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Sechstes Kapitel

Erhört

Zwei Tage nach seiner Unterredung mit Hanna blieb Sir Wilfrid schlechter Laune. Er begriff die Verzweiflung nicht, in die seine Mitteilung sie versetzt hatte, und wie die Männer es in Beziehung auf Frauen zu machen pflegen, nahm er sich nicht die Mühe, darüber nachzudenken, woher die Verschiedenheit in ihrer Auffassung der Sache rührte. Er sah in ihren Thränen einen Vorwurf und das reichte hin, ihn zu verstimmen, und den Entschluß wachzurufen, Hanna gar nicht mehr zu besuchen, ehe er sein Wort einlösen konnte.

Lady Otto und ihre Tochter waren nicht die Leute, die Gras unter ihren Füßen wachsen lassen, wenn sie einmal einen Plan gefaßt haben. Auf Sir Wilfrids ersten Besuch waren verschiedene Aufmerksamkeiten erfolgt – bald war es ein Platz im Schauspielhause, oder eine Loge in der Oper oder eine Einladung zu einem großen Ball oder einer fête champêtre, die ihm durch ihre Vermittlung zu teil wurden. Und bei all diesen Vergnügungen konnte Sir Wilfrid ein für allemal darauf rechnen, sich den ganzen Nachmittag oder Abend als bevorzugter Kavalier an Lenas Seite zu befinden. Sie hatte ihn bald jede peinliche Erinnerung vergessen machen, er wußte nichts mehr, als daß sie berückend schön sei und sein eigen, sobald er nur wollte. Letzteres hatte sie ihm schon im ersten Stadium ihres erneuten Verkehrs deutlich zu verstehen gegeben. Ihr Betragen gegen ihn war ein so vollständig verändertes, daß er sie kaum wiedererkannte; sie schien zu ihm aufzublicken, seines Rates zu bedürfen und seine Ansicht zu erraten, ehe sie ihre eigne zu äußern wagte. Sir Wilfrid war nicht sehr begabt – ja man konnte ihn entschieden unbedeutend nennen, deshalb schmeichelte seiner Eitelkeit nichts so sehr, als wenn man ihn als eine Autorität betrachtete.

Hanna mit ihrem praktischen, klaren Verstand pflegte eher ihm die Dinge klar zu machen und lachte ihn hie und da sogar aus, nun fand er plötzlich, daß er bisher nicht genügend gewürdigt worden sei und daß es nur an ihm liege, eines der glänzendsten Gestirne des Landes zu werden. Miß St. Blase wußte so hübsch zu reden über seine Stellung in der Grafschaft, über die Erwartungen, die sich an sein Auftreten knüpften, den Einfluß, den er auf seine Umgebung ausüben werde, daß er sich zu fragen begann, wie das Parlament so lange ohne ihn habe bestehen können.

Als er zuerst fühlte, daß seine frühere Empfindung für Lena St. Blase – Liebe ist ein zu heiliger Name für das, was ihre Reize in ihm erregten – wieder erwacht war, klagte er sich selbst aufs ernstlichste der Treulosigkeit an. Zwei Jahre lang hatte er Hanna unverbrüchlich als seine Frau betrachtet, und es bedurfte der Zeit, sich dieses Gedankens zu entwöhnen. Aber als die Leidenschaft sich steigerte, fing er an, die Möglichkeit einer Befriedigung derselben ins Auge zu fassen. Er hörte noch nicht auf, sich zu sagen, daß er seine Schuldigkeit an Hanna thun müsse, aber er fühlte täglich lebhafter, daß er ohne Lena nicht leben könne.

Mr. Parfitts bloße Art, seiner Ehe zu erwähnen, leistete solchen Gedanken großen Vorschub.

