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Siebentes Kapitel.


Der alte Ready sah eine Weile schweigend mit verschlungenen Armen dem abfahrenden Boote nach. Herr Seagrave stand an seiner Seite; sein Herz war zu voll, als daß er hatte Worte finden können, denn es war ihm, als entschwinde mit dem dahinfahrenden Boote der letzte Strahl von Hoffnung. Sein Gesicht drückte Verzweiflung aus, denn er sah sich, seine Gattin, seine Kinder und den neben ihm stehenden alten Mann dem Untergange preisgegeben. Endlich begann Ready zu sprechen:

»Sie meinen, daß sie sich retten können und wir zu Grunde gehen müssen, Herr Seagrave, vergessen aber, daß eine Macht oben waltet, welcher allein die Entscheidung gebührt – eine Macht, gegen die alle Anstrengungen der schwachen Menschen zu nichts werden.«

»Ihr habt Recht,« versetzte Herr Seagrave, mit gedämpfter Stimme; »aber dennoch gestehe ich, daß ich nicht begreifen kann, welche Hoffnung uns auf einem versinkenden Schiffe bleibt, da wir nur mit hülflosen Geschöpfen umgeben sind.«

»Wir müssen unser Bestes thun und uns Gottes Willen unterwerfen,« entgegnete Ready, welcher sich sodann nach dem Hinterschiff begab und das Steuer richtete, um das Fahrzeug wieder vor den Wind zu bringen.

Wie der alte Mann den Matrosen, ehe sie das Schiff verließen, vorausgesagt hatte, war der Sturm jetzt vorüber und die See hatte sich beträchtlich gelegt. Das Schiff schleppte sich jedoch nur langsam durch das Wasser. Ready band nach einer kurzen Weile das Steuer an und kam wieder nach vorne. Als er dann nach dem Halbdeck zurückkehrte, fand er, daß sich Herr Seagrave, augenscheinlich in einem Zustand von Verzweiflung, auf das Segel niedergeworfen hatte, auf welchem Kapitän Osborn nach seinem Unfalle gelegen.

»Falls Ihr betet, Herr Seagrave, so thut es mir leid, wenn ich Euch unterbreche; seyd Ihr aber blos durch die Gedanken an Eure Lage überwältiget, so bin ich vielleicht im Stande, Euch einige Hoffnung zu geben.«

»Ich habe allerdings gebetet,« versetzte Herr Seagrave, sich aufrichtend, »und seitdem versucht, meine Gedanken zu sammeln, die, wie ich gerne einräume, sehr verwirrt sind. Der schwerste Schlag besteht darin, wie ich meiner Gattin unsern hoffnungslosen Zustand mittheilen soll.«

»Wenn ich unsern Zustand für hoffnungslos hielte,« entgegnete Ready,« so würde ich Euch dieß aufrichtig sagen; aber man darf die Hoffnung nicht aufgeben, selbst wenn's aufs Aeußerste gekommen ist, und sollte stets auf denselben Gott bauen, ohne dessen Vorwissen kein Sperling zu Boden fällt. Ich will übrigens jetzt als Seemann sprechen, Herr Seagrave, und Euch sagen, worin unsere Aussichten bestehen. Das Schiff ist halb voll Wasser, weil unter der Spannung des Sturmes und unter den schweren Stößen, die es erlitten, einige Fugen sich geöffnet haben; aber nun sich der Wind gelegt hat, ist's auch wieder viel besser geworden. Ich habe den Pumpensod untersucht und die Entdeckung gemacht, daß in den letzten zwei Stunden das Wasser kaum um ein paar Zolle gestiegen ist, und wenn sich die Fugen wieder schließen, wird noch weniger eindringen. Gefällt es also Gott, dieses günstige Wetter andauern zu lassen, so haben wir nicht zu fürchten, daß das Schiff so bald versinke. Auch befinden wir uns jetzt unter den Inseln, und es ist daher nicht unmöglich – ja, ich darf wohl sagen, sogar sehr wahrscheinlich, daß wir irgendwo ans Ufer laufen und so unser Leben retten können. Als ich mich weigerte, in das Boot zu gehen, habe ich all dies und auch außerdem bedacht, Herr Seagrave, daß Ihr, wenn Ihr ganz verlassen würdet, nicht im Stande wäret, von den Zufälligkeiten Vortheil zu ziehen, die zu Euren Gunsten auftauchen dürften. Ich bin daher hier geblieben, weil ich, mit Gottes Beistand, das Mittel zu werden hoffte, Euch und Eurer Familie in dieser schlimmen Lage nützlich zu werden. Indeß wird es jetzt das Beste seyn, was Ihr thun könnt, wenn Ihr in die Kajüte hinuntergeht und Eurer Frau mit heiterem Gesicht die Veränderung des Wetters ankündigt, indem Ihr sie zugleich mit der Hoffnung ermuthigt, daß wir vielleicht bald einen sichern Platz erreichen. Möglich, daß sie nichts von dem Abzuge der Matrosen weiß, und in diesem Falle braucht Ihr ihr nichts davon zu sagen. Ihr könnt ihr bemerken, der Aufwärter sey bei den andern Matrosen – und darin lügt Ihr nicht. Kurz, Ihr müßt sie wo möglich über das Vorgefallene im Dunkeln lassen. Dem Junker William kann man schon trauen und wenn Ihr ihn zu mir schicken wollt, so will ich mit ihm über die Sache reden. Oder meint Ihr nicht, Herr Seagrave?«

