Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Neuntes Kapitel.

Wir müssen nun die indianische Flotte ihren Weg unter wechselndem Wind und Wetter nach dem Cap verfolgen lassen. Sie zerstreute sich theilweise, sollte aber in der Tafelbay wieder zusammentreffen. Philipp Vanderdecken war bald im Stande, sich einigermaßen an Bord nützlich zu machen. Er studirte seinen Dienst fleißig, denn Beschäftigung hinderte ihn, zuviel über die Ursache seiner Einschiffung zu brüten, und versah mit Eifer die schwersten Verrichtungen, da ihm eine derartige Anstrengung den Schlaf sicherte, der ihm sonst versagt geblieben wäre.

Er war bald ein Liebling des Kapitäns und stand auf sehr freundschaftlichem Fuße mit Hillebrant, dem ersten Maten. Struys, der zweite Mate, war jedoch ein mürrischer junger Mensch, mit dem er nur wenig Verkehr hatte. Was den Supercargo Mynheer Jakob Janz von Stroom betraf, so wagte sich dieser nur selten aus seiner Kajüte. Da der Bär Johannes nicht eingesperrt wurde, so hielt sich Mynheer von Stroom selbst hinter Verschluß und ließ kaum einen Tag vergehen, ohne einen Brief zu überlesen, den er zur Beleuchtung des anstoßenden Gegenstandes an die Compagnie ausgefertigt hatte; auch fand er jedesmal für passend, eine Aenderung anzubringen, von der er glaubte, sie dürfte seiner Beschwerde noch mehr Kraft verleihen und die Interessen des Kapitän Kloots feindseliger beeinträchtigen.

Inzwischen rauchte Mynheer Kloots in glücklichster Unwissenheit über das, was in der Hüttenkajüte vorging, seine Pfeife, trank seinen Schnaps und spielte mit Johannes. Das Thier hatte auch eine große Zuneigung zu Philipp gewonnen und pflegte mit ihm auf und ab zu spazieren, wenn dieser die Wache hatte.

Auf dem Schiffe befand sich noch eine weitere Person, die wir nicht aus dem Gesichte verlieren dürfen – nämlich der einäugige Pilot Schriften, der einen großen Widerwillen sowohl gegen unsern Helden, als gegen dessen stummen Liebling, den Bären, zu hegen schien. Da Philipp den Rang eines Offiziers hatte, so wagte es Schriften nicht, ihn öffentlich zu beleidigen, ersah aber alle Gelegenheiten, ihn zu ärgern, und nahm keinen Anstand, vor der Schiffsmannschaft unaufhörlich über ihn zu schmähen. Gegen den Bären zeigte er seine Feindseligkeit offener, indem er selten an ihm vorbeiging, ohne ihm unter einem furchtbaren Fluche einen derben Tritt zu versetzen. Obgleich Niemand an Bord den Menschen zu lieben, wohl aber alles ihn zu fürchten schien, so hatte er doch über die Matrosen eine Herrschaft gewonnen, die kaum erklärlich war.

So war der Stand der Dinge des guten Schiffes »der Schilling,« als es in Gemeinschaft mit einigen andern, zwei Tagfahrten von dem Cap entfernt, von einer Windstille befallen wurde. Das Wetter war ungemein heiß, denn die südlichen Breiten hatten ihren Sommer, und Philipp, der unter dem Hüttenzelte lag, war in Folge der schwülen Luft eingeschlafen. Da erwachte er auf einmal mit einer fröstelnden Empfindung über den ganzen Körper, namentlich aber auf der Brust, und als er die Augen halb öffnete, bemerkte er, daß der Pilot Schriften über ihm lehnte und einen Theil der Kette, an welcher die heilige Reliquie befestigt war, zwischen Finger und Daumen hielt. Philipp schloß seine Lider wieder, um sich zu überzeugen, was der Mann beabsichtige, und fand, daß er allmälig die Kette sammt der Reliquie weiter und weiter herauszog, zuletzt aber – augenscheinlich in der Absicht, sich des Kleinodes zu bemächtigen, über dem Kopf des muthmaßlichen Schläfers wegzuziehen suchte. Jetzt fuhr Philipp auf und faßte den Dieb um den Leib.

