Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Vierzehntes Kapitel.

Sechs Wochen waren entschwunden und die wiederhergestellte Amine ging an dem Arme ihres innig geliebten Philipp spazieren oder schmiegte sich in der traulichen Wohnung an seine Seite. Vater Matthias war noch immer ihr Gast. Die Messen für Vanderdeckens Seele waren bezahlt und Pater Seysen noch weitere Summen anvertraut worden, um die Leiden der bedrängten Armen zu mildern. Man kann sich leicht denken, daß die Entscheidung der beiden Priester, Philipps Benehmen betreffend, einen Hauptgegenstand der Gespräche zwischen unserem Helden und Aminen bildete. Er war zwar seines Eides entbunden worden, aber obgleich er sich in die Weisungen seiner geistlichen Rathgeber fügte, fühlte er sich doch keineswegs zufrieden gestellt. Seine Liebe zu Amine und ihr Wunsch, daß er zu Hause bleiben möchte, verliehen allerdings Pater Seysens Machtspruch großes Gewicht, und Philipp gehorchte bereitwillig, obgleich er seine Zweifel über die Zweckmäßigkeit eines derartigen Benehmens nicht zu unterdrücken vermochte. Aminens Beweisgründe, die jetzt in der Ansicht der Priester ihre Stütze fanden, hinderten seine Abreise, aber die Liebkosungen, womit sie ihrer Ueberredungskunst Nachdruck gab, blieben doch nur für den Augenblick wirksam; denn sobald unser Held allein war, kehrte die Frage mit neuer Kraft in seine Seele zurück, und eine innere Stimme klagte ihn an, daß er eine heilige Pflicht verabsäume. Amine bemerkte oft die düstere Wolke auf seiner Stirne; da sie jedoch die Ursache zu gut kannte, so begann sie unablässig mit ihren Gründen und Liebkosungen, bis Philipp vergessen hatte, es gebe außer Amine noch etwas Anderes auf der Welt.

Eines Morgens saßen sie auf einem grünen Rasen und pflückten die rings umher blühenden Blumen, welche sie achtlos wieder wegwarfen; da ersah denn Amine die langersehnte Gelegenheit, um einen bisher unberührten Gegenstand zur Sprache zu bringen. »Philipp,« sagte sie, »glaubst du an Träume, und hältst du es für möglich, daß wir durch solche Mittel übernatürliche Offenbarungen erhalten können?«

»Allerdings,« versetzte Philipp; »wir haben hinreichende Beweise davon in der heiligen Schrift.«

»Wohlan denn, warum befriedigst du deine Bedenken nicht durch einen Traum?«

»Meine theuerste Amine, Träume kommen ungeheißen; wir können nicht über sie gebieten, oder sie verhindern – –«

»Wir können über sie gebieten, Philipp. Sprich nur, daß du über den Gegenstand zu träumen wünschest, der deinem Herzen so nahe liegt, und du sollst es.«

»Ich soll es?«

»Ja, ich habe diese Macht, Philipp, obgleich ich dir nie etwas davon mittheilte. Das Geheimniß wurde mir von meiner Mutter anvertraut, obgleich ich bis auf die letzte Zeit nie mehr daran dachte. Du weißt, Philipp, daß ich nie eine Unwahrheit spreche; wenn du willst, so sollst du von der Sache träumen.«

»Aber wozu soll das führen, Amine? Wenn du die Macht hast, mich träumen zu lassen, so mußt du sie irgend woher besitzen.«

»Allerdings; es gibt Mittel, von denen du keine Ahnung hast, obschon sie in meinem Geburtslande noch immer in Gebrauch sind. Ich bin im Besitze eines Zaubers, Philipp, der nie trügt.«

»Eines Zaubers, Amine? So gibst du dich also mit der schwarzen Kunst ab, denn solche Kräfte stammen nicht vom Himmel.«

»Ihren Ursprung kenne ich nicht und kann nur soviel sagen, daß die Thatsache in meiner Gewalt liegt.«

