Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenzehntes Kapitel.


Durch die Zeichen an den Bäumen geleitet, kamen die beiden Wanderer rasch vorwärts und hatten nach ungefähr zwei Stunden den Wald, welcher sie Tags zuvor viermal soviel Zeit gekostet hatte, beinahe zurückgelegt.

»Ich fühle jetzt den Wind, Ready,« bemerkte William. »Der Wald wird wohl bald zu Ende seyn; aber es kommt mir vor, als ob es sehr dunkel sey.«

»Ich habe eben auch das Nämliche gedacht,« versetzte Ready. »Es sollte mich nicht wundern, wenn ein Ungewitter im Anzuge wäre, und wenn dies der Fall ist, so thun wir gut, unsere Wanderung zu beschleunigen, da sonst Eure Mutter in Angst gerathen könnte.«

Während sie weiter schritten, bekundete sich die Richtigkeit von Readys Muthmaßung mehr und mehr; denn die Baumzweige rauschten und rasselten, und hin und wieder brach sich ein ächzender Windstoß Bahn. Als sie aus dem Wald heraustraten, bemerkten sie, daß der Himmel, so weit sie sehen konnten, in eine einzige dunkle Bleifarbe gehüllt war und nirgends mehr das gewöhnliche glänzende Blau zeigte.

»Da kommt wahrhaftig ein schwerer Sturm, Junker William,« sagte Ready, sobald sie den Wald im Rücken hatten. »Eilen wir so schnell wir können zu den Zelten, denn wir müssen sehen, daß Alles so viel möglich gesichert wird.

Die Hunde eilten nun voran und meldeten die Ankömmlinge. Herr Seagrave und Juno kamen nun aus den Zelten heraus und ertheilten, sobald sie Ready's und William's ansichtig wurden, Frau Seagrave, die mit den Kindern innen geblieben war, die willkommene Kunde. Noch einige Augenblicke, und William lag in den Armen seiner Mutter.

»Oh, wie freut es mich, daß Ihr wieder zurück seyd, Ready,« sagte Herr Seagrave, der, sobald er William umarmt hatte, dem alten Seemanne die Hand drückte. »Ich fürchte, daß jetzt schlimmes Wetter eintritt.«

»Darauf könnt Ihr Euch verlassen,« entgegnete Ready. »Wir dürfen uns auf eine ungestüme Nacht gefaßt halten, denn es sieht sehr drohend aus. Dieses Ungewitter ist einer von den Vorläufern der Regenzeit. Wir haben jedoch gute Neuigkeiten zu überbringen, Sir, und müssen den Sturm nur als einen Mahner nehmen, unsere Abreise so bald wie möglich zu beschleunigen. Wir werden noch etwa einen Monat schön Wetter behalten, obschon es hin und wieder windig seyn wird. Aber jetzt gilt's, hart zu arbeiten und unser Bestes zu thun. Wenn es Euch recht ist, Sir, so wollen wir, das heißt Ihr, Juno, Junker William und ich, die erste nöthige Vorsichtsmaßregel treffen. Wir müssen nämlich hinuntergehen und das kleine Boot so weit wie möglich herausholen, denn die Wellen werden hoch heraufschlagen, und das kleine Fahrzeug ist auf alle Fälle unsere Hauptzuflucht.«

Die Vier gingen hinunter, sobald Ready die abgehauenen Spierenenden zu drei Rollen gesägt hatte, um sie unter dem Kiele zu befestigen. Unter solcher Beihülfe war das Boot bald hoch nach dem Gebüsch hinaufgeholt, wo es Readys Ansicht zufolge völlig sicher war.

»Ich hatte im Sinne, es unverweilt in Arbeit zu nehmen,« bemerkte Ready, »muß aber jetzt schon warten, bis der Sturm vorüber ist. Ich hoffte, morgen wieder an Bord zu kommen und nach einigen nützlichen Dingen zu sehen, die mir seitdem eingefallen sind, wie ich mich denn auch überzeugen wollte, ob die Kuh noch am Leben ist; aber ich vermuthe,« fuhr er fort, indem er nach dem Wetter sah, »daß wir nie wieder an Bord dieses armen Schiffes gelangen werden. Hört das Stöhnen des kommenden Sturmes, Sir, und schaut wie die Seevögel kreischend umherfliegen, als wollten sie den Untergang des Wracks prophezeiten. Doch wir dürfen hier nicht warten, Sir – die Zelte müssen sicherer gemacht werden, denn ich müßte mich sehr täuschen, wenn sie nicht einen tüchtigen Wind auszustehen hätten. Der Frau und den Kindern würde es wahrscheinlich nicht lieb seyn, wenn die Leinwand in die Wälder geblasen würde.«

Als sie an den Zelten anlangten, trafen sie auf Tommy, welcher herausgekommen war, um sie anzureden.

»Wie geht's Dir, Tommy?« fragte William.