»Darauf war's also abgesehen?« rief Philipp mit entrüsteten Blicken, indem er die Kette aus der Hand des Piloten riß.

Schriften schien jedoch nicht im Mindesten über die Entdeckung seines Versuchs betroffen zu sein; er warf mit seinem einen Auge Philipp einen boshaften Blick zu und bemerkte spöttisch:

»Ist ihr Bild an dieser Kette? – hi! hi!«

Vanderdecken stand auf, stieß ihn zurück und kreuzte seine Arme.

»Ich rathe Euch, nicht so gar neugierig zu sein, Meister Pilot, oder Ihr dürftet es bereuen.«

»Oder ist's vielleicht« – fuhr der Pilot ohne Rücksicht auf Philipps Grollen fort – »eine Glückshaube, ein unfehlbares Mittel gegen das Ertrinken?«

»Kümmert Euch um Eure Pflicht,« rief Philipp.

»Doch, Ihr seid Katholik – vielleicht habt Ihr Euch den Fingernagel eines Heiligen beigesteckt – oder – ja ich habe es – ein Stück vom heiligen Kreuze.«

Philipp stutzte.

»Ja, das ist's, das ist's!« rief Schriften, der jetzt nach vorne ging, wo die Matrosen um die Laufplanke standen.

»Gute Neuigkeiten für Euch, meine Jungen!« rief er. »Wir haben ein Stück vom heiligen Kreuze an Bord und können jetzt dem Teufel Trotz bieten.«

Philipp war, ohne sich selbst einen Grund dafür angeben zu können, Schriften die Hüttentreppe hinunter gefolgt und stand eben vorn auf dem Halbdecke, als der Pilot gedachte Bemerkung gegen die Matrosen laut werden ließ.

»Das ist schön!« erwiderte ein alter Matrose; »und zwar nicht nur dem Teufel, sondern dem fliegenden Holländer obendrein.«

»Dem fliegenden Holländer?« dachte Philipp; »sollte sich dies auf – –«

Er trat ein paar Schritte vor, um sich hinter dem Hauptmaste zu verbergen, und hoffte auf einer Fortsetzung des Gesprächs weitere Auskunft zu erhalten; auch täuschte er sich hierin nicht.

»Man sagt, es sei weit schlimmer, ihm zu begegnen, als sogar dem Teufel selber,« bemerkte ein Anderer aus dem Haufen.

»Wer hat ihn je gesehen?« fragte ein Dritter.

»Gesehen hat man ihn, das ist gewiß; aber eben so gewiß ist auch, daß es einem Schiff übel ergeht, das mit ihm zusammentrifft.«

»Und wo kann man denn auf ihn stoßen?«

»Oh, hierüber ist man nicht so ganz im Reinen – er kreuzt eben in der Höhe des Kaps.«

»Ich möchte wohl einmal das Lange und Kurze von der Geschichte zu hören kriegen,« bemerkte Einer.

»Ich will dir sagen, was ich davon weiß. Es ist ein verfluchtes Schiff – waren, glaube ich, Piraten, die ihrem Kapitän die Kehle abschnitten.«

»Nein, nein,« rief Schriften; »der Kapitän ist noch darauf – und war ein Schurke. Dem Vernehmen nach hat er wie ein Anderer, der mit uns jetzt an Bord ist, ein sehr hübsches Weib verlassen, das er zärtlich liebte.«

»Wie wißt Ihr das, Pilot?«

»Weil er stets Briefe nach Hause schicken will, wenn er mit Schiffen zusammentrifft. Aber wehe demjenigen, das einen Auftrag von ihm annimmt – es darf darauf zählen, daß es zu Grunde geht – mit Mann und Maus!«

»Woher nehmt Ihr denn alle diese Kunde?« fragte Einer von den Matrosen. »Habt Ihr je das Schiff gesehen?«

»Ja, freilich habe ich!« kreischte Schriften, ließ aber, als faßte er sich wieder, seinen Ruf in sein gewöhnliches Kichern übergehen und fügte bei: »doch wir haben Nichts von ihm zu fürchten, Jungen, da wir ein Stückchen vom wahren Kreuz an Bord führen.«

Schriften begab sich sodann nach dem Hinterschiffe, um weitere Fragen zu vermeiden, bei welcher Gelegenheit er Philipp neben dem Hauptmaste bemerkte.