»Das muß ein Werk des Teufels sein, Amine.«

»Und warum dies, Philipp? Kann ich mich hier nicht auf die Erwiderung der eigenen Priester berufen, welche sagen, die Macht des Teufels könne sich mir unter göttlichem Einfluß geltend machen und dürfe nur unter Zulassung von oben statthaben? Nenne daher meine Gewalt Zauberei oder wie du willst – sie muß fehl schlagen, wenn der Himmel nicht seine Genehmigung dazu gibt. Gleichwohl sehe ich nicht ein, warum wir vermuthen sollten, daß sie aus einer schlimmen Quelle fließen. Wir fragen im Traume um Warnungszeichen, die unter zweifelhaften Umständen unser Benehmen leiten sollen. Sicher würde uns der Böse lieber irre führen, als den rechten Pfad zeigen.«

»Amine, wir können im Traume gewarnt werden, wie die Patriarchen des Alterthums; aber geheimnißvolle oder unheimliche Zauber anzuwenden, um ein Gesicht herbeizuführen, heißt nichts Anderes, als einen Bund mit dem Teufel schließen.«

»Den der Teufel aber nicht auszubeuten im Stande ist, wenn es ihm nicht von einer höheren Macht gestattet wird. Philipp, deine Folgerungen sind falsch. Wir wissen, daß durch gebührende Beobachtung bestimmter Mittel die Träume, die wir wünschen, hervorgerufen werden können. Es ist nur eine Ceremonie, die unseren rechtlichen Sinn nicht beeinträchtigen kann – und vergib mir, Philipp, ist nicht die Beobachtung von Ceremonien auch in deiner eigenen Religion nöthig, die jetzt auch die meinige ist? Sagt man uns nicht, daß die Unterlassung des Besprengens mit Wasser an einem Kinde alle Aussicht auf zukünftiges Glück in ewigen Jammer umwandle?«

Philipp schwieg eine Weile.

»Ich fürchte, Amine,« sagte er endlich in gedämpftem Tone, »daß ich – –«

»Ich fürchte nichts, Philipp, so lange die Absicht gut ist,« versetzte Amine. »Die Anwendung gewisser Mittel läßt mich mein Ziel erreichen, und dieses ist im gegenwärtigen Falle nichts Anderes, als wo möglich ausfindig zu machen, was in dieser zweifelhaften Sache der Wille des Himmels sein mag. Sollte uns dieser auch durch den Teufel kund gethan werden – was dann? Er wird zu meinem Knechte und nicht zu meinem Herrn; der Himmel gestattet ihm nur, gegen sich selbst zu handeln.«

Und Aminens Augen funkelten, während sie sich in dieser kühnen Weise aussprach.

»Hat deine Mutter ihre Kunst oft ausgeübt?« fragte Philipp nach einer Pause.

»Ich habe hierüber keine Kunde, sondern weiß nur, daß sie in dieser Kunst sehr erfahren war. Es ist dir bekannt, daß sie sehr jung starb, denn sonst würde ich wahrscheinlich viel mehr erfahren haben. Glaubst du, Philipp, daß diese Welt blos von vergänglichen, aus Thon gebildeten Geschöpfen, wie wir sind, bevölkert sei – von bloßen Herren über die Thierwelt, die selbst nicht viel besser sind? Findest du nicht in deiner eigenen heiligen Schrift wiederholte Zugeständnisse und Beweise, daß ein höheres Walten auch hienieden unter den Menschen thätig ist? Warum sollte das, was vor Zeiten geschah, nicht mehr stattfinden – und welcher größere Nachtheil könnte jetzt aus einem Berufen an einen überirdischen Beistand erwachsen, als vor einigen tausend Jahren? Warum sollte den Geistern jetzt nicht mehr zugelassen werden, was ihnen doch damals gestattet wurde? Was ist aus ihnen geworden? Sind sie zu Grunde gegangen, oder wurden sie zurückberufen? – Wohin? – nach dem Himmel? Wenn nach dem Himmel, so müßte die Welt und die Menschheit ganz der Willkür des Teufels und seiner Rotten preisgegeben sein. Glaubst du, wir armen Sterblichen seien so ganz verlassen? Ich sage dir offen, daß ich nicht dieser Ansicht bin. Wir unterhalten nicht länger einen Verkehr mit den guten Geistern der Vorzeit, weil wir mit unserer wachsenden Einsicht auch zu stolz geworden sind, um sie aufzusuchen – aber ich bin überzeugt, daß sie immer noch vorhanden sind – eine Schaar guter Geister gegen eine Schaar von Bösen, die unsichtbar mit einander kämpfen. Oder sage mir auf dein Gewissen, Philipp, glaubst du, daß Alles, was dir geoffenbart wurde, ein bloßes Hirngespenst – ein Geschöpf deiner Einbildungskraft sei?«

