Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Achtzehntes Kapitel.

Die Flotte unter Admiral Rymelandt's Kommando hatte den Auftrag, vermittelst einer westlichen Fahrt durch die Magelhaens-Straße nach Ostindien zu ziehen, denn trotz der früheren fehlgeschlagenen Versuche glaubte man, daß diese Route mit weniger Hindernissen verbunden sei und die Reise nach den Gewürzinseln in kürzester Frist möglich mache.

Die Fahrzeuge, aus denen die Flotte bestand, waren das mit vierundzwanzig Kanonen versehene Admiralsschiff, »der Löwe,« das Schiff des Kommodore, der »Dort« geheißen, mit sechsunddreißig Kanonen, auf welchem Philipp angestellt war, die »Zuyder Zee« mit zwanzig, die »junge Frau« mit zwölf und der »Schevelling«, eine Kedsch, mit vier Geschützstücken.

Die Mannschaft der Vrow Katharine wurde zwischen die beiden größeren Schiffe getheilt, da sich die kleineren mit weniger Händen lenken ließen. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, wurden die Boote aufgehißt und die Schiffe begannen auf's Neue ihre Fahrt. Zehn Tage lang wurden sie durch leichte Winde geneckt, und die Opfer des Scharbocks erhielten an Bord des Dort einen beträchtlichen Zuwachs. Viele starben und wurden über Bord geworfen, während wieder Andere nach den Hängematten gebracht werden mußten.

Der neuernannte Kommodore, der Avenhorn hieß, ging an Bord des Admiralschiffs, um die Sachlage zu berichten und, Philipps Weisung gemäß, den Vorschlag zu machen, daß sie an der Küste von Südamerika landen und versuchen sollten, ob es ihnen nicht durch Bestechung oder Gewalt gelänge, von den Spaniern oder den Eingeborenen frischen Mundvorrath zu erhalten. Hievon wollte jedoch der Admiral nichts hören. Er war ein befehlshaberischer, kühner und starrköpfiger Mann, der sich durch keine Gründe überzeugen lassen wollte und kein Mitgefühl für die Leiden Anderer besaß. Jedem Rathe feind, verwarf er augenblicklich einen Vorschlag, der, wenn er in ihm selbst seinen Ursprung genommen hätte, wahrscheinlich auf der Stelle befolgt worden wäre, und der Kommodore kehrte nicht nur mit getäuschten Hoffnungen, sondern auch höchlich entrüstet über die gegen ihn gebrauchte Sprache an den Bord seines Schiffes zurück.

»Was können mir thun, Kapitän Vanderdecken? Ihr kennt unsere Lage zu gut – es ist unmöglich, noch lange die See zu halten, und wenn wir's thun, müssen wir das Schiff auf Gnade und Ungnade den Wellen überlassen, während die Mannschaft einen elenden Tod in ihren Hängematten stirbt. Wir haben jetzt nur noch vierzig Mann, die in zehn Tagen wahrscheinlich auf zwanzig verkürzt sind, denn je strenger die Arbeit wird, desto schneller schwinden uns die Leute dahin. Wäre es nicht besser, unser Leben in einem Kampfe mit den Spaniern zu wagen, als daß wir hier wie kranke Schafe dahinsterben?«

»Ich bin vollkommen Eurer Ansicht, Kommodore,« antwortete Philipp; »aber wir müssen der Ordre Gehorsam leisten. Der Admiral ist ein unbeugsamer Mann.«

»Und ein Grausamer obendrein. Ich habe gute Lust, ihn diese Nacht noch zu verlassen, und wenn er mir eine Schuld aufbürdet, werde ich mich nach meiner Rückkehr wohl vor den Direktoren zu rechtfertigen wissen.«

»Handelt nicht übereilt – vielleicht wird er doch die Nothwendigkeit einsehen, Eurem Rathe zu folgen, wenn er findet, daß seine eigene Mannschaft mit jedem Tage mehr und mehr geschwächt wird.«

Eine weitere Woche entschwand und die Flotte war nur wenig vorwärts gekommen. Die Krankheit hatte in jedem Schiffe ernstlichere Verheerungen angerichtet, und auf dem Dort befanden sich, wie der Kommodore vorausgesagt hatte, nur noch zwanzig dienstfähige Matrosen. Aber auch das Admiralschiff und die übrigen Fahrzeuge hatten in gleichem Grade gelitten. Der Kommodore begab sich deßhalb auf's Neue an Bord, um seinen Vorschlag zu wiederholen.

