Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Die Ladung des Dort war bald bereit und Philipp langte ohne weiteres Abenteuer in Amsterdam an. Daß ihn Amine in der Heimath mit Entzücken empfing, brauche ich kaum zu sagen. Sie hatte ihn erwartet, denn den beiden Schiffen des Geschwaders, welche nach seiner Ankunft in Batavia ausgesegelt waren, hatte Philipp außer seinen Depeschen auch Briefe übergeben, die ersten, welche Amine je während der Reisen ihres Gatten erhielt. Sechs Wochen nach dem anmeldenden Schreiben traf unser Held selbst ein, und Amine fühlte sich überglücklich. Die Direktoren waren natürlich mit Philipps Benehmen sehr zufrieden und ertheilten ihm das Kommando eines großen bewaffneten Schiffs, welches im Frühling nach Indien ausfahren und der früheren Uebereinkunft gemäß zum dritten Theil durch die Fonds angekauft werden sollte, welche unser Held in den Händen der Compagnie stehen hatte. Es blieben ihm nun fünf Monate der Ruhe, ehe er sich wieder den Elementen anvertraute, und dießmal wurde ausgemacht, daß Vorkehrungen getroffen werden sollten, um auch Amine an Bord zu nehmen. Amine erzählte Philipp, was zwischen ihr und dem Priester Matthias vorgefallen war, deßgleichen, durch welche Mittel sie sich seiner unerwünschten Aufsicht entledigt hatte.

»Du gabst dich also wirklich mit den Künsten deiner Mutter ab, Amine?« fragte ihr Gatte.

»Nein, denn ich konnte mich derselben nicht mehr erinnern, obschon ich bemüht war, mir dieselben in's Gedächtniß zu rufen.«

»Warum dieß, Amine? das darf nicht sein, und der gute Vater hatte ganz Recht, wenn er ein derartiges Werk für ›unheilig‹ erklärte. Versprich mir ein- für allemal, solche Gedanken aufzugeben.«

»Wenn diese Handlung unheilig ist, Philipp, so ist's auch deine Sendung, Du verkehrst mit Geistern der andern Welt, und auch ich will nichts weiter thun. Gib dein schreckliches Vorhaben auf – lasse ab, nach körperlosen Geistern zu spähen – bleibe zu Hause bei deiner Amine, und sie wird mit Freuden deinem Wunsche entsprechen.«

»Meine Sendung kommt von dem Höchsten.«

»Dann gestattet dir also der Höchste eine Gemeinschaft mit Wesen, die nicht der Welt angehören?«

»Ja, du weißt, daß sogar die Priester nichts dagegen einwenden können, obgleich sie schon bei dem Gedanken schaudern.«

»Was Er dem Einen gestattet, wird Er auch Andern zulassen; und außerdem kann ja nichts ohne Seine Genehmigung geschehen.«

»Wohl, Amine; aber Er gestattet auch dem Bösen, auf der Erde umherzuwandeln, obgleich es nicht mit Seinem Gutheißen geschieht.«

»Er heißt es gut, daß du nach deinem verurtheilten Vater spähest und ihm zu begegnen suchst: ja noch mehr – Er befiehlt dir's sogar. Wenn nun dieß dir gestattet ist, warum sollte es bei mir nicht ebensogut der Fall sein? Ich bin dein Weib, ein Theil deines Ichs, und wenn ich allein weile an einem verödeten Herd, während du eine Laufbahn voll Gefahren versuchst, sollte ich nicht gleichfalls die wesenlose Welt anrufen dürfen, daß sie mir Nachrichten bringe, die meinen Kummer mildern, meine Last erleichtern und gleichwohl keinem lebenden Geschöpfe schaden können? Wollte ich jene Künste in böser Absicht üben, so wäre es billig, sie mir zu wehren, und ich würde unrecht handeln, wenn ich darin fortführe; aber ich wollte nur den Schritten meines Gatten folgen und in bester Absicht dasselbe suchen, was er sucht.«

»Aber es verträgt sich nicht mit unserem Glauben.«

»Haben die Priester deine Sendung für unverträglich mit ihrem Glauben erklärt? Und als sie's thaten, wurden sie nicht vom Gegentheil überzeugt und zu einem ehrfurchtsvollen Schweigen bewogen? Doch wozu diese Gegenreden, mein theurer Philipp? Werde ich dich nicht begleiten? – und so lange ich bei dir bin, soll nichts weiter geschehen. Du hast mein Versprechen. Bin ich aber von dir getrennt, so kann ich keine Zusage geben, sondern werde dann von den Unsichtbaren Kunde einzuholen suchen über die Bewegungen meines Gatten, der gleichfalls dem Unsichtbaren nachgeht.«

Der Winter entschwand rasch, denn Philipp verlebte ihn in glücklicher Ruhe. Im Frühlinge sollte das Schiff ausgestattet werden, und unser Held begab sich mit Aminen nach Amsterdam.