»Nein, gewiß nicht, Amine; wollte Gott, ich könnte es glauben.«

»Dann ist meine Beweisführung vollständig, denn wenn derartige Mittheilungen dir gemacht werden konnten, warum sollte dies nicht auch bei Andern möglich sein? Welch ein Einfluß dabei gewaltet, weißt du nicht zu sagen. Deine Priester behaupten, der Böse sei dabei im Spiele, während du das Ganze für eine Offenbarung von Oben hältst. Nehmen wir dies zum Maßstabe – wer ist wohl dann im Stande zu entscheiden, woher der Traum kommen wird?«

»Das ist wahr, Amine, bist du aber deiner Kraft gewiß?«

»Allerdings; und wenn es einem höheren Wesen beliebt, mit dir in Verkehr zu treten, so kannst du dich auf seine Mittheilung verlassen. Du wirst entweder gar nicht träumen und die Stunden in tiefem Schlaf verbringen, oder dein Traum steht in Verbindung mit der Frage, die du gelöst wünschest.«

»Wohlan, Amine, ich bin entschlossen. Ich will träumen, denn mein Geist wird ohne Unterlaß von widerstrebenden Zweifeln gefoltert. Ich muß wissen, ob ich recht oder unrecht thue. Diese Nacht noch magst du deine Kunst bei mir in Anwendung bringen.«

»Nicht in dieser Nacht und auch nicht in der morgigen. Kommt es dir keinen Augenblick zu Sinne, daß ich dir in meinem Vorschlage ganz gegen die eigenen Wünsche diene? Es ist mir, als ob dein Traum gegen mich entscheiden werde und daß du Befehl erhältst, zu deiner Pflicht zurückzukehren, denn ehrlich gesprochen, ich theile die Ansicht der Priester nicht. Ich bin übrigens deine Gattin, Philipp, und es ist meine Pflicht, zu verhüten, daß du getäuscht werdest. Deßhalb biete ich dir die Mittel, welche, wie ich glaube, deinem Beginnen eine Richtschnur vorschreiben werden. Aber Eines mußt du mir dafür versprechen – eine Gunst, die ich als meine Belohnung fordern werde.«

»Zugesagt, Amine, auch ohne daß ich deinen Wunsch kenne,« versetzte Philipp, sich vom Rasen erhebend; »aber jetzt wollen wir nach Hause gehen.«

Wir haben oben bemerkt, daß Philipp vor seiner Ausfahrt in der Batavia einen großen Theil seines Vermögens bei der holländisch-ostindischen Compagnie angelegt hatte. Die Interessen reichten für Aminens Bedürfnisse mehr als zu, und bei seiner Rückkehr fand er, daß die Fonds, die er in ihren Händen gelassen, sich gleichfalls vermehrt hatten. Ueber den Betrag der an Pater Seysen bezahlten Summe für Seelenmessen und für Unterstützung der Armen war noch ein beträchtlicher Ueberschuß vorhanden, den Philipp zum Ankauf weiterer Aktien der ostindischen Compagnie verwendete.

Der Gegenstand der vorerwähnten Unterhaltung wurde nicht wieder erneuert, denn Philipp sah es nicht gerne, daß Amine derartige geheimnißvolle Künste übte, welche wahrscheinlich den Fluch der Kirche auf sie herabgerufen haben würden, wenn sie den Priestern bekannt geworden wären. Allerdings bewunderte er die Kühnheit und Kraft in Aminens Folgerungen, aber dennoch fühlte er sich abgeneigt, sie in Anwendung zu bringen. Der dritte Tag war entschwunden, ohne daß der Sache weiter gedacht worden wäre.

