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V.
Die Märzrevolution in Wien

 

London, Oktober 1851.

Am 24. Februar 1848 wurde Louis Philipp aus Paris verjagt und die französische Republik proklamirt. Am 13. März darauf brachen die Wiener die Macht Metternichs und trieben ihn zu schmählicher Flucht aus dem Lande. Am 18. März erhoben sich die Berliner in Waffen und hatten nach einem hartnäckigen Kampf von achtzehn Stunden die Genugthuung, daß der König vor ihnen kapitulirte. Um dieselbe Zeit kam es auch in den Hauptstädten der kleineren Staaten Deutschlands zu mehr oder weniger gewaltsamen Ausbrüchen, die alle den gleichen Erfolg hatten. Hatten die Deutschen ihre erste Revolution auch nicht vollendet, so waren sie doch wenigstens mitten in die Revolution hineingerathen.

Wir können hier in die Details der verschiedenen Erhebungen nicht eingehen; was wir auseinanderzusetzen haben, ist ihr Charakter und die Stellung, welche die verschiedenen Klassen der Bevölkerung ihnen gegenüber einnahmen.

Die Revolution in Wien wurde, man kann sagen, von einer fast völlig einmüthigen Bevölkerung gemacht. Die Bourgeoisie, mit Ausnahme der Bankiers und Börsenspekulanten, das Kleinbürgerthum, die Arbeiterklasse, erhoben sich plötzlich wie ein Mann gegen eine Regierung, die sie alle verabscheuten, eine Regierung, die so allgemein gehaßt wurde, daß die kleine Minorität von Adeligen und Geldmännern, die sie unterstützt hatten, sich schon bei dem ersten Angriff unsichtbar machte. Die Bourgeoisie war von Metternich in einer derartigen politischen Unwissenheit erhalten worden, daß für sie die Nachrichten aus Paris über die Herrschaft der Anarchie, des Sozialismus und des Schreckens und über bevorstehende Kämpfe zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse ganz unverständlich blieben. In ihrer politischen Unschuld vermochte sie diesen Nachrichten entweder keine Bedeutung beizumessen, oder sie erschienen ihr als teuflische Erfindungen Metternichs, um sie durch die Angst zum Gehorsam zurückzubringen. Ueberdies hatte sie noch nie gesehen, daß Arbeiter als eine Klasse handelten oder für ihre besonderen Klasseninteressen eintraten. Sie konnte sich nach ihren Erfahrungen nicht die Möglichkeit des Auftauchens von Gegensätzen zwischen den Klassen vorstellen, die eben in so herzlicher Eintracht eine Regierung gestürzt hatten, welche sie alle haßten. Sie sah, wie die Arbeiter mit ihr in allen Punkten übereinstimmten, in Betreff einer Konstitution, der Geschworenengerichte, der Preßfreiheit u. s. w. Sie nahm daher, wenigstens im März 1848, mit voller Seele an der Bewegung Antheil, und andererseits erhob die Bewegung die Bourgeoisie sofort, wenigstens in der Theorie, zur herrschenden Klasse im Staat.

Aber es ist das Schicksal aller Revolutionen, daß jene Vereinigung verschiedener Klassen, die bis zu einem gewissen Grade stets die nothwendige Vorbedingung einer Revolution ist, nicht lange dauern kann. Kaum ist der Sieg gegen den gemeinsamen Feind errungen, und schon gehen die Sieger in verschiedene Lager auseinander und richten ihre Waffen gegeneinander. Es ist diese rasche und leidenschaftliche Entwicklung des Klassengegensatzes, die in alten und komplizirten gesellschaftlichen Organismen eine Revolution zu einer so mächtigen Triebkraft des gesellschaftlichen und politischen Fortschritts macht; es ist dies stete rasche Aufschießen neuer Parteien, die einander in der Macht ablösen, was eine Nation während dieser heftigen Erschütterungen in fünf Jahren weiter bringt, als sie unter gewöhnlichen Umständen in einem Jahrhundert käme.

