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Dreizehntes Kapitel

Gefunden

Rosie Ewell hatte ihren Beruf gefunden: keinen sehr erhabenen, aber wenn jeder das thut, was er am besten kann, so ist's gut, und Rosie konnte Photographieen bemalen. Sie mußte ganz vorn anfangen, allein sie erreichte bald die höheren Stufen. Vom einfachen Retouchieren ging es an das Malen der Kleider und bald wurden ihr ganze Bilder anvertraut. Im Anfang war die Bezahlung herzlich schlecht und sie war dem Weinen nahe, wenn sie Hanna den kleinen Wochenlohn einhändigte, der die Ausgaben lange nicht deckte. Nach und nach nahm der Verdienst zu und endlich kam der stolze Tag, an dem ihr Hanna die Hälfte der Summen zurückgab.

Sie umarmte sie und nannte sie ihre liebe, einzige Schwester und dankte ihr für alle die Opfer, die sie ihr gebracht, denn es war mancher Monat hingegangen, ehe dies Ziel erreicht worden war, und Hanna hatte hart gearbeitet und sogar Näharbeit angenommen, um den bescheidenen Haushalt im gewohnten Geleise halten zu können.

Nun hatte alle Not ein Ende, doch war Rosie sehr beleidigt, weil Hanna sich ihre früheren Auslagen nicht ersetzen ließ. Ihr einziger Trost war, der kleinen Nellie die allerwunderbarsten, spitzenbesetzten Kleidchen zu kaufen und das kleine Fräulein mit so riesigen Schürzen und Achselschleifen zu schmücken, daß sie sich immerzu um ihre eigne Achse drehen mußte, um ins klare zu kommen über die wunderbaren Dinge, die hinter ihr drein flatterten.

Nachdem Mr. Denham sich überzeugt hatte, daß Miß Frasers Photographieen den höchsten Ansprüchen genügten, verwendete er sie in seinem Atelier in Regentstreet, wo solche Feinheit mehr gewürdigt wurde, als in Chelsea.

Hanna flößte diese neue Einrichtung einige Sorge ein, Rosie nicht im mindesten. Es würde sie gar nicht genieren, erklärte sie, einem von den Ihrigen zu begegnen; sie von ihrer geliebten Hanna wegzunehmen, hätte ja niemand Recht und Macht, und es müßte sehr komisch sein, die entsetzten Gesichter zu sehen, wenn sie die Schwester bei der Arbeit fänden. »Der einzige, dem ich nicht begegnen möchte,« setzte sie mit bebenden Lippen hinzu, »wäre mein lieber, lieber Wilfrid,« was Hanna, sich abwendend, ganz natürlich fand.

Es war an einem kalten, trüben, winterlichen Märztage. Rosie hatte sich eben besonnen, ob es überhaupt möglich sei, bei diesem Lichte ans Werk zu gehen, als ihr Prinzipal mit einer Photographie in Visitenkartenformat eintrat.

»Können Sie damit irgend etwas machen, Miß Fraser?« fragte er. »Der Herr möchte den Kopf gemalt haben für ein Medaillon, aber ich fürchte, das Bild ist zu dunkel. Ich gab ihm den Rat, noch einmal zu sitzen, aber er hat Eile und möchte es sofort haben. Können Sie es ausführen?«

Er reichte ihr die Photographie hin, es war die ihres Bruders.

»Ist der Herr hier?« fragte sie hastig.

»Ja; er wartet auf Ihren Ausspruch.«

»Es ist viel zu dunkel; es könnte nie gut werden.«

»Schön, das will ich ihm sagen,« sagte Mr. Denham, kehrte aber nach wenig Augenblicken wieder zurück.

»Der Herr – es ist Sir Wilfrid Ewell – sagt, daß es ja sein Schaden sei, wenn das Bild nicht gelinge; er wolle speciell diese Aufnahme koloriert haben und möchte selbst mit Ihnen sprechen.«

»Dazu habe ich keine Zeit,« erwiderte sie kurz.

