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Achtzehntes Kapitel

Nemesis

Lady Ewell saß an diesem Abend in ihrem Salon in Onslom Gardens – es lag etwas wie Freude auf ihren Zügen. In den letzten Monaten war eine große Veränderung mit ihr vorgegangen; nichts macht so alt und zerstört die Schönheit so unwiderruflich, als Opiate. Lena hatte an diesem Abend besonders reich und sorgfältig Toilette gemacht und ihre goldenen Flechten waren so schön als je. Aber trotz aller Toilettenkünste und Schminken war die Verheerung, die ihre unselige Angewohnheit in ihren Zügen angerichtet hatte, deutlich sichtbar. Ihre Augen waren gläsern und müde, ihre Augenlider geschwollen, die äußere Handfläche sah aus, als ob sich Wasser unter der Haut angesammelt habe; ihre Hautfarbe war wächsern, ein undurchsichtiges, krankhaftes Weiß, auf dem keine rote Schminke haften wollte. Dazu kam, daß ihr Gang häufig unsicher war oder ihr Augenlicht plötzlich versagte und sie sich an irgend einem Gegenstand festhalten mußte, um nicht zu fallen. An diesem Abend trat dies zwar weniger hervor, denn ihre Nerven waren erregt; sie lauschte auf jeden Tritt und konnte ihre Aufmerksamkeit nicht dem Buch zuwenden, das sie in der Hand hielt.

»Was hast du, Lena? Erwartest du Besuch?« fragte Lady Otto.

»O nein – durchaus nicht,« versetzte sie rasch.

»Du siehst sehr übel aus, Liebe, du solltest Dr. Marshalls Rat befolgen und für ein paar Tage ans Meer gehen,« fuhr ihre Mutter fort.

»So quäle mich doch nicht, Mama,« war die ungeduldige Antwort, »und starre mich nicht unaufhörlich an. In London, wahrend der Saison, sieht jeder Mensch blaß aus, nicht nur ich.«

Lady Otto nahm seufzend ihre Arbeit auf. Der mit so großer Spannung erwartete Besucher war kein andrer als Kapitän Dorsay. Nach einer förmlichen Belagerung mit Einladungen und Bitten, hatte er eingewilligt, sie zu besuchen, und zwar nur, um sich Ruhe vor ihr zu verschaffen. Die Briefe und Botschaften waren ihm lästig und er fürchtete, daß ihre Leidenschaft ruchbar werden und Sir Wilfrid hinterbracht werden könnte, mit dem er um jeden Preis auf gutem Fuß bleiben wollte.

So hatte er ihr diesen Besuch zugesagt, sich aber vorgenommen, ihr bei dieser Gelegenheit klar und deutlich auseinanderzusetzen, daß er nicht länger irgend welche Intimität wünsche, daß er durchaus nicht im Sinne habe, ihretwegen seine Freundschaft mit Sir Wilfrid aufs Spiel zu setzen, und daß er deshalb in gar keiner Verbindung mehr mit ihr stehen wolle. Er sah voraus, daß es eine sehr stürmische Scene werden würde, denn Lena verlor in solchen Fällen alle Selbstbeherrschung. Nachdem er aber Rosie Ewell getroffen hatte, beschloß Kapitän Dorsay, gar nicht nach Onslow Gardens zu gehen.

Er schrieb statt dessen an Lady Ewell. Da er versprochen hatte, England zu verlassen, konnte ihre tolle Leidenschaft ihm keine Unannehmlichkeiten mehr bereiten und er hatte also nicht nötig, ihr jene herben Wahrheiten zu sagen. Mit der letzten Post erhielt sie seinen Brief, nachdem sie einen endlos langen Abend in atemloser Spannung gewartet hatte. Derselbe enthielt nur wenige Worte, deren kalte Höflichkeit sie empörte.

»Meine liebe Lady Ewell!