»Ich weiß kaum was ich denken oder wie ich Euch hinreichend danken soll für Eure Selbstaufopferung, Ready; denn so muß ich Euer Benehmen in dieser äußersten Noth doch nennen. Euer Rath ist vortrefflich, und Ihr könnt versichert seyn, daß ich darnach handeln werde. Sollten wir dem Tode entgehen, der uns vorderhand noch in's Auge starrt, so wird meine Dankbarkeit – – «

»Kommt mir nicht damit; ich bin ein alter Mann mit wenigen Bedürfnissen, dessen Leben von keinem sonderlichen Nutzen mehr seyn kann. Mein einziger Wunsch geht eben dahin, daß ich versuchen möchte, meine Pflicht zu erfüllen in der Lage, zu welcher mich Gott zu berufen beliebt hat. Was kann diese Welt einem Menschen bieten, der sein ganzes Leben über nur ihre rauhen Seiten kennen gelernt hat und weder Weib noch Kind besitzt, die nach seinem Tode der Fürsorge bedürften? Gleichwohl bin ich Euch dankbar für Eure Güte, Herr Seagrave, und sobald Ihr hinunter gegangen seyd, will ich mich ein wenig umsehen.«

Herr Seagrave drückte Ready die Hand und begab sich ohne weitere Gegenrede nach der Kajüte hinab. Er fand, daß seine Gattin seit einer Stunde eingeschlafen und noch nicht wieder erwacht war. Auch die Kinder lagen ruhig in ihren Betten, da nur Juno und William auf waren.

William bedeutete seinem Vater durch Zeichen, daß die Mutter schlafe, und sagte dann in flüsterndem Tone:

»Ich mochte die Kajüte nicht verlassen, so lange Du auf dem Decke warst; aber der Aufwärter ist seit zwei Stunden nicht hier gewesen. Er ist fortgegangen, um die Ziege für das Bübchen zu melken, aber noch nicht wieder zurückgekommen. Keines von uns hat bis jetzt sein Frühstück erhalten.«

»William, gehe auf das Deck; Ready wünscht mit Dir zu sprechen. Ich will hier bleiben.«

William ging zu Ready hinauf, und dieser setzte ihm nun die Lage auseinander, in welcher sie sich befanden, indem er ihn zugleich darauf aufmerksam machte, wie nöthig es sey, daß er ihm und seinem Vater nach allen Kräften beistehe, vor Allem aber zu vermeiden suche, die Mutter in ihrem bedenklichen Gesundheitszustande zu erschrecken. William machte, wie sich erwarten läßt, ein sehr ernstes Gesicht, ging aber augenblicklich auf Readys Ansichten ein und versprach sein Bestes zu thun.

»Ihr wißt, Ready,« sagte er, »daß der Aufwärter mit den übrigen Leuten fort ist, und wenn die Mutter erwacht, wird sie fragen, warum die Kinder kein Frühstück erhalten haben. Was kann ich thun?«

»Nun, ich denke Ihr könnt, wenn ich's Euch zeige, eine von den Ziegen melken, während ich hingehe und die andern Dinge bereit halte. Ich kann wohl von dem Deck abkommen, denn Ihr seht, daß sich das Schiff recht hübsch von selber steuert. Auch habe ich, just bevor Ihr heraufkamt, den Pumpensod untersucht, und ich glaube nicht, daß das Schiff jetzt noch viel Wasser fängt. Dann schaute er umher und nach dem Himmel, worauf er fortfuhr: »Ich glaube, Junker William, wir werden noch vor Abend schön Wetter und glatte See haben.«

