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Eilftes Kapitel.


Herr Seagrave war der Erste, welcher am andern Morgen erwachte und sich von seinem Bette erhob. Er trat vor das Zelt hinaus und schaute umher. Der Himmel war hell und klar. Eine leichte Brise kräuselte die Oberfläche des Wassers und die kleinen Wellen schlugen spielend gegen den weißen Sand der Bucht an. Links von derselben stieg das Land auf und bildete kleine Hügel, hinter welchen sich die Kokoswälder fortzusetzen schienen. Rechts erhob sich eine niedere Reihe von Korallenfelsen fast wie eine Mauer aus dem Meere, auf etwa hundert Schritte sich dem Rasen und Buschholz anschließend, während das Wrack des Pacific, welches wie irgend ein gestrandetes Ungeheuer dalag, den hervorstechendsten Zug in der Landschaft bildete. Wo die Strahlen hindringen konnten, entfaltete die Sonne große Gewalt; aber die Stelle, auf welcher Herr Seagrave stand, bot einen undurchdringlichen Schatten, da die Kokosbäume ihr gefiedertes Laub im Winde darüber hinbreiteten. Ein Gefühl der Bewunderung über die unendliche Schönheit der Landschaft, gedämpft durch die Wehmuth über den Anblick des zertrümmerten Schiffes, erfüllte Herrn Seagraves Seele.

»Ja,« dachte er, »wenn ich der Welt und ihrer Sorgen müde wäre, und einen Aufenthalt des Friedens und der Schönheit suchen wollte, so würde ich einen Ort wählen, wie diesen hier. Wie lieblich ist die Landschaft – welche Ruhe, welche Zufriedenheit, welche süße Wehmuth weckt sie nicht in der Seele! Wie gnädig sind wir bewahrt worden, als alle Hoffnung entschwunden zu seyn schien, und welche reichliche Fürsorge ist uns nicht entgegengekommen, nun wir gerettet sind. Und doch erdreistete ich mich, zu murren, während nur das Gefühl des Dankes in meinem Innern hätte Platz greifen sollen! Möge Gott mir vergeben. Gattin und Kinder in Sicherheit – nichts zu beklagen, als den Verlust einiger zeitlichen Güter und eine jeweilige Abgeschiedenheit von der Welt – ja, aber für wie lange! – Wie, noch immer rebellische Gedanken? – nicht für länger, als es Gott in seiner Weisheit gutdünken mag.«

Herr Seagrave hatte den Rücken seinem Zelte zugewandt, wo William, Tommy und der alte Ready noch immer in festem Schlafe lagen.

»Vortrefflicher alter Mann!« fuhr Herr Seagrave in seinen Gedanken fort; »wenn wir je wieder zurückkehren zu den geschäftigen Scenen des Lebens, so soll Dein Wohlwollen und Deine christliche Gesinnung belohnt werden, falls es überhaupt in meiner Macht liegt, Dir zu vergelten. Welch ein kräftiges Herz ist nicht unter der rauhen Rinde verborgen! Wo wären jetzt alle diese lieben, hülflosen Wesen, wenn er nicht so treulich bei uns ausgehalten und sich selbst uns zum Opfer gebracht hätte! Schlafe im Frieden, guter alter Mann, und möge der Himmel Dich segnen.«

Die Hunde, welche in das Zelt gekrochen waren und sich neben William und Tommy auf die Matratzen niedergelegt halten, begrüßten jetzt Herrn Seagraves mit wedelndem Schmeicheln. William erwachte ob ihrem Winseln, erhielt aber von seinem Vater die Weisung, den alten Ready nicht zu wecken, weshalb er sich in aller Stille ankleidete und heraus kam.

»Soll ich nicht Juno rufen, Vater?« sagte William. »Ich denke, ich kann es wohl, ohne Mama zu wecken, wenn sie noch schlafen sollte.«

»So thu es, mein Sohn; ich will indessen nachsehen, was Ready für Kochgeräthschaften an's Land gebracht hat.«

William kehrte bald zu seinem Vater zurück und berichtete, daß die Mutter noch in tiefem Schlafe liege, Juno aber aufgestanden sey, ohne sie und die beiden Kinder zu wecken.

»Nun, so wollen wir sehen, ob wir nicht ein Frühstück für sie zurichten können, William. Die trockenen Kokosblätter werden ein vortreffliches Feuer geben.«

»Aber Vater, wie sollen wir Feuer anzünden? Wir haben weder Zunderbüchse noch Schwefelhölzchen.«

»Nein, aber es gibt noch andere Methoden, obschon bei den meisten Zunder nöthig ist. Die Wilden machen Feuer an, indem sie ein weiches Stück Holz gegen ein hartes reiben. Ich fürchte freilich, wir würden lange brauchen, wenn wir dies versuchen wollten; aber wir haben Schießpulver und können Zunder machen, indem wir es anfeuchten und auf einen Lappen oder einen Fetzen Papier, ja auch auf ein Stück weichen Holzes reiben. Es gibt zweierlei Arten, Schießpulver anzuzünden – einmal durch Stahl und Stein, und dann, wenn man die Sonnenstrahlen durch ein Vergrößerungsglas in einen Brennpunkt sammelt.«

»Wir haben kein Vergrößerungsglas.«

»Nein; aber wir können es aus einem Telescop kriegen, wenn wir wieder an Bord gehen. Vorderhand haben wir kein anderes Mittel, als die Muskete.«

»Aber Vater, was kochen wir, wenn wir das Feuer angezündet haben? Es ist weder Thee noch Kaffee da.«

»Du hast Recht,« versetzte Mr. Seagrave.