»Aber, Miß Fraser, ich muß Sie bitten,« begann der Photograph, ward aber durch eine Stimme unterbrochen, die zur Thüre hereinrief: »Darf ich eindringen?« und Sir Wilfrid erschien auf der Schwelle.

»Ach, Sie bemühen sich herauf! Nun können Sie selbst mit der jungen Dame sprechen. Sir Wilfrid Ewell, Miß Fraser,« damit zog Mr. Denham sich zurück.

Wilfrid hatte sie auf den ersten Blick erkannt, aber die Ueberraschung ließ ihn verstummen.

»Mach keine Geschichte, Lieber,« sagte Rosie, die sich schon gefaßt hatte, ruhig. »Ich bin es wahrhaftig und du darfst nicht böse sein, mich hier zu finden.«

»Rosie, mein Schwesterherz – böse sein, wenn ich dich finde! Wie hab' ich mich um dich geängstigt! Aber wie kommst du hierher? Bei wem lebst du? Was thust du? O, Rosie, bekenne nur alles, habe keine Furcht vor mir.«

Er hatte die Thüre zugemacht und hielt sie fest umschlungen.

»Ich habe gar keine Furcht, Herzensbruder, und habe mich auch gar nicht zu schämen. Aber laß mich los! Wenn Mr. Denham uns sähe!«

Beide lachten und Rosie trocknete dabei ihre Thränen.

»Nun ich dich gefunden habe, lass' ich dich nicht mehr!«

»Und das sollst du auch nicht; ich kann's nicht mehr begreifen, wie ich ohne dich leben konnte. Aber hier darfst du nicht bleiben. Gib mir deinen Auftrag und sage mir, wo ich dich treffen kann, wenn ich fertig bin.«

»Ach, die dumme Photographie brauche ich nicht, aber dich.«

»Das wird Mr, Denham nicht erfreuen,« sagte Rosie. »Darf ich ihm sagen, daß du ihm noch einmal sitzen willst?«

»Sag ihm, was du willst, aber komm jetzt mit mir!«

»Nein, unmöglich! Du darfst auch nicht wiederkommen; sie sollen nicht wissen, daß du mein Bruder bist. Sag mir nur, wo ich dich um fünf Uhr allein, bitte allein, treffen kann?«

»In meiner alten Wohnung, Rochesterstreet, Adelphi Strand.«

»Dort – Wilfrid – und wo – wo ist deine Frau?«

»Das will ich dir erklären, wenn mir mehr Zeit haben. Also, du hältst Wort, pünktlich um fünf Uhr bist du bei mir.«

»Gewiß, Lieber, ich kann's ja kaum erwarten!«

Das Eintreten des Prinzipals zwang Sir Wilfrid, zu gehen, und nachdem er eine zweite Sitzung zugesagt und verabredet hatte, blieb Rosie allein mit ihrer Aufregung und ihren Gedanken. Sobald die Arbeitszeit zu Ende war, kleidete sie sich um und eilte dem Strand zu. Es war ihr ziemlich bänglich zu Mut, als sie sich Rochesterstreet näherte; ihr Bruder hatte jede Beziehung zu den Warners so völlig abgebrochen, daß sie nicht wußte, wie er die Mitteilung, daß sie bei denselben lebe, aufnehmen werde; sie beschloß, dabei für ihre Freunde jeden Kampf mutig zu bestehen.

Sie fand Sir Wilfrid an einem lodernden Kaminfeuer mit einem äußerst luxuriös besetzten Theetisch neben sich. Sobald der Diener die Thür hinter sich geschlossen hatte, flogen Bruder und Schwester einander in die Arme.

