Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Zweiundvierzigstes Kapitel.

Nach einigen Minuten war das Schiff, welches Philipp und Schriften verlassen hatten, durch den dicken Nebel nicht länger zu unterscheiden; das Gespensterschiff ließ sich zwar noch blicken, aber in weit größerer Entfernung, als sie es je zuvor gesehen hatten. Philipp ruderte aus Leibeskräften, aber obgleich der Holländer beilag, schien sich doch die Entfernung zwischen ihm und dem Boote immer mehr zu erweitern. Eine Weile hörte unser Held zu rudern auf, um zu Athem zu kommen, worauf Schriften sich erhob und seinen Sitz in den Sternschoten des Bootes nahm.

»Ihr mögt rudern und rudern, so lange Ihr wollt, Philipp Vanderdecken,« bemerkte Schriften; »aber Ihr werdet jenes Schiff nicht einholen – nein, nein, es ist unmöglich – wir machen vielleicht einen langen Kreuzzug mit einander, aber Ihr werdet am Ende desselben Eurem Ziele so fern sein, wie jetzt bei dem Beginne. – Warum werft Ihr mich nicht wieder über Bord? Der Nachen würde nur um so leichter sein – hi! hi«

»Ich warf Euch in einem Zustande der Gereiztheit über Bord,« versetzte Philipp, »als Ihr versuchtet, mich meiner Reliquie zu berauben.«

»Und habe ich nicht erst heute versucht, Andere zu bewegen, daß sie Euch das Ding abnähmen? – Wie ist's damit? – Hi! hi!«

»Wohl,« versetzte Philipp; »aber ich bin jetzt überzeugt, daß Ihr so unglücklich seid, als ich selbst, und in Euren Handlungen nur Eurer Bestimmung folgt, wie ich der meinigen. Wie und weßhalb, weiß ich mir nicht klar zu machen, aber wir sind Beide bei dem gleichen Geheimnisse betheiligt. Wenn der Erfolg meiner Bemühungen von der Bewahrung der Reliquie abhängt, so ist es Euer Ziel, mein Vorhaben zu vereiteln. Wir müssen Beide in dieser Sache handeln, und Ihr seid, sofern meine Sendung in Betracht kömmt, mein schlimmster Feind gewesen. Aber, Schriften, ich habe nicht vergessen, und werde auch nie vergessen, daß Ihr meiner Amine einen freundlichen Rath ertheilt habt, daß Ihr ihr prophezeihtet, was ihr Schicksal sein werde, wenn sie nicht auf Euch höre, und daß Ihr Euch nicht für ihren Feind erklärtet, obgleich Ihr der meinige wart und es noch seid. Doch gleichviel – um ihretwillen vergebe ich Euch, und ich will es nicht versuchen, Euch weiter ein Leid zuzufügen.«

»So vergebt Ihr also Eurem Feinde, Philipp Vanderdecken?« entgegnete Schriften traurig, »denn ich gestehe, daß ich es bin.«

»Ja, von ganzem Herzen und aus ganzer Seele,« antwortete Philipp.

»Dann habt Ihr mich überwunden, Philipp Vanderdecken. Ihr habt mich jetzt zu Eurem Freunde gemacht, und Eure Wünsche sind auf dem Punkte, in Erfüllung zu gehen. Ihr möchtet wissen, wer ich bin? – So hört. Als Euer Vater, dem Willen des Allmächtigen Trotz bietend, in seiner Wuth mein Leben nahm, wurde ihm nur Eine Aussicht für die Vernichtung seines Unheils geboten, und diese sollte von den Verdiensten seines Sohnes abhängen. Aber auch ich hatte ein Gelübde gethan – ein Gelübde der Rache, und es wurde mir gestattet, auf Erden zu bleiben und Euren Absichten in den Weg zu treten. So lange wir Feinde waren, konnte Eure Aufgabe nicht gelingen, sondern sollte erst erfüllt werden, wenn Ihr die schönste Tugend des Christenthums, die sich an dem heiligen Kreuze aussprach, dadurch betätigtet, daß Ihr Eurem Feinde vergebt. Philipp Vanderdecken, Ihr habt Eurem Feinde verziehen, und unsere beiderseitige Bestimmung ist jetzt vollendet.«

Während Schriften sprach, waren Philipps Augen fest auf ihn geheftet. Der Pilot streckte seine Hand gegen unseren Helden aus – sie ward angenommen, und wie sie Philipp drückte, löste sich die Gestalt seines Begleiters in Luft auf.

»Vater des Erbarmens, ich danke dir,« sagte Philipp, »daß meine Aufgabe vollendet ist, und ich meine Amine wieder sehen soll.«

Philipp ruderte nun auf das Geisterschiff zu, und fand, daß es jetzt nicht länger zurückzuweichen schien, sondern im Gegentheil mit jeder Minute näher und näher kam. Endlich ließ er sein Ruder fallen, kletterte an der Seite hinan, und erreichte das Deck.

Die Mannschaft des Schiffes schaarte sich um ihn. »Wo ist Euer Kapitän?« fragte Philipp. »Ich muß mit Eurem Kapitän sprechen.«

»Wen soll ich melden, Herr?« fragte Einer, welcher der erste Mate zu sein schien.

