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Fünfzehntes Kapitel.


»O wie schön!« rief William endlich. »Ich bin überzeugt, Mama würde gerne hier wohnen. Die andere Seite der Insel ist mir schon herrlich vorgekommen, aber jetzt finde ich, daß sie in Vergleichung mit dieser nichts ist.«

»Ja, es ist sehr schön, Junker William,« versetzte Ready gedankenvoll.

Eine lieblichere Landschaft war vielleicht kaum zu denken. Der Kokospalmenwald hörte ungefähr eine Viertelstunde von dem Ufer plötzlich ganz auf, und wo sie standen, senkte sich das Land ungefähr vierzig Fuß weit rasch ab. Dann kam ein Grund, der mit grasigten Hügeln und Gebüsch abwechselte, bis ungefähr vierzig Schritte vom Wasser weg ein Gürtel blendend weißen Sandes begann, aus dem hin und wieder schmale Felsenriffe auftauchten, welche sich landeinwärts fortsetzten. Das Wasser war tiefblau, die Stellen ausgenommen, wo es sich in weißem Schaume an den Riffen brach, die sich meilenweit in die See hinein erstreckten und da und dort über dem Wasser sichtbar wurden. Auf den Felsen saßen Schaaren von Rothgänsen und Kriegsschiffvögeln, während andere in der Luft wirbelten oder hin und wieder nach der blauen See niederstürzten, wo sie mit ihren Schnäbeln aus dem sich kräuselnden Wasser der Untiefen Fische heraus holten oder spielend die Brandung streiften. Die Bai hatte die Gestalt eines Pferdehufs, indem sich zu beiden Seiten zwei mit Gesträuch versehene Spitzen weit in's Meer hinausstreckten. Die Linie des Horizonts auf der weiten See war klar und ununterbrochen.

Ready blieb eine Zeitlang, ohne zu sprechen, stehen. Er durchspähete den Horizont nach rechts und links, betrachtete die Riffe in der Entfernung und ließ dann seine Augen an dem Lande hingleiten. Endlich sagte William:

»Ueber was denkt Ihr nach, Ready?«

»Ich glaube, wir müssen uns so schnell wie möglich nach Wasser umsehen.«

»Aber warum seyd Ihr so ängstlich?«

»Weil ich im Lee keine Insel sehen kann, wie ich erwartet hatte, Junker Willy. Es ist daher wenig Aussicht vorhanden, von hier wegzukommen. So schön auch diese Bai seyn mag, ist sie doch voll von Riffen, und ich sehe keinen Eingang; sie ist daher aus vielen Gründen sehr ungelegen. Doch wir können nicht nach dem ersten Anblick urtheilen. Wir wollen uns jetzt setzen und unser Mittagsmahl einnehmen; nachher können wir ein Bischen weiter spähen. Halt – ehe wir diese Stelle verlassen, müssen wir den Punkt gut bezeichnen, wo wir aus dem Wald herausgekommen sind, damit wir in unserer Hast den geflammten Weg für die Rückkehr nicht verlieren.«

Ready hieb zwei tiefe Kerben in die Stämme der Kokosnußbäume und stieg dann mit William nach der Niederung hinab, wo sie sich niederließen, um ihr Mittagsmahl einzunehmen. Sobald dieses beendigt war, gingen sie zuerst zu dem Wassersaum hinunter, worauf Ready die Blicke landeinwärts sandte, um zu sehen, ob er nicht einen Thaleinschnitt oder eine Schlucht entdecken könne, welche möglicherweise frisches Wasser enthielt.

»Da sind ein paar Plätze,« bemerkte Ready, sie mit dem Finger andeutend, »durch welche das Wasser in der Regenzeit herunterläuft; wir müssen sie sorgfältig untersuchen – aber nicht jetzt, denn wir haben noch morgen genug Zeit dazu. Ich möchte zuvörderst ausfindig machen, ob es nicht ein Mittel gibt, unser kleines Boot durch diese Felsenrisse zu bringe; denn im Falle wir hieherziehen wollten, würde es schwere Arbeit geben, alle unsere Vorräthe durch den Wald zu schaffen. Wir hätten Wochen, wo nicht Monate damit zu thun. Verbringen wir daher den Rest des Tages mit Untersuchung der Küste, Junker William; morgen wollen wir dann sehen, ob wir nicht süßes Wasser auftreiben können.«

»Schaut nur, Ready, wie die Hunde, die armen Bürschlein, das Seewasser trinken.«

»Schätz wohl, sie werden's bald genug haben – ah, es schmeckt ihnen schon jetzt nicht mehr.«

»Wie schön diese Korallen sind – seht da, sie wachsen wie kleine Bäume unter dem Wasser – und schaut hier; da ist wahrhaftig eine Blume in voller Blüthe, die just aus dem Felsen unter dem Wasser wächst.«

»Bringt Euere Finger daran hin, Junker William,« sagte Ready.

William that so, und die vermeintliche Blume schloß sich augenblicklich.

