Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.


Junker William war der älteste Sehn einer Familie, aus Vater, Mutter und vier Kindern bestehend, die sich als Passagiere an Bord befanden. Der Vater war ein Herr Seagrave, ein wohlunterrichteter, verständiger Mann, welcher zu Sidney, der Hauptstadt in Neu-Südwales, viele Jahre einen Regierungsposten behauptet hatte und jetzt nach einem dreijährigen Urlaub wieder dahin zurückkehrte. Er hatte von der Regierung mehrere tausend Morgen Landes angekauft, deren Werth sich seitdem sehr gesteigert hatte, wie denn auch das Vieh und die Schafe, welche er darauf weiden ließ, großen Gewinn abwarfen. Die Person, welcher er während seines Aufenthalts in England die Besorgung seines Eigenthums übertragen, hatte gute Wirthschaft geführt, und Herr Seagrave brachte unterschiedliche Gegenstände, theils zur Verbesserung seines Gutes, theils für den eigenen Gebrauch, zum Beispiel: Möbel für sein Haus, Ackerbaugeräthschaften, Saatfrüchte, Pflanzen, Vieh und viele andere Dinge, mit sich.

Seine Gattin war eine liebenswürdige Frau, übrigens nicht von sehr kräftiger Gesundheit. Die Familie bestand aus William, dem ältesten Kinde, einem verständigen, gesetzten Knaben, der aber gleichwohl voll Heiterkeit und Laune war. Der sechsjährige Thomas war ein gutmüthiger, gedankenloser Junge und voll Muthwillen, welcher ihn stets in die Klemme brachte. Die übrigen Kinder waren die siebenjährige Karoline und Albert, ein schönes, kräftiges Bübchen, das noch kein Jahr zählte und unter der Pflege eines schwarzen Mädchens stand, welches von dem Kap der guten Hoffnung nach Sidney gekommen und mit Frau Seagrave nach England gereist war. Wir haben nun aller Leute an Bord des Pacific Erwähnung gethan, dürfen aber wohl nicht die beiden Schäferhunde, welche Herrn Seagrave gehörten, und einen kleinen Dachs vergessen, der bei seinem Herrn, dem Kapitän Osborn, sehr in Gunsten stand. Fahren wir jetzt fort.

Der Sturm legte sich erst am vierten Tage und wandelte sich endlich fast zu einer völligen Windstille um. Die Matrosen, welche während des ungestümen Wetters Nacht um Nacht gewacht hatten, brachten nun ihre Kleider hervor, welche von dem Regen und der Sprüh durchnäßt worden waren, und hingen sie in dem Takelwerk zum Trocknen auf. Auch die vom Wasser getränkten und bisher beschlagenen Segel wurden jetzt losgemacht und ausgebreitet, damit sie nicht spohricht würden. Der Wind blies mild und sanft; die See hatte sich gelegt, und das Schiff lief mit einer Geschwindigkeit von ungefähr vier Meilen in der Stunde durch das Wasser. Frau Seagrave saß, in einen Mantel gehüllt, auf einem der Lehnenbänke in der Nähe des Sternes, und ihr Gatte erfreute sich mit den Kindern des schönen Wetters, als Kapitän Osborn, welcher eben mit seinem Sextanten eine Sonnenbeobachtung vorgenommen hatte, zu ihnen heraufkam.

»Gelt, Tommy, Du bist froh, daß der Sturm vorüber ist?«

»Ich hätte mir nicht viel daraus gemacht,« versetzte Tommy, »wenn er mir nur nicht alle meine Suppe ausgeschüttet hätte. Aber Juno purzelte von ihrem Stuhl herunter und rollte mit dem Bübchen fort, bis Papa beide wieder auflas.«

»Es war eine Gottesschickung, daß der arme Albert mit dem Leben davon kam,« bemerkte Frau Seagrave.

»Es hätte ganz anders kommen können, wenn nicht Juno nur an ihn gedacht hätte, ohne Rücksicht auf sich selbst zu nehmen,« versetzte Herr Seagrave.

»Das ist sehr wahr, Sir,« entgegnete Kapitän Osborn. »Sie hat das Kind gerettet und, wie ich fürchte, selbst dabei Schaden genommen.«

»Ich hab' nur den Kopf hart angestoßen,« sagte Juno lächelnd.

»Ja, und es ist ein Glück, daß Du eine gute, dicke, wollichte Kappe darüber hast,« versetzte Kapitän Osborn lachend. »Schon recht, Juno; Du bist ein gutes Mädchen.«

»Nach der Sonne ist es zwölf Uhr, Sir,« sagte Mackintosh, der erste Mate, zu dem Kapitän.

