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Achtes Kapitel.


»Soweit wäre Alles gut,« sagte Ready zu Herrn Seagrave. »Laßt uns jetzt dem Himmel unsern Dank bringen.«

Ready kniete auf dem Deck nieder, nahm seinen Hut ab und verharrte eine kurze Zeit betend in dieser Stellung. Herr Seagrave folgte seinem Beispiele. Die Kinder sahen anfangs verwundert zu, knieten aber dann gleichfalls an der Seite der beiden Männer nieder, weil sie Juno dasselbe thun sahen.

Nachdem sie sich wieder erhoben hatten, kam William herauf und sagte:

»Vater, die Mutter schickt mich nach Dir. Sie erwachte über dem Getöse unter dem Schiff und erschrack darüber. Willst Du zu ihr hinunter gehen?«

»Sogleich, mein Kind,« versetzte Herr Seagrave.

»Was gibt es, mein Lieber – und wo seyd ihr Alle gewesen?« rief Fran Seagrave, als ihr Gatte in die Kajüte trat. Ich bin so erschrocken – ich lag in einem gesunden Schlafe und wurde durch ein furchtbares Getöse geweckt.«

»Fasse Dich, meine Liebe,« versetzte Herr Seagrave. »Wir haben in großer Gefahr geschwebt, sind aber jetzt, hoffe ich, in Sicherheit. Sage mir, fühlst Du Dich nach Deinem langen Schlafe nicht besser?«

»Ja, viel besser – viel kräftiger. Aber sprich, was ist vorgefallen?«

»Schon ehe Du einschliefst, meine Theure, sehr viel, was wir vor Dir verhehlten. Jetzt aber werden wir wahrscheinlich in kurzer Zeit an's Land gehen.«

»An's Land gehen, mein Theurer?«

»Ja, an's Land. Beruhige Dich und höre was stattgefunden hat, und wie sehr wir Ursache haben, dem Himmel dankbar zu seyn.«

Herr Seagrave ging dann ausführlich auf eine Erzählung der Vorgänge ein. Seine Frau hörte ihn stumm an und warf sich, sobald er zum Schluß gekommen war, unter bitteren Thränen in seine Arme.

Herr Seagrave blieb bei seiner Gattin und bot allen seinen Kräften auf, sie zu trösten, bis Juno, da es jetzt spät wurde, mit den Kindern wieder erschien. Dann kehrte Herr Seagrave auf das Deck zurück, um sich mit Ready zu berathen.

»Nun, Sir,« sagte Ready, »ich habe mich gut umgesehen und glaube, daß wir allen Grund haben dem Himmel zu danken. Das Schiff sitzt fest genug und wird sich nicht von der Stelle rühren, bis einige heftige Stürme kommen und es zusammenreißen; doch davon ist vorderhand nichts zu fürchten. Der schwache Wind, der eben jetzt weht, legt sich mehr und mehr, und wir werden vor Morgen Windstille haben.«

»Ich gebe zu, daß wir der unmittelbaren Gefahr entronnen sind, Ready; aber wie sollen wir an's Land kommen? Und wenn wir dort sind, wie fristen wir unser Daseyn?«

»Ich habe auch schon daran gedacht, Sir, und rechne dabei nicht nur auf Euren, sondern auch auf Junker Williams Beistand. Wir müssen das kleine Boot, welches wir an Bord haben, wieder herstellen. Freilich ist der Boden eingestoßen; aber ich bin dafür Zimmermann genug und hoffe, es mit etwas wohlgetheerter Leinwand hinreichend wasserdicht zu machen, um uns Alle sicher an's Land zu schaffen, bis ich Gelegenheit habe es besser in Ordnung zu bringen. Wir müssen mit Tagesanbruch eifrig an's Werk gehen.«

»Und wie halten wir's am Lande?«

»Je nun, Herr Seagrave, wo es so viele Kokosbäume gibt, wie auf dieser Insel, braucht man sich nicht vor dem Verhungern zu fürchten, selbst wenn wir nicht außerdem noch die Schiffsmundvorräthe hätten. Freilich könnte uns das Wasser einige Schwierigkeit machen – denn die Insel ist niedrig – sehr niedrig und dabei klein, aber wir dürfen nicht erwarten, Alles gerade so zu finden, wie wir wünschen.«

»Ich danke dem Himmel für unsere Erhaltung, Ready, kann aber doch manche Gefühle nicht überwinden. Wir sind hier an eine verödete Insel geworfen, der vielleicht nie ein Schiff nahe kommt, so daß wir wenig Aussicht haben, aufgelesen zu werden. Möglich, daß wir hier leben und sterben müssen – daß meine Kinder hier aufwachsen – ja, und alt werden, nachdem sie Euch, ihren Vater und ihre Mutter beerdiget haben, um endlich uns nach demselben Grabe zu folgen. Ihre und meine Lebenshoffnungen – Alles ist vernichtet – Alles über den Haufen geworfen. Ihr müßt zugeben, Ready, daß dies ein trauriges und grausames Schicksal ist.«

