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XVI.
Der Beginn des Kampfes um die Reichsverfassung

 

London, Juli 1852.

Nachdem die Frankfurter Nationalversammlung den König von Preußen zum Kaiser von Deutschland ( minus Oesterreich) erwählt, sandte sie eine Deputation nach Berlin, ihm die Krone anzubieten, und vertagte sich hierauf. Am 3. April empfing Friedrich Wilhelm die Abgeordneten. Er erklärte ihnen, daß er allerdings den Vorrang vor allen anderen Fürsten Deutschlands annehme, den die Stimme der Vertreter des deutschen Volkes ihm verliehen, daß er aber die kaiserliche Krone nicht annehmen könne, solange er nicht sicher sei, ob die andern Fürsten seine Oberhoheit und die Reichsverfassung, die ihm jene Rechte übertrug, auch anerkennen würden. Es sei an den Regierungen der deutschen Staaten, fügte er hinzu, zu prüfen, ob sie diese Verfassung gutheißen könnten. Auf jeden Fall, schloß er, ob Kaiser oder nicht, stets werde man ihn bereit finden, sein Schwert gegen den äußeren oder inneren Feind zu ziehen. Wir werden sehen, daß er dies Versprechen in einer Weise hielt, die für die Nationalversammlung etwas Verblüffendes hatte.

Die Frankfurter Weisen kamen nach einer gründlichen diplomatischen Untersuchung am Ende zu dem Schluß, diese Antwort komme einer Ablehnung der Krone gleich. Sie beschlossen daher (am 12. April), die Reichsverfassung sei Gesetz und müsse aufrecht erhalten bleiben, und da sie völlig unklar darüber waren, was nun zu thun, setzten sie eine Kommission von dreißig Mann ein, die Vorschläge darüber machen sollte, wie diese Verfassung durchgeführt werden könne.

Dieser Beschluß war das Signal zum Konflikt der Nationalversammlung mit den deutschen Regierungen, der nun ausbrach. Die Bourgeoisie und namentlich das Kleinbürgerthum erklärten sich insgesammt für die neue Frankfurter Verfassung. Sie konnten den Augenblick nicht mehr erwarten, der »die Revolution abschließen« sollte. In Oesterreich und Preußen war die Revolution vorläufig durch das Eingreifen der bewaffneten Macht zum Abschluß gekommen. Die erwähnten Klassen hätten eine weniger gewaltsame Methode des Vollziehens dieser Operation vorgezogen, aber sie hatten keine Wahl gehabt; die Sache war geschehen und man mußte sich damit abfinden, ein Entschluß, den sie sofort faßten und höchst heroisch durchführten. In den kleineren Staaten, wo Alles sich verhältnißmäßig glatt abspielte, war die Bourgeoisie längst auf die glänzende aber erfolglose, weil kraftlose parlamentarische Agitation heruntergebracht worden, die ihrer Geistesart so sehr entsprach. Betrachtete man also jeden der verschiedenen deutschen Staaten für sich allein, dann schien es, als habe jeder von ihnen die neue, endgiltige Form gewonnen, von der man glaubte, daß sie ihnen fortan das Einlenken in den Pfad friedlicher konstitutioneller Entwicklung ermögliche. Nur eine Frage blieb noch offen, die der neuen politischen Organisation des deutschen Bundes. Und es erschien nothwendig, diese Frage, die einzige, die noch Gefahr zu bergen schien, ohne Zögern zu lösen. Daher der Druck, den die Bourgeoisie auf die Frankfurter Versammlung ausübte, um diese zu bewegen, die Verfassung so bald als möglich fertig zu machen; daher der Entschluß der höheren und niederen Bourgeoisie, die Verfassung zu acceptiren und zu unterstützen, wie immer sie sein mochte, um ohne Verzögerung einen geordneten Zustand zu schaffen. Von Anfang an entsprang also die Bewegung für die Reichsverfassung einem reaktionären Gefühl, sie nahm von jenen Klassen ihren Ausgang, die seit langem der Revolution müde waren.

Aber noch ein anderes Moment ist hier zu beachten. Die ersten und grundlegenden Prinzipien der künftigen deutschen Verfassung waren während der ersten Monate des Frühlings und Sommers 1848 beschlossen worden, einer Zeit, als die Volksbewegung noch hoch ging. Die zu jener Zeit gefaßten Beschlüsse waren damals ganz reaktionär gewesen, nun aber, nach den Willkürakten der Regierungen Oesterreichs und Preußens erschienen sie ausnehmend liberal und sogar demokratisch. Der Maßstab, an dem man sie maß, hatte gewechselt. Ohne moralischen Selbstmord konnte die Frankfurter Versammlung diese einmal beschlossenen Bestimmungen nicht streichen und die Reichsverfassung nicht nach dem Muster derjenigen Verfassungen gestalten, die Oesterreich und Preußen mit dem Schwert in der Hand diktirt hatten. Ueberdies hatte, wie wir gesehen, die Majorität in jener Versammlung den Platz gewechselt und war der Einfluß der liberalen und demokratischen Partei im Steigen. Die Reichsverfassung zeichnete sich also nicht nur durch ihren anscheinend ausschließlich demokratischen Ursprung aus, sondern sie war auch, bei allen ihren Widersprüchen, noch die liberalste Verfassung in ganz Deutschland. Ihr größter Fehler bestand darin, daß sie ein bloßes Blatt Papier war, ohne jede Macht, ihren Bestimmungen Geltung zu verschaffen.

