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Zweites Kapitel

Wandlungen

Der glückliche Empfänger dieser unverhofften Ehren und Glücksgüter fand die Sache fast ebenso unglaublich wie Hanna Warner. Der Vater des verstorbenen Baronets und der Wilfrid Ewells waren Brüder gewesen, aber dem Erstgeburtsrecht zufolge waren Titel, Gut und Vermögen an den älteren Sohn übergegangen, während der jüngere sich als Geistlicher durchhalf, so gut es gehen wollte. Dieser jüngere Sohn – Wilfrids Vater – war vor etwa einem Jahre gestorben, eine Witwe und mehrere Töchter hinterlassend, und hatte für seinen Sohn nichts thun können, als ihm zu einer festen Anstellung mit hundertundfünfzig Pfund in den Bureaus von Somerset-House zu verhelfen. Und Wilfrid Ewell hatte sich nie träumen lassen, einmal im Leben etwas Höheres zu werden, als ein bescheidener Beamter. Sein Vetter Robert war ausnehmend kräftig und gesund, ein junger Mann von achtundzwanzig Jahren, Vater eines Sohnes und einer Tochter. Welcher vernünftige Mensch hätte sich unter diesen Umständen Hoffnungen auf eine Erbfolge gemacht? Wilfrid Ewell that es entschieden nicht, und als die Nachricht auf ihn hereinstürmte, daß wenig kurze Stunden genügt hatten, das Leben des Baronets und seines Sohnes zu vernichten, machten ihn die Erschütterung und der plötzliche Wechsel seines Glückes beinahe krank. Er war erst zweiundzwanzig Jahre alt, und mit einer einzigen Drehung der Speichen hatte die wetterwendische Glücksgöttin ihn von einem Kanzleisklaven in einen unabhängigen Mann verwandelt. Das hätte auch einen Stärkeren als ihn etwas schwindlig machen können.

Am Morgen, nachdem er an Hanna geschrieben hatte, begab er sich verabredetermaßen in das Bureau Mr. Parfitts, seines Anwalts, und wurde von diesem mit offenen Armen aufgenommen.

»Hocherfreut, Sie zu sehen, mein lieber Sir Wilfrid! Habe sehr bedauert, daß Sie gestern vergebens hier waren! Sie möchten natürlich irgend welche Anordnungen treffen in Bezug auf Lambscote, denke ich mir. Ja, natürlich. Ich erhielt heute früh einen Brief von der jungen Witwe – armes Geschöpf! Sehr traurig, das versteht sich – aber auf so etwas muß man gefaßt sein – nicht, Sir Wilfrid?«

Sir Wilfrid errötete bei dem noch ungewohnten Titel.

»Nun, ich war nicht darauf gefaßt, Mr. Parfitt, wahrhaftig nicht. Der arme Bob war immer so frisch und blühend –«

»Ja, ja; korpulent – Blutandrang gegen den Kopf – sehr gefährliche Konstitution, Sir Wilfrid! Ich bemerke mit Vergnügen, daß Sie darin keine Aehnlichkeit mit dem verstorbenen Baronet haben,«

»Dürr genug war ich allerdings immer, falls dies Gesundsein bedeutet. Aber in Bezug auf Lambscote –«

»Aha! In Bezug auf Lambscote – Sie möchten wissen, wann Sie den Besitz antreten können? Sehr natürlich. Aber ich denke mir, man kann Lady Ewell kaum jetzt schon mit dieser Frage behelligen; trostlos wie die arme Frau ist, und so unmittelbar nach dem Begräbnis –«

»Ich dächte, je rascher sie den Ort verläßt, desto rascher wird sie es überwinden,« versetzte Sir Wilfrid, mit seinem Elfenbeinstöckchen den Staub von seinen Beinkleidern abklopfend.