»Zu meinem Bedauern bin ich verhindert, Sie heute abend aufzusuchen, und muß Sie bitten, meine Entschuldigungen schriftlich anzunehmen. Ich habe Nachrichten erhalten, die mich veranlassen, England sofort und auf unbestimmte Zeit zu verlassen. Sir Wilfrid, den ich heute nachmittag aufsuchte, fand ich leider durch einen Fieberanfall ans Bett gefesselt. Da ich London morgen in aller Frühe verlasse, um mit dem Abendschiff von Dover nach Calais überzufahren, und noch vielerlei zu besorgen habe, werden Sie verzeihen, daß ich nicht mehr im stande bin, mich von Ihnen und Lady Otto persönlich zu verabschieden.

Ihr aufrichtig ergebener
J. Dorsay.«

Das war alles! Kein wärmeres Wort – kein Verlangen, von ihr zu hören – keine Andeutung, wohin er ging! Sie ließ das Blatt herabsinken, als ob ihr die Kraft versagte, es zu halten.

»Irgend etwas vorgefallen, Liebe?« forschte die Mutter.

»Vorgefallen?« fagte Lena unfreundlich. »Was soll denn vorgefallen sein? Darf ich keinen Brief mehr bekommen, ohne ihn abzuliefern?«

»Ich dachte ja nur, es könnte irgend eine Mitteilung von deinem Manne sein.«

»Sir Wilfrid belästigt mich so oft mit Mitteilungen?« bemerkte sie höhnisch.

»Er würde öfter schreiben, wenn du nur von ihm hören wolltest, davon bin ich überzeugt. Du behandelst deinen Gatten schlecht, Lena, und verdirbst dir selbst das Spiel.«

»Wenn du mir nichts Neueres zu sagen hast, Mama, so wäre es vielleicht besser, das Gespräch nicht weiterzuführen.«

»Nein, Lena; ich will wissen, was du im Sinne hast – so kann es doch nicht ewig fortdauern.«

»Worüber hast du dich denn zu beklagen? Sir Wilfrid bezahlt dich regelmäßig und ohne zu knickern – das muß ich ihm zugestehen.«

»Es wäre mir lieber, wenn er weniger großmütig wäre,« erwiderte Lady Otto. »Ich denke jetzt nicht an das Geld, sondern an deinen Ruf. Seit acht Monaten bist du bei mir und die Leute fangen an zu bezweifeln, daß es aus Gesundheitsrücksichten geschieht, oder vielmehr sie sagen, daß eine kranke Frau in ihr Haus und zu ihrem Manne gehört.«

»Hat diese Tirade zu bedeuten, daß du meiner überdrüssig bist?«

»Ich bin des Geredes überdrüssig und ich glaube nicht, daß ich recht thue, wenn ich deinem Eigensinn länger Vorschub leiste. Der Herzog ist derselben Ansicht; er schreibt mir heute, es sei ein Skandal, wie du deinen Mann behandelst. Ich möchte daher wissen, ob du im Sinn hast nach Lambscote zurückzukehren, wenn die Saison vorüber ist.«

»Und wenn ich das nicht im Sinn habe, Mama?«

»Dann soll dein Mann dich irgendwo unterbringen, denn ich nehme dich nicht mit auf meine Reisen.«

»Du jagst mich also aus dem Hause?«

»Nein, Lena! sage das nicht. Du bist mein einziges Kind, und wenn ich dir keine gute Mutter gewesen bin, so lag das an meiner eignen Erziehung, nicht an einem Mangel an Liebe. Ich habe dich immer sehr lieb gehabt und bin stolz auf dich gewesen, deshalb kann ich jetzt das Gerede nicht ertragen, überdies war ich es, die dich zu dieser Heirat drängte, im festen Glauben, daß du glücklich werden würdest. Und weil ich noch glaube, daß du es sein könntest, habe ich im Sinn, morgen offen an Sir Wilfrid zu schreiben und ihm mein Herz auszuschütten – der Herzog rät mir auch dazu.«

Lena erhob sich matt von ihrem Stuhl und sagte mit dem Tone größter Gleichgültigkeit: »Gut, Mama, thu was du willst. Mir ist es ganz einerlei.« Damit begab sie sich in ihr Zimmer.

Als Lady Otto sich einige Stunden später ebenfalls zurückzog, pochte Lady Ewells Kammerjungfer an ihre Thür und brachte ihr ein kleines Billet – Antwort sei nicht nötig.