»Nun, Sir Wilfrid,« fragte er am Schluß einer geschäftlichen Unterredung, »haben Sie jetzt beschlossen, was aus dem Mädchen in Chelsea werden soll?«

»Ich muß Sie bitten, nicht in diesem Tone von der Dame zu sprechen. Ich habe Ihnen gesagt, daß sie meine Frau ist.«

»Und ich habe Ihnen gesagt, daß sie es nicht ist.«

»Wir haben uns stets als verheiratet betrachtet und so bald als thunlich werden wir uns regelrecht trauen lassen.«

»Thut mir leid zu hören,« erwiderte der Advokat.

»Thut Ihnen leid zu hören, daß ich als Mann von Ehre handle?«

»Wenn ich es irgendwie für nötig erachtete, daß Sie die junge Person heiraten, so wäre ich es, der darauf drängte. Aber ohne alle Umschweife – klar und deutlich – Sie haben keinerlei Verpflichtung.«

»Dann ist unsre Auffassung des Worts Ehre eine verschiedene.«

»Möglich, Sir Wilfrid; eigennützige Motive können Sie mir aber nicht unterlegen. Mir persönlich kann es vollkommen gleichgültig sein, wen Sie heiraten, ich bleibe aber unentwegt bei meiner Ueberzeugung und spreche dabei im Namen der Ihrigen, im Namen Ihres verstorbenen Vetters, dessen Rang und Besitz Ihnen zu teil wurde. Der Fleck wird auf dem Namen Ewell haften, und niemals werden Ihre Kinder ihr Haupt so hoch und frei zu tragen vermögen wie Ihre Vorfahren es gethan haben.«

»Sie übertreiben, Parfitt.«

»Ich spreche einfach die Wahrheit. Folgen Sie meinem Rate und entschädigen Sie das Mädchen in andrer Weise.«

»Darein würde sie niemals willigen,« rief der Baron entrüstet.

»Sie müßte darein willigen, Sir Wilfried. Sehen Sie die Sache doch nüchtern und vernünftig an. Sie sind mit der Person so wenig verheiratet als mit meinem Stubenmädchen; die Vorsehung hat Sie davor bewahrt, sich unwiderruflich zu binden, und den Schritt jetzt zu thun, wäre Wahnsinn. Das junge Mädchen wird es ohne Zweifel bitter empfinden, und Sie nicht minder, dieser Schmerz ehrt beide. Allein von jeher mußte der Mann seine Neigungen der Pflicht zum Opfer bringen, Sir Wilfrid, und ich zweifle nicht, daß Sie einer heroischen That so gut fähig sind, wie je ein andrer. Ihrer Familie, Ihrem Namen, Ihrer Zukunft, der Gesellschaft und Ihren Freunden müssen Sie das Opfer bringen und Sie werden es bringen!«

Wilfrid Ewell die Ueberzeugung einzuflößen, daß er eine selbstlose, heroische That begehe, indem er Hannas Rechte verleugne, das war ein wirksames Mittel. Solange Unrecht Unrecht hieß, war er zu feige, ein solches zu begehen; sobald seine Ratgeber Unrecht Recht nannten, war er bereit, ihrer Ansicht beizutreten. Er sagte nicht, daß er Mr. Parfitts Rat befolgen wolle, aber er dankte ihm für denselben und versprach, die Sache zu überlegen, und je mehr er überlegte, desto ausführbarer erschien sie ihm.

Schließlich, was würde Hanna denn eigentlich dabei verlieren? Sie liebte ihn allerdings, doch Tausende von Liebenden werden geschieden und Hanna würde nicht schlimmer dran sein, als andre. Sie war sehr jung, erst neunzehn Jahre, und hatte also Zeit genug vor sich zum Vergessen. Sie würde in Chelsea weiter leben, als ob sie ihn nie gesehen hatte, und obwohl er immer ihr Freund bleiben und ihr beistehen würde, wenn es nötig wäre, sah er doch nicht ein, weshalb er das Hindernis sein sollte, wenn sich eine passendere Partie für sie fände. Und Sir Wilfrid fuhr aus diesem Traum der anbrechenden Freiheit auf, um sich zu verabredeter Stunde bei Lady Otto einzufinden, wo er von süßeren Fesseln träumte, die unter schmachtenden Blicken und gesenkten Augenlidern seiner harrten.