Er sah sehr hübsch aus, als er so dasaß, bequem im Stuhl zurückgelehnt: sehr hübsch und sehr egoistisch. Seine träumerischen Augen, die gelbliche Hautfarbe und die dunklen Haare verliehen ihm einen italienischen Typus, zu dem seine kleinen Hände und Füße und seine schlanke, elastische Gestalt wohl stimmten. Er war so hübsch, aber um die schmalen Lippen lag ein Zug von Eitelkeit und Selbstgenügsamkeit, der in den Augen unbefangener Beurteiler sein Gesicht sehr entstellte. Er hatte viel Güte und Gastfreundschaft bei seinem Vetter Robert und dessen guter kleiner Frau genossen und er hätte dem Gedanken an ihr Leid und ihr schweres Schicksal wohl einen Seufzer weihen können. Er that es nicht; nicht ein einziges Mal rief er sich die Scene zurück, wie er vor kurzen Monaten lachend und plaudernd mit Lady Ewell unter dem blühenden Kastanienbaum in Lambscote gestanden hatte, während der Papa zum Jubel der beiden Kinder, an Gänseblumenketten geschirrt auf allen vieren als Bär auf der Wiese herumtrabte.

»Natürlich will ich Lady Ewell nicht drängen, aber ich dachte mir nur, sie müßte froh sein, einen Ort verlassen zu können, der sie auf Schritt und Tritt an die Vergangenheit erinnert.«

»Gewiß, sehr richtig,« lenkte der Sachwalter ein, »aber es ist in solchen Fallen Sitte, daß man einen oder zwei Monate Frist gibt. Das kann für Sie ja nicht einmal unbequem sein, Sir Wilfrid, Während der Saison werden Sie London so wie so nicht verlassen, und was Ihre Einkünfte betrifft, so bitte ich, daß Sie alles auf mich anweisen,«

»Ja, allerdings – es kommen dabei aber noch andre in Betracht –«

»Ach! Ihre Mutter, ohne Zweifel, und Ihre Schwestern! Es sind fünf, nicht wahr? Sie sehen, ich bin über Ihre Familie genau unterrichtet, da ich ja ein Freund Ihres verstorbenen Vaters war. Nun, sie werden Lambscote gut ausfüllen und Ihnen in allem helfen.«

Der neue Baronet sah bei dieser Voraussetzung etwas unbehaglich drein.

»Ja, ja,« stotterte er, »natürlich werde ich meine Angehörigen häufig bei mir sehen – als Gäste – Sie verstehen, Mr. Parfitt, als Gäste. Man kann nicht ewig mit Mutter und Schwestern zusammenleben und – und –«

»Verstehe, Sir Wilfrid, verstehe vollkommen und billige Ihren Entschluß höchlich. Sie dürfen den guten alten Namen nicht aussterben lassen, es ist Pflicht, ganz unbedingt Pflicht. Und wenn Sie mir, als dem älteren Mann und Freund Ihres Vaters, gestatten wollen, Ihnen noch einen weiteren Rat zu erteilen, so sage ich Ihnen: Erheben Sie die Blicke recht hoch! Manche Pairstochter würde stolz und glücklich sein, Herrin auf Lambscote zu werden – Ihr Name zählt zu den besten des Landes.«

»Ja, Mr. Parfitt, aber, aber –«

»Kein, ›Aber‹ in diesem Fall, mein lieber Sir Wilfrid. Erst kürzlich habe ich den Ehevertrag der Lady Luise Marvel, Tochter des Herzogs von Miracle, aufgesetzt; sie heiratete einen Lieutenant Rusby, der außer seiner Gage keinen Heller hat. Nun, wenn ein Mr. Rusby so etwas erreichen kann, weshalb sollten Sie es nicht können?«

»Ja, doch steht dem eins im Wege,« brachte Sir Wilfrid verlegen heraus, »und das ist, Mr. Parfitt, daß ich nämlich schon verheiratet bin.«

»Verheiratet! Sir Wilfrid! Verheiratet,« rief der Anwalt, wie ein Gummiball vom Sitz aufspringend. »Meiner Treu! Das hat mir ordentlich den Atem benommen.«

»Den benimmt es mir zuweilen auch, wenn ich dran denke.«

»Aber seit wann sind Sie verheiratet, Sir Wilfrid?«

»Seit zwei Jahren.«

»Und Ihre Familie weiß nichts davon?«

»Nein. Ich scheute mich, es meinem Vater mitzuteilen, der in solchen Dingen sehr streng urteilte und mir gewiß den kleinen Zuschuß, den ich von ihm erhielt, entzogen hätte. Nun gebieten es die Verhältnisse, die Sache zu veröffentlichen; meine Frau muß ihre Stellung in der Gesellschaft als Lady Ewell einnehmen.«

Der Advokat spielte nachdenklich mit einem Papiermesser.

