten sich gegen die extreme Partei in Paris erklärten, indeß die proletarischen Revolutionäre sie vertheidigten; zweitens in der Verkündigung der Nothwendigkeit, die eine und untheilbare deutsche Republik zu begründen, während selbst die extremsten Ultras unter den Demokraten nur nach einer Föderativrepublik zu seufzen wagten; und drittens dadurch, daß sie bei jeder Gelegenheit jene revolutionäre Kühnheit und Thatkraft bekundete, die stets einer Partei mangeln wird, welche hauptsächlich aus Kleinbürgern besteht und Kleinbürger an ihrer Spitze hat.

Der proletarischen oder wirklich revolutionären Partei gelang es nur sehr allmälig, die Masse der Arbeiter dem Einfluß der Demokraten zu entziehen, deren Schwanz sie zu Beginn der Revolution gebildet. Aber zur richtigen Zeit that die Unentschlossenheit, Schwäche und Feigheit der demokratischen Führer das Uebrige, und man kann heute sagen, daß eines der Hauptergebnisse der Umwälzungen der letzten Jahre darin besteht, daß die Arbeiterklasse, wo immer man sie in einigermaßen ansehnlichen Massen konzentrirt findet, vollkommen befreit ist von jenem demokratischen Einfluß, der sie 1848 und 1849 zu einer unendlichen Reihe von Fehlern und Unfällen führte. Doch wir wollen nicht vorgreifen; die Ereignisse dieser zwei Jahre werden uns vollauf Gelegenheit geben, die demokratischen Herren an der Arbeit zu sehen.

Die Bauernschaft in Preußen hatte ebenso wie in Oesterreich, aber mit weniger Energie, da der Feudalismus sie im Ganzen nicht so hart drückte, die Revolution benützt, sich aller feudalen Fesseln zu entledigen. Aber aus den oben angeführten Gründen wendete sich in Preußen die Bourgeoisie sofort gegen sie, ihren ältesten und unentbehrlichsten Verbündeten. Die Demokraten, die ebenso wie die Bourgeois erschreckt waren durch die sogenannten Angriffe auf das Privateigenthum, versäumten es ebenfalls, sie zu unterstützen, und so wurde nach drei Monaten der Emanzipation in blutigen Kämpfen und militärischen Exekutionen, namentlich in Schlesien, der Feudalismus wieder hergestellt, mit Hilfe der gestern noch antifeudalen Bourgeoisie. Keine Thatsache kann sie schärfer verurtheilen als diese. Niemals hat eine andere Partei in der Geschichte einen derartigen Verrath an ihren besten Bundesgenossen, an sich selbst, begangen, und welche Demüthigung und Züchtigung dieser Bourgeoispartei auch noch bevorstehen mögen, sie hat sie durch diese einzige That vollauf verdient.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 28. November 1851.)


 << zurück weiter >>