»Und nun, Rosie,« rief Sir Wilfrid, nachdem der erste Freudensturm sich etwas gelegt hatte, »mußt du vor allen Dingen essen, vorher will ich gar nichts hören. Hier ist Butterbrot und eine Wildbretpastete und Eingemachtes und Streukuchen und –«

»Ich bitte dich, halte ein, Wilfrid,« rief Rosie fröhlich, »du bildest dir, glaube ich, ein, ich hätte seit unsrer Trennung nichts mehr gegessen!«

Sie hatte den Hut abgenommen und machte vor dem Spiegel ihre Haare zurecht.

»Du bist noch hübscher geworden,« bemerkte der Bruder mit Stolz, »und bist gewachsen. Und nun erzählst du mir alles, alles, mein Schwesterlein! Du bist allein, hoffe ich, Rosie? Nicht verheiratet?«

Die Fröhlichkeit verschwand plötzlich aus ihrem Blick.

»Nein, Wilfrid; verheiratet bin ich nicht und werde es wohl nie sein, ich glaube es ist besser, man bleibt allein!«

»Und was hat dich fortgetrieben, Kind? Du weißt nicht, wie viel Angst und Herzeleid du mir bereitet hast.«

»Mein lieber alter Schatz!« sagte sie zärtlich. »Du warst der einzige, um dessentwillen mir's schwer wurde. Ich ging fort, weil ich in Lambscote nicht bleiben konnte – laß das ruhen, es ist ein für allemal abgemacht. Die Mutter war sehr hart gegen mich und sagte mir schreckliche Dinge und wollte mich zwingen, dorthin zurückzukehren. Deshalb lief ich davon. Das Geld, das du mir zur Reise gegeben hattest, reichte so lange, bis ich Arbeit fand, und seither verdiene ich meinen Unterhalt. Das ist meine ganze, höchst einfache Geschichte, und du brauchst dich nicht an mir zu schämen. Ich habe nichts gethan, was meinem Stande und meiner Erziehung Unehre machte, und ich bin froh und zufrieden dabei gewesen.«

»Aber ein Kind wie du, allein leben und sein Brot verdienen! Jetzt, wo wir einander wieder haben, hast du ja dazu keine Veranlassung mehr.«

»Lieber Wilfrid, nach Lambscote kehre ich nie zurück.«

»Dann darf ich auf andre Weise für dich sorgen.«

»Das auch nicht. Ich habe, was ich brauche, und bin zufrieden.«

»Wie das Schwesterlein unabhängig geworden ist! Ist es möglich, daß dir dein jetziges Leben besser behagt als das frühere?«

»Darum handelt es sich gar nicht. Sieh, Wilfrid, so lange Lena deine Frau ist, so lange hat sie Anteil an allem, was dir gehört, und nicht eine Brotkruste möchte ich aus ihrer Hand empfangen.«

»Immer noch so bitter, Rosie?«

»Sie hat mich so gemacht. Höre mich an, Bruder, Du kannst mir glauben, daß ich mich nicht ohne triftigen Grund von dir lossagte. Ich bin jetzt froh und dankbar, daß ich mich selbst erhalten kann und daß ich teure Freunde gefunden habe, die mir dazu verhalfen, und wenn auch mein jetziges Heim nicht reich und glänzend ist wie das in deinem Hause, so bin ich doch vollständig entschlossen, nicht dahin zurückzukehren, wo Lena die Herrin ist; mache deshalb keinen Versuch, mich umzustimmen. Wenn du meine Arbeit für erniedrigend hältst, so laß mich meinen Weg allein weiter gehen, aber ich kann weder bei dir leben, noch die Mittel zum Leben von dir annehmen.«