»Ah, so – ich bin nicht der einzige Neugierige – hi! hi! Sagt mir doch, habt Ihr das Ding mit an Bord gebracht, im Falle wir mit dem fliegenden Holländer zusammentreffen sollten?«

»Ich fürchte mich nicht vor dem fliegenden Holländer,« entgegnete Philipp verwirrt.

»Nun, da fällt mir eben bei, Ihr traget ja den gleichen Namen; wenigstens sagt man sich, er heiße Vanderdecken – he?«

»Es gibt außer mir noch viele Vanderdecken in der Welt,« versetzte Philipp, der nun seine Fassung wieder gewonnen hatte. Nach dieser Antwort ging er hinweg und begab sich nach der Hütte.

»Man könnte fast glauben, dieser boshafte einäugige Wicht kenne den Grund meiner Einschiffung,« dachte Philipp. »Doch nein, das ist unmöglich. Aber warum muß ich stets einen solchen Schauder fühlen, so oft er mir nahe kommt? Ob's wohl Andern auch so ergeht? Oder ist's vielleicht nur eine bloße Einbildung von meiner und Aminens Seite? Zu fragen getraue ich mich nicht. – Indeß ist's doch seltsam, daß der Mensch einen so boshaften Groll gegen mich hegt. Ich habe ihn doch nicht beleidigt. Was ich eben mit angehört habe, bestätigt Alles, wenn es überhaupt einer Bestätigung bedürfte. O Amine! Amine! wärest du nicht, so würde ich mit Freuden mein Leben in die Schanze schlagen, um dieses Räthsel zu lösen. O Gott, zügle in deinem Erbarmen den Gluthstrom meiner Gedanken,« murmelte Philipp, »damit mein Verstand nicht irre werde!«

Drei Tage nachher langte der Schilling mit seinen Kameraden in der Tafelbay an, wo sie den Rest der Flotte bereits vor Anker trafen. Um dieselbe Zeit hatten die Holländer an dem Kap der guten Hoffnung eine Niederlassung gegründet, wo die Indienflotten Wasser einzunehmen und von den Küsten-Hottentotten Vieh einzuhandeln pflegten – ein um so einträglicherer Verkehr, da Letztere für einen Messingknopf oder einen großen eisernen Nagel bereitwillig einen fetten Stier entgegengaben. Ein paar Tage war das Geschwader damit beschäftigt, seine Wasservorräthe zu ergänzen, worauf die Schiffe, denen für den Fall einer Trennung von dem Admiral der Sammelplatz bezeichnet worden war, alle Vorbereitungen für das voraussichtliche schlechte Wetter trafen und dann zur Wiederaufnahme ihrer Reise die Anker lichteten.

Drei Tage lang hatten sie nur leichte und täuschende Winde, weshalb geringe Fortschritte erzielt wurden; am dritten sprang aber von Süden eine starke Brise auf, die sich bis zur Bö steigerte und die Flotte nordwärts von der Bay herunterwehte. Nach sieben Tagen war der Schilling allein, das Wetter aber gemäßigt. Es wurden sofort Segel ausgesetzt, und der Schnabel ostwärts gedreht, um gegen die Küste einzulaufen.

