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XV.
Der Abschluß der Reichsverfassung und die Kaiserposse

 

London, Juli 1852.

Wir kommen nun zu dem letzten Kapitel in der Geschichte der deutschen Revolution: dem Konflikt der Nationalversammlung mit den Regierungen der verschiedenen Staaten, besonders Preußens; den Erhebungen des südwestlichen und westlichen Deutschland und ihrer schließlichen Niederwerfung durch Preußen.

Wir haben bereits die Frankfurter Nationalversammlung an der Arbeit gesehen. Wir sahen, wie Oesterreich ihr Fußtritte versetzte, Preußen sie insultirte, die kleineren Staaten ihr den Gehorsam verweigerten und die eigene impotente Zentral-»Regierung«, die selbst von jedem Fürsten im Lande betrogen wurde, sie betrog. Aber am Ende begannen die Verhältnisse für diese schwächliche, schwankende, abgeschmackte gesetzgebende Versammlung eine drohende Gestalt anzunehmen. Sie mußte zu dem Schlusse kommen, »die erhabene Idee der deutschen Einheit sei in ihrer Verwirklichung bedroht«, was nicht mehr oder weniger bedeutete, als es sei höchst wahrscheinlich, daß die Frankfurter Versammlung und alles was sie gethan und thun wollte, sich in blauen Dunst auflösen werde. Daher machte sie sich mit heißem Bemühen an die Arbeit, um so bald als möglich ihr großes Werk zu vollenden, die »Reichsverfassung«. Dabei war jedoch eine Schwierigkeit zu überwinden. Welcher Art sollte die Exekutivgewalt sein? Ein vollziehender Ausschuß? Nein; das hieße, überlegten sie in ihrer Weisheit, aus Deutschland eine Republik machen. Ein »Präsident«? Das liefe auf dasselbe hinaus. Also mußte die alte Kaiserwürde wieder erneuert werden. Aber – da natürlich ein Fürst Kaiser werden sollte – wer sollte es sein? Sicher keiner der dii minorum gentium von Reuß-Greiz-Schleiz-Lobenstein-Ebersdorf bis Bayern; weder Oesterreich noch Preußen hätten sich das bieten lassen. Nur Oesterreich oder Preußen konnten es sein. Aber welches der beiden? Kein Zweifel, daß, wenn die Verhältnisse sonst günstiger gewesen wären, die erhabene Versammlung heute noch beisammensäße und dies wichtige Dilemma diskutirte, ohne zu einem Beschluß kommen zu können, hätte nicht die österreichische Regierung den gordischen Knoten durchhauen und den Herren die Mühe erspart.

Oesterreich wußte ganz gut, daß von dem Augenblick an, in dem es wieder vor Europa als Herr aller seiner Provinzen, als eine starke und große europäische Macht auftreten konnte, das Gesetz der politischen Schwerkraft von selbst den Rest Deutschlands wieder in sein Bereich ziehen würde, ohne die Hilfe der Autorität, die ihm eine von der Frankfurter Versammlung vergebene Kaiserkrone verleihen konnte. Oesterreich war viel stärker, viel freier in seinen Bewegungen, seitdem es die machtlose Krone des deutschen Kaiserthums abgeschüttelt – eine Krone, die seine selbständige Politik auf Schritt und Tritt hemmte, ohne ein Jota zu seiner Kraft, weder innerhalb noch außerhalb Deutschlands, hinzuzufügen. Und wenn es dahin kommen sollte, daß Oesterreich sich in Italien und Ungarn nicht mehr behaupten könnte, dann würde es auch in Deutschland aufgelöst und vernichtet sein und könnte niemals wieder den Anspruch auf eine Krone erheben, die seinen Händen entschlüpft war, als es sich noch im Vollbesitz seiner Macht befand. Oesterreich erklärte sich daher ohne Weiteres gegen jede Auferstehung des Kaiserthums und verlangte offen die Wiederherstellung des Bundestags, der einzigen Zentralregierung Deutschlands, welche die Verträge von 1815 kannten und anerkannten; und am 4. März 1849 gab es jene Verfassung, die nichts anderes bedeutete, als die Proklamirung Oesterreichs zu einer untheilbaren, zentralisirten und selbständigen Monarchie, ganz verschieden gerade von jenem Deutschland, das die Frankfurter Versammlung wieder aufrichten wollte.

Diese offene Kriegserklärung ließ allerdings den Frankfurter Weisen nur die Wahl, Oesterreich aus Deutschland auszuschließen und aus dem Rest dieses Landes eine Art Bas Empire, ein »Kleindeutschland« zu schaffen, dessen ziemlich schäbiger Kaisermantel auf die Schultern seiner Majestät von Preußen zu fallen hatte. Das war, wie man sich erinnern wird, die Erneuerung eines alten Projekts, das einige sechs bis acht Jahre vorher von einer Partei süd- und mitteldeutscher Doktrinäre ausgeheckt worden war, die nun Gott für die demüthigenden Umstände dankten, durch die ihr altes Steckenpferd wieder in den Vordergrund geschoben wurde als der neueste »Schachzug« zum Heil des Vaterlandes.