»Ich habe dich ruhig zu Ende sprechen lassen, nun höre auch du mich an, Schwesterchen. Du warst erstaunt, mich in meiner Junggesellenwohnung zu finden, nun, meine Frau und ich, wir verstehen uns nicht mehr ganz, das heißt, sie scheint meiner überdrüssig zu sein. Ich habe ihr alles zuliebe gethan, aber sie haßt das Landleben und will nicht mehr nach Lambscote. Sie ist mit ihrer Mutter in Paris gewesen und wohnt nun bei derselben in Onslow Gardens. Lena verlangt, daß ich ein Haus in London kaufe und das ganze Jahr hier lebe. Dazu reichen meine Mittel nicht aus; das Schloß muß erhalten werden; ich kann den alten Familiensitz nicht zu Grunde gehen lassen. Sie lebt also bei ihrer Mutter, ich in Lambscote.«

»Und ist dir das schmerzlich, lieber Wilfrid?«

»Es ist mir sehr schmerzlich gewesen, Rosie, und hat mich sehr unglücklich gemacht. Aber schließlich – man kann nicht ewig einem Phantom nachjagen,« sagte er mit wehmütigem Lächeln. »Wenn ich, wie ich voraussehe, nach der Saison allein nach Lambscote zurückkehren muß, wirst du mir's auch dann abschlagen, zu mir zu kommen?«

»Ja, Lieber, das werde ich, O, halte mich nicht für eigensinnig und unfreundlich, aber solange sie lebt, hat sie das Recht, dein Haus zu bewohnen, und einer zweiten Ausweisung könnte ich mich nicht aussetzen. Glaube mir, wenn ich dir sage, daß es nicht sein kann.«

»Gut, Rosie! Ich will dich nicht mehr darum bitten. Die Folgen meines großen Irrtums muß ich tragen, das ist nur gerecht. Aber sehen darf ich dich doch zuweilen, Rosie, und, du sprachst vorhin von Freunden, wer sind sie? Wo und bei wem wohnst du?«

Rosie errötete bei dieser lange erwarteten und gefürchteten Frage. Ihre Angst, wie der Bruder es aufnehmen werde, daß sie von ihm zu derjenigen geflohen war, deren Namen zu nennen er ihr verboten hatte, ließ sie verstummen.

»Rosie, wahrhaftig, du wirst dich doch ihrer nicht schämen müssen.«

»Schämen! Nein, sicherlich nicht!« rief sie mit ihrer alten Tapferkeit. »Von Herzen stolz bin ich auf meine Freunde! Wilfrid, denke dir Menschen, die arm sind, die ums tägliche Brot arbeiten müssen und die mich, wenn ich mich unter ihren Schutz flüchte, aufnehmen ohne Zögern, ohne Fragen. Sie geben mir Obdach; sie nehmen mich auf wie eine Tochter oder Schwester, sorgen für mich, bis ich es selbst zu thun im stande bin; pflegen mich, wenn ich krank bin; trösten mich, wenn ich Kummer habe, und verlangen für all das nichts, nichts!«

»Nun, Rosie, ein Mensch des neunzehnten Jahrhunderts hat nicht Phantasie genug, um sich solchen Edelmut auch nur vorzustellen.«

»Und doch existiert er. Sie ist mir die treueste Freundin und Schwester gewesen, die ein unglückliches, verlassenes Mädchen je fand –«

»Sie – sie?« fragte Sir Wilfrid lächelnd, »Bis jetzt glaubte ich mich einer ganzen Familie zum Dank verpflichtet, nun schrumpft sie plötzlich zu einer einzelnen Person zusammen.«

»Es ist eine Familie,« versetzte das Mädchen etwas gesammelter. »Aber die Freundin, von der ich sprach und die mir die ganze Welt ersetzte, seit mir voneinander geschieden, Wilfrid, das ist Hanna Warner.«