Admiral Rymelandt war nicht nur ein finsterer, sondern auch ein tückischer Mann. Er sah wohl die Zweckmäßigkeit des vom zweiten Befehlshaber angedeuteten Rathes ein, mochte ihm aber keine Folge geben, da er ihn schon einmal zurückgewiesen hatte. Zugleich faßte er einen Groll gegen den Kommodore, dessen Vorschlag er entweder annehmen, oder auf die Schritte verzichten mußte, die doch so nothwendig für die Erhaltung seiner Mannschaft und für den Erfolg der Reise waren. Zu stolz, um seinen Irrthum einzugestehen, gab er abermals eine entschieden abschlägige Antwort, und der Kommodore ging nach seinem Schiffe zurück. Die Flotte war damals etwa drei Tagereisen von der Küste entfernt und steuerte südlich nach der Straße von Magelhae. In derselbigen Nacht aber, sobald sich Philipp nach seiner Hängematte begeben hatte, erschien der Kommodore auf dem Verdeck und befahl, daß der Kurs des Schiffes um einige Striche westwärts geändert werden solle. Die Nacht war sehr dunkel, und da nur der Löwe eine Laterne auf der Hütte führte, so wurde das Entweichen des Dorts weder von dem Admirale noch von den übrigen Schiffen der Flotte bemerkt. Als Philipp am andern Morgen auf dem Decke erschien, fand er, daß die Geleitsschiffe außer Sicht waren. Er blickte auf den Kompaß, bemerkte die Aenderung des Kurses und fragte, wann und auf wessen Geheiß dies geschehen sei. Gegen die Maßregel seines vorgesetzten Offiziers konnte er natürlich nichts einwenden, und als der Kommodore auf dem Decke erschien, theilte dieser unserem Helden mit, er habe sich für befugt gehalten, den Befehlen des Admirals nicht zu entsprechen, da er dadurch nur die ganze Schiffsmannschaft geopfert haben würde – ein Grund, mit dem es allerdings seine volle Richtigkeit hatte.

Nach zwei Tagen trafen sie Land an, und als sie auf die Küste zuliefen, bemerkten sie eine große Stadt und Spanier an dem Gestade. Sie ankerten an der Mündung eines Flusses und entfalteten die englische Flagge, worauf ein Boot heran kam, um zu fragen, wer sie wären und was sie verlangten. Der Kommodore kannte den Haß der Spanier gegen die Holländer und wußte wohl, daß er, wenn der Charakter seines Schiffes bekannt würde, nur durch Gewalt Mundvorrath zu erlangen hoffen durfte; er bezeichnete daher sein Fahrzeug als ein englisches Schiff, das mit einem gestrandeten Spanier zusammengetroffen sei und die vom Scharbock behaftete Mannschaft desselben an Bord genommen habe, weil er es für grausam gehalten, so Viele seiner Mitmenschen zu Grunde gehen zu lassen; die Kranken lägen in der Hängematte, und er selbst sei von seinem Kurse so weit abgewichen, um sie an dem ersten spanischen Fort an's Land zu setzen. Dann bat er, man möchte doch unverweilt Gemüse und frischen Mundvorrath für die Patienten an Bord schicken, da dieselben nur unter Lebensgefahr gelandet werden könnten, wenn sie nicht zuvor einige Tage durch kräftige Nahrung gestärkt wären; auch hoffe er, der Gouverneur werde zum Dank für die Beihülfe, welche man seinen Landsleuten geleistet habe, die Mannschaft des Schiffes nicht vergessen.

Dieses wohlersonnene Mährlein wurde durch den Offizier, den der spanische Gouverneur an Bord geschickt hatte, bestätigt. Man forderte ihn nämlich auf, hinunterzugehen und die Kranken zu besichtigen; der Anblick so vieler armen Teufel im entwickeltsten Stadium dieser furchtbaren Krankheit – die Zähne ausgefallen, das Zahnfleisch geschwürig, die Körper voll Beulen und Schwären – Alles dies reichte zu; er eilte von dem unteren Decke herauf, als wäre es ein Beinhaus, begab sich hastig an's Ufer und erstattete seinen Bericht.

In zwei Stunden langte ein großes Boot mit frischem Rindfleisch und grünen Gemüsen an, welche die Bedürfnisse der Schiffsmannschaft für drei Tage befriedigen konnten und alsbald unter die Leute vertheilt wurden. Der Kommodore schrieb einen Danksagungsbrief, indem er das Unterlassen eines persönlichen Besuches mit Unpäßlichkeit entschuldigte, und fügte eine Liste der angeblich an Bord befindlichen Spanier bei, unter denen er einige Offiziere und angesehene Leute namhaft machte, die, wie er glaubte, mit der Familie des Gouverneurs verwandt sein konnten, denn er hatte den Namen und den Titel des Letzteren von den an Bord geschickten Boten erfahren. Der Holländer kannte nämlich die Mehrzahl der spanischen Adelsfamilien gut und wußte wohl, daß vor der Unabhängigkeitserklärung der transatlantischen Provinzen häufige Heirathsverbindungen zwischen den Granden der alten und neuen Welt stattfanden. Der Kommodore schloß seinen Brief mit der Hoffnung, er werde in ein paar Tagen im Stande sein, dem Gouverneur persönlich seine Hochachtung zu bezeugen und die Kranken an's Land zu schicken, da er sehnlichst verlange, seine Entdeckungsreise fortzusetzen.