Es gibt vielleicht auf der weiten Welt nichts Entzückenderes, als an einem warmen Sommertage die Themse hinunterzugleiten. Der Strom hat einen träumerischen Frieden, der dem ewig wechselnden Ocean gebricht, und eine Ruhe und Frische, die dem geschäftigen Festland fehlt. Sir Wilfrid hatte diesen Zauber nie so mächtig empfunden wie heute, wo er, die Blicke tief in Lenas Augen versenkt und beider Augen vor fremder Neugier durch ihren Spitzenschirm geschützt, den Fluß hinabfuhr.

Die Gesellschaft war zahlreich und befand sich auf einer kleinen Jacht, die sie zum Diner nach Maidenhead führte; die Rückkehr sollte bei Mondschein erfolgen. Lena trug ein duftiges weißes Kleid von indischem Musselin, reich mit Valenciennesspitzen verziert; auf ihrem Haar ruhte ein leichtes Nichts von Spitzen, mit Rosenknospen zusammengehalten. Sir Wilfrid, der sie mit Entzücken betrachtete, fand, daß er nie eine Dame eleganter und dabei einfacher gekleidet gesehen habe. Was die Einfachheit betrifft, so bekommt der Mann über diesen Punkt erst in der Ehe Aufklärung. Sir Wilfrid war zwar verheiratet, aber derlei Dinge hatte er bei der armen Hanna nicht in Erfahrung gebracht.

Lady Otto befand sich nicht in heiterer Stimmung. Sie hatte die Wasserpartie nicht selbst arrangiert, sondern war mit der übrigen Gesellschaft nur dazu eingeladen, und als sie an Bord des Schiffes war, entdeckte sie erst, daß Kapitän Dorsay sich unter den Gästen befand. Sie hatte nicht gewußt, daß er mit ihren Wirten befreundet war, und war sofort geneigt, anzunehmen, daß er sich eine Einladung nur verschafft habe, um sich ihrer Tochter zu nähern – vielleicht sogar, um den Bewerbungen Sir Wilfrids ein Ende zu machen. Der Gedanke machte sie fast wahnsinnig! Was all ihr Vorgehen gegen den Kapitän so erschwerte, war, daß sie mit ihrer Abneigung völlig allein stand. Er war eine eigenartig hübsche und anziehende Persönlichkeit – weit mehr als Wilfrid Ewell – und über seiner ganzen Erscheinung lag ein Hauch von Distinktion, der die Frauen unwiderstehlich fesselte. Allerdings war sein Ruf etwas bedenklich: es hieß, daß er in einige sehr wenig ehrenvolle Geschichten verwickelt gewesen sei, und er war ein berüchtigter Spieler, aber wann haben solche Gerüchte, wahr oder unwahr, je eine Frau abgeschreckt?

Lady Otto hatte einst beinahe daran verzweifelt, Lenas Heirat mit Kapitän Dorsay zu hintertreiben, und es wäre ihr auch nicht gelungen, wenn er selbst ihren Wünschen nicht unerwartet zu Hilfe gekommen wäre. Er wollte nicht heiraten. Es reizte ihn, mit Lena zu kokettieren; ob sie verheiratet sei oder nicht, galt ihm gleichviel – im Gegenteil, er hätte ihr als Frau lieber den Hof gemacht, weil ihn dann niemand über seine Absichten hätte zur Rede stellen können. Und Lena war seiner würdig – seine Bewunderung schmeichelte ihr und er war ihr der interessanteste Kavalier, aber eine gute Partie seinetwegen auszuschlagen oder ihn ohne Vermögen zu heiraten wäre ihr nie in den Sinn gekommen.