Das Schiff, dessen Kommando Philipp übernehmen sollte, hieß der »Utrecht,« führte vierhundert Tonnen Last, hatte erst kürzlich die Werfte verlassen und war auf vierundzwanzig Kanonen gebohrt. Es vergingen weitere zwei Monate, während welcher Zeit Philipp die Ausstattung und Ladung des Fahrzeugs überwachte, dabei treulich unterstützt von seinem Freunde Krantz, der als erster Mate die Fahrt mitmachen sollte. Unser Held sorgte nach Kräften für Aminens Bequemlichkeit, und der Utrecht brach im Monat Mai auf; er hatte Ordre, zu Cambrun und Ceylon Halt zu machen, dann aber durch die Malaccastraße hinunterzulaufen und sich einen Weg in das Chinesische Meer zu bahnen – ein Versuch, von dem sich die Compagnie eines höchst entschiedenen Widerstandes von Seiten der Portugiesen versah. Die Schiffsmannschaft war sehr zahlreich; auch hatte Philipp eine kleine Abtheilung von Soldaten an Bord, welche zur Verfügung des Supercargo standen, da dieser viele tausend Thaler mit sich führte, um in den Häfen von China, wo vielleicht die holländischen Güter keinen Werth hatten, Einkäufe zu machen. Auf die Ausstattung des Schiffes hatte man alle Sorge verwendet; es war vielleicht das schönste und am besten bemannte Fahrzeug, das je von der indischen Compagnie ausgeschickt worden war, und trug noch außerdem die werthvollste Ladung.

Der Utrecht segelte mit fliegendem Segel aus und hatte bald den englischen Kanal hinter sich. Die Reise schien eine glückliche werden zu wollen, denn günstige Kühlten trugen das Schiff ohne Unfall auf einige hundert Meilen in die Nähe des Kaps der guten Hoffnung, und jetzt trat zum erstenmal Windstille ein. Amine fühlte sich ganz entzückt. In den Abendstunden ging sie mit Philipp auf dem Decke hin und her. Ringsum herrschte die tiefste Stille, das Plätschern der Wogen ausgenommen, welche die Seiten des Schiffes wuschen – Alles in so ruhiger Schönheit, wie das klare, südliche Sternenzelt, das über ihren Häuptern funkelte.

»Wessen Geschick mögen diese Sterne bestimmen, welche so gar nicht denjenigen in den nördlichen Gegenden ähnlich sind?« sagte Amine, als sie ihren Blick erhob und das mit funkelnden Edelsteinen besäete Firmament betrachtete, und was mag das fallende Meteor zu bedeuten haben? Welche Ursache liegt seinem raschen Niederstürzen vom Himmel zu Grunde?«

»Du suchst also einen geheimnißvollen Sinn in den Sternen, Amine?«

»In Arabien geschieht es wenigstens – und warum sollte man es nicht? Um des Lichtes willen sind sie nicht am Himmel – zu was wohl sonst?«

»Um die Welt zu verschönern. Auch haben sie außerdem ihren Nutzen.«

»Dann bist du mit mir einverstanden – sie haben ihren Nutzen, und das Geschick der Menschen liegt dort verborgen. Meine Mutter gehörte unter Diejenigen, welche gut darin zu lesen vermochten. Ach! für mich sind sie ein versiegeltes Buch.«

»Ist es nicht besser so, Amine?«

»Besser? Ist es besser, mit unserem selbstsüchtigen, gedemüthigten Geschlecht im Staube zu kriechen und voll Furcht und Zweifeln im Geheimniß zu wandeln, als mit höheren Mächten zu verkehren? Sehnt sich nicht unsere Seele nach dieser Gemeinschaft? Klopft nicht das Herz stolzer bei dem Gefühle, daß es begabter sei, als das gewöhnliche Geschlecht der Sterblichen? Ist das nicht ein edler Ehrgeiz?«

»Ein gefährlicher – ein höchst gefährlicher.«

»Und eben deshalb auch höchst edel. Ist es doch, als ob die Steine mit mir reden wollten. Sieh jenen dort mit dem hellen Glanze – er winkt mir.«

Eine Weile blieben Aminens Augen aufwärts gerichtet; sie sprach nicht, und Philipp stand an ihrer Seite. Dann ging sie nach der Laufplanke und blickte in die spiegelnden Wellen hinunter, die bis in die Tiefe hinab vom Mondenlichte erhellt waren.

»Beschwört vielleicht deine Einbildungskraft ein Geschlecht von Wesen herauf, Amine, die unter diesen blauen Wogen leben können, zwischen den Korallenfelsen spielen und Perlen in ihre Haare flechten?« sagte Philipp lächelnd.

»Ich weiß nicht; aber es ist mir, als müßte es da unten süß zu leben sein. Denke nur an Deinen Traum zurück, Philipp; deiner eigenen Beschreibung zufolge war ich damals eines jener Wesen.«

»Du warst es,« versetzte Philipp gedankenvoll.

»Und doch däucht es mich, als würde mich das Wasser zurückweisen, selbst wenn das Schiff sänke. In welcher Weise diese meine sterbliche Hülle sich in ihre Elemente auflösen mag, weiß ich nicht, aber doch fühle ich, daß sie nie ein Spiel der neckischen Wellen werden wird. Doch laß uns in die Kajüte gehen, theuerster Philipp; es ist spät und die Decke sind feucht von Thau.«

Als der Tag graute, meldete der Ausluger aus dem Mastkorbe, daß er in gleicher Richtung mit dem Kiele des Schiffs Etwas auf der stillen Oberfläche des Wassers schwimmen sehe. Krantz stieg mit seinem Glase hinauf, um eine Untersuchung anzustellen, und erkannte den Gegenstand für ein kleines Boot, das wahrscheinlich von einem Schiffe losgetriftet hatte. Da noch immer kein Wind eintreten wollte, so ließ Philipp ein Boot aussetzen, um nachzusehen; und nach einer Weile kehrten die Matrosen an Bord zurück, das kleine Boot im Schlepptau mit sich bringend.