Philipp begab sich zu Bette und war bald eingeschlafen; aber Amine schlief nicht. Sobald sie sich überzeugt hatte, daß von Philipp's Seite kein Erwachen zu besorgen stand, schlüpfte sie aus dem Bette und kleidete sich an. Dann verließ sie das Gemach und kehrte nach einer Viertelstunde mit einem kleinen Becken voll angezündeter Holzkohlen zurück; in der andern Hand hatte sie zwei Stückchen Pergament, die sie ausrollte und vermittelst eines Knotens auf einem schmalen Bande befestigte. Eines von den Pergamentstücken knüpfte sie leise um die Stirn ihres Gatten, das andere um dessen linken Arm. Dann warf sie Räucherwerk in das Becken, und als die Gestalt des Schlafenden in Folge des Rauches, der das Zimmer erfüllte, undeutlicher wurde, murmelte sie einige Sprüche, schwenkte einen kleinen Zweig, den sie in ihrer weißen Hand hielt, über ihn hin, schloß dann die Vorhänge, entfernte die Kohlenpfanne und setzte sich an die Seite seines Bettes nieder.

»Wenn ein Unrecht darin liegt, so trifft wenigstens die Schuld nicht ihn, sondern mich; man kann ihm nicht nachsagen, daß er Künste geübt habe, welche von seinen Priestern verboten sind. Die Verantwortung komme über mein Haupt!«

Ein verächtliches Aufwerfen von Aminen's schön gewölbter Lippe bekundete nicht die größte Ehrfurcht gegen ihr neues Glaubensbekenntniß.

Der Morgen dämmerte und Philipp schlummerte noch immer.

»Es ist genug,« sagte Amine, sobald sie den obern Sonnenrand über dem Horizont erscheinen sah.

Und abermals schwenkte sie den Zweig über ihren Gatten und rief:

»Philipp, erwache!«

Philipp fuhr zusammen, öffnete seine Augen, schloß sie wieder, um das grelle Licht des hellen Tages zu vermeiden, stützte sich auf seine Ellenbogen und schien seine Gedanken zu sammeln.

»Wo bin ich?« rief er. »In meinem Bette? Ja!«

Er fuhr mit der Hand über die Stirne und fühlte das Pergament. »Was ist dies?« fuhr er fort, indem er es abriß und untersuchte. »Und Amine, wo ist sie? Gütiger Himmel, welch' ein Traum! Noch eines!« fügte er bei, als er den Knoten an seinem Arme bemerkte. »Ach ich verstehe – Amine, das ist dein Werk!«

Mit diesen Worten warf er sich nieder und begrub das Antlitz im Kissen.

Amine war mittlerweile wieder in das Bett geschlüpft und hatte ihren Platz an Philipp's Seite eingenommen.

»Schlafe, lieber Philipp, schlafe!« sagte sie, indem sie ihre Arme um ihn schlang; »wir wollen mit einander sprechen, wenn wir wieder erwachen.«

»Bist du da, Amine?« versetzte Philipp verwirrt. »Ich glaubte allein zu sein; ich habe geträumt –«

Und abermals verfiel Philipp in Schlaf, noch ehe er seinen Satz beendigen konnte.

Amine, vom Wachen müde, schlummerte gleichfalls ein.

Pater Matthias mußte am Morgen lange auf sein Frühstück warten, da Philipp und Amine zwei Stunden später als sonst aufstanden.

»Seid gegrüßt, meine Kinder,« begann er; »ihr seid heute spät auf den Beinen.«

»Ja, Vater,« versetzte Amine, »denn Philipp schlief und ich habe bis zu Tagesanbruch gewacht.«

»Er ist doch hoffentlich nicht krank gewesen,« entgegnete der Priester.

»Nein, nicht krank; aber ich konnte nicht schlafen,« entgegnete Amine.