»Es thut mir sehr leid, das zu vernehmen, aufrichtig leid. Aus der Thatsache, daß Sie sich Ihrem Vater nicht anvertrauten, schließe ich, daß – Lady Ewell – Sie verzeihen – nicht denselben Gesellschaftskreisen angehört, wie Sie.«

»Allerdings,« erwiderte der junge Mann kurz.

»Das bedaure ich sehr – sehr,« wiederholte Mr. Parfitt.

»Ich will ganz offen gegen Sie sein, Mr. Parfitt, Sie waren der Freund meines Vaters und meines Vetters. Sie wissen, wo ich die drei letzten Jahre gewohnt habe? In Chelsea drunten, in dem sogenannten Wolsey Cottage; eine Mrs. Warner und ihre Tochter vermieten die Zimmer dort, und diese Tochter habe ich vor zwei Jahren geheiratet.«

»Gott steh' mir bei! Wie kam denn die Geschichte?«

»Das kann ich Ihnen selbst kaum sagen. Sie ist hübsch; ich war verliebt; meine Eltern um ihre Einwilligung zu bitten, wäre vergebens gewesen; sie hat niemand, als eine schwachsinnige Mutter – so gingen wir auf eigne Faust in die Kirche und ließen uns trauen.«

»Aber, mein lieber Baron, Sie waren ja damals noch nicht volljährig?« fragte der Jurist mit steigendem Interesse.

»Natürlich nicht; wäre ich es gewesen, so hätte ich Miß Warner öffentlich geheiratet.«

»Ja, aber wie verschafften Sie sich denn die nötigen Papiere?«

»Das war das Schlimmste an der Geschichte,« antwortete Sir Wilfrid tieferrötend. »Sie sehen, ich verstand von derlei Dingen ganz und gar nichts, und als ich mich nun um die Licenz bemühte, stellte sich heraus, daß ich dieselbe nicht anders erlangen konnte, als vermittelst der Erklärung, daß wir beide mündig seien. Was war zu thun? Ich hatte vorher schon beschlossen, mich nur unter meinem Taufnamen Wilfrid Stanley trauen zu lassen, damit mein Vater nichts von der Sache erfahre. Es war sehr unrecht, aber da ich die Papiere auf keine andre Weise bekommen konnte –«

»So haben Sie faktisch einen Meineid geschworen?«

»Ja – ich schäme mich jetzt, es zu bekennen; damals aber faßte ich es als leere Formalität auf und es ist ja auch wohl nichts andres.«

»Vom moralischen Gesichtspunkt aus allerdings nicht, aber vom gesetzlichen –«

»Vom gesetzlichen?«

»Ist es einfach keine gültige Ehe.«

»Was?« rief Wilfrid Ewell in höchstem Erstaunen.

»Wie ich sagte, Sir. Eine von Minderjährigen ohne Einwilligung von Eltern oder Vormündern geschlossene Ehe ist ungültig. Ich werde Ihnen die betreffenden Gesetzesparagraphen vorlegen –«

»O bitte, bitte, bemühen Sie sich nicht! Ich bin überzeugt, daß Sie recht haben,« versetzte der junge Mann, »und es ist ja überdies jetzt von keiner Bedeutung mehr. Mein Vater ist tot und somit ist niemand mehr da, dem daran liegen könnte, meine Ehe anzufechten.«

»Es ist keine Ehe, Sir Wilfrid,« beharrte der Jurist. »Verzeihen Sie mir, wenn ich allzu eifrig erscheine, aber ich kann nicht dazu schweigen, wenn Sie es so nennen, Sie waren niemals mit Miß Warner verheiratet – Sie haben einfach mit ihr gelebt.«

Sir Wilfrid errötete abermals tief.

»Es ist mir unendlich peinlich, das zu hören. Ich war mir keiner Schuld bewußt und, wie ich vorhin schon sagte, jetzt hat kein Mensch mehr das Recht, meine Ehe anzufechten.«

»Niemand, als Sie selbst, Sir Wilfrid.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Daß Sie diese sogenannte Ehe ohne jegliche Schwierigkeit beiseite schieben können; daß Sie so frei sind, als ob Sie die betreffende Dame nie gesehen hätten – positiv und absolut frei

»Halten Sie mich für einen Schurken?« rief Sir Wilfrid, vom Stuhl auffahrend.