»Dann bringt mir die Breite herauf, Mr. Mackintosh, während ich nach dem Absehen, das ich diesen Morgen genommen habe, die Länge ausarbeite. In fünf Minuten, Herr Seagrave, werde ich im Stande seyn, Euch unsere Stellung auf der Charte anzuzeigen.«

»Da kommen die Hunde auf das Deck,« sagte William. »Ich kann mir denken, daß sie ebenso froh über das schöne Wetter sind als wir. Komm her, Romulus! daher Remus! –«

»Mit Erlaubnis, Sir,« sagte Ready, der mit seinem Quadranten in der Nähe stand, »ich möchte wohl eine Frage an Euch stellen. Eure Hunde da haben gar kuriose Namen, wie ich sie nie zuvor gehört habe. Wer ist der Romulus und Remus gewesen?«

»Romulus und Remus,« versetzte Herr Seagrave, »lauten die Namen von zwei Schäfern, welche Brüder waren und vor Alters die Stadt Rom gründeten – dieselbe, welche später der Mittelpunkt des größten und berühmtesten Reiches von der Welt wurde. Sie waren die ersten Könige von Rom und regierten mit einander.«

»Und sie wurden von einer Wölfin gesäugt, Ready,« fuhr William fort. »Was sagt Ihr zu diesem?«

»Daß dies eine wundersame Art von Amme war, Junker William,« versetzte Ready.

»Und Romulus hat den Remus umgebracht,« sagte William.

»Kein Wunder, wenn man eine solche Erziehung in's Auge faßt, Junker William,« entgegnete Ready. »Aber warum hat er ihn umgebracht?«

»Weil er zu hoch sprang,« versetzte William lachend.

»Macht Junker William da einen Scherz?« sagte Ready, sich an Mr. Seagrave wendend.

»Ja und nein. Die Geschichte sagte, Remus habe Romulus dadurch beleidigt, daß er über die erbaute Mauer wegsprang, und Romulus nahm ihm in seinem Zorne das Leben. Aber auf die Berichte aus jenen frühen Zeiten kann man sich nicht verlassen.«

»Nein, und es scheint auch, auf die Brüder nicht,« entgegnete Ready, »'s ist übrigens immer nur die alte Mahr – zwei von derselben Handthierung können sich nie vertragen Man hört heut zu Tage auch hin und wieder von Rom – ist es der nämliche Platz?«

»Ja,« antwortete William; »es sind die Ueberreste der alten Stadt.«

»Nun, man lebt, um zu lernen,« sagte Ready. »Ich habe heute etwas gelernt, und das kann Jeder bis auf den letzten Tag seines Lebens, wenn er nur fragen mag. Ich bin ein alter Mann und weiß vielleicht nicht viel, das Seefahrergeschäft ausgenommen, hätte aber viel weniger erfahren, wenn ich mir nicht hätte Auskunft ertheilen lassen; denn ich scheute mich nie, meine Unwissenheit einzugestehen. Das ist die Weise, wie man lernt, Master William.«

»Ein sehr guter Rath, Ready – und ich hoffe, William, Du wirst Vortheil daraus ziehen,« sagte Herr Seagrave. »Man muß sich nie schämen, nach dem zu fragen, was man nicht versteht.«

»Das thue ich immer, Papa. Frage ich Euch nicht viel, Ready?«

»Ja, und Ihr stellt sehr gescheidte Fragen für einen Knaben von Eurem Alter, Junker William. Ich wünschte nur, ich könnte sie besser beantworten, als es bisweilen geschieht.«

»Ich möchte jetzt wieder hinuntergehen, mein Lieber,« sagte Fran Seagrave. »Vielleicht ist Ready so gut, den Kleinen hinab zu bringen.«

»Ganz gut, Madame,« entgegnete Ready, seinen Quadranten auf die Spille niedersetzend. »Gib mir das Kind, Juno, und geh' zuerst hinunter – mit dem Stern voran, Du dummes Mädchen! Wie oft habe ich Dir dies schon gesagt? Gib Acht, Du kommst einmal flugs hinunter.«

»Und zerbrich mir den Kopf,« sagte Juno.

»Ja, oder den Arm, und wer soll dann das Kind tragen?«

Sobald sie Alle in der Kajüte unten waren, bezeichneten der Kapitän und Herr Seagrave die Stellung des Schiffes auf der Charte; sie fanden, daß sie hundertunddreißig Meilen von dem Kap der guten Hoffnung standen.

»Wenn der Wind anhält, laufen wir morgen ein,« sagte Herr Seagrave zu seiner Gattin. »Juno, Du wirst vielleicht Deinen Vater und Deine Mutter wieder sehen.«

Die arme Juno schüttelte ihren Kopf und ein paar Thränen stahlen sich über ihre dunkeln Wangen herunter. Sie erzählte nun mit traurigem Gesichte, daß ihr Vater und ihre Mutter einem holländischen Bauern gehören, der mit ihnen viele Meilen in's Innere gezogen sey; sie habe sich von denselben trennen müssen, als sie noch ein kleines Kind gewesen, und sey in der Kapstadt zurückgelassen worden.

»Aber Du bist jetzt frei, Juno,« sagte Frau Seagrave, »denn Du bist in England gewesen, und wer immer in England seinen Fuß auf's Ufer setzt, gewinnt von diesem Augenblicke an seine Freiheit.«

»Ja, Missy, ich frei; hab' aber doch nicht Vader oder Muder,« entgegnete Juno weinend.

Aber der kleine Albert streichelte ihre Wange, so daß sie bald wieder lächelte und mit dem Knäbchen spielte.

—————


 << zurück weiter >>