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Neunzehntes Kapitel.


Sie gingen an das Ufer hinunter. Ready hatte sich zuvor aus dem Vorrathszelte mit guten starken Tauen versehen, und wenn die Tonnen oder die Schiffsplanken durch die Wellen in die Höhe geworfen wurde, so hielt er dieselben durch Schlingen fest, damit sie nicht wieder zurückgewaschen würden; dann rollten oder holten sie mit den Seilen das Erhaschte herauf, bis sie es wohlbehalten am Lande hatten. Dies beschäftigte sie für die größten Theil des Tages, und doch hatten sie noch nicht den vierten Theil der Gegenstände geborgen, welche in ihrem Bereiche waren, abgesehen von den vielen andern, welche in der See draußen und an dem Eingange der Bucht umherschwammen.

»Nun, Sir, ich denke, wir haben ein gutes Tagwerk vollbracht. Morgen werden wir im Stande seyn, noch viel mehr zu thun; denn Ihr seht, daß die See bereits niedergeht, und die Sonne zeigt sich an der Ecke jener Wolke. Wir wollen jetzt unser Nachtessen einnehmen und dann sehen, ob wir's uns für diese Nacht nicht gemächlicher machen können.«

Das Zelt, welches nicht niedergeblasen worden, wurde nun Frau Seagrave und den Kindern angewiesen, während man zugleich das andere so weit herstellte, als es in der Geschwindigkeit thunlich war. Weil das feuchte Bettzeug nicht gebraucht werden konnte, so holte man von den Vorräthen, welche weiter im Wald untergebracht worden waren und von dem Sturme nicht viel gelitten hatten, einige Segel herbei, welche statt der Betten ausgebreitet wurden; und so entschwand die Nacht ohne weiteres Ungemach, denn der Wind hatte sich nun in eine angenehme Brise umgewandelt. Am andern Morgen schien die See heiter und klar. Die Luft war frisch und stärkend, und ein leichter Wind kräuselte das Wasser, welches nur noch wenig oder gar nicht brandete. Die Schiffstrümmer wurden von dem leichten Wellenschlage hin- und hergeworfen; auch lagen viele Gegenstände, welche im Laufe der Nacht ausgeworfen worden, am Lande, während die Bergung mancher anderer nur wenig Mühe kostete. Augenscheinlich lief eine Art Strömung in die Bucht, da alle Gegenstände, welche in der See draußen geschwommen hatten, allmählig in der gleichen Richtung an's Land kamen. Ready und Herr Seagrave arbeiteten bis zum Frühstück, und es gelang ihnen, viele Tonnen und Päcke in Sicherheit zu bringen. Nach dem Frühstück gingen sie wieder an's Gestade hinunter, um ihre Arbeit abermals aufzunehmen.

»Schaut, Ready – was ist dies?« fragte William, welcher gleichfalls bei ihnen war, indem er auf eine weiße Masse, die in der Bucht schwamm, hindeutete.

»Das ist die arme Kuh, und wenn Ihr recht hinseht, so werdet Ihr bemerken, wie die Haifische um sie versammelt sind und ein Mahl aus ihr machen. Seht Ihr sie nicht?«

»Oh ja, welch' eine Menge!«

»Ja, 's ist kein Mangel daran, Junker William. Nehmt Euch daher nur vor dem Wasser in Acht und laßt ja Tommy nicht in dessen Nähe kommen; denn die Haifische machen sich nichts aus seichten Stellen, wenn sie einem Fraß sehen. Aber jetzt, Sir,« fügte er bei, »muß ich's Euch und Junker Willian überlassen, so viel wie möglich von dem Wrack zu bergen, während ich das Boot wieder in geeigneten Stand setzte. Wir werden es demnächst brauchen, und je früher wir es in Ordnung haben, desto besser ist es.«

Ready ließ sie bei ihrer Beschäftigung und ging fort, um seine Werkzeuge zur Ausbesserung des Bootes zu holen. Während dieser Zeit hatten sich Herr Seagrave und William mit Sammeln der verschiedenen Gegenstände, welche an's Ufer geworfen worden waren, und mit möglichst weitem Hinaufrollen der Fässer beschäftigt. Was das Schiffsgebälk und die Planken betraf, so ließ man sie liegen, wo sie der Zufall hinführte; denn für den augenblicklichen oder überhaupt für allen wahrscheinlichen Gebrauch war auf geraume Zeit mehr als genug vorhanden.