»Mein lieber Baron, ich bitte, seien Sie vernünftig. Ich bin Ihr juristischer Berater und es ist meine Pflicht, Ihnen das Gesetz auszulegen.«

»Allerdings – entschuldigen Sie meine Heftigkeit, Mr. Parfitt. Vermutlich bleibt mir nichts andres übrig, als mich noch einmal trauen zu lassen mit Lady Ewell –«

»Mit Miß Warner, Sir Wilfrid,« korrigierte der Advokat.

»Nun denn mit Miß Warner, wenn Sie darauf beharren. Das kann hoffentlich in aller Stille geschehen, ohne daß die Leute erfahren, was vorangegangen ist?«

»Gewiß, Sir, vorausgesetzt, daß Sie entschlossen sind, diesen Schritt zu thun.«

»Selbstverständlich bin ich das. Was könnte ich denn sonst thun?«

»Nun – unter den obwaltenden Verhältnissen – in Anbetracht der Lebensstellung der Dame, mit der Sie ja gesetzlich nie verbunden waren, würden, glaube ich, die meisten Männer die Sache anders auffassen. Ich finde diese Verbindung sehr beklagenswert, sowohl um Ihres Vaters als um Ihrer selbst willen. Die Tochter einer Chambre garni-Vermieterin ist nicht die geeignete Person, Schloßherrin von Lambscote zu werden.«

»Aber bitte, Mr. Parfitt,« wandte Sir Wilfrid etwas verlegen ein, »sie ist nicht so eigentlich das, was Sie sich darunter denken. Allerdings vermietet die Mutter ein paar Zimmer, aber ihr Vater war so gut ein Gentleman wie der meinige – ein Marineoffizier.«

»Mein lieber Baron, die Verhältnisse, in denen man aufwächst, machen den Menschen. Miß Warner mag ja ihrer Geburt nach der höheren Gesellschaft angehören, aber ich berufe mich auf Ihren eignen gesunden Menschenverstand, ob es passend ist, daß Ihre Gemahlin ihre Jugend mit Beaufsichtigung des Küchendepartements und Portierdiensten hingebracht hat!«

Sir Wilfrid schwieg. In seiner Erinnerung stiegen viele Tage auf, an denen Hanna die Küche nicht nur beaufsichtigt, sondern sein Kotelett selbst zubereitet und sein Zimmer geordnet hatte.

»Ich will Ihre Gefühle nicht unnötig verletzen, aber schieben Sie die Sache jedenfalls noch auf. Lassen Sie der Gesellschaft Zeit, sich von dem Erstaunen über Ihren neuen Rang zu erholen, ehe Sie derselben diese weniger liebsame Ueberraschung bereiten. Man ist sehr zugeknöpft und steif in Somersetshire; man wird alles und jedes über Lady Ewells Vergangenheit wissen wollen, ehe man ihr sein Haus öffnet.«

»Meinetwegen können sie das halten, wie sie wollen,« rief Sir Wilfrid ärgerlich, »Ihren Rat will ich aber befolgen, Mr. Parfitt, und nichts in der Sache thun, ehe ich Sie wieder gesprochen habe. Zu Hause werde ich die ganze Angelegenheit nicht erwähnen und nur meine – Miß Warner ins Vertrauen ziehen. Ich will diesen Abend nach Chelsea hinunter, komme aber wahrscheinlich morgen wieder herauf. Und Lambscote kann ich also anständigerweise nicht vor einem Monat in Besitz nehmen?«

»Das ist die übliche Frist,« versicherte der Geschäftsmann, sich die Hände reibend, »aber ich will heute noch an Lady Ewell schreiben, um zu erfahren, was sie überhaupt im Sinne hat. Einstweilen thäten Sie besser, eine möblierte Wohnung in der Stadt zu nehmen; eine reizende Etage im Westend ist eben frei. Wolsey Cottage ist keine Wohnung mehr für Sie; Sie müssen sich der Gesellschaft zeigen; man ist äußerst gespannt, wie Sie Ihre neue Würde tragen.«

»Gut, gut, Parfitt, wir wollen das morgen besprechen. Chelsea ist verdammt weit und eine Wohnung in der Stadt wird in der That weit bequemer sein für alles, was ich jetzt zu besorgen habe. Guten Morgen!«

»Guten Morgen, Sir Wilfrid – guten Morgen,« sagte der Anwalt, indem er den neugebackenen Edelmann hinausbegleitete und ihm eigenhändig die Thüren öffnete. Es war thöricht, aber Wilfrid Ewell konnte sich eines Gefühls von Stolz nicht erwehren, als er durch die Bureaus schritt und jeder Schreiber sich tief verneigte. Wenn er vor vier Wochen von Somersethouse mit einem Auftrag an Mr. Parfitt geschickt worden wäre, wer hätte sich vor ihm verbeugt?