Einen Augenblick war Rosie erschrocken über die Wirkung ihrer Worte. Er war aufgesprungen und sah ihr so fest ins Auge, als ob er nicht glauben könne, daß er recht gehört. Dann stieg ihm das Blut heiß ins Gesicht und brennende Scham bemächtigte sich seiner. Mit der Gewißheit, daß seine Schwester seit zwei Jahren bei der Frau lebte, die er verlassen hatte, kam ihm auch die Ueberzeugung, daß Rosie alles wissen müsse – Hanna mußte ihr alles anvertraut haben. Männer wissen nicht, wie Frauen schweigen können, wenn es sich um ihr Herzensleben handelt. Er fand keine Worte, seine Ueberraschung auszusprechen; er flüsterte nur leise vor sich hin »Hanna – Hanna Warner!« als ob es zu wunderbar und unfaßbar wäre. Rosie hielt seine Erregung für Zorn; sie dachte an Hannas Wort, daß sie und Wilfrid einst die aufrichtigsten Freunde gewesen seien und daß sie es nie im Leben wieder werden könnten, und sie fühlte, daß nur etwas sehr Ernstes sie hatte scheiden können.

»Wilfrid,« begann sie, »du bist mir nicht böse, nicht wahr? Ich weiß, du hattest einmal ein Mißverständnis mit Hanna, aber das ist schon so lange her. Und sie ist so gut gegen mich! Sie ist ein Engel, wenn es je einen gab!«

»Und diese ganze Zeit bist du bei ihr in Chelsea gewesen?« fragte er, sich mit der Hand über die Stirn fahrend, als ob er aus einem Traum erwache.

»Gewiß, in Wolsey Cottage, und ich war so wohl geborgen dort. Ich ging geradeswegs zu Hanna, wen hatte ich denn sonst? – und sie ist mir Mutter und Schwester gewesen.«

Nun schien Sir Wilfrid sich von seiner Bestürzung zu erholen, und seinen Stuhl ganz nah zu Rosie rückend, fragte er lebhaft: »Erzähle mir alles! Wie geht es Hanna und wie sieht das alte Häuschen aus? Lebt die Mutter noch und in welchen Verhältnissen sind sie? Spricht Hanna je von mir? Hält sie mich für undankbar?«

»Was für ein Fragenstrom,« lachte Rosie, ganz glücklich über sein verändertes Wesen, »laß mir nur ein wenig Zeit, Wilfrid. Wie es Hanna geht, fragst du? Nun, was ihre Gesundheit betrifft, gut, aber ich finde, daß sie sehr gealtert hat in den zwei Jahren. Sie ist immer engelsgut, aber singen und lachen thut sie nie, und sie will auch nie ein Vergnügen haben. All ihre freie Zeit widmet sie der kleinen Nellie.«

»Nellie? Wer ist Nellie?«

»Ein Kind, das sie zu sich genommen haben, ein süßes kleines Geschöpf, das von Hanna vergöttert wird. Sie trennt sich nie von ihm, und wenn Mr. Cobble uns Theater- und Konzertbillete bringt, muß ich immer mit Miß Prosser hingehen.«

»Cobble! Cobble! Ich entsinne mich des Namens.«

»Er war jedenfalls zu deiner Zeit schon dort. Er ist ein junger Arzt und ganz furchtbar verliebt in Hanna!«

»Verliebt in Hanna! Will er sie heiraten?« rief Sir Wilfrid auffahrend.

»Natürlich; und Miß Prosser schilt immer, weil Hanna nichts davon hören will. Es ist zum Todlachen, jeden Sonntag schreibt er einen Heiratsantrag und schickt ihn Montag früh mit dem Gelde für die Wochenrechnung herunter.«

»Absurd! Solch ein verkommener Spitalbummler!«

»Aber, Wilfrid! Mr. Cobble ist ein sehr netter Mann bis auf den dummen Namen. Wenn Hanna ihn nur nehmen wollte, er soll dereinst in sehr gute Verhältnisse kommen.«

»Hanna kann nicht, das heißt, ich glaube nicht, daß sie heiratet.«

»Ich auch nicht, aber wenn sie sich entschließt, so wäre es Mr. Cobble. Letzte Woche hat er ihr einen reizenden Ring gekauft, den sie nicht annahm.«