»Dann thatest du wohl, die Nacht in heiligem Wachen zu verbringen – denn ich zweifle nicht, daß du dies gethan hast, mein Kind.«

Philipp schauderte, denn er wußte, daß das Wachen seiner Gattin dem Priester nichts weniger als heilig vorgekommen sein würde, wenn er dessen Ursache gekannt hätte. Amine versetzte rasch:

»Ich habe allerdings mit höhern Mächten verkehrt, so weit meine arme Einsicht dazu befähigt war.«

»Der Segen unserer heiligen Kirche komme über dich, mein Kind,« sagte der alte Mann, indem er seine Hand auf ihr Haupt legte; »und auch über dich, Philipp.«

Philipp setzte sich verwirrt zu Tische, aber Amine war gefaßter, als je, obgleich sie nur wenig sprach und mit ihren Gedanken zu verkehren schien.

Nach Beendigung des Mahls griff der alte Priester nach seinem Brevier; Amine aber winkte Philipp, und sie gingen in's Freie, stumm neben einander herwandelnd, bis sie an dem Rasenplatze anlangten, wo Amine ihrem Gatten zuerst mitgetheilt hatte, daß sie im Besitze einer geheimnißvollen Macht sei. Sie ließ sich nieder und Philipp, der ihre Absicht vollkommen errieth, setzte sich stumm an ihre Seite.

»Philipp,« begann Amine, indem sie seine Hand faßte und ihm angelegentlich in's Gesicht blickte; »Du hast in der letzten Nacht geträumt.«

»Allerdings, Amine,« versetzte Philipp ernst.

»Theile mir das Gesicht mit, denn es wird meine Aufgabe sein, es dir auszulegen.«

»Ich fürchte, daß es nur weniger Auslegung bedarf, Amine, und wünschte weiter nichts zu wissen, als welchen Einflüssen der Traum seine Entstehung verdankt.«

»Erzähle mir ihn,« entgegnete Amine mit Ruhe.

»Es däuchte mich,« sagte Philipp wehmüthig, »ich segle als Kapitän eines Schiffes um das Kap. Die See war ruhig und der Wind leicht. Ich stand auf dem Hinterschiffe und blickte, da die Sonne bereits untergegangen war, die Sterne an, die in ungewöhnlichem Glanze strahlten. Das Wetter war warm und ich legte mich auf meinen Mantel, das Antlitz gen Himmel gerichtet, wo die hellen Edelsteine blitzten und hin und wieder Meteore niederfielen. Endlich schlief ich ein und erwachte mit einem Gefühle, als ob ich in die Tiefe sänke. Ich blickte umher; die Masten, das Takelwerk, der Rumpf des Schiffes – Alles war verschwunden, und ich schwamm allein in einer großen schön geformten Muschel auf der endlosen Wasserfläche. Ich war unruhig, und scheute mich nur eine Bewegung zu machen, damit meine gebrechliche Barke nicht überstürze und ich zu Grunde gehe. Endlich bemerkte ich, daß der Vordertheil der Muschel niedergedrückt war, als ob ein Gewicht daran hinge, und bald nachher entdeckte ich eine kleine, weiche Hand, welche den Rand gefaßt hielt. Ich blieb regungslos und wollte ausrufen, daß meine kleine Barke sinken werde, vermochte aber kein Wort hervorzubringen. Allmälig erhob sich eine Gestalt aus den Wogen und lehnte sich mit beiden Armen auf den Vordertheil der Muschel, an welcher ich zuvor nur die Hand gesehen hatte. Es war ein wunderschönes Frauenbild, die Haut weiß, wie frisch gefallener Schnee. Das lange lose Haar fiel über sie nieder, daß die Enden im Wasser nachflutheten. Ihre Arme waren rund und wie Elfenbein. Mit sanfter, süßer Stimme begann sie:

»›Philipp Vanderdecken, was fürchtest du? Hast du nicht ein gefeietes Leben?‹

»›Ob mein Leben gefeiet ist, oder nicht, ist mir unbekannt,‹ versetzte ich; ›so viel aber weiß ich, daß es sich in Gefahr befindet.‹