»Es ist ein menschlicher Körper darin, Herr,« sagte der zweite Mate zu Krantz, als er auf der Laufplanke anlangte, »obschon ich nicht sagen kann, ob es ein Leichnam ist, oder nicht.«

Krantz überbrachte die Meldung an Philipp, welcher eben mit Amine beim Frühstück in der Kajüte saß, nun aber sich gleichfalls nach der Laufplanke begab, nach der die Matrosen bereits den muthmaßlichen Leichnam hinaufgeschafft hatten. Der herbeigerufene Wundarzt erklärte, das Leben sei noch nicht erloschen, und ertheilte eben die Weisung, daß man den Menschen nach dem Krankenverschlage hinunterbringe, als sich dieser plötzlich zum allgemeinen Erstaunen umwandte, aufrichtete und zuletzt sich ganz erhob, um nach einer Kanone hinzuwanken, wo er nach einer Weile wieder zum vollen Bewußtsein zu kommen schien. In Erwiderung auf die ihm vorgelegten Fragen sagte er, er sei von einem Schiffe, das in einer Bö umgestürzt worden sei, und habe nur noch Zeit gehabt, das kleine Boot am Stern loszuschneiden; sämmtliche übrige Mannschaft sei in den Wellen zu Grunde gegangen. Während er diese Angaben machte, kamen Philipp und Amine aus der Küche und begaben sich nach der Stelle, wo die Matrosen den Geretteten umringten. Die Mannschaft des Utrecht trat auseinander, um für den Kommandeur Platz zu machen, und nun entdeckte unser Held nebst Aminen mit einemmale zu ihrem gleich großen Erstaunen und Schrecken, daß der Mann Niemand anders war, als ihr alter Bekannter, der einäugige Pilot Schriften.«

»Hi! hi! Kapitän Vanderdecken, glaube ich. Freut mich, Euch im Kommando zu sehen – und auch Euch, schöne Dame.«

Philipp wandte sich mit einem innern Schauder ab, und Aminens Auge blitzte, als sie die abgezehrte Gestalt des elenden Geschöpfs musterte. Nach ein paar Sekunden wandte sie sich um und folgte Philipp nach der Kajüte, wo sie ihn fand, das Gesicht mit seinen Händen verhüllend.

»Muth, Philipp, Muth!« begann Amine. »Es war allerdings ein schwerer Schlag, und ich fürchte, es hat nichts Gutes für mich zu bedeuten – doch wenn auch; es ist unser Geschick.«

»Es ist – es sollte vielleicht das meinige sein,« versetzte Philipp, den Kopf aufrichtend; »aber du, Amine, warum solltest du daran Theil haben?«

»Ich bin deine Gefährtin, Philipp, im Leben und im Tode. Ich möchte nicht zuerst sterben, Philipp, weil es dich grämen würde; aber dein Tod wird auch das Signal für den meinigen sein, denn ich will nicht säumen, dir nachzufolgen.«

»Wie, Amine, du hättest dann doch noch im Sinne, dein Ende selbst herbeizuführen?«

»Ja, und es bedarf dazu nur eines einzigen Augenblicks, wofern dieser kleine Stahl seinen Dienst thut.«

»Nein, Amine, das ist nicht recht – unsere Religion verbietet es.«

»Mag sein, aber ich kann mir den Grund davon nicht denken. Ich kam in die Welt, ohne daß ich darum befragt wurde – zuverlässig muß es mir auch frei stehen, sie zu verlassen, ohne daß ich Priester darum um Erlaubniß bitte! Doch genug davon vorderhand; was willst du mit diesem Schriften anfangen?«

»Ich werde ihn am Kap ausschiffen, denn ich kann die Anwesenheit dieses garstigen Menschen nicht ertragen. Wandelte dich nicht abermals ein kalter Schauer an, als du in seine Nähe kamst?«

»Ja – ich wußte, daß er da war, noch ehe ich ihn sah. Aber dennoch – ich weiß nicht warum – es ist mir übrigens, als würde ich ihn nicht wegschicken.«

»Warum nicht?«

»Ich glaube, der Grund liegt darin, daß ich lieber dem Geschick keck entgegentrete, als vor demselben zittere. Der armselige Mensch kann kein Unheil anrichten.«

»Ja, er kann's – und zwar sehr viel; er ist im Stande, die Schiffsmannschaft meuterisch und unzufrieden zu machen. Außerdem hat er versucht, mich meiner Reliquie zu berauben.«

»Es wäre mir fast lieb, wenn er es gethan hätte; dann müßtest du wenigstens dieses unstäte Suchen aufgeben.«

»O, Amine, sprich nicht so; es ist meine Pflicht, und ich habe einen feierlichen Eid darauf abgelegt – –«

»Aber dieser Schriften – du kannst ihn nicht wohl an's Land setzen, da er im Dienste der Compagnie steht, obschon sich vielleicht in soweit ein Ausweg finden läßt, daß du ihn einem andern Schiffe übergibst, das nach Holland zurückkehrt, falls ein solches vorhanden ist. Aber dennoch würde ich an deiner Stelle das Geschick walten lassen, denn zuverlässig ist das seinige mit dem deinigen verwoben. Fasse Muth, Philipp, und behalte ihn bei dir.«