Demgemäß brachte die Versammlung im Februar und März 1849 die Debatten über die Reichsverfassung mit den Grundrechten und dem Reichswahlgesetz zum Abschluß; jedoch nicht, ohne sich in sehr vielen Punkten zu den widersprechendsten Konzessionen genöthigt zu sehen – heute an die konservative oder vielmehr reaktionäre Partei, morgen an die radikaleren Fraktionen. Es war thatsächlich unbestreitbar, daß die Führung der Versammlung, die früher in den Händen der Rechten und des rechten Zentrums (der Konservativen und Reaktionäre) gewesen, allmälig, wenn auch langsam, auf die Linke oder die demokratische Seite des Hauses überging. Die ziemlich unbestimmte Stellung der österreichischen Abgeordneten in einer Versammlung, die ihr Land aus Deutschland ausgeschlossen hatte, und in der sie doch auch weiterhin sitzen und stimmen sollten, beförderte diese Verschiebung ihres Gleichgewichts; und daher befanden sich schon zu Ende Februar das linke Zentrum und die Linke mit Hilfe der österreichischen Stimmen sehr häufig in der Majorität, indeß hin und wieder die konservative Fraktion der Oesterreicher ganz plötzlich und des Spaßes halber mit der Rechten stimmte und dadurch die Wage wieder auf die andere Seite schnellte. Sie beabsichtigte durch diese plötzlichen Seitensprünge die Versammlung in Verachtung zu bringen, was jedoch ganz unnöthig war, da die Masse des Volkes längst von der gänzlichen Hohlheit und Nichtigkeit alles dessen, was von Frankfurt kam, überzeugt war. Man kann sich leicht vorstellen, welcher Art die Verfassung war, die bei diesem Hin- und Herspringen zu Stande kam.

Die Linke der Versammlung – diese Elite und dieser Stolz des revolutionären Deutschland, wofür sie sich selbst hielt – war ganz berauscht von den paar armseligen Erfolgen, die sie dem Wohlwollen oder vielmehr dem Uebelwollen einer Reihe österreichischer Politiker verdankte, die unter dem Einfluß und im Interesse des österreichischen Despotismus handelten. So oft die leiseste Annäherung an ihre nicht allzu genau bestimmten Prinzipien in homöopathisch verdünnter Form eine Art Sanktion durch die Frankfurter Versammlung erhalten hatte, verkündeten diese Demokraten, sie hätten das Vaterland und das Volk gerettet. Diese armseligen Schwächlinge waren im Laufe ihres meist recht stillen Lebens so wenig an etwas gewöhnt gewesen, das einem Erfolg gleichsah, daß sie in der That glaubten, ihre geringfügigen Gegenanträge, die mit einer Majorität von zwei bis drei Stimmen angenommen wurden, würden das Antlitz Europas verändern. Sie waren vom Beginn ihrer gesetzgeberischen Laufbahn an mehr als irgend eine andere Fraktion der Versammlung von der unheilbaren Krankheit des parlamentarischen Kretinismus durchseucht, einem Leiden, das seine unglücklichen Opfer mit der erhabenen Ueberzeugung erfüllt, daß die ganze Welt, ihre Geschichte und ihre Zukunft, durch eine Majorität von Stimmen in dem besonderen Vertretungskörper gelenkt und bestimmt werde, der die Ehre hat, sie zu seinen Mitgliedern zu zählen, und daß alles und jedes, was außerhalb der Mauern des Hauses vor sich geht – Kriege, Revolutionen, Eisenbahnbauten, die Kolonisirung ganzer neuer Kontinente, kalifornische Goldfunde, zentralamerikanische Kanäle, russische Heere, und was sonst noch einigen Anspruch erheben kann, die Geschicke der Menschheit zu beeinflussen – daß alles das nichts ist im Vergleich zu den unermeßlichen Ereignissen, die im Schoße der wichtigen Frage ruhen, der, was immer sie sein mag, gerade in dem Moment die Aufmerksamkeit des hohen Hauses gehört. Dadurch, daß es der demokratischen Partei der Versammlung gelang, einige ihrer Panaceen in die »Reichsverfassung« hineinzuschmuggeln, wurde sie nun verpflichtet, für diese einzutreten, obwohl die genannte Verfassung in jedem wesentlichen Punkt ihren so oft verkündeten Prinzipien schroff widersprach; und als schließlich diese Bastardschöpfung von ihren Haupturhebern im Stiche gelassen und der demokratischen Partei vererbt wurde, nahm diese die Erbschaft an und führte den Kampf um diese monarchische Verfassung, sogar im Gegensatz zu Jenen fort, die nunmehr ihre republikanischen Prinzipien verkündeten.

Aber man muß zugestehen, daß in dieser Beziehung der Widerspruch nur ein scheinbarer war. Der unbestimmte, widerspruchsvolle, unreife Charakter der Reichsverfassung war das genaue Abbild der unreifen, konfusen, einander widersprechenden politischen Ideen dieser Herren Demokraten. Und wenn ihre eigenen Worte und Schriften – sofern sie schreiben konnten – nicht genügender Beweis dafür wären, würden ihre Handlungen diesen Beweis liefern; denn unter vernünftigen Leuten ist es selbstverständlich, daß man einen Menschen nicht nach seinen Versicherungen, sondern nach seinen Handlungen beurtheilt; nicht darnach, was er vorgiebt, zu sein, sondern darnach, was er thut und wirklich ist; und die Thaten jener Helden der deutschen Demokratie sprechen laut genug für sich, wie wir noch erfahren werden. Indeß, schließlich wurde die Reichsverfassung mit ihrem ganzen Um und Auf endgiltig angenommen, und am 28. März wurde der König von Preußen mit 290 Stimmen gegen 248 Stimmenthaltungen und 200 Abwesende, zum Kaiser von Deutschland weniger Oesterreich erwählt. Die Ironie der Geschichte war vollständig; die Kaiserposse, die Friedrich Wilhelm IV. in den Straßen des erstaunten Berlin drei Tage nach der Revolution vom 18. März 1848 in einem Zustand aufgeführt, der anderswo unter das Trunkenheitsgesetz fiele – diese widerliche Komödie wurde gerade ein Jahr später von der angeblichen Vertretung ganz Deutschlands sanktionirt. Das war also das Ergebniß der deutschen Revolution!

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 27. Juli 1852.)


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