»Es ist ein unglücklicher Umstand, daß wir von allen unsern Gefährten getrennt wurden,« bemerkte Mynheer Kloots gegen Philipp, während sie Beide an der Laufplanke standen. »Wir haben jetzt ungefähr Mittag und die Sonne wird mich in den Stand setzen, unsere Breite zu unterscheiden. Freilich ist's schwer zu sagen, wie weit uns die Bö und die Strömungen nordwärts gefegt haben. Junge, bringe mir meinen Jakobsstab herauf, gib aber Acht, daß du ihn nirgends anstößt.«

Der Jakobsstab war das einfache Werkzeug, das in jener Zeit zu Entdeckung der Breite benützt wurde und einem sorgfältigen Beobachter seinen Standort auf etwa fünf oder zehn Meilen angab. Quadranten und Sextanten sind die Erfindung einer viel spätern Periode. Wenn man bedenkt, wie gering damals die Seemannskunde war, ferner die Abweichungen der Magnetnadel in Anschlag bringt und in Erwägung zieht, daß die Länge nur durch die Giffung gefunden werden konnte, so ist es eigentlich wunderbar, wie unsere Vorfahren mit verhältnißmäßig so wenig Unglück ihre Reisen über den Ocean machten.

»Wir sind volle drei Grade nördlich vom Kap,« bemerkte Mynheer Kloots, nachdem er seine Breite berechnet hatte. »Die Strömungen müssen stark laufen; der Wind legt sich schnell, und ich müßte sehr irren, wenn wir nicht ander Wetter bekämen.«

Gegen Abend trat Windstille ein, und eine starke Strömung fegte gegen das Ufer zu. Schaaren von Seehunden zeigten sich auf der Oberfläche und folgten dem vor der Strömung hertreibenden Schiffe. Die Fische sprangen und hüpften in allen Richtungen, und rings umher schien der Ocean voll Leben zu sein, während die Sonne langsam am Horizont niederging.

»Was hören wir für ein Geräusch?« bemerkte Philipp. »Es tönt wie ferner Donner.«

»Hab's auch vernommen,« versetzte Mynheer Kloots. »Ihr oben auf dem Mast, seht Ihr das Land?«

»Ja,« versetzte der Marsgaste nach einer Pause, indem er an der Stengewand hinaufstieg. »Ganz nach vorne, – niedrige Sandhügel und hochbrechende See.«

»Dann muß das Geräusch hievon herrühren. Wir fegen mit dieser Grundströmung schnell einwärts. Ich wollte, wir bekämen Wind.«

Die Sonne hatte sich nun unter den Horizont gesenkt und die Windstille hielt noch immer an. Der Schilling war durch die Strömung so rasch dem Ufer zugetrieben worden, daß man jetzt die Brandung sehen konnte, die sich mit Donnergetöse am Gestade brach.

»Kennt Ihr die Küste, Pilot?« sagte der Kapitän zu Schriften, der in der Nähe stand.

»Kenne sie wohl,« versetzte Schriften; »die See bricht sich hier wenigstens zwölf Faden tief. In einer halben Stunde ist das gute Schiff zu Zahnstochern zerschellt, wenn uns nicht eine Brise Abhülfe bringt.«

Und der kleine Mann kicherte, als finde er nichts belustigender, als diesen Gedanken.

Mynheer Kloots vermochte seine Besorgniß nicht zu verhehlen; seine Pfeife war in ewiger Wanderung nach und aus dem Munde. Die Mannschaft sammelte sich in Gruppen auf dem Vorderkastell und auf der Laufplanke, mit Entsetzen auf das fürchterliche Brausen der Brandung lauschend. Der letzte Wiederstrahl der Sonne war nach und nach verglommen, und das Düster der Nacht vermehrte die Unruhe der Matrosen.

»Wir müssen die Boote niederlassen,« sagte Mynheer Kloots zum ersten Maten, »und versuchen, ob wir das Schiff nicht hinausschleppen können. Freilich fürchte ich, daß wir nicht viel thun können, aber für alle Fälle sind dann doch die Boote bereit, um die Mannschaft aufzunehmen, ehe der Schilling auf den Strand läuft. Schafft die Schlepptaue heraus und laßt die Boote nieder, während ich dem Supercargo Meldung mache.«

Mynheer von Stroom saß in der ganzen Würde seines Amtes da, und hatte, da es Sonntag war, seine beste Perücke aufgesetzt. Er war eben im Begriffe, abermals seinen Bärenbrief an die Compagnie zu überlesen, als Mynheer Kloots erschien und ihm in wenigen Worten mittheilte, daß sie sich in einer sehr gefährlichen Lage befänden und das Schiff wahrscheinlich in weniger als einer halben Stunde zerschellen würde. Bei dieser beunruhigenden Kunde sprang Mynheer von Stroom von seinem Stuhle auf und stieß in seiner furchtsamen Hast das Licht um, das er eben angezündet hatte.