Da die Ausbesserung des Bootes Ready einige Tage in Anspruch nahm, so beschloß Herr Seagrave mit William, nach der andern Seite der Insel zu gehen, um selbst auch von der Stelle Einsicht zu nehmen, und da Frau Seagrave nichts dagegen hatte, mit Ready und Juno zurückzubleiben, so brachen sie am dritten Tage nach dem Sturme auf. William machte den Wegweiser und ließ sich von den geflammten Kokosbäumen durch den Wald leiten, den sie nach zwei Stunden zurückgelegt hatten.

»Ist dieser Platz nicht schön?« fragte William, als sie den Ort ihrer Bestimmung erreicht hatten.

»Allerdings, mein lieber Knabe,« versetzte Herr Seagrave. Ich glaubte, man könne nichts Schöneres finden, als die Stelle auf der andern Seite der Insel; aber sie wird von dieser nicht nur an Abwechselung, sondern auch an Ausdehnung weit übertroffen.«

»Und nun wollen wir die Quelle untersuchen, Vater,« sagte William, indem er nach dem Thaleinschnitt voranging.

Die Quelle war voll und ließ vortreffliches Wasser entströmen. Dann lenkten sie ihre Schritte nach der sandigen Bucht, gingen eine Weile fort und setzten sich auf einen Korallenfelsen nieder.

»Wer würde es auch glauben, William,« sagte Herr Seagrave, »daß diese Insel und so viele andere, von denen es im stillen Ocean wimmelt, das Werk von Thieren ist, die nicht größer sind, als ein Stecknadelkopf?«

»Von Thieren, Vater?« versetzte William.

»Ja, von Thieren. Gib mir jenes Korallenstück her, William. Siehst Du nicht hier an jedem Zweige Hunderte von kleinen Löchern? Nun, in jedem dieser Löcher hat einmal ein Thierlein gelebt, und wie sich dieselben vermehren, so vermehren sich auch die Zweige der Korallenbäume.«

»Ja, das verstehe ich wohl; aber wie weißt Du, daß die Insel von ihnen gemacht wurde? Dies kann ich mir nicht erklären.«

»Und dennoch ist es wahr, William, daß fast alle Inseln in diesen Meeren der Mühe und der Fortpflanzung derartiger kleiner Thiere ihr Daseyn zu verdanken haben. Die Korallen wachsen ursprünglich auf dem Grunde des Meeres, wo sie nicht durch Winde und Wellen beunruhigt werden. Wenn sie sich übrigens vervielfältigen, steigen sie immer höher und höher an die Oberfläche, bis sie endlich ganz in die Nähe des Wasserspiegels kommen. Sie sehen dann aus, wie jene Riffe dort, William; und nun wird das weitere Gedeihen durch die Gewalt der Winde und Wellen gehemmt, welche die Zweige abbrechen. Natürlich bauen die Thierlein nicht über das Wasser heraus, da sie sonst sterben würden.«