Dasselbe lautete:

»Liebe Mama!

»Ich habe mir überlegt, was Du mir diesen Abend gesagt hast – vielleicht hast Du recht. Laß mir einen oder zwei Tage Zeit, ich fühle mich zu angegriffen, um heute einen Entschluß zu fassen. Morgen will ich für ein paar Tage ans Meer gehen, wie Du mir rätst, und mich sammeln. Schreibe nicht an Sir Wilfrid, ehe ich zurück bin, und biete mir auch nicht an, mitzugehen: ich muß ganz allein sein.

Deine Lena.«

Als Lady Otto diese Zeilen las, traten ihr Freudenthränen ins Auge. Sie glaubte, daß Lena die Richtigkeit ihrer Gründe eingesehen habe, und beschloß, ihr ja nichts in den Weg zu legen; sie wußte aus Erfahrung, daß Lena sich durch die kleinste Schwierigkeit von einem Plane abspenstig machen ließ, und sie fürchtete sehr, daß noch irgend etwas störend dazwischen treten könnte. Sie schrieb daher nichts, als: »Handle in allem ganz wie Du willst, mein Kind!« schickte ihr das Billet und legte sich dann sehr befriedigt über diesen Sieg zur Ruhe.

Sie war etwas überrascht, daß Lena, die sich sonst nie vor Mittag zu erheben pflegte, in aller Frühe, ohne ihr lebewohl zu sagen, am andern Morgen abgereist war; nicht einmal ihre Adresse hatte sie hinterlassen. Doch sagte sich Lady Otto, daß sie wohl noch nicht entschlossen gewesen sei, wohin sie gehen wolle, und fühlte sich ganz beruhigt – jedenfalls war sie ja gegangen, um ihren Wünschen nachzukommen.

Indessen fuhr Lady Ewell mit ihrer Jungfer nach Dover. Die verblendete Frau hatte keinen andern Gedanken mehr, als daß sie Dorsay sprechen müsse, ehe er England verlasse, und kein Ehrgefühl hielt sie mehr zurück. Sie setzte voraus, daß er in das erste Hotel gehen werde, und fuhr deshalb, in Dover angekommen, in eins zweiten Ranges, wo sie für sich und ihre Begleiterin eine Mahlzeit bestellte. Sobald dieselbe beendigt war, nahm sie einen dichten Schleier vor und machte sich auf, »um spazieren zu gehen«, wie sie dem Mädchen, das im Hotel auf sie warten sollte, angab. Sie ging direkt in das große Hotel und fragte, ob Kapitän Dorsay hier sei. Die Kellner berieten sich flüsternd untereinander und dann erfolgte eine verneinende Antwort.

»Aber er wird heute kommen?«

»Ja, gnädige Frau; wir erwarten ihn um fünf Uhr. Auf sieben Uhr hat er das Diner bestellt, weil er mit dem Nachtschiff überfährt.«

Lena kehrte in ihr Hotel zurück und ruhte aus. Nach fünf Uhr machte sie sich wieder auf den Weg. Kapitän Dorsay, der eben angekommen war, befand sich im Rauchzimmer und war sehr erstaunt, als ihm gemeldet wurde, eine Dame wünsche ihn zu sprechen.

»Eine Dame? Unmöglich! Wie heißt sie?«

»Sie hat ihren Namen nicht genannt, Sir, ich habe sie in ein Privatzimmer geführt; sie ist heute schon einmal hier gewesen.«

Ein phantastischer Gedanke durchfuhr ihn – sollte Rosie Ewell? – Er warf die Cigarre weg und folgte rasch dem Kellner. Als er in dem geheimnisvollen Besuch die Frau erkannte, die er glücklich abgeschüttelt zu haben glaubte, stieg ein lebhafter Widerwille in ihm auf.

