Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Ehe wir in unserer Erzählung fortfahren, wollen wir unsere Leser einen kleinen Blick in das Wesen, in die Ceremonien und in die Einrichtung eines Inquisitionshofs thun lassen; denn wenn wir den von Goa beschreiben, sind auch alle übrigen geschildert, da sie nur sehr wenig oder gar nicht von einander abweichen.

Die Santa Casa, oder der Inquisitionshof zu Goa liegt auf der einen Seite eines großen freien Platzes, die Terra di Sabaio genannt. Es ist ein massenhaftes, schönes Steingebäude, vorn mit drei Thoren versehen – das mittlere, größer als die beiden andern, führt nach der Gerichtshalle. Die Seitenthore führen zu geräumigen und schönen Wohnungen für die Inquisitoren und die übrigen Beamten des Gerichts.

Hinter diesen Wohnungen befinden sich die Zellen und Kerker der Inquisition; sie stehen in zwei langen Gallerien, haben je doppelte Thüren, und umfassen etwa zehn Fuß im Geviert. Ihre Anzahl beläuft sich gegen zweihundert; einige davon sind gemächlicher als die andern, da Licht und Luft Zutritt erhalten, andere aber haben sich dieser Wohlthat nicht zu erfreuen. In den Gallerien befindet sich die Inquisitionswache, und kein Wort oder Laut kann aus einer Zelle dringen, ohne gehört zu werden. Die Behandlung der Gefangenen ist in Anbetracht der Nahrung sehr gut und ganz darauf berechnet, eine Indigestion zu verhüten, die aus Mangel an Bewegung hervorgehen könnte.

Auch ärztlicher Beistand ist ihnen gestattet, obschon mit Ausnahme ganz besonderer Fälle keine Priester zu ihnen eintreten dürfen. Liegt ein Gefangener auf dem Sterbebette, so ist ihm jede Tröstung der Religion, sogar der Zuspruch des Beichtvaters und die letzte Oelung versagt. Wer in der Haft stirbt – möge seine Schuld nun erwiesen sein, oder nicht – wird ohne Leichenceremonie bestattet und nachher gerichtet. Wird er dann für schuldig anerkannt, so gräbt man seine Gebeine aus und vollzieht den Urtheilsspruch an den Ueberresten.

Es gibt zwei Inquisitoren in Goa – den Großinquisitor und seinen Adjunkten, die beide stets aus dem Orden des heiligen Dominikus gewählt werden. Diese erhalten bei ihren Gerichtstagen und Verhören Beistände aus verschiedenen religiösen Orden, welche die Deputirten des heiligen Officiums genannt werden, aber nur erscheinen, wenn sie aufgefordert werden. Es gibt auch noch andere Beamte, deren Obliegenheit darin besteht, alle veröffentlichten Bücher zu untersuchen und sich zu überzeugen, ob nichts gegen die heilige Religion darin vorkomme. Außer diesen hat man noch einen öffentlichen Ankläger, einen Prokurator der Inquisition und Rechtsgelehrte, welche die Gefangenen vertheidigen dürfen, obgleich ihr Hauptgeschäft darin besteht, den angeblichen Schützlingen ihre Geheimnisse abzulocken und sie zu verrathen. Sie bilden die sogenannten Vertrauten der Inquisition, obschon diesen schmachvollen Dienst auch Leute vom höchsten Adel auf sich nehmen; denn man rechnet sich's eben so sehr zur Ehre, als man persönliche Sicherheit dann findet, unter die gedachten Vertrauten eingeschrieben zu sein, welche man durch alle Gesellschaftsklassen zerstreut findet; man darf daher darauf zählen, daß jedes unbedachte Wort dem heiligen Officium hinterbracht wird.

Einer Aufforderung, vor dem Inquisitionsgerichte zu erscheinen, darf kein Widerstand entgegengesetzt werden, da sich die ganze Bevölkerung erheben und ihr Nachdruck geben würde. Die Gefangenen werden abgesondert gehalten, und es kommt nur sehr selten vor, daß zwei in einen Kerker gesperrt werden; dies geschieht blos in dem Falle, wenn man glaubt, die lange Haft habe den Geist eines Unglücklichen so niedergedrückt, daß sein Leben in Gefahr stehe. Unverbrüchliches Schweigen wird eingeschärft und streng beobachtet. Diejenigen, welche in ihrer äußersten Finsterniß weheklagen, weinen oder sogar beten, werden durch Schläge zur Ruhe gezwungen. Die Schmerzensrufe der in dieser Weise Gezüchtigten oder die Laute der Qual, welche die Folter erpreßt, schallen durch die Gänge und schrecken die Armen, welche einem gleichen Loose entgegen sehen, in ihrer einsamen Nacht.