»Unverschämter Kerl,« brummte der Baronet, »Rosie, spricht Hanna Warner jemals von mir?«

»Nie! nur wenn sie mich vor etwas warnt. Sie sagt manchmal: ›Thue das nicht, es könnte deinem Bruder unlieb sein‹, oder ›Ich weiß nicht, ob dein Bruder das billigen würde‹. Sie denkt immer nur an andre.«

»So – und sie sind nicht in Not? Es fehlt an nichts im Haushalt?«

»O, wir schlagen uns tapfer durch!« versetzte Rosie fröhlich, »Wir sind Philosophen, mußt du wissen, und nehmen uns gar nicht Zeit zum Sorgen haben.«

»Rosie, ich kann dich doch hoffentlich in Wolsey Cottage besuchen?« fragte Sir Wilfrid nach einer kleinen Pause.

»Die Frage mußt du dir selbst beantworten können, Wilfrid. Ich habe natürlich nichts dagegen, allein Hanna müssen wir wohl zuerst fragen.«

»Willst du das in meinem Namen thun?«

»Was soll ich ihr sagen?«

»Daß ich dich zuweilen sehen möchte; das genügt.«

»Willst du nicht sagen, daß du dich mit ihr aussöhnen möchtest?«

»Das kann ich nicht, denn wir hatten niemals Streit.«

»Weshalb hast du denn dann den Verkehr abgebrochen?«

»Weil – weil es für uns beide so am besten war. Aber nun bin ich schon so lange verheiratet, die Vergangenheit ist fast vergessen –«

»Gut, fragen will ich sie und dir Bescheid senden,« sagte Rosie.

Sie glaubte, des Rätsels Lösung gefunden zu haben: Hanna hatte ihren Bruder geliebt, und weil er ihre Gefühle nicht erwidern konnte, hatte er sie gemieden! Sie schlang die Arme um seinen Hals und rief: »O, du närrischer, dummer, dummer, lieber Geselle!«

»Weshalb denn so dumm, kleine Weisheit?« fragte Sir Wilfrid.

»Die entsetzliche Frau zu heiraten, wenn man eine Hanna Warner hätte haben können! Ich weiß jetzt alles – sie hat dich geliebt und du konntest es nicht erwidern. Meine arme Hanna! Auf der ganzen weiten Welt hättest du keine bessere, beglückendere, reizendere Frau finden können!«

Dieser erneute Angriff trieb wieder dunkle Röte auf seine Wangen.

»Wirklich, Rosie! Du irrst dich vollkommen! Ums Himmels willen, sage nichts derart zu Hanna, oder ich bin außer stande, ihr Haus zu betreten. Weder war sie verliebt in mich, noch ich in sie; es war reine Freundschaft –«

»Ach, mit eurer Freundschaft täuscht ihr mich nicht mehr,« sagte Rosie und machte sich fertig zu gehen, »Jedenfalls, Herzensbruder, bin ich froh, daß ich dich wieder habe, und hoffe, daß wir uns nun oft sehen. Aber was Hanna betrifft, so leugne nur nicht, ich sehe jetzt ganz klar!«

Der Baronet setzte sich, nachdem sie fort war, ans Fenster und dachte nach über das Erlebte und das Gehörte.