Am dritten Tage wurde frischer Mundvorrath an Bord geschafft, und bald darauf begab sich der Kommodore in englischer Uniform an's Ufer, um dem Gouverneur seine Aufwartung zu machen; er erstattete ihm einen ausführlichen Bericht über die angeblichen Leiden der Geretteten und wurde mit ihm einig, daß sie nach zwei Tagen an's Land gebracht werden sollten, da sie nach dieser Zeit wohl genug sein dürften, um fortgeschafft werden zu können. Nach vielen Komplimenten kehrte er wieder an Bord zurück. Der Gouverneur gab ihm seine Absicht zu erkennen, am andern Tage, falls das Wetter nicht zu ungünstig sei, seinen Besuch zu erwidern – ein Versprechen, das er jedoch erst am dritten Tage einhielt. Dies war es übrigens gerade, was der Kommodore wünschte.

Wohl keine Krankheit ist so furchtbar oder so rasch in ihren Wirkungen auf den menschlichen Körper, zugleich aber auch so schnell wieder gezügelt, als der Scharbock, im Falle das Gegenmittel beigeschafft werden kann. Wenige Tage waren hinreichend, um diejenigen, welche sich nicht einmal in ihren Hängematten umdrehen konnten, zu ihrer früheren Kraft wieder herzustellen. Im Laufe der genannten sechs Tage war fast sämmtliche Mannschaft des Dort reconvalescent und im Stande, auf dem Decke umherzugehen, obgleich von einer völligen Kur noch keine Rede war. Der Kommodore erwartete die Ankunft des Gouverneurs und empfing ihn mit allen gebührenden Ehren, erklärte ihm aber, sobald er seinen Gast in der Kajüte hatte, mit großer Höflichkeit, daß er und alle seine Offiziere Gefangene seien; denn das Fahrzeug sei ein holländisches Kriegschiff und nicht Spanier, sondern seine eigenen Leute hätten am Skorbut fast auf den Tod krank gelegen. Dieser Erklärung fügte er jedoch die tröstliche Bemerkung bei, er habe es für passender gehalten, sich durch diese Kriegslist, als durch Gewalt, die auf beiden Seiten viele Leben gekostet haben würde, den nöthigen Mundvorrath zu verschaffen. Seiner Excellenz Gefangenschaft werde daher nicht länger dauern, als bis er eine hinreichende Zahl lebendiger Ochsen und frischer Pflanzenstoffe an Bord habe, um die Wiederherstellung seiner Leute zu vervollständigen – in der Zwischenzeit aber solle ihm nicht die mindeste Unbill zu Theil werden. Der spanische Gouverneur blickte zuerst auf den Kommodore, dann auf die Reihe gewaffneter Männer an der Kajütenthüre und endlich auf die ziemlich entfernte Stadt; dabei mochte er auch die Möglichkeit in's Auge fassen, daß er mit in die See hinausgenommen werden könnte. In Erwägung aller dieser Punkte und in Anbetracht des mäßigen Lösegeldes, welches verlangt wurde, da in jener Gegend ein Ochse blos mit einem Dollar bezahlt wird, beschloß er, aus der Noth eine Tugend zu machen und sich in die Bedingung des Kommodore zu fügen. Er ließ sich Feder und Tinte reichen und schrieb einen Befehl, daß man unverweilt das Geforderte an Bord bringe. Noch vor Sonnenuntergang wurden die Stiere und Gemüse herbeigeschafft. Sobald die belasteten Boote neben dem Dort lagen, geleitete der Kommodore seinen vornehmen Gefangenen unter vielen Verbeugungen und Dankesergüssen nach der Laufplanke und bekomplimentirte ihn noch, wie bei seiner Ankunft, mit einem Salvo des großen Geschützes. Die Leute an der Küste meinten, Se. Excellenz habe einen langen Besuch gemacht; da er aber nicht zugestehen mochte, daß er sich hatte hinter's Licht führen lassen, so durfte, wenigstens in seinem Beisein, die Sache nicht zur Sprache gebracht werden, obgleich sie bald allgemein ruchbar wurde.