Die Revolution in Wien machte die Bourgeoisie theoretisch zur herrschenden Klasse; das heißt, die Konzessionen, die der Regierung abgerungen wurden, hätten, wenn thatsächlich durchgeführt und einige Zeit lang aufrecht erhalten, die Oberherrschaft der Bourgeoisie gesichert. Aber in Wirklichkeit war diese Oberherrschaft weit davon entfernt, fest begründet zu sein. Allerdings erhielt die Bourgeoisie Kraft und Bedeutung durch die Errichtung einer Nationalgarde, wodurch diese Klasse und das Kleinbürgerthum mit Waffen versehen wurden; allerdings gelangte die Bourgeoisie an die Spitze der Macht durch die Einsetzung eines »Sicherheitsausschusses«, einer Art revolutionärer unverantwortlicher Regierung, in der sie vorherrschte. Aber gleichzeitig wurden auch die Arbeiter theilweise bewaffnet; sie und die Studenten hatten den Kampf ausgekämpft, wo es zu Zusammenstößen gekommen war; die Studenten, ungefähr 4000 Mann stark, wohl bewaffnet und weit besser disziplinirt als die Nationalgarde, bildeten den Kern, die wirkliche Stärke der revolutionären Streitmacht, und sie waren keineswegs gewillt, als bloßes Werkzeug in den Händen des Sicherheitsausschusses zu dienen. Obwohl sie ihn anerkannten, ja seine begeistertsten Vertheidiger waren, bildeten sie doch ein unabhängiges und ziemlich turbulentes Korps, hielten ihre eigenen Berathungen in der Aula, nahmen eine Mittelstellung zwischen der Bourgeoisie und den Arbeitern ein, hinderten durch beständige Unruhe, daß die Verhältnisse wieder in das alte Alltagsgeleise zurückkehrten, und zwangen oft ihre Beschlüsse dem Sicherheitsausschusse auf. Die Arbeiter wiederum, die fast sämmtlich außer Arbeit waren, mußten durch öffentliche Arbeiten auf Staatskosten beschäftigt werden, und das nöthige Geld hatten natürlich die Börsen der Steuerzahler oder die Kassen der Stadt Wien zu liefern. Alles das mußte den Wiener Geschäftsleuten nothwendigerweise sehr unangenehm werden. Die Industrien der Stadt, die auf den Bedarf der reichen und aristokratischen Hofhaltungen eines großen Landes berechnet waren, wurden selbstverständlich durch die Revolution, durch die Flucht des Adels und Hofes, vollständig lahmgelegt; das Geschäftsleben stand ganz still, und die ununterbrochene Unruhe und Erregung, die von den Studenten ausging, war sicher nicht das beste Mittel, das »Vertrauen wiederherzustellen«, wie die Redensart lautete. So entstand sehr bald eine gewisse Kühle zwischen der Bourgeoisie auf der einen Seite und den Studenten und Arbeitern auf der anderen; und wenn diese Kühle lange Zeit hindurch nicht zu offener Feindseligkeit wurde, so kam das daher, daß das Ministerium, und namentlich der Hof, durch ihre Ungeduld, den alten Stand der Dinge wiederherzustellen, immer wieder die Befürchtungen und die unruhevolle Thätigkeit der revolutionären Parteien rechtfertigten und immer wieder, selbst vor den Augen der Bourgeoisie, das Gespenst des alten Metternichschen Despotismus auftauchen ließen. Daher kam es am 15. Mai und dann wieder am 26. zu neuen Erhebungen aller Klassen in Wien, weil die Regierung versucht hatte, einige der neuerrungenen Freiheiten zu beschränken oder zu untergraben, und bei jeder dieser Gelegenheiten wurde das Bündniß zwischen der Nationalgarde oder der Bourgeoisie, den Studenten und den Arbeitern wieder für einige Zeit befestigt.

Was die anderen Klassen der Bevölkerung anbelangt, so waren die Aristokraten und die großen Geldmänner verschwunden, und die Bauernschaft war allenthalben eifrig beschäftigt, den Feudalismus bis auf seine letzten Spuren auszurotten. Dank dem Kriege in Italien und den Sorgen, die Wien und Ungarn dem Hofe verursachten, ließ man die Bauern ganz frei gewähren, und das Werk der Befreiung gelang ihnen in Oesterreich besser als in irgend einem anderen Theile Deutschlands. Der österreichische Reichstag hatte bald nachher blos die Schritte zu bestätigen, welche die Bauernschaft bereits thatsächlich gethan, und was immer die Regierung des Fürsten Schwarzenberg wieder herstellen mag, sie wird nie die Macht haben, die Feudalknechtschaft der Bauern wieder einzuführen. Und wenn Oesterreich im gegenwärtigen Augenblick wieder verhältnißmäßig ruhig und sogar stark ist, so hauptsächlich deswegen, weil die große Mehrheit des Volkes, die Bauern, einen wirklichen Gewinn aus der Revolution gezogen haben und weil, was immer die wiederhergestellte Regierung auch sonst beseitigt hat, diese handgreiflichen, materiellen Vortheile, welche die Bauernschaft erntete, noch unangetastet sind.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 12. November 1851.)


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