»Sie hier, Lady Ewell!« rief er im Tone peinlichster Ueberraschung. »Weshalb sind Sie in Dover?«

»Ihretwegen, Jack, nur Ihretwegen. O, wie konnten Sie mir den grausamen Brief schreiben? Er hat mich halb von Sinnen gebracht.«

»Nicht nur halb, scheint es, sondern ganz, wenn Sie deshalb hierher gefahren sind. Haben Sie denn kein Gefühl mehr für die Gefahr – wenn es Ihrer Mutter oder Sir Wilfrid zu Ohren käme, so hätten Sie sich für nichts und wieder nichts ruiniert. Fahren Sie sofort nach London zurück, ich bitte Sie!«

»Und abermals weisen Sie mich von sich ohne ein gütiges Wort! Sie hätten England verlassen, ohne mir auch nur lebewohl zu sagen? O, Sie haben sich furchtbar verändert!«

»Ich bin ein andrer geworden und Sie sollten sich freuen, denn ich bin besser geworden. Sie haben mir bittre Vorwürfe gemacht, daß ich unsre Beziehungen abbrach – sind Sie denn wirklich so allen Ehrgefühls bar, daß Sie mir zumuten, Ihr Liebhaber zu sein und der Freund ihres Gatten?«

Lena lachte heiser.

»Ehre! – Ehre! – Ich bitte Sie ums Himmels willen, Jack, nennen Sie die Dinge beim rechten Namen. Sagen Sie, daß Sie meiner überdrüssig sind, oder daß eine andre Sie fesselt, aber nennen Sie Ihre Unbeständigkeit nicht Ehre!«

»Sie haben vielleicht recht, zwischen uns ist die einfache Wahrheit am Platz,« erwiderte er ruhig, »Nun denn, Lena, so unritterlich es klingt, ich bin Ihrer müde. Ich kenne Ihre Zweizüngigkeit und Herzlosigkeit – wir werden einander nie mehr das sein, was wir uns einst waren.«

Sie hatte Wahrheit verlangt, aber sie war zu schwach, sie zu ertragen.

»Nein, nein, Jack,« schrie sie außer sich, »sage das nicht! Wie ich auch gewesen sein mag für andre, dir war ich nie ungetreu. Und ich kann nicht leben ohne dich. Ich habe es versucht, es tötet mich wie schleichendes Gift.«

»Besser, daß es Sie tötet, Lena, als daß es Sie an den Abgrund führt, in den Sie sich stürzen möchten. Bedenken Sie, wer Sie sind. Die Enkelin eines Herzogs, die Tochter eines Peers von England – eine Frau wie Sie ist der Gesellschaft mehr Rücksicht schuldig, als eine Bauerndirne. Ihr Fall würde ganz England bewegen, ob Ihrer Schande müßten die Besten des Landes erröten. Um Gottes willen, halten Sie inne, und gehen Sie nach Hause, ehe diese wahnsinnige Flucht bekannt wird.«

»Ich will nicht nach Hause, rief sie leidenschaftlich, »ich will mit dir gehen – mit dir allein! Was kümmert mich meine Familie und die Gesellschaft? Soll mein Leben elend werden wegen ein paar hämischer Gesichter? Ich gehe mit dir!«

»Nun, wenn du taub bist gegen alles andre, so sage ich dir klar und deutlich, daß ich dich nicht mitnehmen will.«

»Was! Du stößt mich von dir?«

»Ja, für jetzt und allezeit! Nicht einen Tag, nicht eine Stunde möchte ich diese Last auf mich nehmen. Ich kenne dich zu gut, du kannst keinen Menschen lieben, als dich selbst,«

»O, glaube das nicht, Jack, laß mich's beweisen, daß dem nicht so ist. Nimm mich mit dir, und wenn der Sturm ausgetobt hat, dann laß mich deinen Namen tragen – mache mich zu deiner Frau.«

»Dich zu meiner Frau? Niemals! Nicht, wenn ich zehnmal frei wäre! Aber ich bin nicht frei; Mary Dorsay lebt.«

Lady Ewell erbebte.