Nachdem die Boote geleert waren, lichtete der Kommodore die Anker und stach in die See, wohl zufrieden, daß er auf diese Weise die Rettung seiner Schiffsmannschaft hatte bewerkstelligen können. Für den Fall einer Trennung der Flotte waren die Falklandsinseln zum Sammelplatze bestimmt worden. Nach vierzehn Tagen langte er daselbst an, ohne jedoch den Admiral vorzufinden. Seine Mannschaft war jetzt wieder völlig genesen und sein frisches Fleisch noch nicht ganz verbraucht, als sich endlich der Löwe und die drei anderen Schiffe in offener See blicken ließen. Es schien, daß der Admiral unmittelbar nach der Entweichung des Dort von dem Rathe des Kommodore Gebrauch gemacht hatte und auf die Küste zugelaufen war, ohne jedoch so glücklich zu sein, wie sein untergeordneter Offizier. Er hatte nämlich von allen vier Fahrzeugen eine gewaffnete Macht an's Land geworfen und zwar einige Stücke Vieh erbeutet, dabei aber ebenso viele Leute verloren. Zugleich sammelten sie eine große Menge unterschiedlicher Vegetabilien, die sie an Bord brachten und mit gutem Nutzen unter die Kranken vertheilten, welche allmälig wiedergenasen. Sobald der Admiral Anker geworfen hatte, beschied er durch ein Signal den Kommodore an Bord und nahm ihn wegen seines Ungehorsams in's Verhör. Der Kommodore zog nicht in Abrede, daß er die Flotte absichtlich verlassen habe, entschuldigte sich aber mit der Notwendigkeit und erbot sich, nach der Rückkehr die ganze Sache dem Direktorenhofe vorzulegen. Der Admiral war jedoch mit der ausgedehntesten Gewalt bekleidet und hatte das Recht, nicht nur jede Person, die sich der Meuterei und Insubordination schuldig machte, vor Gericht zu stellen, sondern auch zu verurtheilen und zu strafen. Er ließ daher den Kommodore in Eisen legen und unter das Halbdeck bringen.

Sodann wurden sämmtliche Kapitäne zusammenberufen, unter denen sich natürlich auch Philipp befand. Nachdem sie an Bord des Löwen eingetroffen waren, hielt der Admiral ein summarisches Kriegsgericht und bewies durch seine Instruktionen, daß er zu einem derartigen Schritte ermächtigt sei. Das Ergebniß des Gerichtes konnte nur ein einziges sein – Verurtheilung wegen Ungehorsams, welche Philipp, sehr gegen seinen Willen, mit Unterzeichnung seines Namens bekräftigen mußte. Der Admiral ernannte sodann unsern Helden zum Zweiten im Kommando, mit dem Wimpel des Kommodore – sehr zum Verdrusse der Kapitäne auf den übrigen Schiffen – obschon er in diesem Schritte sein gesundes Urtheil erwies, da keiner der Letzteren der Aufgabe so gewachsen war, wie Philipp. Nachdem dies geschehen war, wurden die Offiziere entlassen. Philipp hätte gerne den vormaligen Kommodore gesprochen, wurde aber durch die Schildwache daran gehindert, weil ihr dies durch die Ordre verboten war; unser Held sah sich daher genöthigt, den Gefangenen zu verlassen, indem er ihn nur mit einem freundlichen Kopfnicken begrüßen durfte. Die Flotte blieb drei Wochen an den Falklandsinseln, um die Mannschaft sich erholen zu lassen. Frisches Ochsenfleisch war nicht zu haben, dagegen aber ein reichlicher Vorrath von Skorbutkraut und Pinguinen. Letztere Vögel fanden sich an einzelnen Stellen der Insel myriadenweise, und die Stellen, wo sie aus Schlamm ihre Nester bauten, wurden Städte genannt. Sie saßen da dicht bei einander auf einer graslosen Fläche, bebrüteten ihre Eier und zogen ihre Jungen auf. Die Matrosen konnten sich hier Eier und Vögel auswählen, so viel sie nur wollten, denn die Zahl war so ungeheuer, daß nach einer sehr ergiebigen Jagd auch nicht die geringste Verminderung bemerklich wurde. Diese Nahrung wollte zwar dem Gaumen der Seeleute auf die Dauer nicht sonderlich behagen, hatte aber doch die Wirkung, ihre Gesundheit wieder herzustellen, und ehe die Flotte wieder aussegelte, war auch nicht ein einziger Skorbutkranker mehr an Bord.