Und wie der Mann den Leuten plötzlich als ein andrer erschien, so erschienen ihm die Dinge anders. So lieblich und lauschig wie je lag Wolsey Cottage da unter seinem sommerlichen Blütenschmuck von Rosen und Geißblatt halb verborgen; wie sonst bewegte ein leiser frischer Windhauch die blendendweißen Gardinen – aber in Wilfrid Ewells Augen sah es heute düster und ärmlich aus, und als Hanna mit ihrem süßen, ernsten Lächeln an die Thüre eilte, da erschien sie ihm mehr als je zuvor wie eine Dienerin. Er reichte ihr die Hand, aber er küßte sie nicht. Hanna fand es natürlich; diese heimlich Verbundenen hatten sich stets die äußerste Zurückhaltung auferlegen müssen, aber daß ein finsterer Schatten auf seiner Stirn lag, heute, wo sie ihn strahlend vor Glück und Freude zu sehen erwartet hatte, das war ihr eine schmerzliche Enttäuschung.

»O Will,« flüsterte sie innig, als ihre Hände sich berührten.

»Weshalb trägst du das häßliche Ding? Du weißt doch, daß ich es nicht ausstehen kann,« antwortete er gereizt, indem er auf ihre leinene Schürze deutete.

»O, meine arme Schürze! Ich vergaß, sie abzunehmen, weil ich dir rasch öffnen wollte und das Mädchen fort ist. Soll ich den Kutscher bezahlen, Will? Wieviel? Geh nur hinauf; im ganzen Hause ist niemand als Mama; ich komme sofort.«

»Nein, laß!« rief Sir Wilfrid, sie ins Haus zurückdrängend, »wann wirst du endlich lernen, was sich für dich schickt, Hanna? Geh und nimm die Schürze ab; thu mir den Gefallen.«

Er schritt zum Gartenthor zurück, und Hanna nahm seine Reisetasche und trug sie die Treppe hinauf. Als Sir Wilfrid Ewell in sein Wohnzimmer trat, fand er Hanna, ohne Schürze, ihr Haar vor seinem Spiegel ordnend.

»Hast du die Tasche heraufgetragen?« fragte er kurz.

»Natürlich, Will; das habe ich doch hundertmal gethan.«

»Aber stets gegen meinen Willen, wie du zugeben wirst, Hanna, und in Zukunft wäre es gegen meinen Befehl.«

»Dann soll es nicht mehr vorkommen, aber sieh, ich kann keine Erniedrigung darin finden, für dich zu arbeiten. Ich bin so daran gewöhnt und es käme mir so unnatürlich vor, die Hände in den Schoß zu legen und dich von andern bedienen zu lassen.«

Diese Antwort rührte ihn und, sie in seine Arme schließend, küßte er sie auf Stirn und Mund, Hanna erglühte. Sie war nicht demonstrativer Natur; sie gehörte nicht zu den schmachtenden, zärtlichen, hingebenden Frauen. Sie hatte ihre eignen Begriffe von Recht und Unrecht, sie konnte frei und selbständig dastehen und sie war stolz darauf. Aber sie liebte Wilfrid Ewell mit aller Macht ihres starken Herzens und ein Liebeswort, ein Kuß machte sie erbeben. Sie hatte ihm das nie verraten; sie hatte ihrem Gatten nie die ganze Gewalt und Tiefe ihrer Liebe geoffenbart, aber in jedem kleinen Dienst, den sie ihm leistete, in all ihrer Fürsorge war sie zu Tage getreten und er hatte sie empfunden und hatte sich bedienen und verwöhnen lassen, und nun, im Glanze seines neuen Ranges, der alles ringsum verwandelte, wurden Hannas Dienstleistungen zu Vergehen und diese Küsse waren nur die Einleitung zu den Lehren, nach denen sie sich fortan richten sollte.

»Will, darf ich nun aller Welt von deinem neuen Stand erzählen?« fragte sie zärtlich.