Unter diesen Umständen war es natürlich, daß die sogenannte demokratische Partei, das heißt, die Masse des Kleinbürgerthums, sich an die Reichsverfassung klammerte. Diese Klasse war in ihren Forderungen immer weiter gegangen als die liberale monarchisch konstitutionelle Bourgeoisie; sie war kecker ausgetreten, hatte sehr oft mit bewaffnetem Widerstand gedroht, und nicht mit dem Versprechen gekargt, Gut und Blut in dem Kampfe für die Freiheit zu opfern; aber sie hatte schon zahlreiche Beweise dafür geliefert, daß sie in der Stunde der Gefahr nirgends zu finden war, und daß sie nie größere Befriedigung empfand, als an dem Tage nach einer entscheidenden Niederlage, wenn Alles verloren war, aber für sie der Trost blieb, zu wissen, die Sache sei so oder so erledigt. Während also das Eintreten der großen Bankiers, Fabrikanten und Kaufleute für die Frankfurter Verfassung einen reservirteren Charakter, mehr den einer bloßen Demonstration trug, that die gerade unter ihnen stehende Klasse, unsere wackeren demokratischen Kleinbürger, gar großartig; sie erklärten wie gewöhnlich, sie würden eher ihren letzten Blutstropfen vergießen, als die Reichsverfassung fallen lassen.

Unterstützt durch diese zwei Parteien, die Bourgeois, die der konstitutionellen Monarchie anhingen, und die mehr oder minder demokratischen Kleinbürger, breitete sich die Bewegung für die sofortige Einführung der Reichsverfassung rasch aus, und sie fand ihren stärksten Ausdruck in den Parlamenten der einzelnen Staaten. Die Kammern von Preußen, Hannover. Sachsen, Baden, Württemberg erklärten sich für sie. Der Kampf zwischen den Regierungen und der Frankfurter Versammlung nahm einen drohenden Charakter an.

Die Regierungen handelten jedoch mit äußerster Raschheit. Die preußischen Kammern wurden aufgelöst – in verfassungswidriger Weise, da sie die preußische Verfassung erst zu revidiren und zu bestätigen hatten; in Berlin kam es zu Unruhen, die von der Regierung absichtlich provozirt wurden, und am Tag darauf, am 28. April, erließ das preußische Ministerium eine Zirkularnote, in der die Reichsverfassung als ein höchst anarchisches und revolutionäres Dokument hingestellt wurde, das die deutschen Regierungen umzugestalten und zu reinigen hätten. Preußen leugnete also rundheraus jene souveräne konstituirende Gewalt, deren sich die weisen Männer von Frankfurt immer gerühmt, die sie aber nie sichergestellt hatten. Ein Kongreß von Fürsten, eine Erneuerung des alten Bundestages wurde berufen, über jene Verfassung zu entscheiden, die bereits als Gesetz verkündigt worden. Und gleichzeitig konzentrirte Preußen Truppen in Kreuznach, drei Tagemärsche von Frankfurt entfernt, und forderte die kleinen Staaten auf, seinem Beispiel zu folgen und ebenfalls ihre Kammern aufzulösen, sobald diese sich der Frankfurter Versammlung anschließen sollten. Diesem Beispiel folgten schleunigst Hannover und Sachsen.

Es war klar, daß eine Entscheidung des Kampfes durch Waffengewalt unvermeidlich war. Die Feindschaft der Regierungen und die Erregung im Volke äußerte sich jeden Tag in lebhafterer Weise. Ueberall wurde das Militär von den demokratischen Bürgern bearbeitet, in Süddeutschland mit großem Erfolg. Große Massenversammlungen wurden allenthalben abgehalten, auf denen beschlossen wurde, die Reichsverfassung und die Nationalversammlung zu unterstützen, wenn es sein müsse, mit bewaffneter Hand. In Köln fand eine Versammlung von Abgeordneten aller Gemeinderäthe Rheinpreußens zu dem gleichen Zwecke statt. In der Pfalz, im Belgischen, in Fulda, Nürnberg, im Odenwald kamen die Bauern zu Zehntausenden zusammen und geriethen in große Begeisterung. Um dieselbe Zeit ging auch die konstituirende Versammlung von Frankreich auseinander, und die Neuwahlen wurden unter gewaltiger Erregung vorbereitet, indeß an der Ostgrenze Deutschlands die Ungarn innerhalb eines Monats durch eine Reihe glänzender Siege die Fluth der österreichischen Invasion von der Theiß zur Leitha zurückgedrängt hatten und man täglich erwartete, sie würden Wien im Sturm nehmen. Da durch alles das die Einbildungskraft des Volkes aufs höchste erregt wurde und die aggressive Politik der Regierungen sich täglich immer deutlicher offenbarte, wurde ein gewaltsamer Zusammenstoß unvermeidlich, und nur feige Schwachköpfigkeit konnte sich einreden, der Kampf werde einen friedlichen Ausgang nehmen. Aber diese feige Schwachköpfigkeit war in der Frankfurter Versammlung aufs ausgedehnteste vertreten.

 

(Erschienen in der »Tribune« vom 19. August 1852.)


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