In der Zwischenzeit verblieb der Kommodore fortwährend in Fesseln, und man trug sich mit unterschiedlichen Muthmaßungen über sein endliches Schicksal. Es war zwar bekannt, daß der Admiral Gewalt über Leben und Tod hatte, aber dennoch glaubte Niemand, daß er seine Vollmacht gegen einen Delinquenten von so hohem Range ausüben könnte. Die übrigen Kapitäne hielten sich von Philipp fern, weßhalb derselbe die allgemeine Stimmung nur wenig kannte. An Bord des Admiralschiffes wagte er es hin und wieder, die Frage zur Sprache zu bringen, wurde aber augenblicklich zum Schweigen verwiesen; auch mochte er nicht durch Zudringlichkeit dem vormaligen Kommodore, gegen den er eine hohe Achtung hegte, schaden. Endlich segelte die Flotte nach der Magelhaensstraße ab, ohne daß Jemand eine Ahnung hatte, auf was es mit dem Kriegsgerichte hinauslaufen möchte. Vierzehn Tage nach dem Aufbruche von den Falklandsinseln langten sie in der Meerenge an. Der Wind war anfangs günstig und sie legten die Hälfte der Straße zurück; dann aber hatten sie nicht nur mit Gegenwind, sondern auch mit einer widrigen Strömung zu kämpfen, und sie verloren mit jedem Tage mehr von ihrem Grunde. In Folge der Anstrengung und der Kälte begannen auch die Matrosen zu erkranken. Ob nun der Admiral schon früher seinen Entschluß gefaßt hatte, oder ob ihn die fruchtlosen Bemühungen zur Fortsetzung der Reise aufbrachten, wissen wir nicht zu sagen; wir beschränken uns daher auf die Angabe, daß er nach einem dreiwöchentlichen vergeblichen Kampfe gegen Wind und Strömungen beilegte, sämmtliche Kapitäne an Bord beschied und nun die Bestrafung des Gefangenen zur Sprache brachte: derselbe sollte nämlich maronirt, das heißt mit eintägigem Mundvorrathe an einem Lande ausgesetzt werden, wo ihm alle Mittel benommen waren, seinen Unterhalt zu fristen, er also eines elendiglichen Hungertodes sterben mußte. Dieß war eine Bestrafung, welche in jener Periode, so viel aus den damaligen Reiseberichten erhellt, von den Holländern häufig in Anwendung gebracht wurde, obgleich sie wohl selten oder nie an einem Manne vollstreckt wurde, der den hohen Rang eines Commodore bekleidete.

Philipp protestirte augenblicklich dagegen, und Krantz folgte seinem Beispiele, obgleich beide recht wohl wußten, daß sie sich dadurch den Admiral zum Feinde machten; die übrigen Kapitäne jedoch, welche die beiden Fremdlinge mit eifersüchtigem Auge und als Hemmsteine für ihr eigenes Avancement betrachteten, schlugen sich auf die Seite des Oberbefehlshabers. Aber trotz dieser Majorität hielt es Philipp für seine Pflicht, Vorstellungen zu machen.

»Ihr wißt wohl, Admiral,« sagte er, »daß ich die Verurtheilung wegen Ungehorsams mitunterzeichnete; demungeachtet aber sind wichtige Milderungsgründe vorhanden. Er wich von seiner Ordre ab, um seine Schiffsmannschaft zu retten, und hat dabei richtig geurtheilt, wie Ihr selbst bewiesen habt, indem Ihr die gleiche Maßregel im Interesse Eurer Leute in Anwendung brachtet. Straft daher ein Vergehen, das jedenfalls zweifelhaft erscheint, nicht mit solcher Grausamkeit, und überlaßt die Entscheidung der Compagnie, indem Ihr den Gefangenen alsbald nach Eurer Ankunft in Indien nach Hause schickt. Durch den Verlust seines Commando's ist er hinreichend gestraft, und was Ihr ihm weiter auferlegt, wird man mehr dem Gefühle der Rachsucht, als dem Gerechtigkeitssinne zuschreiben. Außerdem, welches Glück können wir hoffen, wenn wir einen derartigen barbarischen Akt begehen, und wie dürfen wir erwarten, die Vorsehung werde uns gegen Wind und Wellen schützen, wenn wir also gegen uns selber wüthen?«

Philipps Gründe fruchteten jedoch nichts. Der Admiral befahl ihm, an Bord seines Schiffes zurückzukehren, und würde ihn wohl auch seines Commando's beraubt haben, wenn er dafür einen beschönigenden Vorwand hatte auffinden können. Dies ging übrigens nicht wohl an, obschon Philipp bald entdeckte, daß der Admiral von Stunde an sein Todfeind war. Der Kommodore wurde seiner Fesseln entledigt und nach der Kajüte gebracht, wo man ihm sein Urtheil verkündete.