»Du hast vielleicht Recht, Amine. Was immer mir das Schicksal zugedacht haben mag – ich kann es wohl verzögern, aber nicht vermeiden.«

»So laß ihn bleiben, und möge er sein Schlimmstes thun. Behandle ihn freundlich – wer weiß, was wir durch ihn gewinnen können!«

»Du hast Recht, Amine. Er ist ohne allen Grund mein Feind gewesen – wer weiß, ob er nicht vielleicht noch mein Freund wird.«

»Und wenn auch nicht, so hast du doch deine Pflicht gethan. Laß ihn rufen.«

»Nein, nicht jetzt – morgen. In der Zwischenzeit will ich Sorge tragen, daß ihm jede Bequemlichkeit geboten wird.«

»Wir sprechen von ihm, als ob er einer der Unsrigen wäre, obschon ich fühle, daß dies nicht der Fall ist,« entgegnete Amine. »Doch wie dem sein mag, wir können ihm bloß Erdenfreundlichkeit und das zu Theil werden lassen, was diese Welt oder vielmehr dieses Schiff bietet. Ich verlange darnach, ihn zu sprechen und zu sehen, ob ich keinen Eindruck auf seine Eisgestalt zu üben vermag. Soll ich mich nicht etwa in den Gulen verlieben?«

Und Amine brach in ein bitteres Gelächter aus.

Das Gespräch wurde nun abgebrochen, der Inhalt desselben aber nicht vergessen. Als am andern Morgen der Wundarzt meldete, daß Schriften augenscheinlich wieder ganz hergestellt sei, ließ ihn Philipp nach der Kajüte bescheiden. Seine Gestalt war zu einem Knochengerippe abgezehrt, seine Geberdung und Sprache aber noch so scharf und widerlich, wie nur je.

»Ich habe Euch rufen lassen, Schriften, um zu erfahren, ob ich etwas für Eure Gemächlichkeit thun kann. Bedürft Ihr Etwas?«

»Ob ich Etwas bedarf?« versetzte Schriften, zuerst Philipp und dann Amine ansehend. – »Hi, hi! ich denke, ich könnte ein wenig Ausfüllung brauchen.«

»Das wird sich, hoffe ich, in guter Zeit finden; mein Steward hat Auftrag, für Euch zu sorgen.«

»Der arme Mensch,« sagte Amine mit einem Blicke des Mitleids; »wie viel muß er gelitten haben! Ist das nicht der Mann, der dir den Brief der Compagnie brachte, Philipp?«

»Hi, hi, ja! mein Auftrag war nicht sehr willkommen, Madame?«

»Nein, mein guter Freund; dem Weibe ist eine Botschaft nie sehr erfreulich, die ihr den Gatten entreißt. Doch es war nicht Eure Schuld.«

»Besonders, wenn ein Mann durchaus auf die See gehen und ein schönes Weib zu Hause lassen will, während er doch, wie es heißt, Geld die Fülle hat, um am Lande leben zu können, hi, hi!«

»In der That, Ihr habt wohl Recht, so zu sagen,« entgegnete Amine.

»Besser, er gäbe es auf. Lauter Narrheit und Wahnsinn – he, Kapitän?«

»Jedenfalls muß ich diese Reise zu Ende bringen,« sagte Philipp zu Amine, »zu was ich mich auch nachher entschließen mag. Ich habe viel durchgemacht, und auch bei Euch ist's der Fall gewesen, Schriften. Ihr habt zweimal Schiffbruch gelitten. Nun sagt mir aber, was Ihr zu thun wünscht? Wollt Ihr mit dem ersten Schiffe nach Hause oder beim Kap an's Land – oder –«

»Oder alles Andere thun, sofern Ihr mich nur aus diesem Schiffe wegkriegt? – hi, hi!«

»Nicht doch, wenn Ihr es vorzieht, mit mir zu segeln, so sollt Ihr, da ich Euch als einen guten Seemann kenne, die Ration und den Sold eines Piloten erhalten – das heißt, im Falle Ihr Lust habt meinem Glückssterne zu folgen.«

»Zu folgen? – Muß folgen. Ja! ich will mit Euch segeln, Mynheer Vanderdecken. Ich wünsche stets in Eurer Nähe zu sein hi, hi!«

»So sei es denn. Sobald Ihr Euch wieder kräftig genug fühlt, könnt Ihr Euren Dienst antreten. Ich will Sorge dafür tragen, daß es Euch an nichts gebricht.«

»Und auch ich, mein guter Freund. Wendet Euch an mich, wenn Euch etwas abgeht, und ich will Euch dazu verhelfen,« sagte Amine.

»Ihr habt viel gelitten; mir wollen übrigens Alles thun, was in unsern Kräften steht, um es Euch vergessen zu machen.«

»Ganz gut! sehr freundlich!« versetzte Schriften, Aminens liebliche Gestalt musternd. Nach einer Weile zuckte er die Achseln und fügte bei: »Wahrhaftig Schade – muß aber dennoch sein.«

»Gott befohlen,« fuhr Amine fort, indem sie Schriften ihre Hand entgegen hielt.

Der Pilot nahm sie, und ein kalter Schauder fuhr Aminen durch's Herz, obschon sie, darauf vorbereitet, sich nichts anmerken ließ. Schriften hielt ihre Hand ein paar Augenblicke in der seinigen und blickte ihr dann angelegentlich in's Gesicht.