Die erste Frage, welche an eine Person gerichtet wird, die der Inquisition in die Hände gefallen ist, betrifft ihr Vermögen. Der Gefangene muß dies bis auf den letzten Heller hinaus angeben und die Wahrheit seiner Aussage beschwören, indem man ihm zugleich bemerkt, daß jede Unwahrheit über diesen Punkt – wie unschuldig er auch in Betreff der Anklage sein mag – den Zorn der Inquisition auf ihn herabrufe; denn selbst wenn er schuldlos erfunden werde, stehe ihm neue Haft bevor wegen des falschen Eides, den er vor der Inquisition geleistet, während jedoch anderen Falls seine Habe ungeschmälert bleibe. Diese erste Verhörsfrage hat ihren guten Grund, denn wenn eine Person das Verbrechen, dessen sie beschuldigt wurde, bekennt, so wird sie in den meisten Fällen zwar freigelassen, hat aber ihre sämmtliche Habe verwirkt.

Aus den Regeln der Inquisition könnte zwar scheinen, daß man mit Gerechtigkeit verfahren wolle, denn obgleich zwei Zeugen hinreichend sind, Jemand in Verhaft zu nehmen, so werden doch sieben erfordert, um ihn zu verurtheilen; da jedoch die Zeugen nie mit dem Gefangenen konfrontirt werden und oft an ersterem die Tortur in Anwendung kommt, so ist es nicht schwer, die nöthige Anzahl zu erlangen. Mancher hat, um sein eigenes Leben zu retten, durch einen falschen Eid das seines Nächsten geopfert. Die Hauptverbrechen, welche in das Bereich der Inquisition fallen, sind Zauberei, Ketzerei, Gotteslästerung und der sogenannte Judaismus.

Um den Sinn dieses letzteren Verbrechens, wegen dessen die Inquisition die meisten Leute geopfert hat, zu verstehen, müssen wir dem Leser bemerken, daß die Juden, welche Ferdinand und Isabella von Kastilien aus Spanien vertrieben, sich nach Portugal flüchteten, aber unter der einzigen Bedingung, daß sie Christen würden, Aufnahme fanden. Sie willigten ein oder thaten wenigstens dergleichen, wurden aber fortwährend von den Portugiesen verachtet, weil man ihrer Aufrichtigkeit kein Vertrauen schenkte. Im Gegensatze zu den alten Christen erhielten sie den Namen Neuchristen und vermischten sich im Laufe der Zeit gelegentlich durch Heirathen mit den ersteren; dieses gereichte jedoch den alten Familien stets zum Vorwurfe und den Sprößlingen dieser Verbindungen haftete noch lange ein Makel an.

Die Abkömmlinge derartiger gemischter Ehen wurden nicht nur aus ihrer Kaste ausgestoßen, sondern auch, da die Genealogie jeder Familie genau bekannt war, mit Argwohn betrachtet, und sahen sich stets der Gnade des heiligen Officiums preisgegeben, wenn sie wegen Judaismus angeklagt wurden: darunter ist die Rückkehr zu den altjüdischen Gebräuchen der Ostern und sonstigen von Moses eingeschärften Ceremonien zu verstehen.

Betrachten wir nun, welche Wirkung eine derartige Anklage in den Händen der Inquisition übt. Ein wahrhaft aufrichtiger Katholik, der von einer dieser unglücklichen Familien abstammt, wird angeklagt und von der Inquisition verhaftet; er muß sein Vermögen angeben, was er – von seiner Unschuld überzeugt und einer baldigen Befreiung gewiß – ohne Rückhalt thut. Aber kaum hat sich der Kerkerschlüssel hinter ihm gedreht, als auch schon seine ganze Habe in Beschlag genommen und öffentlich versteigert wird, denn es versteht sich von selbst, daß man sie ihm nie wieder zurückerstattet. Nach der Gefangenschaft eines Monats wird er in die Gerichtshalle gerufen und gefragt, ob er den Grund seiner Verhaftung kenne; man räth ihm angelegentlich, sein Verbrechen zu beichten und nichts zu verheimlichen, da dies der einzige Weg sei, seine Freiheit wieder zu erhalten. Er betheuert seine Unwissenheit, und zwar jedesmal, so oft er vorgeladen wird.