»Sei es drum, Admiral,« versetzte Avenhorn, »denn ich weiß wohl, daß es Nichts nützen würde, Euch von Eurem vorgefaßten Entschlusse abbringen zu wollen. Nicht wegen Ungehorsams gegen die Befehle werde ich gestraft, sondern weil ich durch mein Abweichen von der Ordre Euch auf Eure Pflicht aufmerksam machte – auf eine Pflicht, zu der Euch später die Nothwendigkeit zwang. Wie dem übrigens sein mag, laßt immerhin mich auf diesem schwarzen Felsen ohne Rettung zu Grunde gehen und meine Gebeine bleichen in dem kalten Sturmwinde, der über die Oede hinsaust; aber hört auf meine Worte, grausamer und rachsüchtiger Mann! Ich werde nicht der Einzige sein, der hier vermodert, und ich prophezeie Euch, daß viele Andere mein Geschick theilen werden. Ja, wenn ich nicht sehr irre, Admiral, so werdet Ihr auch unter die Zahl derjenigen gehören, die an meiner Seite liegen.«

Der Admiral antwortete nicht, sondern deutete nur durch ein Zeichen an, daß der Gefangene entfernt werden solle. Er hielt dann eine Berathung mit den Kapitänen der drei kleineren Schiffe, und da Letztere durch das schwere Segeln des Löwen aufgehalten worden waren, desgleichen der Dort von Philipp kommandirt wurde, so entschied er, daß die Schiffe sich trennen und so schnell als möglich nach Indien vorrücken, zuvor aber allen ihren entbehrlichen Mundvorrath an die größeren Schiffe abtreten sollten, die bereits Noth zu leiden begannen.

Nach Entfernung des Gefangenen hatte Philipp mit Krantz die Kajüte verlassen. Unser Held schrieb nun ein paar Zeilen auf einen Papierstreifen, des Inhalts: »Wenn Ihr an's Land gesetzt seid, so verlaßt die Küste nicht, bis Ihr die Schiffe aus dem Gesicht verloren habt,« bat sodann Krantz, die Gelegenheit zu ersehen, um das Billet dem Kommodore zuzustecken, und kehrte an Bord seines Schiffes zurück.

Als die Matrosen des Dort von der Strafe hörten, welche ihrem alten Befehlshaber zuerkannt worden war, geriethen sie ganz außer sich. Sie fühlten, daß er sich selbst zum Opfer gebracht hatte, um sie zu retten, und murrten über die Grausamkeit des Admirals.

Etwa eine Stunde nach Philipps Rückkehr zu seinem Schiffe wurde der Gefangene an's Land geschickt und mit einem Mundvorrath für zwei Tage an der öden Felsenküste ausgesetzt. Kein Kleidungsstück außer seinem gewöhnlichen Anzuge, und ebensowenig die Werkzeuge, um sich Licht zu schlagen, wurden ihm zugestanden. Das Boot fuhr wieder ab, und die Leute durften ihm nicht einmal Lebewohl sagen.

Wie Philipp erwartet hatte, blieb die Flotte liegen; der überflüssige Mundvorrath der kleineren Schiffe wurde an die größeren geschafft, und die Verkehrungen nahmen erst mit Einbruch der Nacht ihr Ende. Diese Gelegenheit durfte man nicht verlieren. Philipp wußte zwar wohl, daß er gesetzwidrig handelte, kehrte sich jedoch nicht daran, denn er glaubte, seine Schritte würden nicht zum Ohr des Admirals gelangen, da die Mannschaft des Dorts sowohl ihm als dem Kommodore sehr zugethan war. Er trug einem Seemann, auf den er bauen konnte, auf, ein paar Musketen, eine Quantität Munition, mehrere Decken und unterschiedliche andere Gegenstände, desgleichen auch Mundvorrath für zwei oder drei Monate in eines der Boote zu schaffen, dann aber im Schutze der Nacht an's Ufer zu rudern. Die Männer, welchen diese Sendung übertragen wurde, trafen den Kommodore an der Küste und versahen ihn mit dem Nothwendigsten, worauf sie nach ihrem Schiffe zurückkehrten, ohne daß der Admiral auch nur die mindeste Ahnung von dem Geschehenen gehabt hätte. Bald nachher brach die Flotte bei einem Winde auf, die Schnäbel von der Küste abgekehrt. Am anderen Tage trennten sich die kleineren Schiffe von ihren Begleitern, hatten mit Sonnenuntergang schon viele Meilen windwärts gewonnen und wurden dann nicht mehr gesehen.

Der Admiral hatte Philipp rufen lassen, um ihm seine Instruktionen zu ertheilen; sie waren sehr streng und augenscheinlich darauf berechnet, dem Oberbefehlshaber mit der Zeit einen beschönigenden Grund zu bieten, unsern Helden seines Kommandos zu berauben. Unter anderem lautete die Ordre, der Dort solle, da er viel weniger Wassertracht habe, als das Admiralschiff, im Laufe der Nacht voraussegeln, damit er dem Admirale in Zeiten Nachricht ertheilen könne, wenn sie auf der Durchfahrt in zu seichtes Wasser geriethen. Diese Auflage gab Anlaß, daß Philipp stets auf dem Decke war, sobald sie sich auf irgend einer Seite zu weit dem Lande näherten. In der zweiten Nacht nach der Trennung der Flotte wurde Philipp auf's Deck berufen, weil sie sich der Küste von Feuerland näherten. Er sah eben zu, wie der Mann in den Puttingen das Loth auswarf, als ihm der Offizier der Wache meldete, daß das Admiralschiff vorn und nicht in ihrem Sterne sei. Philipp fragte, wann es an ihnen vorbei gekommen sei, konnte aber keine Auskunft darüber erhalten, weßhalb er sich nach dem Vorderschiffe begab und daselbst das Admiralschiff mit seinem Hüttenlichte entdeckte, das, wenn sich der Löwe im Stern befand, nicht sichtbar war.