»So schön und so gut! Mynheer Vanderdecken, ich danke Euch. Dame, möge Euch der Himmel bewahren.«

Dann drückte er die zarte Hand, welche er noch immer nicht losgelassen hatte, und eilte aus der Kajüte.

Die Eiskälte hatte bei Schriftens Händedruck Aminens Gestalt dermaßen durchschauen, daß sie jetzt nur mit Schwierigkeit das Sopha erreichen konnte und auf dasselbe niedersank. Dort blieb sie eine Weile, die Hand auf's Herz gedrückt, liegen, und als sich Philipp über sie niederbeugte, sagte sie mit athemloser Stimme:

»Dieses Geschöpf muß übernatürlich sein – ich weiß es jetzt gewiß. – Nun,« fuhr sie nach einer Pause fort; »nur um so besser, wenn wir ihn zu unserem Freunde machen können, und ich will zu diesem Ende allen meinen Kräften aufbieten.«

»Aber glaubst du, Amine, daß diejenigen, welche nicht dieser Welt angehören, ebenso mit den Gefühlen des Wohlwollens, der Dankbarkeit und des Hasses begabt sind, wie wir, und kann man sich dieselben dienstbar machen?«

»Zuverlässig. Wenn sie Haß empfinden – was, wie wir wissen, der Fall ist – so müssen sie auch der besseren Gefühle fähig sein. Warum gibt es gute und böse Mächte? Sie mögen sich ihres Erdenleibs entledigt haben, aber die Seele muß dieselbe bleiben. Eine Seele ohne Gefühl wäre gar keine Seele. Sie ist thätig in dieser Welt und muß es auch in einer andern sein. Wenn die Engel Mitleid empfinden können, so müssen sie auch fühlen, wie wir, und sind die bösen Geister im Stande, zu necken, so müssen ihre Empfindungen ebenfalls den unsrigen ähnlich sein. Unsere Gefühle ändern sich, warum nicht auch die ihrigen? Ohne Empfindung gäbe es weder Himmel noch Hölle. Hier auf Erden sind unsere Seelen eingeengt, überladen und niedergedrückt durch das schwerfällige Fleisch, durch das sie eine Weile verunreinigt werden; aber die Seele, die sich ihrer Erdenhülle entledigt hat, ist meiner Ansicht nach um keine Spur reiner, herrlicher oder vollkommener, als diejenige in unserem Innern. Ob sie dienstbar gemacht werden können, fragst du? Ja; der Sterbliche ist sogar im Stande sie zu zwingen, wenn er die geeigneten Mittel und Kräfte besitzt. Ein böser Geist kann ebensogut genöthigt werden, Gutes, als Schlimmes zu thun. Nicht die guten und vollkommenen Geister sind der Kunst zugänglich, sondern nur diejenigen, welche sich zum Bösen hinneigen, denn über jene haben Sterbliche keine Gewalt. Unsere Künste haben keine Macht über die vollkommenen Wesen einer andern Schöpfung, sondern nur über diejenigen, welche stets Böses wirken, aber auch gehorchen und Gutes thun müssen, wenn ihre Meister es verlangen.«

»Du hängst noch immer an den verbotenen Künsten, Amine; ist das recht?«

»Recht? Wenn uns eine Macht gegeben ist, haben wir dann nicht das Recht, sie zu gebrauchen?«

»Allerdings, aber nur zum Guten, nicht zum Schlimmen.«

»Die mächtigen Sterblichen, die nichts besitzen, als was der Erde angehört, sind für den Gebrauch ihrer Macht verantwortlich; ebenso verhält sich's bei Denjenigen, welche mit überirdischen Mitteln begabt sind – sie haben Rechenschaft abzulegen über die Art, wie sie diese Mittel gebrauchen. Hat der Herr über uns die Blume in der Absicht wachsen lassen, daß sie nicht gepflückt werde? Nein! Und eben so wenig würde er die Beihülfe übernatürlicher Mittel gestattet haben, wenn man sich derselben nicht bedienen sollte.«

Als Aminens leuchtendes Auge auf Philipp haftete, konnte er sich für einen Moment des Gedankens nicht erwehren, daß sie nicht sei, wie andere Sterbliche; er bemerkte daher ruhig:

»Ist es auch gewiß, Amine, daß ich wirklich mit einem sterblichen Wesen, wie ich selbst bin, vermählt bin?«

»Ja, ja, Philipp; beruhige dich, ich bin nur eine Sterbliche. Wollte der Himmel, ich wäre es nicht, sondern gehörte zu jenen Wesen, die über dir schweben, dich in allen deinen Gefahren bewahren, dich retten und schützen könnten in deiner irren Laufbahn! Aber ich bin nur ein armes schwaches Weib, deren Herz zärtlich und hingebend für dich schlägt – die für dich Alles und Jedes wagen würde – deren Natur die Liebe zu dir in wagehalsigen Muth umgewandelt hat – und die von keinem Glaubensbekenntniß etwas wissen will, das ihr verbietet, Himmel, Erde oder Hölle anzurufen, wenn es gilt, sich das Element, in dem sie allein lebt, zu erhalten.«

»Amine, sprich nicht so vom Glauben. Beweist nicht dieß« – Philipp zog bei diesen Worten die heilige Reliquie aus seinem Busen – »beweist nicht dieß und die Botschaft, die deshalb gesendet wurde, die Wahrheit des unsrigen?«