Trotzdem fühlte sich Lady Otto doch nie sicher bei der Sache und hatte ihm das Haus verboten, um ihn von ihrer Tochter fernzuhalten, und nun tauchte er heute auf dem Schiffe auf, gerade wo sie ihn tausend Meilen weit hinweg gewünscht hätte, und Miß St. Blase begrüßte ihn entschieden mit Herzlichkeit – Sir Wilfrid hatte noch nicht gesprochen, das Feld war also noch frei. Nach wenig Augenblicken hatte sich zwischen dem jungen Paar eine lebhafte Unterhaltung entsponnen – Lady Otto litt Todesqualen. Entschlossen schritt sie endlich auf ihre Tochter zu und nahm sie beim Arm.

»Was willst du, Mama?« fragte Lena gleichgültig.

»Ich muß mit dir sprechen. Du wirst die Güte haben, zu gehorchen.«

Der Ton war so bestimmt, daß ihr nichts andres übrig blieb. Sobald sie außer Hörweite des Kapitäns waren, begann Lady Otto: »Lena – sage mir die volle Wahrheit oder ich weigere mich, an der Fahrt teilzunehmen. Hast du im Sinn, heute mit Dorsay zu kokettieren?«

»Was kann dir daran liegen, Mama, ob ich das thue?«

»Sehr viel; sobald Sir Wilfrid die freche Art und Weise bemerkt, in der Dorsay dich anzusehen wagt, wird er sich sofort zurückziehen. Und wenn du mir nicht versprichst, dem Kapitän keinerlei Durchkreuzung unsrer Pläne zu gestatten, so nehme ich dich mit nach Hause.«

»Du weißt ja, daß ich Sir Wilfrid heiraten will! So närrisch werde ich doch nicht sein, mir selbst diese Aussicht zu rauben.«

»In Bezug auf die Männer sind alle Frauen närrisch. Du wirst ihm also zu verstehen geben, wie die Dinge liegen?«

»Ich kann ihm nicht sagen, ich sei verlobt – ich bin es noch nicht.«

»Du kannst es ihn erraten lassen, ohne dich zu kompromittieren. Ueberdies liegt es nur an dir, wenn du es heute abend nicht bist. Also entschließe dich – nach Maidenhead oder nach Hause?«

»Unsinn, Mutter; habe ich dir nicht gesagt, daß Kapitän Dorsay meine Pläne nicht stören wird und will; es wäre weit besser, wenn du mich die Zeit benutzen ließest, ihm einen Wink zu geben.«

»Was wollte Ihre Mutter? Noch mehr Warnungen gegen mich Unglücklichen?« fragte ihr Kavalier, nachdem Lena an seine Seite zurückgekehrt war.

»Sie setzen voraus, daß immer von Ihnen die Rede sei! Wir haben über einen weit interessanteren Gegenstand gesprochen – über mein Betragen!«

»Folglich waren Sie ungezogen?«

»Mama sagt es. Es wird nämlich heute jemand mit uns nach Maidenhead fahren, für den sie ihre Tochter kaum gut genug findet.«

»Ein Mann, das versteht sich; vermutlich ein Millionär. Sie haben demnach ins Schwarze getroffen?«

»Noch nicht, aber ich bin auf dem besten Wege dazu, nur müssen Sie so liebenswürdig sein, keine Eifersucht zu erregen. Sie verstehen doch?«

»Das heißt, ich soll all meine Vorrechte aufgeben, sobald der Nabob auf dem Schauplatz erscheint. Ich verstehe Sie vollkommen, ma belle, und ich bin nicht der Egoist, Ihr Glück stören zu wollen. Meine Freundin bleiben Sie doch, trotz alledem?«

»Gewiß! dessen sind Sie sicher.«

»Ehrlich gestanden, ist es mir fast lieber, Sie heiraten; ich, armer Teufel, habe ja doch keine Aussicht, Sie zu besitzen, und Ihre Mutter ist ein scharfer Wächter, während ein Gatte es nach den ersten drei Monaten satt haben wird, Sie zu bewachen.«

»Sie Unart! So kann ich Sie nicht länger anhören!«

Lena hätte sich unendlich lieber mit dem Kapitän in diesem Tone weiter unterhalten, als sich von Wilfrid Ewell bewundern zu lassen, trotzdem ward dieser mit ihrem süßesten Lächeln empfangen und sofort unter die schützende Obhut des weißen Spitzenschirmes genommen, als ob er ein gutes Recht hätte an die Hälfte von allem, was ihr gehörte. Allein trotz seiner Zusage ruhten Kapitän Dorsays Blicke so häufig und so andauernd auf Miß St. Blase, daß es Sir Wilfrid nicht entgehen konnte und er seine Gefährtin fragte, ob jener Herr ein Freund von ihr sei.