»In Gefahr, Mynheer Kloots? – Ei, das Wasser ist ja glatt und der Wind hat sich gelegt! Mein Hut – wo ist mein Hut und mein Stock? Ich will auf das Deck gehen. Hurtig! ein Licht – Mynheer Kloots, lassen Sie doch Licht bringen; ich kann in der Dunkelheit nichts finden. Mynheer Kloots, warum geben Sie keine Antwort? Barmherziger Himmel! er ist fort und hat mich allein gelassen.«

Mynheer Kloots hatte sich entfernt, um ein Licht zu holen, und kehrte jetzt wieder zurück. Mynheer von Stroom setzte seinen Hut auf und verließ die Kajüte. Die Boote wurden niedergelassen und der Schiffsschnabel vom Lande abgedreht; aber es herrschte nun finstere Nacht, und man vermochte Nichts zu unterscheiden, als die weiße Schaumlinie der Brandung, welche sich mit furchtbarem Getöse an der Küste brach.

»Mynheer Kloots, wenn's Euch gefällig ist, will ich das Schiff augenblicklich verlassen. Laßt mein Boot an das Schiff kommen – ich muß das größte Boot haben für den Dienst der hochpreislichen Compagnie – für die Papiere und mich selbst.«

»Ich fürchte, daß ich Euch nicht dienen kann, Mynherr von Stroom,« versetzte Kloots; »unsere Boote werden kaum die ganze Mannschaft fassen, und Jedem ist sein Leben so theuer, als Euch das Eurige.«

»Aber Mynheer, ich bin der Supercargo der Compagnie. Ich befehle Euch – ich will ein Boot haben – untersteht Euch, es zu verweigern!«

»Ich unterstehe mich, es zu verweigern,« erwiderte der Kapitän, seine Pfeife aus dem Munde nehmend.

»Gut, gut,« versetzte Mynheer von Stroom, der nun alle seine Geistesgegenwart verloren hatte – »wir wollen sehen, Herr – – sobald wir wieder nach – – Gott steh uns bei! – – Wir sind verloren – – Oh Herr! oh Herr!«

Und mit diesen Worten eilte Mynheer von Stroom, ohne sich selbst einen Grund angeben zu können, nach der Kajüte hinunter, stolperte aber in seiner Hast über den Bären Johannes, der ihm in den Weg kam, und während seinem Sturze flogen ihm Hut und Perücke vom Kopf.

»Ach, barmherziger Himmel! wo bin ich? Hülfe! Hülfe für den hochpreislichen Supercargo der Compagnie!«

»Laßt los da in den Booten und kommt an Bord,« rief Mynheer Kloots, »wir haben keine Zeit übrig; hurtig jetzt, Philipp; schafft den Compaß hinunter, das Wasser und den Zwieback – wir dürfen in fünf Minuten nicht mehr im Schilling sein.«

Das Brausen der Brandung war nun so wüthend geworden, daß man nur mit Mühe die Befehle des Kapitäns vernehmen konnte. Mynheer von Stroom lag mittlerweile auf dem Deck, zappelte, stampfte und schrie nach Hülfe.

»Es weht eine leichte Brise vom Ufer her,« rief Philipp, seine Hand ausstreckend.