»Ich habe viel darüber nachgedacht, Philipp, und die Erschütterung bewog mich anfangs fast zum Glauben; aber deine eigenen Priester haben dazu beigetragen, mich zu enttäuschen. Sie wollten dir nicht Rede stehen und überließen dich deiner eigenen Führung. Die Botschaft, das heilige Wort und die wunderbaren Zeichen standen nicht im Einklang mit ihrem Glauben und sie hielten inne. Mußte dies nicht auch mich betroffen machen? Die Reliquie mag so geheimnißvoll und mächtig sein, wie du sagst; aber die Kräfte sind vielleicht falsch und gottlos – sind vielleicht in unrechte Hände gefallen – und mögen zwar immerhin noch vorhanden sein, aber doch nicht zu dem eigentlichen Zwecke verwendet werden.«

»Die Kraft, welche dieser heiligen Reliquie inwohnt, Amine, kann nur von Denjenigen in Anwendung gebracht werden, welche Freunde Dessen sind, der an dem theuren Holze starb,«

»Dann ist es gar keine Kraft oder doch eine Kraft, welche nicht halb so groß ist, wie die des Erzfeindes, der eben so wohl Gutes, als Schlimmes wirken kann. Wir wollen uns übrigens über diesen Punkt nicht veruneinigen, da wir einander doch nicht überzeugen können. Du bist in der einen, ich in der andern Weise belehrt worden. Was wir in unserer Kindheit eingesogen haben – was mit uns aufgewachsen und mit unsern Jahren zu Kräften gekommen ist, läßt sich nicht ausrotten. Ich habe mit angesehen, wie meine Mutter große Zauber wirkte und ihren Zweck erreichte, du hast vor den Priestern gekniet – ich will es dir nicht zum Vorwurfe machen – aber tadle deshalb auch deine Amine nicht. Ich hoffe, bei uns Beiden herrscht die gleiche Absicht, das Rechte zu thun.«

»Wenn ein Leben voll Unschuld und Reinheit das einzige Erforderniß wäre, so dürfte meine Amine der künftigen Seligkeit sicher sein.«

»Mein Glaube lehrt mich, daß dies der Fall ist. Es gibt der Formen so viele – wer vermag zu sagen, welche die wahre ist? Und was liegt im Grunde daran, alle führen zu dem gleichen Ziele – zum Himmel.«

»Du sprichst wahr, Amine,« versetzte Philipp, gedankenvoll in der Kajüte auf- und abgehend; »und doch sind unsere Priester nicht dieser Ansicht.«

»Was ist die Grundlage ihres Glaubens, Philipp?«

»Liebe und Erbarmen.«

»Verdammt das Erbarmen diejenigen zu einem ewigen Elende, welche nie von diesem Glauben gehört haben – welche lebten und starben in der Anbetung des großen Wesens nach ihrer geringen Kenntniß und ihren besten Kräften?«

»Nein, gewiß nicht.«

Amine machte keine weitere Bemerkung, und Philipp, nachdem er einige Minuten in tiefen Gedanken auf und ab gegangen war, verließ die Kajüte.

Der Utrecht langte an dem Kap an, nahm Wasser ein, setzte seine Reise wieder fort und warf nach einer zweimonatlichen schwierigen Fahrt vor Cambrun Anker. Während dieser Zeit war Amine unablässig bemüht gewesen, Schriftens Geneigtheit zu gewinnen. Sie hatte sich oft mit ihm auf dem Deck unterhalten, ihm jeden möglichen Liebesdienst erwiesen und sogar jene Furcht überwältigt, die sein Nahekommen stets in ihr veranlaßte. Schriften erkannte allmälig dieses Wohlwollen an und schien zuletzt gerne in Aminens Gesellschaft zu sein. Gegen Philipp benahm er sich im Allgemeinen, obgleich nicht immer, höflich, gegen Amine aber stets ehrerbietig. Seine Sprache war geheimnißvoll, und auch in ihrer Gegenwart konnte er sein kicherndes Lachen, sein gelegentliches »hi! hi!« nicht unterdrücken. Als sie jedoch bei Cambrun vor Anker lagen, stand er mit ihr auf so gutem Fuße, daß er hin und wieder in die Kajüte kam und sich, ohne jedoch Platz zu nehmen, einige Minuten mit ihr unterhielt. Als der Utrecht vor Cambrun ankerte, kam Schriften eines Abends zu Aminen, welche auf der Hütte saß.

»Dame,« sagte er nach einer Pause; »jenes Schiff segelt nach ein paar Tagen in Eure Heimath,«

»So höre ich,« versetzte Amine.

»Wollt Ihr den Rath eines Mannes annehmen, der es gut mit Euch meint? In diesem Falle kehrt auf jenem Schiffe nach Eurer Wohnung zurück und bleibt daselbst, bis Euer Gatte wieder zu Euch kömmt.«

»Und warum rathet Ihr mir hiezu?«

»Weil ich Gefahr ahne; ja es steht vielleicht der Tod – grausamer Tod einem Wesen bevor, dem ich kein Leides wünsche.«

»Doch nicht mir?« versetzte Amine, ihre Augen auf Schriften heftend und seinem durchbohrenden Blick begegnend.

»Ja, Euch. Es gibt gewisse Leute, die weiter in die Zukunft schauen können, als Andere.«

»Aber nicht, wenn sie zu den Sterblichen gehören,« entgegnete Amine.