Endlich naht die Periode des Auto-da-Fé's (Glaubenshandlung) heran, das alle zwei oder drei Jahre stattfindet (nämlich die öffentliche Hinrichtung derjenigen, welche von der Inquisition für schuldig erfunden werden). Nun tritt der öffentliche Ankläger auf und gibt an, der Gefangene sei von einer Anzahl Zeugen bezüchtigt worden. Man redet dem Unglücklichen zu, seine Schuld zu bekennen; er besteht auf seiner Unschuld, und nun wird das Convicto Invotivo erlassen, was so viel heißen will, als »schuldig erfunden, obgleich der Gefangene sein Verbrechen nicht eingesteht.« Hiedurch wird er verurtheilt, bei der nächsten Feierlichkeit verbrannt zu werden. Man folgt ihm nun nach seiner Zelle, ermahnt ihn, seine Schuld zu beichten und verspricht ihm in diesem Falle Begnadigung. So geht es fort bis zum Abende vor dem Tage der Hinrichtung. Erschreckt durch den Gedanken an einen qualvollen Tod, wird zuletzt der Unglückliche, um sein Leben zu retten, geständig. Er wird in die Gerichtshalle gerufen, bekennt das Verbrechen, das er nicht begangen hat, und meint nun, gerettet zu sein – aber leider, nein; er hat nur sich selbst verstrickt und kann jetzt nicht mehr entkommen.

»Du bekennst also, daß du dir eine Beobachtung der Gesetze Moses hast zu Schulden kommen lassen. Diese Ceremonie konnte nicht allein verrichtet werden; du mußt mit Anderen das Osterlamm gegessen haben – sage uns augenblicklich, wer noch daran Theil genommen, oder dein Leben ist verwirkt und der Scheiterhaufen für dich bereit.«

Er hat sich also für schuldig erklärt, ohne etwas zu gewinnen, und wenn er sein Leben zu retten wünscht, muß er Andere anklagen. Wen könnte dann dies anders treffen, als seine Verwandte und Freunde? Ja, aller Wahrscheinlichkeit nach seine Brüder, seine Schwestern, seine Gattin, seine Söhne und Töchter – denn die Annahme liegt nahe, daß man in derartigen Dingen nur seiner Familie vertraut. Mag man indeß seine Schuld bekennen, oder in der Behauptung seiner Unschuld sterben – in jedem Falle geht die weltliche Habe verloren. Es ist übrigens für die Inquisition von großer Wichtigkeit, daß ein Bekenntniß erfolge; denn dieses wird von dem Gefangenen unterzeichnet, dann der Oeffentlichkeit preisgegeben, und erfüllt den Zweck, der Welt zu beweisen, daß die Inquisition nicht nur unparteiisch und gerecht, sondern sogar barmherzig ist, da sie Diejenigen begnadigt, welche sich als schuldig bekannt haben.

In Goa waren die Anklagen auf Zauberei weit häufiger, als bei den Inquisitionshöfen anderer Orte, weil die Gebräuche und Ceremonien der Hindus vielen albernen Aberglauben enthielten. Diese Leute und die Sklaven aus andern Theilen ließen sich oft taufen, um ihren Gebietern zu gefallen; nun aber lautete ihr Urtheil, sobald sie nachher eines Verbrechens überwiesen wurden, stets auf die Strafe des Scheiterhaufens, während die Nichtgetauften nur durch die Peitsche, Gefängniß oder die Galeeren gezüchtigt wurden. Aus diesem alleinigen Grunde weigerten sich Viele, das Christenthum anzunehmen.

Wir haben nun Alles auseinandergesetzt, was vorderhand dem Leser zu wissen nöthig ist. Das Uebrige wird sich aus dem Laufe unserer Geschichte herausstellen.


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