»Aber wie kann eine Insel daraus werden?«

»Das geschieht allmählig, und die Zeit, die dazu erforderlich ist, hängt ganz von zufälligen Momenten ab. Ein umherschwimmender Holzstamm, der mit Entenmuscheln bedeckt ist, sitzt zum Beispiel auf den Korallenriffen auf. Dies ist schon ein zureichender Anfang, denn er bleibt über dem Wasser und verleiht den Korallen im Lee Schutz, bis sich ein flacher Fels gebildet hat, der bis zum Wasserspiegel heraufsteigt. Die Seevögel sehen sich stets nach einem Platze um, auf dem sie ausruhen können, und finden eine derartige Stelle bald auf. Im Laufe der Zeit wird durch ihren Besuch ein kleiner Fleck über dem Wasser gebildet, an dem andere schwimmende Gegenstände hängen bleiben. Landvögel, die durch den Wind in die See hinausgeblasen wurden, setzen sich nun darauf nieder, und die Saamen, welche unverdaut mit ihren Ausleerungen abgehen, wachsen zu Bäumen oder Büschen heran.«

»Ich begreife dies.«

»Du bemerkst, William, daß in dieser Weise die Insel einen Anfang genommen hat; und ist dies einmal geschehen, so erweitert sie sich bald, da die Korallen im Lee einen Schutz haben und sich nun in dieser Richtung vermehren. Du siehst, wie sich die Korallenriffe auf dieser Seite, wo sie vor Wind und Wellen geschützt sind, ausdehnen. Wie ganz anders verhält sich dies auf der Windseite, die wir eben verlassen haben. Ebenso schützt der kleine Fleck über dem Wasser die Korallen im Lee und dient zu rascher Vergrößerung der Insel; denn die Vögel lassen sich nicht blos darauf nieder, sondern bauen Nester, ziehen Junge nach, und so hebt sich der Boden mit jedem Jahr. Endlich wird vielleicht eine einzige Kokosnuß in ihrer großen äußeren Schaale herangeschwemnt – letztere scheint ausdrücklich dazu geschaffen zu seyn, um in dieser Weise an's Land gespült zu werden; denn sie ist wasserdicht, hart und zugleich sehr leicht, so daß sie Monate lang umherschwimmen kann, ohne Schaden zu nehmen. Diese faßt nun Wurzel, wird zu einem Baume und wirft jedes Jahr ihre großen Zweige ab, welche sich in ihrer Zersetzung zu Humus umwandeln. Eine abgefallene Nuß schlägt gleichfalls Wurzel und findet in dem neuen Boden ihr Gedeihen. So geht es dann fort, Jahr um Jahr, bis die Insel so groß und so dicht mit Bäumen bedeckt ist, als diejenige, auf welcher wir jetzt stehen. Ist dies nicht wunderbar, mein lieber Knabe, und ist nicht Der ein großer und gütiger Gott, auf dessen Wink die winzigsten Thiere solche Arbeiten ausführen müssen, damit sie sich in der Zeit, welche dem Schöpfer genehm ist, zu einer so schönen Insel umwandeln?«

»Ja wohl, ja wohl,« rief William.

»Wenn wir nur unsere Augen brauchen mögen, so müssen wir ihn ebensosehr lieben, als anbeten. Betrachte diese Muschel – ist sie nicht schön gezeichnet und könnte der beste Maler von der Welt ein solches Farbenspiel hervorbringen?«

»Nein, gewiß nicht.«

»Und doch haben wir ihrer Tausende vor Augen, während viele Millionen davon noch im Wasser sind. Sie sind nicht deshalb so schön gefärbt, um, wie die Werke der Menschen, bewundert zu werden, denn diese Insel ist bis jetzt wahrscheinlich unbewohnt gewesen, und Niemand hat sie je gesehen. Dem Herrn macht dies keinen Unterschied, denn er braucht nur zu wollen, und Alles ist vollkommen.«

Nach diesem Gespräche trat für einige Minuten eine stumme Pause ein. Endlich erhob sich Herr Seagrave von seinem Sitze und sagte:

»Komm, William, wir wollen jetzt den Rückweg antreten. Wir haben noch drei Stunden Tag und werden in guter Zeit zu Hause anlangen.«

»Ja, zur Nachtessenszeit, Vater,« entgegnete William; »und ich fühle, daß ich meinem Mahle alle Ehre anthun werde. Je früher wir also aufbrechen, desto besser ist es.«

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