»Ei, das ist ja Fleisch und lebendig!«

»Ja, so ist's; ich habe sie früher oft gesehen. Man nennt sie, glaube ich, Seeanemonen. Sie sind lebende Geschöpfe, obschon ich nicht weiß, ob sie zu den Schaalthieren gehören. Die Schöpfung ist sehr wunderbar. Wir wollen jetzt auf die Landspitze hinausgehen und sehen, ob wir keine Oeffnung in dem Riff entdecken können. Die Sonne geht unter, und wir haben nur noch eine Stunde Tag; dann müssen wir uns nach einem Platz umsehen, wo wir schlafen können.«

»Aber was ist dies?« rief William, nach dem Sande hindeutend. »Das runde, schwärzliche Ding?«

»Etwas, was mir sehr lieb ist zu sehen, Junker William. Es ist eine Schildkröte. Sie kommen Abends um diese Zeit auf den Sand, legen ihre Eier und scharren sie ein.«

»Können wir sie fangen?«

»Ja wohl, wenn wir sachte dazu hingehen – aber nur nicht von hinten, denn sonst wirft sie Euch mit ihren Hinterfüßen einen solchen Schauer von Sand in's Gesicht, daß Ihr nichts mehr seht und sie inzwischen entkommen kann. Man fängt sie, indem man von vorne auf sie zugeht, sie an einem Vorderbeine faßt und dann auf den Rücken kehrt; sie können sich dann nicht wieder umdrehen.«

»Laßt uns hingehen und sie fangen.«

»Ja wohl da, Junker William; das wäre sehr thöricht gehandelt, denn wir können sie doch nicht mitnehmen, und morgen läge sie in der Sonnenhitze todt. Es ist nicht recht, ein Thier nutzlos zu tödten, und wenn wir diese Schildkröte umbringen, fehlt sie uns ein andermal, wenn wir sie brauchen könnten.«

»An dies habe ich nicht gedacht, Ready. Wenn wir hier wohnen, so werden wir sie wohl fangen können, so oft wir sie brauchen?«

»Nein, denn sie kommen nur zur Brütezeit an's Land. Aber wir können irgendwo einen Schildkrötenteich anlegen, in welchen das Meer hineinströmt, ohne daß sie hinauskommen können. Wir fangen sie dann, setzen sie hinein und haben sie zu unserer Benützung bereit, so oft wir sie brauchen.«

»Das ist ja ganz herrlich,« entgegnete William.

Sie setzten nun ihren Spähzug fort und brachen sich durch das Gebüsch, welches auf der Landspitze sehr dicht wuchs, Bahn, bis sie das Ende derselben erreicht hatten.

»Was ist das dort außen?« fragte William, nach rechts deutend.

»Das ist eine andere Insel, Junker William, und es freut mich, sie auch in dieser Richtung zu sehen, obgleich es nicht so leicht seyn wird, sie zu erreichen, wenn wir allenfalls genöthigt seyn sollten, aus Mangel an Wasser diese hier zu verlassen. 's ist wohl möglich, daß es soweit kömmt. Die Insel dort ist jedenfalls weit größer, als diese,« fuhr Ready fort, indem er an dem Horizont hinspähte, über dem man deutlich die Baumwipfel sich erheben sah. – »Nun, Junker Willy, wir haben uns am ersten Tage nicht übel gehalten. Ich bin ziemlich müde, und Euch wird es wahrscheinlich ebenso ergehen. Suchen wir uns jetzt einen Platz, wo wir uns niederlegen und die Nacht verbringen können.«

Sie kehrten nach dem höher gelegenen Grund, wo der Kokospalmenwald endigte, zurück, sammelten Blätter und Zweige auf einen Haufen und machten sich ein gutes, weiches Bette unter den Bäumen.

»Jetzt wollen wir ein Bischen Wasser zu uns nehmen und zu Bette gehen. Betrachtet die langen Schatten der Bäume, Junker William! Die Sonne ist bereis untergegangen.«

»Soll ich nicht jetzt den Hunden etwas Wasser geben, Ready? Seht nur, der arme Remus leckt die Seiten der Flasche ab.«

»Nein, sie kriegen nichts. Es scheint zwar grausam zu seyn, aber ich brauche morgen den Verstand der armen Thiere, den der Mangel an Wasser sehr schärfen wird. Es kann uns zu Gute kommen. Wir dürfen übrigens nicht vergessen, William, Gott für die Wohlthaten des heutigen Tages zu danken und uns für die Nacht seiner Obhut zu empfehlen. Wir wissen nicht, was der Tag bringen mag. Hättet Ihr Euch vor einem Monat wohl vorgestellt, daß Ihr auf einer solchen Insel in der Gesellschaft eines alten Mannes, wie ich bin, unter freiem Himmel schlafen würdet? Ihr hättet's wohl nimmermehr geglaubt, wenn's Euch Jemand gesagt hätte. Und doch ist's so, William. Ihr seht, der Herr verfügt über uns, wie es ihm passend dünkt. Gute Nacht!«

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