Durch Readys und Williams vereinigte Anstrengungen wurde das Frühstück bereitet, während Frau Seagrave noch immer in einem gesunden Schlafe lag. Die Bewegung des Schiffes war jetzt sehr gering, und es rollte nur ganz langsam von einer Seite zur andern, da es in Folge des durch die Lucken eingedrungenen Wassers sehr schwer war. Wind und See hatten sich gelegt und die Sonne schien klar über ihren Häuptern. Das Boot war schon einige Zeit außer Sicht, und das Schiff schnitt nicht schneller als drei Meilen in der Stunde durch das Wasser, da es kein anderes Segel führte, als das große Bramsegel, welches an dem Stumpfe des Fockmastes aufgehißt war. Ready, welcher sich einige Zeit in der Kajüte aufgehalten hatte, machte Herrn Seagrave den Vorschlag, daß Juno alle Kinder auf das Deck nehmen sollte.

»Man kann ihnen nicht zumuthen, daß sie sich ruhig verhalten sollen,« sagte er; »und da Madame in einem so süßen Schlafe liegt, wäre es Schade, sie zu wecken. Nach so vieler Erschöpfung schlummert sie vielleicht noch stundenlange fort – und je länger es geschieht, desto bester ist es; denn Ihr wißt, daß sie sich (hoffentlich schon in kurzer Zeit) anstrengen muß.«

Herr Seagrave ging bereitwillig auf diesen sachgemäßen Vorschlag ein, und begab sich mit Juno und den Kindern auf das Deck, indem er nur William in der Kajüte zurückließ, damit er bei seiner Mutter wache. Die arme Juno war sehr erstaunt, als sie die Leiter hinaufstieg und daselbst nicht nur den kläglichen Zustand des Schiffes, sondern auch die Abwesenheit der Matrosen bemerkte; aber Herr Seagrave sagte ihr, was vorgefallen war, und schärfte ihr auf's Nachdrücklichste ein, sie solle ja keine Sylbe davon gegen Frau Seagrave verlauten lassen. Das arme Mädchen versprach Gehorsam, sah aber doch die ganze Gefahr der gegenwärtigen Sachlage ein und drückte den kleinen Albert an ihre Brust, wobei ihr ein paar Thränen die Wangen herunterrollten. An sich selbst dachte sie nicht, wohl aber an ihren kleinen Pflegling und dessen wahrscheinliches Geschick. Selbst Tommy und Karolina konnten sich der Frage nicht erwehren, wo die Masten und Segel hingekommen und was aus dem Kapitän Osborn geworden sey.

»Schaut dorthin, Sir,« sagte Ready zu Herrn Seagrave, indem er auf eine Stelle deutete, wo einiges Seegras schwamm.

»Ich bemerke es wohl,« versetzte Herr Seagrave; »aber was ist damit?«

»An sich hätte es nicht viel zu bedeuten,« entgegnete Ready, aber wir Matrosen haben noch andere Merkmale und Anzeigen. Seht Ihr jene Vögel, die über den Wellen hinschweben?«

»Ja.«

»Gut, Sir; ich will nicht weiter sagen, als daß diese Vögel sich nie weit vom Land entfernen. Und nun, Sir, will ich nach meinem Quadranten hinuntergehen; denn obgleich ich jetzt die Länge nicht zu ermitteln im Stande bin, kann ich doch auf alle Fälle unsere Breite ausfindig machen. Wenn wir dann auf der Karte nachsehen, sind wir im Stande, ungefähr zu errathen, wo wir sind, im Falle wir bald Land zu Gesicht kriegen sollten.«

»Es ist jetzt nahezu Mittag,« fuhr er fort, indem er von seinem Quadranten ablas. »Die Sonne hebt sich sehr langsam. Was doch ein Kind für ein glückliches Ding ist! Schaut auf diese kleinen Geschöpfe hin, Sir, wie sie so fröhlich jetzt um uns spielen und so wenig von Gefahr wissen, als seyen sie zu Hause in ihrer Wohnstube. Zwar thut's mir immer wehe, wenn ich ein Kind früh abgerufen sehe; aber dennoch muß ich mir oft Gedanken darüber machen, Sir, daß ihm darin doch ein großer Segen zugeht, und daß es sehr selbstsüchtig von Seite der Eltern ist, wenn sie darüber murren.«

»Vielleicht habt Ihr Recht,« versetzte Herr Seagrave, indem er mit wehmüthigem Blicke seine Kinder betrachtete.