»Ja, auch wenn sie sterblich sind. Doch sterblich oder nicht, ich sehe Etwas voraus, was ich abwenden möchte. Versucht das Geschick nicht weiter.«

»Wer kann es abwenden? Wenn ich Euern Rath annehme, so muß mir dies durch die Bestimmung vorgezeichnet sein – wo nicht, so gehört es gleichfalls zu meinem Geschicke.«

»Wohlan denn, so geht dem aus dem Wege, was Euch bedroht.«

»Ich fürchte mich nicht, obgleich ich Euch für Eure gute Meinung dankbar bin. Sagt mir, Schriften, ist Euer Schicksal nicht irgendwie mit dem meines Gatten verwoben? Ich fühle, daß es so ist.«

»Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken, Dame?«

»Aus vielen Gründen. Zweimal habt Ihr ihn abgerufen, habt ebenso oft Schiffbruch gelitten, und seid jedesmal auf eine wunderbare Weise erhalten worden und wieder zum Vorschein gekommen. Ihr habt auch Kunde von seiner Sendung, das ist augenscheinlich.«

»Beweist aber nichts.«

»Ja, es beweist viel – beweist wenigstens, daß Ihr wißt, wovon er nur allein Kunde zu haben glaubt.«

»Auch Ihr wurdet eingeweiht, und heilige Männer mußten ihr Gutachten darüber abgeben,« entgegnete Schriften mit einem höhnischen Lachen.

»Wie könnt Ihr nun wieder hievon unterrichtet sein?«

»Hi, hi« lachte Schriften. »Doch vergebt mir, Dame; ich wollte Euch nicht kränken.«

»Ihr könnt nicht in Abrede ziehen, daß Ihr auf eine geheimnißvolle und unbegreifliche Weise mit der Sendung meines Mannes in Verbindung steht. Sagt mir, ist sie wirklich so wahr und heilig, wie er glaubt?«

»Wenn er sie für wahr und heilig hält, so wird sie es.«

»Warum tretet Ihr denn als sein Feind auf?«

»Ich bin nicht sein Feind, schöne Dame.«

»Ihr nicht sein Feind? Warum versuchtet Ihr dann einmal, ihn der geheimnißvollen Reliquie zu berauben, durch die er allein seine Aufgabe vollziehen kann?«

»Ich wollte ihn von weiterem Nachforschen abhalten – aus Gründen, die ich nicht zur Sprache bringen kann. Beweist dies, daß ich sein Feind bin? Wäre es nicht besser, er bliebe bei seinem guten Auskommen und in Eurer Gesellschaft am Lande, als daß er in seinem wahnsinnigen Suchen die wilden Meere durchkreuzt? Ohne die Reliquie kann er seinen Auftrag nicht vollziehen – es wäre daher ein Liebesdienst, wenn man sie ihm abnähme.«

Amine antwortete nicht, denn sie war in Gedanken verloren.

»Dame,« fuhr Schriften nach einer Weile fort, »ich meine es gut mit Euch. Um Euren Gatten kümmre ich mich nicht, obgleich ich ihm nichts Schlimmes wünsche. So hört mich denn. Wenn Ihr wollt, daß Euer künftiges Leben ruhig und friedlich dahinfließe – wenn Ihr lange in dieser Welt zu bleiben wünscht mit dem Gatten Eurer Wahl – mit Eurer ersten und wärmsten Liebe – wenn Ihr wollt, daß er als ein alter Mann in seinem Bette sterbe und Ihr ihm die Augen schließen könnt unter den Thränen wehklagender Kinder, deren Lächeln es vorbehalten bleibt, ihre Mutter wieder aufzuheitern – so kann ich Euch all' dies für die Zukunft, in der ich zu lesen im Stande bin, versprechen, soferne Ihr seiner Brust jene Reliquie abnehmt und sie mir gebt. Wollt Ihr aber, daß er mehr leide, als je ein Mensch auf Erden erduldet hat – wollt Ihr, daß sein ganzes Leben in Zweifel, Mühe und Aengsten hinschwinde, bis das tiefe Meer seinen Leichnam aufnimmt, dann laßt sie ihm. Aber dies hat für Euch noch außerdem die Folge, daß Eure eigenen Tage abgekürzt werden und diejenigen, die Euch noch bleiben, lang sind im menschlichen Leiden, bis Ihr endlich, getrennt von ihm, eines grausamen Todes sterbt. Die Zukunft liegt offen vor mir da, und so gestaltet sich die Bestimmung von Euch Beiden. Ueberlegt alles dies wohl, Dame; ich will Euch jetzt verlassen und morgen Eure Antwort hören.«

Schriften entfernte sich und überließ Amine ihren Betrachtungen. Geraume Zeit wiederholte sie sich die Worte und Prophezeihungen des Mannes, von dem sie jetzt vollkommen überzeugt war, daß er nicht dieser Welt angehöre und in irgend einer Weise mit dem Geschicke ihres Gatten in Verbindung stehe.