»Wen?« entgegnete Philipp. »Sagt ihm, sein Sohn wolle mit ihm reden – sein Sohn Philipp Vanderdecken.«

Die Mannschaft des Schiffes brach bei dieser Antwort unseres Helden in ein schallendes Gelächter aus, und sobald sich dasselbe gelegt hatte, bemerkte der erste Mate mit einem Lächeln:

»Ihr vergeßt, Herr – vielleicht wolltet Ihr sagen, sein Vater.«

»Sagt ihm, sein Sohn,« entgegnete Philipp, »und kehrt Euch nicht an meine grauen Haare.«

»Gut, Herr; da kommt er auf das Vorderschiff,« erwiderte der Mate, indem er bei Seite trat und auf den Kapitän deutete.

»Was gibt es da?« fragte der Kapitän.

»Seid Ihr Philipp Vanderdecken, der Kapitän dieses Schiffes?«

»Ich bin es,« antwortete der Andere.

»Ihr scheint mich nicht zu kennen – aber wie solltet Ihr auch? Ihr saht mich zum letztenmal, als ich kaum drei Jahre alt war – und doch erinnert Ihr Euch vielleicht eines Briefes, den Ihr Eurem Weibe gabt?«

»Ha!« versetzte der Kapitän. »Und wer seid Ihr?«

»Die Zeit ist mit Euch stehen geblieben, aber nicht bei denen, welche in der Welt leben; ja, für solche, die an der Kette des Elendes schleppen, eilt sie noch schneller dahin. Ihr seht in mir Euren Sohn Philipp Vanderdecken, der Euren Wünschen gehorcht, und nach einem Dasein von Jammer und Gefahr, wie es nur Wenigen beschieden war, endlich sein Gelübde erfüllt hat, indem er seinem Vater die kostbare Reliquie anbietet, die er zu küssen verlangte.«

Philipp zog die Reliquie heraus und hielt sie seinem Vater entgegen. Als ob ein Blitz seinen Geist durchzuckt hätte, fuhr der Kapitän des Schiffes zusammen, faltete seine Hände, fiel auf die Kniee nieder und weinte.

»Mein Sohn! mein Sohn!« rief er, wieder aufstehend und sich in Philipps Arme werfend. – »Meine Augen sind geöffnet; der Allmächtige weiß, wie lange sie verdunkelt waren.«

Sie umarmten einander und gingen nach dem Hinterschiff, von der Mannschaft weg, die noch immer auf der Laufplanke versammelt stand.

»Mein Sohn, mein edler Sohn! ehe der Bann gebrochen ist – ehe wir der Notwendigkeit gehorchen, und uns in die Elemente auflösen – laß mich voll Dank und Zerknirschung niederknieen. Mein Sohn, mein Sohn, nimm den Dank eines Vaters,« rief Vanderdecken.

Dann wandte er sich mit Thränen der Freude und Reue demüthig an das Wesen, dem er einst so frechen Hohn gesprochen hatte.

Der ältere Vanderdecken kniete nieder, und Philipp that das Gleiche. Sie hielten sich noch immer mit einem Arme umfaßt, während sie den andern hoch im Gebete erhoben.

Zum letztenmale wurde die Reliquie aus Philipps Brust genommen und dem Vater eingehändigt – dieser erhob die Augen gen Himmel und küßte sie. Und mit diesem Kusse zerfielen die langen oberen Spieren des Geisterschiffs, die Raaen und die Segel in Staub, der in der Luft flatterte und zu den Wellen niedersank. Dann löste sich der große Mast, der Fockmast und das Bugspriet – kurz Alles über dem Decke in Atome auf und verschwand.

Wieder erhob er die Reliquie an seine Lippen, und das Werk der Zerstörung nahm seinen Fortgang. Die schweren, eisernen Kanonen sanken durch die Decken und verschwanden. Die Matrosen des Schiffes, welche zusahen, schrumpften in Skelette, Staub und Bruchstücke zerrissener Kleider zusammen, bis zuletzt keine Spur von Leben mehr an Bord des Schiffes war, der Vater und Sohn ausgenommen.

Noch einmal drückte er das geheiligte Sinnbild an seine Lippen, und das Gebälke trennte sich. Die Decken des Schiffes sanken langsam, und die Reste des Rumpfes schwammen auf dem Wasser. Vater und Sohn, der erstere jung und kräftig – der andere alt und abgelebt – knieten noch immer in stummer Umarmung, die Hände gen Himmel erhoben. Jetzt sanken sie langsam unter das tiefblaue Wasser, und der trübe Himmel über ihnen war für einen Augenblick durch ein leuchtendes Kreuz erhellt.

Dann rollten die Wolken, welche den Himmel verdüstert hatten, mit der Schnelle des Gedankens hinweg – die Sonne brach wieder in ihrem vollen Glanze hervor, und die kräuselnden Wellen schienen vor Freude zu hüpfen. Die schreiende Seemöve wirbelte wieder in der Luft, und der verscheuchte Albatros versuchte abermals seinen schwerfälligen Flug. Das Meerschwein tummelte sich umher in neckischem Spiele; die große Makrele und der Delphin hüpften aus der funkelnden See. – Die ganze Natur lächelte, als freue sie sich, daß der Zauber gebrochen und das Gespensterschiff für immer verschwunden war.


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