»›In Gefahr?‹ entgegnete sie. ›Das möchte der Fall sein, wenn du dich einem jener gebrechlichen Werke von Menschenhand anvertraut hättest, welche die Wellen so gerne in Stücke zertrümmern – einem von euren guten Schiffen, wie ihr sie nennt, die aber nur geduldet schwimmen dürfen. Wo kann jedoch Gefahr sein, wenn du dich in der Muschel einer Meerfei befindest, vor welcher der größte Wogenberg Achtung hat, und auf die er nicht einmal seine Sprüh zu werfen wagt. Philipp Vanderdecken, du bist gekommen, um deinen Vater zu suchen.‹

»›Ja‹, antwortete ich; ›ist es nicht der Wille des Himmels?‹

»›Es ist deine Bestimmung – und die Bestimmung lenkt Alles in den Höhen und in den Tiefen. Wollen wir ihn gemeinschaftlich aufsuchen? Diese Muschel ist die meinige; du weißt nicht, wie du sie zu lenken hast – soll ich dir beistehen?‹

»›Ist sie im Stande, uns Beide zu tragen?‹

»›Du wirst's sehen,‹ versetzte sie lachend, indem sie an dem vorderen Theile niedersank und unmittelbar darauf an dem Seitenrande auftauchte, der nur etwa drei Zoll über dem Wasser stand. Zu meinem Schrecken erhob sie sich und setzte sich auf die Kante, aber ihr Gewicht schien keine Wirkung zu üben. Während sie so da saß, die Füße stets unter dem Wasser haltend, schoß die Schaale rasch von hinnen, immer schneller und schneller, ohne eine andere bewegende Kraft, als die ihres Willens.

»›Fürchtest du dich noch immer, Philipp Vanderdecken?‹

»›Nein,‹ antwortete ich.

»Sie fuhr mit der Hand über ihre Stirne, warf die Flechten ihres Haares bei Seite, welche theilweise ihr Gesicht verhüllt hatten und sprach – ›so sieh mich an.‹

»Ich gehorchte ihrem Geheiße und erkannte deine Züge, Amine.«

»Die meinigen?« bemerkte Amine, mit einem Lächeln auf ihren Lippen.

»Ja, Amine, du warst es. Ich rief dich beim Namen und schlang meinen Arm um dich. Ich fühlte, daß ich bei dir bleiben und eine Ewigkeit mit dir um die Welt segeln könnte.«

»Fahre fort, Philipp,« entgegnete Amine mit Ruhe.

»Es war mir, als führen wir tausend und aber tausend Meilen weit. Wir kamen an schönen Inseln vorbei, die wie Edelsteine auf das Bette des Oceans hingestreut waren – meine Barke das einemal gegen die kräuselnde Strömung anhüpfend, ein andermal dicht an einer Küste hin auf der murmelnden Welle schwimmend, welche den Sand bespülte, während der Cocusbaum des Gestades unter der kühlenden Brise fächelte. ›In der ruhigen See werden wir deinen Vater nicht finden,‹ sagte sie; ›wir müssen es anderswo versuchen.‹

»Jetzt hoben sich allmälig die Wellen, bis sie endlich in voller Wuth tobten und die Muschelschaale ungestüm auf den wilden Wogen umhergeworfen wurde. Dennoch drang nicht ein Tropfen ein und wir segelten sicher über Wellen, welche das stolzeste Schiff verschlungen haben würden.

»›Fürchtest du dich, Philipp?‹ fragte sie mich.

»›Nein,‹ entgegnete ich; ›an deiner Seite, Amine, fürchte ich Nichts.‹

»›Wir sind nun wieder auf der Höhe des Kaps,‹ sagte sie, ›und hier wirst du deinen Vater finden. Wir wollen uns umsehen, denn wenn wir jetzt auf ein Schiff treffen, muß es das seinige sein. Nur das Geisterschiff vermag in einer Bö, wie diese, zu schwimmen.«

»Wir wurden über berghohe Wogen dahin getragen – schwammen von einem Kamme zum andern, so daß unsere kleine Barke bisweilen ganz aus dem Wasser herauskam – jetzt Ost, jetzt West, bald Nord, bald Süd, in allen Richtungen des Kompasses und in jeder Minute unsern Kurs wechselnd. Hunderte von Meilen legten wir so zurück. Endlich sahen wir ein Schiff, das von der ungestümen Bö umhergeworfen wurde.