»Ich bin ganz wohl, und so auch die Mama. Du hättest nicht nöthig gehabt, zurückzukommen – ich habe für Alles gesorgt.«

»Ich zweifle nicht, daß Du ein sehr nützlicher Knabe bist, Meister Tommy,« versetzte Ready. »Aber jetzt mußt Du kommen und uns einiges Tau- und Segelwerk aus dem Vorrathszelte holen helfen, den wir müssen hindern, daß der Regen nicht in die Wohnung Deiner Mama dringt. Da, nimm meine Hand und komm mit – William mag dann Deiner Mama sagen, was wir gethan haben.«

Unter Herrn Seagraves Beistande schaffte Ready eine Partie schwerer Leinwand heraus und begann, sie als doppelte Decke über die Zelte zu breiten, um den Regen auszuschließen. Auch suchten sie, die Zelte mit Stricken gegen das Niedergeblasenwerden zu schützen, während Juno mit einer Schaufel den Graben, welcher um die Zelte gezogen worden war, vertiefte, damit das Wasser leichter ablaufe. Sie ließen von ihrem Arbeit nicht ab, bis Alles fertig war, worauf sie sich zu einem späten Mahle niedersetzten.

Während sie noch am Geschäfte waren, theilte Ready dem Herrn Seagrave mit, was sie während ihres Rekognitionszuges entdeckt und gethan hatten; auch erregte das Abenteuer mit den Schweinen allerseits ein herzliches Gelächter.

Mit dem Untergang der Sonne wurde das Wetter noch drohender. Der Wind blies jetzt stark, und das felsige Gestade, welches von den Wellen gepeitscht wurde, hüllte sich in weiße Sprüh, während die Brandung, welche hereinfluthete und sich an dem Sand der Bai brach, ein brüllendes Getöse erschallen ließ. Die ganze Familie hatte sich zu Bette begeben, und nur Ready sagte, er wolle das Wetter ein wenig bewachen, ehe er sich schlafen lege. Der alte Mann ging gegen das Gestade hin und lehnte sich gegen das Schanddeck des kleinen Bootes, das sie nach dem Gebüsche heraufgeholt hatten. Dort blieb er stehen und heftete das scharfe graue Auge in die Ferne. Alles war jetzt eine schwarze Masse, den weißen Wasserschaum ausgenommen, der hell durch das Dunkel der Nacht glänzte.

»Ja,« dachte er, »Wind und Wellen stehen im Dienste des Herrn und arbeiten gemeinschaftlich – wie sich der eine hebt, so steigen auch die andern; wenn der eine heult, so brüllen die andern zu dem Koncerte, und beide Gewaltigen gehen Hand in Hand, wenn ihre Wuth los ist. Wären sie nur vor einer Woche aufgeboten worden – wo würden jetzt diejenigen seyn, welche nunmehr hier und so zu sagen auf meinen schwachen Beistand hingewiesen sind? Der Vater, die Mutter, die Kinder, das hülflose Knäblein und ich, der grauköpfige alte Mann – Alle begraben viele Klafter tief, und dem Tage der Auferstehung entgegenharrend. Aber der Wille des Allgütigen zügelte die Macht der wilden Elemente, und auf sein Geheiß wurden wir gerettet. Wird jenes Gebälk, das uns so wunderbar hieher trug, morgen noch zusammenhalten? Schwerlich. Was sind die eisernen Klampen und die Befestigungsmittel des schwachen Menschen in Vergleichung mit der Gewalt von Gottes Elementen? Sie werden zusammenbrechen, wie dünne Schnüre, und wenn der Morgen dämmert, sehen wir die Trümmer des sonst so stattlichen Schiffes in der wilden Brandung umherfluthen. Nun, auch hierin liegt Wohlwollen gegen uns, denn das Wasser wird das Geschäft übernehmen, welches wir nicht vollziehen können, indem es das Gebälk zu unserer Benützung los bricht und diejenigen Gegenstände, welche wir mit unserer kleinen Kraft nicht erreichen können, an's Ufer wirft. Wir gewinnen darin nur eine neue Ursache, dankbar zu seyn.«

Ein scharfer zuckender Blitz traf jetzt das Auge des alten Mannes und blendete es für eine Weile.

»Der Sturm wird bald seine Höhe erreichen,« dachte er. »Ich will die Zelte beobachten und sehen, wie sie der Gewalt des Wetters Stand halten.«

Ready wandte sich ab, um nach den Zelten zu gehen. Mittlerweile aber plätscherte der Regen nieder und der Wind heulte lauter, als zuvor. In einigen Minuten war es so dunkel geworden, daß er kaum seinen Weg nach den Zelten zurückfinden konnte. Er wandte sich um, konnte aber nichts sehen, denn der schwere Regen blendete ihn. Da nun nichts mehr anzufangen war, so begab er sich in das Zelt, um Schutz gegen das Gewitter zu suchen, obgleich er nicht niederliegen wollte, damit er zur Hand sey, wenn man seinem Dienste benöthigt wäre. Die Andere hatten sich zwar zu Bette begeben, mit Ausnahme Tommys und der kleinen Kinder aber ihre Kleider auf dem Leibe behalten. Herr Seagrave hatte sich angekleidet ausgestreckt und William, der dies bemerkte, das Gleiche gethan. Frau Seagrave mochte zwar ihre Unruhe nicht blicken lassen, war aber gleichfalls in ihren Kleidern geblieben, und Juno hatte ihrem Beispiele Folge geleistet.

—————


 << zurück weiter >>