»Gewiß nicht. Das heißt, früher oder später erfahren sie es ja doch, aber ausposaunt mag ich es nicht haben,«

»Aber mir wirst du alles sagen, Will?« bat sie herzlich und setzte sich auf die Armlehne seines Stuhls. »Du kannst dir ja denken, wie gespannt ich bin. Es ist zu wunderbar, daß dieser vornehme Herr, mit all seinen Gütern und seinem Gelde, mein Gatte ist!«

»Wie unvorsichtig, Hanna! Habe ich dich nicht oft genug gebeten, das Wort nicht zu gebrauchen, auch nicht, wenn wir allein sind. Die Thüre ist sperrangelweit offen und man weiß nie, wer horcht.«

»Aber Liebster!« rief sie, indem sie lachend die straffällige Thüre zuschlug, »ich habe dir ja gesagt, daß niemand im Hause ist als Mama. Und überdies jetzt müssen's ja doch alle erfahren! Wir können es doch nicht mehr geheim halten, wenn du nun Lambscote in Besitz nimmst.«

»Natürlich nicht, aber davon ist vorderhand noch gar keine Rede. Mr. Parfitt, mein Sachwalter, behauptet, es schicke sich, der Witwe einen Monat Zeit zu lassen, was eine starke Zumutung ist.«

»O Will, sag das nicht! Ein Monat – das wird nur zu kurz sein für die arme Lady Ewell. Du mußt mir viel von ihr erzählen; ist sie hübsch, liebenswürdig, Will? Und heißt sie in Zukunft auch noch Lady Ewell wie – wie –«

»Wie du? Natürlich; ihr seid beide Lady Ewell; sie die verwitwete, du die regierende.«

»Wie seltsam – wie wunderbar,« sagte die junge Frau nachdenklich, »ich weiß so wenig von solchen Dingen.«

Ihr Gatte seufzte.

»Das ist natürlich, aber du bist klug und begreifst rasch und wirst das alles schnell erlernen. Lady Ewell kehrt in ihr elterliches Haus zurück – ihr Vater ist ein General Ridley – und sie bezieht bis an ihr Lebensende eine jährliche Rente von fünfhundert Pfund, die auf dem Gute lastet, was wiederum sehr widerwärtig ist, sich jedoch nicht ändern läßt. Bis es ihr aber gefällig ist, Lambscote zu verlassen, muß ich in London bleiben; hier kann ich nicht mehr wohnen.«

»Nicht mehr hier? O Will, wohin werden wir dann gehen?«

»Ich glaube nicht, wir gesagt zu haben, Hanna. Meine Absicht ist durchaus nicht, dich von hier wegzunehmen. Ich habe während der nächsten Wochen viel zu thun und muß im Westend wohnen.«

»Und was soll ich thun ohne dich – vielleicht monatelang?« sprach sie traurig, »Diese vierzehn Tage waren endlos, Will. Ich weiß nicht, was thun oder lassen, wenn ich nicht für dich arbeiten darf – es wird entsetzlich sein. Muß ich denn unbedingt hier bleiben?«

»Vorläufig, ja. Du siehst selbst ein, Hanna, daß ich in einer schwierigen Lage bin. Ich gelte natürlich überall für einen Junggesellen, und nun so ganz unvorbereitet erklären, daß ich verheiratet bin, das würde einen Sturm von Fragen und Gerede hervorrufen, dem ich mich nicht gewachsen fühle. Ich habe mit Parfitt darüber gesprochen und er redete mir ernstlich zu, die Sache ruhen zu lassen, bis alles andre im reinen ist.«

»Du hast ihm gesagt, daß wir verheiratet sind?« rief Hanna.

»Ja, gewiß; ich habe ihn genau darüber unterrichtet.«

»Oh – und was hat er gesagt?«

»Nun, er meinte natürlich, wir seien sehr unklug und unbesonnen gewesen – das würde ja jeder sagen – und –«

»O Will!« unterbrach sie ihn eifrig, »ich möchte wissen, ob wir zu unbesonnen waren. Seit ich deinen Brief erhalten habe, mußte ich so viel darüber nachdenken und habe mich gequält und mir gesagt, daß wenn wir nicht so vorschnell gehandelt hätten, du nun eine Frau finden könntest, die besser für deinen Rang paßte; aber keine, die dich mehr liebte, Herzliebster, keine, die dir ein treueres Weib sein könnte als ich.«