»Was mag das zu bedeuten haben?« dachte Philipp. »Ist der Admiral vielleicht vorausgeschossen, um mir eine Vernachlässigung meines Dienstes zur Last legen zu können? Es muß wohl so sein. Je nun, thue er, was ihm beliebt; er muß jetzt warten, bis wir in Indien anlangen, denn ich werde nicht zugeben, daß er mich gleichfalls maronirt; auch möchte ich fast glauben, daß ich mit meinen bedeutenden Aktien einen größeren Einfluß auf die Compagnie habe, als er. Gut; da er es für passend gehalten hat, voraus zu fahren, so habe ich Nichts zu thun, als zu folgen – ihr könnt aus den Puttingen wieder heraufkommen,« rief er dem Mann mit dem Lothe zu.

Philipp segelte vorwärts. Der Löwe war jetzt, dem Anscheine nach, in großer Landnähe, obschon sich in der Dunkelheit nicht viel unterscheiden ließ, und setzte zu Philipps großem Erstaunen seinen Kurs fort, denn Letzterer glaubte bereits die Küste durch die Finsterniß zu unterscheiden. Seine Augen waren ohne Unterlaß auf das vorne segelnde Schiff gerichtet, und er erwartete jeden Augenblick, daß es umwenden würde; dies geschah übrigens nicht, denn das Admiralschiff setzte seinen Kurs fort und Philipp folgte ihm mit seinem eigenen Fahrzeuge.

»Wir sind sehr nahe am Lande, Herr,« bemerkte der Lieutenant Van der Hagen, welcher die Wache hatte.

»So scheint mir's, der Admiral aber noch mehr, obschon er tiefer im Wasser geht, als wir,« versetzte Philipp.

»Ich meine die Felsen neben den Leespieren zu sehen, Herr.«

»Ihr habt, glaube ich, Recht,« entgegnete Philipp. »Ich kann dies nicht begreifen. Hurtig um und eine Kanone in Bereitschaft gehalten. Verlaßt Euch darauf, sie glauben, wir seien ihnen voraus.«

Philipp hatte kaum diesen Befehl ertheilt, als das Schiff schwer auf den Klippen aufstieß. Unser Held lief nach hinten und fand, daß das Steuer losgebrochen war, während der Dort unbeweglich aufsaß. Seine Gedanken kehrten sodann zu dem Admiralschiffe zurück. War es vielleicht am Lande? Er eilte nach vorne; aber der Admiral segelte noch immer mit seinem Hüttenlichte in der Entfernung von ungefähr zwei Kabellängen voraus.

»Feuert die Kanone ab,« rief Philipp über die Maßen verwirrt. –

Das Geschütz wurde gelöst und alsbald folgte das Blitzen und der Knall einer andern Kanone dicht im Stern des Dort. Philipp sah erstaunt über die Windvierung und bemerkte das Admiralschiff dicht hinter sich, augenscheinlich gleichfalls an der Küste.

»Barmherziger Himmel!« rief Philipp, nach dem Vorderschiffe stürzend, »was kann dies sein?«

Er schaute nach dem andern Schiffe, das noch immer mit seinem Lichte voraus segelte und immer weiter abkam. Der Tag dämmerte, und es war nun zureichend Licht vorhanden, um das Land zu unterscheiden. Der Dort befand sich auf fünfzig Ellen in Küstennähe und war rings von hohen, zackigen Felsen umgeben; und doch segelte das vordere Schiff immer weiter, scheinbar über das Land hin. Die Matrosen sammelten sich in der Back und sahen dem wunderbaren Phänomen nach, das sich weiter und weiter aus ihrem Gesichtskreise zog.

»Bei Allem, was heilig ist, das ist der fliegende Holländer!« rief Einer von den Matrosen, von der Kanone herunterspringend.

Kaum hatte der Mann diese Worte ausgesprochen, als das Schiff mit einemmale verschwand.

Philipp fühlte sich von der Wahrheit dieses Ausrufs überzeugt und begab sich in einem sehr verstörten Zustande nach dem Hinterdecke. Seines Vaters verhängnißvolles Schiff hatte sie also in den wahrscheinlichen Untergang gelockt. Er wußte kaum, wie er handeln sollte. Dem Zorn des Admirals wollte er nicht augenblicklich entgegentreten, weßhalb er den Offizier der Wache beauftragte, das Boot mit Leuten zu bemannen, welche seine Behauptung bekräftigen könnten, und auf das Admiralschiff zu gehen, um daselbst über das Vorgefallene Bericht zu erstatten.