»Welcher? Ach jener!« erwiderte sie gleichgültig. »O ja, wir kennen ihn seit lange; es ist ein Kapitän Dorsay.«

»Er scheint ganz bezaubert von Ihnen zu sein, wenn man nach der Ausdauer schließen darf, mit der seine Blicke Sie verfolgen.«

»Wirklich? Der närrische Mensch! Ihnen kann ich es ja wohl sagen, Sir Wilfrid, er ist ein Verehrer von mir, er will mich durchaus zur Frau haben und – er ist auch sehr nett – von guter Familie – aber das alles genügt nicht, wenn man einen Menschen nicht lieben kann.«

»Und Sie lieben ihn nicht? Verzeihen Sie meine Frage, Miß St. Blase, Ihre Sorge um Ihr Glück macht mich vielleicht allzu kühn. Ich kann die Vergangenheit nicht ganz vergessen.«

»Fragen Sie, was Sie wollen, Sir Wilfrid; es wird mich nie verletzen. Nein, ich liebe ihn nicht – Sie haben recht.«

»Gott sei Dank,« stieß er hervor.

»Weshalb freuen Sie sich darüber? Haben Sie Nachteiliges über ihn gehört? Oder hat er Sie beleidigt?«

»O nein! Ich sehe ihn heute zum erstenmal im Leben und bin nur so froh, daß Sie ihn nicht leiden mögen.«

»Das habe ich nicht gesagt – ich mag ihn leiden – aber heiraten –«

»Nun, weshalb nicht heiraten? Ist er arm?«

»O nein! Für was für ein berechnendes Geschöpf halten Sie mich!«

»Ja, was ist dann der Grund? Er ist hübsch und sieht vornehm aus.«

»Das sagen die Leute und es mag ja sein. Aber Aeußerlichkeiten machen eine Ehe nicht glücklich und zwingen ein Herz nicht zur Liebe.«

»Haben Sie je einen Mann gesehen, den Sie lieben konnten, Miß St. Blase?«

Sie schlug zitternd die Augen nieder, und als Sir Wilfrid das Beben ihrer kleinen Hände gewahrte, überfiel auch ihn ein Beben.

»Die Frage zu stellen, war nicht recht,« sprach Lena leise – und er wiederholte sie nicht. Aber als sie im Mondschein heimfuhren nach einem langen Tage voll feuriger Blicke und inniger Worte, ward er kühner. Als Lena mit seiner Hilfe die Jacht wieder bestieg, bebte ihre Hand wieder so seltsam und die Augen, denen er zu begegnen suchte, waren so scheu zu Boden geheftet, daß er seine Zeit gekommen fühlte und sich seines Sieges bewußt wurde.

Er hüllte sie in ihren weichen Shawl, nahm seinen Platz hinter ihrem Stuhl ein und, sich über sie beugend, flüsterte er leise mit ihr, während sie über die silbern schimmernde Fläche dahinglitten.

»Was macht Sie so zittern? Ich fürchte, Sie frieren,« sagte er.

»Nein, ich friere nicht; mir ist ganz wohl. Ich wollte, Sie nähmen keine Notiz von dem bißchen Nervosität,« erwiderte sie erregt.