»Deine Frau lebt noch? Ich hörte, sie sei tot?«

»Leeres Gerede. Sie ist körperlich kräftiger als je und die Geisteskrankheit steigert sich zugleich. Aber auch wenn sie tot wäre, Lena, es würde in unserm Verhältnis wahrhaftig nichts ändern.«

»Du verachtest mich also?«

»Ja. – Höre mich an, Lena. Es gab eine Zeit, wo du sahst, daß mein ganzes Wesen gefesselt war von der taufrischen, reinen Hingebung eines unschuldigen, jungen Herzens. Es war ein Unrecht, und wenn du damals als meine Freundin vor mich hingetreten wärest und mich gewarnt hättest vor dem Unheil, das ich dem Mädchen und mir bringen werde, so hätte ich innegehalten auf der schiefen Ebene des Verderbens und hätte dich geachtet um deiner Mahnung willen. Aber du wähltest einen andern Weg – einen, vor dem jede ehrenhafte Frau zurückgeschreckt wäre. Um sie zu verwunden und dir Rache zu schaffen, hast du deine eigne Ehre vor ihren Augen in den Staub getreten, du hast ihr den Einblick eröffnet in eine Verdorbenheit, von der sie nichts ahnte, und du hast sie zur Flucht getrieben aus ihres Bruders Haus. Lena, das habe ich dir nie vergeben!«

»Ich that es, weil ich dich liebte,« flüsterte sie.

»Du hast es gethan, weil du dich rächen wolltest. Du wolltest mich zugleich unlöslich an dich binden und verlorst mich für immer. Und nun hat dich die Nemesis erreicht. Ich verlasse England heute, einzig und allein weil Rosie Ewell es wünscht.«

»Hast du sie gesehen? Ist sie gefunden?« sagte Lena rasch.

»Sie ist gefunden und ich habe sie gesehen,« antwortete er, »und ich danke der Vorsehung, die es in meine Macht gegeben hat, einen Teil meiner Schuld gegen dies engelreine Kind zu büßen. Sie hat mich gebeten, den Verkehr mit ihrem Bruder abzubrechen und England zu verlassen. Ich gehe, und solange du lebst, kehre ich nicht zurück.«

»Dann ist alles vorüber,« sagte sie mit erstickter Stimme und wandte sich zum Gehen. »Leb wohl, Jack – auf ewig!«

Er machte keinen Versuch, sie aufzuhalten, und begab sich in das Rauchzimmer zurück, sehr erleichtert, daß die Unterredung zu Ende war. Wenige Stunden darauf landete er jenseits des Kanals.

Lady Ewell kehrte in ihr Hotel zurück – betäubt von der entsetzlichen Aufregung, die sie durchgemacht. Sie ließ sich sofort von ihrem Mädchen auskleiden und zu Bett bringen.

»Lady Otto wollte, daß ich ans Meer gehe,« sagte sie kläglich, »aber ich glaube, es bekommt mir nicht; ich habe rasende Kopfschmerzen.«

»Die gnädige Frau kann das doch jetzt noch kaum beurteilen,« versetzte das Mädchen tröstend: »Sie sind auch übermüdet von der Reise. Nach einem guten Schlaf werden gnädige Frau sich viel wohler fühlen.«

»Ja, das glaub' ich auch. Komm nicht herein, Susanne, ehe ich klingle; ich will ausschlafen.«

Als es jedoch am folgenden Tage elf Uhr – zwölf Uhr und eins schlug, ohne daß Lady Ewell ein Lebenszeichen von sich gab, hielt Susanne es für das klügste, in ihr Schlafzimmer zu gehen und nach ihren Wünschen zu fragen. Sie fand sie, wie sie vermutet hatte, in dem betäubten Zustande, wie ihn die starken Chloraldosen herbeizuführen pflegten. Da sie die Verantwortlichkeit nicht allein auf sich nehmen wollte, sandte sie nach einem Arzt, dessen Versuche zur Wiederbelebung aber erfolglos blieben.

An dem nämlichen Abend wurden Lady Otto und Sir Wilfrid Ewell telegraphisch nach Dover berufen. So unverzüglich sie auch die Reise antraten, fanden sie doch nur noch eine Leiche. Ob Lady Ewell diese Dosis Chloral zufällig oder absichtlich genommen, blieb ein ungelöstes Rätsel.


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