»Ihr habt recht, aber ich fürchte, es ist zu spät. Schafft das Nöthige in die Boote und benehmt Euch besonnen, ihr Leute. Wir haben noch eine Aussicht, das Schiff zu retten, wenn der Wind auffrischt.«

Sie waren nun der Brandung so nahe, daß sie fühlten, wie die Strömung, in welcher das Schiff windlos lag, da und dort an der langen Linie überschlug; aber die Brise frischte auf und das Schiff wurde stetig. Sämmtliche Mannschaft befand sich in den Booten, Mynheer Kloots, die Maten und Mynheer von Stroom ausgenommen.

»Wir gehen jetzt wieder durch's Wasser,« sagte Philipp.

»Ja; ich denke, wir können das Schiff retten,« versetzte der Kapitän. »Nur stetig fortgemacht, Hillebrant,« fuhr er gegen den ersten Maten am Steuerruder fort. »Wir kommen jetzt von der Brandung ab – wenn nur die Brise noch zehn Minuten anhält.«

Die Brise hielt an und der Schilling, der vom Lande absteuerte, gerieth wieder in windstillen Strich; dann wurde er abermals gegen die Brandung gefegt, bis endlich die Brise sich verstärkte, und das Schiff durch das Wasser schnitt. Die Mannschaft wurde aus den Booten gerufen. Man las Mynheer von Stroom mit seinem Hut und seiner Perücke auf, führte ihn in die Kajüte und in weniger als einer Stunde war der Schilling außer Gefahr.

»Wir können jetzt die Boote heraufhissen,« sagte Mynheer Kloots; »ehe wir aber zu Bette gehen, wollen wir Alle Gott für unsere Rettung danken.«

Während der Nacht gewann der Schilling zwanzig Meilen hohe See und steuerte dann südwärts. Gegen Morgen legte sich die Brise wieder und es fiel fast völlige Windstille ein.

Mynheer Kloots war ungefähr eine Stunde auf dem Decke gewesen und hatte sich mit Hillebrant sowohl über die Gefahr des vorigen Abends, als über Mynheer von Strooms engherzige Selbstsucht unterhalten, als sich mit einemmale ein lautes Getöse von der Hüttenkajüte her vernehmen ließ.

»Was mag das zu bedeuten haben. Hat der gute Mann vor Schrecken seinen Verstand verloren? Ei, er schlägt ja die Kajüte in Stücke.«

In diesem Augenblicke kam der Diener des Supercargo's aus der Kajüte geeilt.

»Mynheer Kloots, geschwinde – helft meinem Gebieter – er wird umgebracht – der Bär – der Bär!«

»Der Bär? Wie, Johannes,« rief Mynheer Kloots. »Ei, das Thier ist ja so zahm, wie ein Hund. Ich will gehen und nachsehen.«

Aber ehe Mynheer Kloots nach der Kajüte gehen konnte, flog der erschreckte Supercargo im Hemde heraus.

»Mein Gott! mein Gott! Soll ich denn ermordet – lebendig gefressen werden?« rief er, nach dem Vorderschiffe rennend, wo er das Focktakelwerk hinanzuklimmen versuchte.

Mynheer Kloots folgte Mynheer von Strooms Bewegungen mit Erstaunen, und als er fand, daß derselbe in das Takelwerk steigen wollte, wandte er sich nach hinten und ging in die Kajüte, wo er zu seiner Überraschung fand, daß Johannes in der That Unfug anrichtete.

Das Getäfel der Staatskajüte war niedergeschlagen, die Perückenschachteln lagen zertrümmert auf dem Boden und auf den Perücken selbst befanden sich die Bruchstücke zerbrochener Honigtöpfe, sammt deren Inhalt, welchen Johannes mit besonderem Wohlbehagen ausleckte.