»Das war ein schöner Tag, nicht wahr?«

»O, unsagbar schön – zu schön. Es macht mich traurig, zu denken, daß so etwas nicht wiederkehrt.«

»Warum soll er nicht wiederkehren und dauern fürs Leben? Mir freilich fiel ein Schatten darauf.«

»Wieso?«

»Dieser Kapitän Dorsay! Er kann seine Blicke nicht abwenden.«

»Ach, ich habe ihn ja abgewiesen; damit ist alles zu Ende.«

»Gerade, wie Sie mich abwiesen! Ob es ihm ebenso weh that?«

»Sir Wilfrid, Sie versprachen mir, nicht mehr daran zu rühren. Wenn Sie wüßten, was ich empfand –«

»Weiter, weiter, nur noch ein Wort – aus Barmherzigkeit – spannen Sie mich nicht auf die Folter –« flehte er leidenschaftlich.

»O Sir Wilfrid! Was habe ich denn gesagt?«

»Zu wenig, Lena, oder zu viel. Ich weiß nicht, ob ich ein Narr bin, aber wenn, ich es bin, so haben Sie mich dazu gemacht. Darf ich die Frage noch einmal stellen? Noch einmal flehen?«

»Ich höre,« flüsterte sie mit schwacher Stimme.

»Lena, Sie kennen meine Stellung so gut wie ich – wollen Sie dieselbe teilen? Wollen Sie jene grausamen Worte vergessen machen und es heute nicht mehr anmaßend finden, wenn ich Sie bitte, mein Weib zu werden?«

»Ja, ja! Jene Worte kamen nie aus meinem Herzen und ich widerrufe sie freudig. Ich will alles sein und werden, was Sie aus mir machen wollen, nur versprechen Sie mir, zu vergessen –«

»Nie, nie will ich wieder daran denken! Geliebteste! Ahnst du's denn, wie überschwenglich selig du mich gemacht! Ich kann's ja kaum tragen, mein Glück! Wann werden wir endlich dies Boot verlassen, wo ich dir nur mit kalten Worten danken kann, O, Lena! Mein ganzes Leben soll dir danken für deine Huld!«

»Die Menschen brauchen nicht zu ahnen, was uns bewegt, Wilfrid! Wäre es nicht besser, Sie würden mich eine Weile allein lassen? Wollen Sie nicht mit Mama sprechen? Die Äermste hat sich so viel Sorgen um mich gemacht, wie wird sie sich freuen!«

Sir Wilfrid gehorchte und setzte sich neben Lady Otto, aber eine unsagbare Angst bemächtigte sich seiner. In Lenas Nähe, vom Wein erhitzt und von Leidenschaft berauscht, hatte das Verlangen nach ihrem Besitz jedes andre Gefühl verstummen lassen, aber ihrer Mutter mitzuteilen, daß er um sie geworben und ihr Jawort erhalten habe, das hieß ein moralisches Sturzbad nehmen. Die That war geschehen; er hatte seine Ehe damit abgeschworen; er hatte sich losgerissen von Hanna, um ein andres Weib an sein Herz zu schließen; doch erst als er sich neben Lady Otto niederließ und die Mitteilung, die er ihr zu machen hatte, in Worte fassen wollte, stand das, was er gethan, klar und deutlich vor ihm. Gestern noch war es ihm als eine nebelhafte Möglichkeit erschienen – heute war es eine vollendete Thatsache. Ein Augenblick trunkenen Verlangens, ein paar leidenschaftlich gestammelte Worte und er hatte gethan, was nie mehr ungeschehen gemacht werden konnte. Er hatte sein Wort gegeben, Hanna zu verstoßen und Lena St. Blase zu heiraten. Die ganze Bedeutung des Schrittes, den er gethan, stürmte so überwältigend auf ihn ein, daß er sich schwindeln fühlte und ohne weitere Erklärung die Dame verließ und sich an ein einsames Plätzchen am äußersten Rande des Schiffes begab.

Als sie Richmond erreichten, hatte er sich so weit ermannt, daß er Lenas Hand drückte, bis es sie schmerzte, und sich artig von ihrer Mutter verabschiedete. Erst zu Hause machte Miß St. Blase die überraschende Entdeckung, daß ihre Mutter von dem wichtigen Ereignis noch nicht in Kenntnis gesetzt worden war.


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