»Es ist zwölf Uhr, Sir. Ich will jetzt hinuntergehen, um die Breite auszuarbeiten, und dann die Karte heraufbringen.«

Herr Seagrave blieb auf dem Decke und hatte sich bald in tiefe, feierliche Gedanken versenkt. Kein Wunder – denn das Schiff war ein verlassenes Wrack und schwamm einsam mit seiner Gattin und seiner hülflosen Familie auf dem weiten Gewässer, ohne daß er, außer dem alten Ready, einen anderen Mann zum Beistand hatte. Wäre auch dieser von ihm gewichen – was hätte in seiner völlig hülflosen Lage aus ihm werden müssen? Und was stand ihm und den Seinigen sogar jetzt noch in Aussicht? Das Glücklichste, was ihnen begegnen konnte, war das Erreichen einer Insel, die vielleicht, wenn es ihnen je so gut wurde, verlassen oder von Wilden bewohnt war, so daß ihnen auf der einen Seite ein elender Tod durch Hunger und Durst, auf der andern ein blutiges Ende unter dem Mordmesser der Kannibalen bevorstand. Und selbst angenommen, daß sie die Mittel zu Erhaltung ihres Lebens auffanden – was dann? – mußten sie nicht an Ort und Stelle bleiben – vielleicht für Lebenszeit, und unbekannt und unbeachtet an einem fremden Orte sterben? Es stund lange an, ehe sich Herr Seagrave aus solchen Betrachtungen aufraffen konnte, um dankbar darauf hinzublicken, wie der Allmächtige ihn und die Seinigen bisher erhalten hatte, und mit Demuth zu sagen: »O Herr dein Wille geschehe, nicht der meinige.« Nachdem es ihm übrigens einmal gelungen war, sein Murren und seine Zweifel an einer allwaltenden Vorsehung zu unterdrücken, fühlte er, daß er Muth und Glauben genug besaß, sich jeder Prüfung zu unterziehen, die über ihn ergehen mochte!

»Hier ist die Karte, Sir,« sagte Ready. »Ich habe mit dem Bleistift eine Linie durch unsere Breite gezogen. Ihr bemerkt, daß sie durch diese Inselgruppe führt, und ich glaube, wir müssen uns unter derselben oder doch ganz in ihrer Nähe befinden. Ich will jetzt etwas zum Mittagessen zusammensuchen und dann scharf nach Land aussehen. Schaut auch Ihr ein wenig umher, Herr Seagrave – namentlich vorn und auf den Bugen.«

Ready ging sodann in das Zwischendeck hinunter, um zu sehen, was er für das Mittagsmahl zusammenbringen konnte; denn die Matrosen hatten, als sie das Schiff verließen, fast Alles eingepackt, was ihnen zuerst unter die Hände kam. Er hatte bald einige Stücke Pöckelfleisch und einige Kartoffeln aufgefunden, legte Beides in die Pfanne und kehrte dann auf das Deck zurück.

Herr Seagrave war auf dem Vorderschiffe und schaute über die Buge. Ready näherte sich ihm.

»Ready, ich glaube etwas zu sehen, kann aber kaum sagen, was es ist. Es sieht aus, als schwebe es in der Luft, und doch hat es nicht das Aussehen von Wolken. Schaut in die Richtung, die ich mit meinem Finger andeute.«

»Ihr habt Recht, Sir,« versetzte Ready; »dort ist etwas, 's ist übrigens nicht Land, was Ihr seht, sondern nur eine sogenannte Refraction der Bäume auf irgend einer Stelle, so daß es, wie Ihr sagt, den Anschein gewinnt, als schwebten sie in der Luft. Verlaßt Euch darauf, Sir, das Luftbild rührt von einer Insel her; aber ich will hinuntergehen und mein Glas holen.«

»Es ist wirklich Land, Herr Seagrave,« fuhr Ready fort, nachdem er die Richtung mit seinem Fernrohre untersucht hatte. »Ja, es ist so,« fuhr er nachsinnend fort. »Wollte Gott wir hätten es früher gesehen – und doch dürfen wir auch so dankbar dafür seyn.«

»Warum das, Ready?«

»Ich fürchte nur, Sir, weil das Schiff so langsam durch das Wasser geht, werden wir es nicht vor Dunkelheit erreichen, und es wäre mir lieb gewesen, ich hätte hübsch bei Tageslicht darauf anlegen können.«