»Schwatz doch keinen Unsinn, Hanna, und werde nicht sentimental. Wenn man verheiratet ist, ist man verheiratet, und es ist äußerst zwecklos, darüber nachzudenken, wie es gekommen wäre, wenn man sich nicht begegnet wäre. Darüber ist ja kein Zweifel, daß wir uns mit geschlossenen Augen in die Ehe gestürzt haben, aber wir haben uns immer gut vertragen und es soviel ich weiß noch nicht bereut, ich wenigstens nicht,«

»Und daß ich es nicht bereut habe, weißt du. Ach, ich war ja so glücklich, dir ein gemütliches Daheim schaffen zu können, und dachte wenig an die Verantwortlichkeit, die ein solcher Schritt nach sich zieht. Aber seit ich deinen Brief hatte und wußte, daß du mich zu einer vornehmen Dame machst, habe ich viel daran gedacht, Wenn ich nun dazu nicht taugte, wenn du dich meiner schämen müßtest – was dann?«

»Beschwöre nicht auch noch kommende Uebel herauf. Wieviel Uhr ist es denn? Wahrhaftig fünf Uhr und ich habe kein Frühstück gehabt, der Hunger stellt sich ein.«

»Wie egoistisch von mir, Will. Da denk' ich an mich und schwatze und mein Liebster verhungert. Was willst du essen? Kalte Pastete ist im Hause, ein paar Hammelrippchen und ein Bund prächtiger Spargel« – in einer halben Stunde soll alles fix und fertig sein.«

»Aber, Hanna, kann denn das Mädchen das nicht besorgen? Ist es denn absolut nötig, daß du selbst in die Küche gehst?«

»Absolut nötig, Herzensmann, oder du bekommst nichts zu essen.« Als sie seine Verstimmung gewahr wurde, kehrte sie noch einmal um, beugte sich über ihn und drückte einen leisen Kuß auf seine Haare. »Es macht mir Freude, Will,« flüsterte sie – »später muß ich wahrscheinlich auf all das verzichten; laß mich's thun, solange es sein kann. Ich bin gewöhnt, für dich zu sorgen, und du sagtest oft, daß ich dir dein Heim nett und behaglich mache – nimm mir nicht all meine Freuden an einem Tage.«

»Das klingt nett, ich muß sagen, wenn man soeben eine Gutsherrin mit siebentausend Pfund jährlich geworden ist,« versetzte Sir Wilfrid, seine Zeitung auseinander faltend.

»Ich bin aber noch keine Gutsherrin,« versetzte sie lachend. »Wenn wir dann einmal in Lambscote sind, verspreche ich dir, sehr artig zu sein und ganz zu vergessen, daß ich je Socken gestopft oder Koteletten zubereitet habe. Aber wird Mama schweigen können? Arme Mama!« fuhr sie, im Begriff das Zimmer zu verlassen, in innigem Ton fort, »wie glücklich wird sie in Lambscote sein,«

Bei dem Gedanken, Mrs. Warner in alle sieben Regenbogenfarben gekleidet und schwatzend wie ein Mühlrad die Honneurs in seiner künftigen Residenz machen zu sehen, schauderte Sir Wilfrid und schloß unwillkürlich die Augen.

»Nein,« dachte er, »das ist unmöglich. Ich versprach Hanna, sie nie von ihrer Mutter zu trennen, aber zu jener Zeit dachte ich mir dies Häuschen als unsre Heimat für alle Zukunft. Jede Möglichkeit geselligen Verkehrs wäre dahin, wenn diese Mutter nicht im Hintergrunde bleibt. Merkwürdig, wenn ich dran denke, daß Parfitt behauptet, daß Hanna gar nicht meine Frau ist. Wie sie es wohl aufnimmt, wenn ich ihr sage, daß die Trauung null und nichtig war? Ich werde es ihr erst mitteilen, wenn alles zu der korrekten Ceremonie vorbereitet ist. Sie ist vielleicht nicht gerade diejenige, die ich mir zur Lady Ewell erwählt hätte, aber sie ist sehr hübsch und klug und hängt an mir. Und zum Teufel! Solch ein Schurke könnte doch kein Mensch sein und nach ein paar Jahren seine Ehe für nichtig erklären! Es wäre zu erbärmlich! Ich wollte, Parfitt hätte mir gar nichts davon gesagt.«


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