Man hatte von diesem Fenster aus einen reizenden Blick auf die Themse, aber Wilfrid sah heute nichts von dem fröhlichen Gewimmel der Dampfer und Barken auf dem breiten Strome. Die Freude, seinen Liebling wieder gefunden zu haben, erfüllte sein Herz und seine Gedanken flogen immer wieder hin zu Hanna – Hanna, die alt geworden sei, die nicht mehr lache, nach keinem Vergnügen verlange, die seinen Namen nicht mehr nenne und ihrer jungen Freundin doch die Ueberzeugung eingeflößt hatte, daß sie ihn geliebt habe. Lange, lange saß er so, und mitten in der düsteren, regnerischen Märznacht tauchte der klare helle Sommerabend vor ihm auf, an dem er sie zuerst gesehen. Was für ein schönes, liebliches, süßes Geschöpf war sie ihm erschienen mit ihrem kindlichen Lächeln und Erröten und der wunderlichen Würde, wenn sie ihre Hausfrauenpflichten erfüllte. Er gedachte der Befangenheit, mit der sie ihm zuerst Zutritt in ihren geliebten Garten gestattet, und der Dankbarkeit, die sie ihm zeigte, wenn er ihr die Rosen und Schlingpflanzen aufbinden half. Wie lieblich war das große Lilienbeet an der südlichen Mauer, wo er ihr den ersten Kuß auf die Lippen gedrückt, und wo sie ihm gestanden hatte, wie lieb sie ihn habe. Ob sie den Ring noch trug, den Trauring? – das heißt, den sie für einen solchen gehalten hatten, setzte sein schuldbewußtes, Gewissen hinzu.

Vorüber war vorüber, aber trotz aller Illegitimität war ihm ihre Verbindung doch immer so recht wie eine Ehe erschienen, und heute noch konnte er nicht anders an sie denken, als an seine Frau. Glücklich waren sie gewesen, bis dieses verfluchte Geld sie getrennt hatte. Es war ihm selbst überraschend, daß er dies Geld in seinen Gedanken so nannte, aber glücklicher, das war richtig, war er ja gewesen, ehe er es besessen hatte. Wie schön war Hanna gewesen in dem rosa Kattunkleidchen, ohne andern Schmuck als jenen Ring, mit dem strahlenden Liebesblick, der ihr Gesichtchen verklärte. Von dem Tage an, an dem er sie unter falschem Namen zum Altar geführt, bis zu dem, wo er ihr gesagt hatte, daß ihre Trauung eine Komödie gewesen sei und sie kein Recht habe, sich sein Weib zu nennen, war sie sich treu geblieben, großmütig, edel, hingebend und stets bereit, sich selbst aufzuopfern. Und diese Frau hatte er verlassen!

Das Band zwischen ihnen war zerrissen und Hanna besaß viel zu viel weiblichen Stolz, um es je wieder anknüpfen zu lassen. Aber als Freund konnte er ihr doch wieder nahe treten. Er wollte ja nicht mehr von Liebe sprechen – natürlich nicht, als Lenas Gatte! Aber er konnte ihr Leben unter dem Vorwande, es Rosies wegen zu thun, sorgenfreier und heiterer gestalten. Wie glücklich würde er sich fühlen, wenn er nun wieder nach Chelsea fahren dürfte und Hannas Wangen sich tiefer färben und Hannas Augen aufleuchten sehen würde bei seinem Kommen, und wie wollte er mit ihr und Rosie die langen Sommerabende im Garten verplaudern! Welch ein Glück, daß Rosie sich an sie gewendet, nun konnte noch alles gut werden.

Das war gedacht mit der ganzen Selbstsucht des Mannes. Er fühlte nicht, daß es für Hanna nie wieder gut werden konnte und daß sie verurteilt war, bis an ihr Grab die Narben der Wunden zu tragen, die seine Treulosigkeit ihr geschlagen. Das idyllische Bild, das er sich von ihrem Freundschaftsbund ausmalte, diente einzig zu seiner persönlichen Befriedigung und verscheuchte nur das peinliche Gefühl, das die Erinnerung an sie in ihm hervorgerufen. Er hatte sich in dieser Weise alles höchst angenehm zurechtgelegt und ging mit der Gewißheit zu Bett, daß die Morgenpost ihm die gewünschte Erlaubnis bringen werde. Aber der Briefträger kam und ging noch manchen Tag, ohne ihm die so sicher erwartete Nachricht von Chelsea zu bringen.


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