»Wir haben jetzt sehr wenig Wind.«

»Hoffen wir, daß er ein wenig stärker werde,« erwiederte Ready. »Geschieht's übrigens nicht, so müssen wir eben unser Bestes thun. Doch jetzt muß ich an's Steuer gehen und recht auf die Insel abheben. Es wäre nicht gut, wenn wir an ihr vorbeikämen, Herr Seagrave; denn obgleich das Schiff nicht mehr so viel Wasser zieht, wie früher, muß ich Euch doch sagen, daß ich nicht glaube, es lasse sich länger als vierundzwanzig Stunden flott erhalten. Wie ich diesen Morgen den Pumpensod untersuchte, war ich anderer Meinung; aber als ich nach dem Ochsenfleisch in den Raum hinunterging, bemerkte ich, daß wir in größerer Gefahr sind, als ich mir dachte. Wie dem übrigens seyn mag – dort ist das Land und wir haben alle Aussicht, dahin zu entkommen. Laßt uns daher dem Herrn danken für seine große Gnade.«

»Amen,« versetzte Herr Seagrave.

Ready begab sich nach dem Rade, und steuerte den Kurs nach dem Lande zu, welches nicht so weit entfernt lag, als er geglaubt hatte, da die Insel sehr niedrig war. Allmählig frischte der Wind auf, und sie kamen schneller durch das Wasser. Die Bäume, welche zuvor in der Luft zu schweben schienen, vereinigten sich jetzt mit dem Boden, und sie konnten nun unterscheiden, daß sie eine niedrige mit Kokoswäldern bedeckte Insel vor sich hatten. Hin und wieder gab Ready das Steuer an Herrn Seagrave ab und verfügte sich nach vorne, um Untersuchung anzustellen. Als sie noch etwa drei oder vier Meilen vom Lande entfernt waren, kam Ready von der Back zurück und sagte:

»Ich glaube, ich sehe meinen Weg ziemlich klar, Sir. Ihr bemerkt, wir sind windwärts von der Insel, und an derartigen Eilanden ist auf der Luvseite das Wasser stets tiefer, während sich die Riffe und Untiefen mehr im Lee befinden. Wir müssen daher irgend einen kleinen Spalt in den Korallenfelsen aufsuchen, um das Schiff so zu sagen in eine Docke zu bringen, damit es nicht wieder in's tiefe Wasser zurückgerathe, nachdem es Grund gefaßt hat; denn bisweilen steigen diese Inseln auf der Luvseite mit vierzig oder fünfzig Faden Wasser wie eine Mauer in die Höhe. Ich sehe übrigens eine Stelle, wo wir das Fahrzeug wohlbehalten an's Ufer bringen können. Bemerkt Ihr jene drei Kokosbäume, die an dem Ufer dicht neben einander stehen? Nun, Sir, ich kann sie beim Steuern nicht gut im Auge behalten; geht daher Ihr nach vorne, und wenn ich mehr nach rechts steuern soll, so streckt Eure rechte Hand aus, während Ihr es mit der linken ebenso macht, falls eine Richtung nach dieser Seite nöthig wird. Steht übrigens der Schiffsschnabel so, wie er seyn sollte, so laßt die erhobene Hand wieder sinken.«

»Ich verstehe Euch vollkommen, Ready,« erwiederte Herr Seagrave, welcher sofort nach vorne ging und das Steuern des Schiffes bei der Annäherung an die Insel in der angedeuteten Weise leitete. Als sie noch etwa eine halbe Meile von dem Ufer entfernt waren, wechselte das Wasser seine Farbe, worüber Ready sehr zufrieden war, weil er daraus entnahm, daß die Luvseite der Insel nicht so steil seyn würde, als es gewöhnlich der Fall war. Dennoch war es ein ergreifender Augenblick, als sie auf das Gestade zuliefen. Sie waren nun nur noch eine Kabellänge entfernt, ohne daß das Schiff Grund gefunden hätte. Noch ein wenig näher, und unter dem Kiele ließ sich ein Knirschen vernehmen – es war das Abbrechen der Korallenäste, welche, gleich Wäldern, unter dem Wasser wuchsen. Dann ein neues Knirschen, stärker und stärker, dann ein Stoß – wieder ein Knirschen, und endlich eine heftige Erschütterung, wobei das schwellende Wasser nachschob. Jetzt saß das Schiff fest und ruhig, weshalb Ready das Steuer losließ, um die Lage zu untersuchen. Er schaute über den Stern und um das ganze Fahrzeug her, wodurch er die Ueberzeugung gewann, daß es vorn und hinten auf einem Bette von Korallenfelsen festsaß.

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