»›Dort!‹ rief sie, mit ihrem Finger darnach hindeutend; ›dort ist das Schiff deines Vaters.‹

»Rasch kamen wir demselben nahe – sie sahen uns vom Borde aus und brachten das Schiff gegen den Wind. Wir lagen neben einander – die Planke wurde losgemacht – denn obgleich kein Boot zu entern vermocht hätte, war doch unsere Muschel sicher. Ich blickte auf, Amine, und sah meinen Vater – ja ich sah ihn, und hörte, wie er seine Befehle ertheilte. Ich zog die Reliquie aus meinem Busen und bot sie ihm entgegen. Er stand auf dem Schanddeck, sich an der großen Wand haltend, und lächelte mir zu. Ich wollte eben aufstehen, um an Bord zu gehen, denn man hatte mir die Strickleiter zugeworfen, als ich einen gellenden lauten Ruf vernahm und ein Mann von der Laufplanke aus in die Schaale stürzte. Du schriest laut auf, schlüpftest an der Seite nieder und verschwandest unter den Wogen; die Muschel selbst aber wurde durch den Mann, der den Platz eingenommen hatte, mit der Schnelligkeit des Gedankens von dem Schiffe weggeführt. Ich fühlte eine Eiskälte meinen Körper durchdringen, und als ich mich umwandte, um meinen neuen Begleiter anzusehen, fand ich, daß es – der Pilot Schriften war, der einäugige Wicht, welcher ertrank, als wir an der Tafelbay Schiffbruch litten.

»›Nein, nein, noch nicht!‹ rief er.

»Voll Wuth und Verzweiflung schleuderte ich ihn von seinem Sitze aus der Muschel und schwamm auf dem tobenden Wasser weiter.

»›Philipp Vanderdecken,‹ sagte er im Fortschwimmen, ›wir werden uns wiedersehen!‹

»Ich wandte voll Abscheu das Gesicht ab; aber jetzt füllte eine Welle meine Barke und ich sank. Unter dem Wasser kämpfend gerieth ich, zwar ohne Schmerz, aber doch mehr und mehr in die Tiefe, bis ich erwachte.«

»Nun, Amine,« fuhr Philipp nach einer Pause fort, »was hältst du von meinem Traume?«

»Erhellt nicht daraus, daß ich deine Freundin bin, Philipp, und daß der Pilot Schriften dein Feind ist?«

»Ich gebe es zu; aber er ist todt.«

»Weißt du das so gewiß?«

»Er konnte kaum entkommen, ohne daß es zu meiner Kenntniß gelangt wäre.«

»Wohl wahr, aber der Traum scheint etwas Anderes anzudeuten, Philipp. Meiner Ansicht nach besteht die einzige Weise, welche eine Aufklärung der Sache verspricht, darin, daß du vorderhand auf dem Lande bleibst. Dieser Rath steht im Einklange mit dem deiner Priester. Jedenfalls bedarfst du jetzt eines weiteren Winkes. In dem Traume war ich deine sichere Führerin – laß dich jetzt abermals von mir leiten.«

»Es sei so, Amine. Wenn deine wunderbare Kunst im Widerspruche steht mit unserem heiligen Glauben, so erklärst du doch den Traum im Einklange mit dem Rathe seiner Diener.«

»Ganz recht. Doch jetzt, Philipp, wollen wir uns die Sache aus dem Sinn schlagen. Kommt dermaleinst die Zeit, so wird dich Amine nicht von deiner Pflicht zurückhalten; aber vergiß nicht, du hast mir eine Gunst verheißen, sobald ich dich darum bitte.«

»Allerdings; so sprich denn, Amine was wünschest du?«

»Oh! vorderhand Nichts. Außer dem, was mir bereits bescheert ist, habe ich keinen Wunsch auf Erden. Bist nicht du mein Eigenthum, theuerster Philipp?« versetzte Amine, sich zärtlich an den Hals ihres Gatten werfend.


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