»Mit mir meint er es gut und wünscht auch meinem Gatten nichts Böses ; nur will er ihn von seinem Spähen abhalten. Warum so? – das will er nicht sagen. Er hat mich versucht – auf die seltsamste Weise versucht. Wie leicht wäre es, Philipp die Reliquie abzunehmen, während er an meinem Herzen schläft – aber auch wie treulos! Und dann ein Leben des Wohlstands und der Ruhe, eine lächelnde Familie, ein hohes Alter – welche Anerbietungen für eine zärtliche und innig liebende Gattin! Im andern Falle aber Mühe, Aengsten und ein feuchtes Grab! Dann für mich – bah! das ist nichts. Und doch – ist es nichts, von Philipp getrennt sterben zu müssen? Oh, nein, schon der Gedanke ist schrecklich. – Ich glaube ihm. Ja, er hat die Zukunft vorausgesagt und die Wahrheit gesprochen. Kann ich wohl Philipp überreden? Nein, ich kenne ihn nur zu gut; er hat ein Gelübde gethan und läßt sich nicht davon abbringen. Und doch, wenn ihm die Reliquie ohne sein Wissen abgenommen würde, so könnte er sich selbst nichts vorwerfen. Aber müßte er dann die Schuld nicht mir zuschreiben? Könnte ich ihn täuschen? Sollte ich, das Weib seines Herzens, ihm eine Lüge sagen? Nein, nein; es darf nicht sein. Komme, was da will – es ist unsere Bestimmung, und ich bin gefaßt. Hätte ich doch Schriften lieber nicht gesprochen. Ach! wir forschen nach der Zukunft, möchten aber dann gerne unsere Schritte wieder zurückthun und wünschen, daß wir in der Ungewißheit geblieben wären!«

»Was macht dich so gedankenvoll, Amine?« fragte Philipp, der einige Zeit nachher zu ihrem Sitze herankam.

Amine gab anfangs keine Antwort.

»Soll ich ihm Alles sagen?« dachte sie. »Es ist meine einzige Aussicht – ja.«

Sie wiederholte ihm sodann das Gespräch mit Schriften. Philipp entgegnete nichts, sondern setzte sich an Aminens Seite nieder und faßte ihre Hand. Sie ließ das Haupt auf die Schulter ihres Gatten sinken.

»Was ist deine Ansicht, Amine?« sagte Philipp nach einer Weile.

»Ich könnte dir die Reliquie nicht entwenden, Philipp; aber vielleicht gibst du sie mir.«

»Und mein Vater, Amine, mein armer Vater – sollte sein schreckliches Urtheil ewig währen, während es ihm doch gestattet wurde, seinen Sohn um Beistand anzustehen, damit es abgewendet werde? Beweisen nicht die Worte dieses Mannes, daß mein Auftrag kein Trugbild ist? Dient nicht der Umstand, daß er von Allem Kunde hat, zur Bekräftigung des Ganzen? Und doch, warum will er es verhindern?« fügte Philipp nachsinnend bei.

Ach, Philipp, ich weiß nicht, aber ich möchte es selbst auch gerne verhindern. Ich fühle, daß er die Macht besitzt, in die Zukunft zu schauen, und daß er richtig gelesen hat.«

»Sei's drum; er hat gesprochen, aber nicht deutlich. Seine Prophezeihungen betreffen Dinge, auf die ich lange vorbereitet bin – die ich zu erdulden dem Himmel gelobt habe. Schon jetzt habe ich viel gelitten, und ich bin darauf gefaßt noch mehr über mich ergehen zu lassen. Die Welt ist mir längst in dem Lichte einer Pilgerfahrt erschienen, und da ich zu einem bestimmten Werke erkoren bin, so hoffe ich, daß ich den Lohn dafür in einer anderen Welt finde. Du aber, Amine, bist durch keinen Eid gebunden und hast kein Gelübde abgelegt. Er rieth dir nach Hause zu gehen und sprach von einem grausamen Tode. Folge seinem Rathe und vermeide ein so trauriges Geschick.«

»Ich bin durch keinen Eid gebunden, Philipp, aber höre mich. So wahr ich auf eine künftige Seligkeit hoffe, verpflichte ich mich jetzt –«

»Halt inne, Amine!«

»Nein, Philipp, du kannst mich jetzt nicht hindern; denn wenn du's auch jetzt thust, so werde ich es wiederholen in deiner Abwesenheit. Ein grausamer Tod würde eine Barmherzigkeit für mich sein, denn ich werde dich dann nicht mehr leiden sehen. Möge mir die künftige Seligkeit verschlossen und ewiges Elend mein Loos sein, wenn ich dich verlasse, so lange uns das Schicksal gestattet, beisammen zu sein. Ich bin dein – deine Gattin; mein Glück, meine Gegenwart und meine Zukunft – Alles ist bei dir, und das Schicksal mag sein Schlimmstes thun – Amine wird nicht wanken. Ich habe kein feiges Herz, das sich vor Gefahr oder Leiden abwendet. In diesem einen Punkte wenigstens, Philipp, ist deine Wahl gut gewesen.«

Philipp erhob ihre Hand stumm zu seinen Lippen und das Gespräch wurde nicht wieder aufgenommen. Am andern Abende kam Schriften wieder zu Aminen herauf.

»Nun, Dame?« begann er.

»Schriften; es kann nicht sein,« versetzte Amme. »Aber dennoch danke ich Euch von Herzen.«

»Wenn aber auch er seinen Auftrag verfolgen muß, Dame, warum wollt Ihr Euch ihm anschließen?

»Schriften, ich bin sein Weib – sein für immer in dieser Welt und in der nächsten. Ihr könnt mich nicht tadeln,«

»Nein,« entgegnete Schriften; »ich tadle Euch nicht, sondern bewundere Euch. Es thut mir leid. Und doch, was ist im Grunde der Tod? Nichts. Hi, hi!«

Schriften eilte hinweg und ließ Amine allein.


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