»Aber Kartoffeln, Vater.«

»Ja William; aber meinst Du nicht, es wäre besser, wenn wir kaltes Ochsen- und Schweinefleisch nebst Schiffszwieback zum Frühstück zubereiteten, ohne von den Kartoffeln Gebrauch zu machen? Vielleicht bedürfen wir der Letzteren, um sie anzupflanzen. Aber warum gehen wir nicht lieber selbst an Bord? Du kannst ein Ruder ziemlich gut führen, und wir Alle müssen jetzt arbeiten lernen, damit nicht der arme alte Ready sämmtliche Geschäfte für uns zu besorgen habe. Freilich wird es einige Zeit anstehen, ehe wir so handgerecht sind, wie der alte Mann, der sich in alle Schwierigkeiten zu finden weiß. Komm, William.«

Herr Seagrave begab sich nun nach der Bucht hinunter, wo das kleine Boot an dem Gestade lag und leicht von den kräuselnden Wellen bespült wurde. Sie schoben es ab und stiegen hinein.

»Ich weiß, wo der Aufwärter den Thee und Kaffee aufzubewahren pflegte, Vater,« sagte William, als sie dem Schiffe zuruderten. »Mama wird gewiß ein solches Frühstück jedem andern vorziehen; auch kann ich die Ziegen melken für den kleinen Albert.«

Obgleich sie die Ruder nicht sehr geschickt zu handhaben wußten, langten sie doch bald neben dem Schiffe an und klommen, nachdem sie das Boot festgemacht hatten, an Bord.

William ging zuerst nach der Kajüte hinunter, um Thee und Kaffee zu holen; dann überließ er es seinem Vater, andere Dinge zu sammeln, während er sich entfernte, um die Ziegen zu melken. Sobald er dies gethan hatte, goß er die Milch aus der Blechpfanne, die er als Eimer benützt hatte, in eine frisch ausgespülte Flasche, damit sie nicht vergossen würde, und kehrte zu seinem Vater zurück.

»Ich habe diese zwei Körbe mit allerlei Gegenständen gefüllt, William, die Deiner Mutter recht angenehm seyn werden. Was sotten wir noch mitnehmen?«

»Jedenfalls das Telescop, Vater – und auch einen Pack Kleider; das wird Mama lieb seyn. Die reinen sind alle in der Schublade – wir können sie in ein Tuch zusammenbinden. Und dann, Vater, können wir auch einige Bücher mitnehmen, denn Mama wird sich nach ihrer Bibel und ihrem Gebetbuche sehnen. Da sind sie.«

»Du bist ein guter Knabe, William,« entgegnete Herr Seagrave. »Ich will jetzt diese Sachen in das Boot nehmen und dann nach dem Uebrigen zurückkehren.«

In kurzer Frist war Alles, was sie mitnehmen wollten, in dem Boote untergebracht, und sie ruderten wieder dem Lande zu. Juno, welche sich inzwischen gewaschen hatte, harrte ihrer an der Bucht, um ihnen beim Ausladen an die Hand zu gehen.

»Nun, Juno, wie befindest Du Dich diesen Morgen?«

»Ganz wohl, Massa,« versetzte Juno und deutete dann mit den Worten auf das klare Wasser: »viel Fisch da.«

»Ja, wenn wir nur Leinen hätten,« versetzte Herr Seagrave. »Ich glaube übrigens, daß Ready irgendwo sowohl Angeln als Schnüre hat. Komm Juno, nimm dieses Bündel Leinwand nach dem Zelte. Wir können mit dem Uebrigen ohne Dich zu Stande kommen.«

»Nimm auch diese Flasche Milch mit, Juno; ich habe sie zu dem Frühstück des kleinen Albert gemolken.«

»Dank, Massa William, das war gut von Euch.«

»Du mußt Dich tummeln, Juno; denn da ist Tommy auch schon auf den Beinen und läuft im Hemde umher.«

Als sie bei dem Zelte anlangten, fanden sie, daß Alles wach war, den alten Ready ausgenommen, der noch immer in tiefem Schlafe lag. Frau Seagrave hatte eine sehr gute Nacht gehabt und fühlte sich viel frischer. William fertigte etwas Zunderpapier an, welches er mit einem der Gläser aus dem Telescope entzündete, und bald hatten sie ein gutes Feuer. Herr Seagrave ging nach dem Ufer hinunter, um drei große Steine zu holen, mit welchen die Pfanne unterstützt werden sollte, und nach einer halben Stunde hatten sie kochendes Wasser zum Thee.

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