»Herr Seagrave, ich bin in Vergleichung mit Euch ein alter Mann, und darf mir deshalb wohl herausnehmen Euch zu sagen, daß Ihr undankbar gegen den Himmel seyd, wenn Ihr solchen Klagen Raum gebt. Wie heißt es in dem Buche Job? ›Sollen wie Gutes von dem Herrn empfangen und nicht auch das Böse dahinnehmen?‹ Und außerdem, wer weiß, ob nicht Gutes aus dem scheinbar Schlimmen hervorgeht? Ihr sprecht von Euren Kindern und ihren Aussichten, Herr Seagrave; aber wißt Ihr, was ihnen hätte, begegnen können, wenn Ihr zu Sydney angelangt wäret, und Eure weltlichen Angelegenheiten verfolgt hättet? Die meisten Kinder versprechen gut auszufallen, aber schlagen sie immer nach den Erwartungen ein, welche sich die Eltern gemacht haben? Wer weiß, ob sie nicht diese Heimsuchung vor Gottlosigkeit oder vor einem jähen Tode inmitten des Lasters bewahrt? ob nicht eine derartige Prüfung für sie notwendig war, damit sie nicht in ihrem Lenze dahingerafft werden, oder Euch und ihrer guten Mutter Schande bringen? Ich bitte um Verzeihung, Herr Seagrave, und hoffe, daß Ihr mir meine Worte nicht übel deutet; aber in der That, Sir, ich fühlte, daß es meine Pflicht war, so mit Euch zu sprechen.«

»Eure Vorwürfe sind gerecht, Ready, und ich danke Euch dafür,« entgegnete Herr Seagrave. »Ich will nicht mehr murren, sondern zum schlimmen Spiele eine gute Miene machen.«

»Und auf Gott vertrauen, Sir, der, wenn er es für passend halt, Euch wieder Euren Freuden zurückgeben und noch obendrein Eure Heerden verzehnfältigen kann.«

»Diese Citation kommt sehr passend, Ready,« erwiederte Herr Seagrave lächelnd, »in Anbetracht dessen, daß alle meine Aussichten auf den Heerden beruhen, welche auf meinem Lande in Neu-Südwales weiden. Ich muß mich unter Eure Befehle stellen, denn in unserer gegenwärtigen Lage seyd Ihr mein Vorgesetzter – Kenntnisse geben Gewalt. Können wir heute noch etwas thun?«

»Nur wenig, Herr Seagrave. Ihr könnt mir erst morgen helfen, wenn Ihr nicht allenfalls mit Hand anlegen wollt, um diese beiden Spieren nach hinten zu schaffen. Ich tackle dann ein paar Scheerbalken auf und mache Alles bereit, um morgen früh das Boot hereinzubringen. Ihr seht – da wir so wenig Kräfte an Bord und keine Masten haben, so müssen wir uns eben behelfen.«

Herr Seagrave half Ready die beiden Spieren nach hinten schaffen und an den erforderlichen Platz legen.

»So, Herr Seagrave, jetzt könnt Ihr hinuntergehen. Junker William wird gut thun, die beiden Hunde loszulassen und ihnen ein Bischen Fressen zu geben, denn wir haben die armen Geschöpfe ganz vergessen. Ich will die Nacht über Wache halten, denn ich habe genug zu thun und noch mehr zu denken. Also gute Nacht, Sir.«

Herr Seagrave erwiederte Readys Gruß und begab sich in die Kajüte hinunter. Der alte Seemann blieb auf dem Decke, band die Köpfe der Spieren fest und hielt seine Takeln für den Morgen bereit. Sobald Alles geschehen war, setzte er sich auf einen der Hühnerställe im Hinterschiff und vertiefte sich daselbst in ernste Gedanken, bis er endlich, von Anstrengung und Wachen erschöpft, in Schlaf versank. Mit Tagesanbruch wurde er durch die Hunde geweckt, die freigelassen worden waren und nach einem Spaziergange durch das Schiff, welcher sie Niemand finden ließ, sich vor der Kajüte zum Schlafen niedergelegt hatten. Mit dem Morgen hatten sie sich aufgerafft, sich nach dem Decke begeben und dort den alten Ready schlafend gefunden, dem sie nun in ihrer Freude, nicht ganz allein zu seyn, das Gesicht leckten.

»Ja,« sagte der alte Mann, von seinem Hühnerstalle aufstehend, »ich müßte mich sehr irren, wenn ihr alle drei nicht gelegentlich sehr nützlich werden könntet. Leg dich, Vixen, leg dich – armes Thier, ich fürchte, du hast einen guten Herrn verloren.«

»Halt – laßt mich jetzt sehen,« fuhr er mit sich selbst sprechend fort. »Zuerst – doch ich will das Logbrett und ein Bischen Kreide holen, um es aufzuschreiben, denn mein Gedächtniß ist nicht mehr ganz so gut wie früher.«

Ready legte das Logbrett auf den Hühnerstall und schrieb dann mit Kreide darauf:

»Drei Hunde, zwei Ziegen und das Kitzchen Billy. Ich denke, wir haben auch fünf Schweine. Geflügel – ganz genug. Drei oder vier Tauben – ja, so viel ganz gewiß. Die Kuh – sie hat sich gelegt und will nicht wieder aufstehen, weshalb ich fürchte, daß wir sie schlachten müssen. Und da sind auch die Merinoschaafe, welche Herrn Seagrave gehören – nun, ein hinreichender lebendiger Vorrath. Aber, was müssen wir zuerst an's Ufer bringen, nachdem wir Alle an's Land gegangen sind? Eine Spiere und ein Bramsegel zu einem Zelt; ein paar Tauringe; ein paar Matratzen für Madame und die Kinder; zwei Aexte; Hammer und Nägel; etwas zu essen – ja, und auch etwas, um damit zu schneiden. So – das wird vorderhand genug seyn,« fügte er bei, indem er aufstand. »Ich will jetzt das Feuer anzünden und Wasser aufsetzen. Ja, und weil ich eben daran denke, kann ich auch zwei oder drei Stücke Ochsen- oder Schweinefleisch sieden, um sie mit an's Land zu nehmen. Dann will ich Herrn Seagrave wecken, denn ich schätze, es wird heute ein hartes Tagwerk geben. Verleihe Gott seinen Segen dazu!«

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