Mynheer Stroom hatte sich nämlich, als das Schiff in der Tafelbay vor Anker lag, von den Hottentotten einigen Honig, von dem er ein großer Freund war, verschafft, und denselben durch seinen Diener in Töpfen aufbewahren lassen. Diese standen nun unter den zwei langen Schachteln, um von dem Supercargo während des Restes der Reise nach Belieben benützt werden zu können. Diesen Morgen hatte der Diener in der Meinung, die Perücke habe Abends zuvor durch den Sturz seines Gebieters gelitten, eine der Schachteln geöffnet, um die verderbte Kopfbedeckung durch eine andere zu ersetzen. Johannes war nun zufälligerweise in die Nähe der Thüre gekommen und witterte den Honig. Die Bären sind durchweg noch größere Freunde dieser Leckerei, als es Mynheer von Stroom war, und wagen Alles, sich dieselbe zu verschaffen. Johannes gab daher der Liebhaberei seines Geschlechtes nach, folgte seiner Nase, kam in die Kajüte und war eben im Begriffe, in Mynheer von Strooms Schlafbarth zu spazieren, als der Diener vor ihm die Thüre zuschlug. Johannes schlug nun das Getäfel zusammen und erzwang sich Zutritt. Dann griff er die Perückenschachteln an und bewies dem Diener, der ihn fortzujagen versuchte, durch das Bläcken einer furchtbaren Reihe von Zähnen, daß er nicht mit sich spielen lasse. Mynheer von Stroom gerieth darüber in den äußersten Schreck und kam, da er die Absicht des Bären nicht kannte, auf die Meinung, die Bestie wolle ihn selbst angreifen. Der Bediente gab nach einigen vergeblichen Bemühungen, die letzte Schachtel zu retten, Fersengeld, und Mynheer von Stroom, der sich jetzt allein fand, sprang endlich von seiner Bettstelle herunter und entwischte in dem bereits erwähnten Zustand nach dem Vorderkastell, Johannes als Sieger auf dem Wahlplatze zurücklassend, der sich sofort über die spolia opima hermachte. Mynheer Kloots bemerkte augenblicklich, wie die Sachen standen; er ging auf den Bären zu, redete ihn an und versetzte ihm einige Fußstöße, aber Meister Petz wollte von seinem Honig nicht ablassen und knurrte wüthend über diese Unterbrechung.

»Du hast schlimme Arbeit gemacht, Johannes,« bemerkte Mynheer Kloots. »Du mußt jetzt das Schiff verlassen, denn der Supercargo hat gerechte Gründe zur Beschwerde. Nun, wenn du denn einmal Honig fressen mußt, so sei's drum.« Mit diesen Worten verließ Mynheer Kloots die Kajüte, um nach dem Supercargo zu sehen, der sich noch immer auf dem Vordercastell befand und mit in dem Winde flatterndem Hemde, seinen magern Leichnam und den kahlen Schädel zur Schau stellend, die Matrosen anredete.

»Ich bedaure diesen Unfall recht sehr, Mynheer von Stroom,« sagte Kloots; »aber der Bär soll aus dem Schiffe gebracht werden.«

»Ja, ja, Mynheer Kloots, aber das ist eine Geschichte für die hochpreisliche Compagnie – das Leben ihrer Diener darf nicht der Thorheit eines Seekapitäns geopfert werden. Ich bin beinahe in Stücke zerrissen worden.«

»Das Thier wollte nichts von Euch, sondern hatte nur einen Zahn auf den Honig,« versetzte Kloots. »Es ist jetzt darüber hergefallen und ich selbst bin nicht im Stande, ihm seine Beute abzunehmen. An der Natur eines unvernünftigen Geschöpfs ist nichts zu ändern. Wollt Ihr so gut sein, in meine Kajüte hinunterzugehen, bis die Bestie wieder angelegt werden kann? Sie soll nicht wieder frei herumgehen.«

Mynheer von Stroom hielt es für räthlich, dieses Erbieten anzunehmen, denn einmal stand seine Würde nicht ganz im Einklang mit seinem Aeußeren und vielleicht machte er auch die Bemerkung, daß die Majestät nur zu einer Posse wird, wenn sie ihrer äußeren Abzeichen beraubt ist. Mit einiger Mühe und unter dem Beistand der Matrosen wurde der Bär gefesselt und aus der Kajüte fortgeschafft, freilich sehr gegen seinen Willen, denn es gab an den Perückenlocken noch einigen Honig abzulecken. Der Umstand, daß er auf hoher See über dem Verbrechen des Einbruchs ertappt worden war, trug ihm strenge Haft ein, und das neue Abenteuer bildete nun den Gegenstand des Tagesgespräches, denn es war wieder Windstille und das Schiff lag regungslos auf der spiegelglatten Fläche des Meeres.

»Die Sonne geht roth unter,« bemerkte Hillebrant gegen den Kapitän, der mit Philipp auf der Hütte stand. »Ich müßte sehr irren, wenn wir nicht noch vor morgen Wind erhielten.«

»Bin auch der Meinung,« versetzte Mynheer Kloots. »Es ist sonderbar, daß wir mit keinem Schiffe der Flotte zusammentreffen. Sie müssen doch alle hier herabgetrieben worden sein.«

»Vielleicht halten sie mehr hohe See.«

»Gut für uns, wenn wir das Gleiche gethan hätten,« sagte Kloots. »Gestern Abend ist's uns sehr auf die Nähte gegangen. Zu wenig oder zu viel Wind, keines von Beiden will etwas taugen.«

Ein wirres Getöse ließ sich nun von der Stelle her vernehmen, wo sich die Matrosen auf einem Haufen versammelt hatten und über die Windvierung des Fahrzeugs hinblickten.

»Ein Schiff! Nein – ja, es ist eines!« schallte es aus mehr als einem Munde.

»Sie meinen, ein Schiff zu sehen,« sagte Schriften, auf die Hütte kommend, »hi! hi! wo?«

»Dort, in der Nacht draußen!« versetzte der Pilot, auf den dunkelsten Theil am Horizonte deutend, denn die Sonne war bereits niedergegangen.

Der Kapitän, Hillebrant und Philipp richteten ihre Augen nach der angedeuteten Stelle und meinten gleichfalls Etwas wie ein Schiff unterscheiden zu können. Allmälig schien sich das Dunkel zu zerstreuen und ein blasser, leckender Blitz jenen Theil des Kimmes zu erhellen. Kein Lüftchen ließ sich auf dem Wasser verspüren – die See war wie ein Spiegel, das Schiff trat mit immer mehr Bestimmtheit hervor, bis sich endlich sein Rumpf, seine Masten und Raaen deutlich unterscheiden ließen. Die drei Männer sahen hin und rieben sich die Augen, denn sie konnten kaum ihren Sinnen trauen. Im Mittelpunkte des blassen Lichtes, das sich etwa fünfzehn Grade über dem Horizont erhob, etwa drei Meilen entfernt, befand sich in der That ein großes Schiff, das aber trotz der vollkommenen Windstille mit einer gewaltigen Bö zu kämpfen schien, indem es sich bald über die spiegelglatte Fläche erhob, dann wieder niederstürzte und sich auf's Neue aufrichtete. Mars- und Hauptsegel waren beschlagen und die Raaen zum Winde gerichtet; es hatte kein weiteres Segel gesetzt, als das dicht gereffte Focksegel, ein Sturmstagsegel und im Hinterschiffe ein Schnausegel. Es kam nur wenig im Wasser vorwärts, obgleich es von der Gewalt der Bö getrieben, rasch näher zu rücken schien und mit jeder Minute dem Auge deutlicher wurde. Endlich sah man es vieren, und während dies geschah, noch ehe der Wind für einen andern Gang gefangen war, kam es so nahe an den Schilling heran, daß man die Leute an Bord unterscheiden konnte. Das Wasser schäumte vor den Bugen her; man hörte den schrillen Ton der Bootsmannspfeifen, das Krachen des Schiffsgebälks, das Aechzen der Masten; dann aber steigerte sich allmälig das Dunkel und in wenigen Sekunden war das Schiff völlig verschwunden.

»Gott im Himmel!« rief Mynheer Kloots.

Philipp fühlte eine Hand auf seiner Schulter, und eine Eiseskälte durchzuckte seinen ganzen Körper. Er wandte sich um, und begegnete dem einzigen Auge Schriftens, der ihm in's Ohr kreischte –

»Philipp Vanderdecken, das ist der fliegende Holländer.«


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