Sobald das Boot abgefahren war, verwandte Philipp seine Aufmerksamkeit auf den Zustand seines eigenen Schiffes. Es war heller geworden, und Philipp bemerkte jetzt, daß sie zwischen zwei Riffen, die sich eine halbe Meile weit in die See herein erstreckten, auf den Strand gelaufen waren.

Durch Sondiren entdeckte er, daß der Dort von vorn nach hinten aufgesessen war und nicht zu erwarten stand, daß er los kommen könne, wenn er nicht erleichtert würde. Als sich unser Held umwandte, entdeckte er, daß sich das Admiralschiff in einer eben so traurigen, wo nicht schlimmeren Klemme befinde, da die Felsen im Lee über das Wasser hervorragten und den Löwen in eine viel schlimmere Lage versetzten, im Falle ungestüm Wetter eintrat. Vielleicht gab es nie einen traurigeren und ertödtenderen Anblick – eine dunkle, winterliche See – ein mit schweren Wolken behangener Himmel – der Wind kalt und schneidend – die ganze Küstenlinie eine einzige Masse kahler Felsen ohne die geringste Spur einer Vegetation! Das Binnenland bot einen eben so trübseligen Anblick, und die höheren Punkte waren mit Schneekappen bedeckt, obgleich es nicht Winter war. Als Philipp das Auge an der Küste hingleiten ließ, bemerkte er nicht vier Meilen leewärts die Stelle, wo der Kommodore ausgesetzt worden war; so geringe Fortschritte hatten sie im Laufe der Nacht gemacht.

Zuverlässig ist dies eine Strafe seiner Grausamkeit! dachte Philipp, und die Prophezeihung des armen Avenhorn wird sich erwähren – »mehr Gebeine, als die seinigen, sollen auf diesen Felsen bleichen.« Er wandte sich wieder nach der Stelle um, wo das Admiralschiff am Ufer lag und fuhr plötzlich zusammen, denn er gewahrte jetzt einen Anblick, grauenhafter, als Alles, was ihm je vorgekommen – den Körper Van der Hagens, des Offiziers, welchen er auf das Admiralschiff geschickt hatte, der an der großen Nocke baumelte.

»Mein Gott, ist es möglich!« rief Philipp voll Entrüstung und Schmerz auf den Boden stampfend.

Das Boot kehrte an Bord zurück, und unser Held sah seiner Ankunft mit Ungeduld entgegen. Die Matrosen eilten herauf und meldeten Philipp athemlos, der Admiral habe, sobald er den Rapport des Lieutenants gehört, und von ihm vernommen, daß er der wachhabende Offizier gewesen sei, Befehl ertheilt, ihn zu hängen; sie seien beauftragt, dem Kommandeur des Dort zu melden, daß er augenblicklich an Bord zu erscheinen habe; auch hätten sie gesehen, wie ein weiteres Tau an der anderen Nocke befestigt worden sei.

»Aber nicht für Euch, Herr,« riefen die Matrosen; »das darf nicht geschehen. Ihr sollt nicht auf das Admiralschiff, und wir wollen Euch mit unserem Leben vertheidigen.«

Die ganze Schiffsmannschaft äußerte sich in derselben Weise und erklärte, daß sie entschlossen sei, dem Admiral Widerstand zu leisten. Philipp dankte ihnen freundlich und versicherte ihnen, daß er gar nicht daran denke, an Bord zu gehen, ersuchte sie aber zugleich, sie möchten sich ruhig verhalten, bis man gewiß wisse, welche Schritte der Admiral einzuschlagen beabsichtige. Dann ging er nach seiner Kajüte hinunter, um zu überlegen, was weiter zu thun sei. Während er zu dem Sternfenster hinausschaute und die Leiche des jungen Mannes noch immer im Winde schwingen sah, wünschte er fast, an der Stelle des Todten zu sein, damit doch sein widriges Geschick einmal zu Ende wäre; dann aber dachte er an Amine und fühlte, daß er um ihretwillen noch zu leben wünschte. Daß das Geisterschiff ihn in den Untergang gelockt hatte, wurde ihm gleichfalls zu einer Quelle tiefen Schmerzes. Mit an die Schläfen gedrückten Händen stellte er Betrachtungen an. »Doch es ist meine Bestimmung«, dachte er endlich, »und der Wille des Himmels muß geschehen; denn ohne dessen Zulassung hätten wir nicht also getäuscht werden können.« Dann faßte er wieder seine gegenwärtige Lage in's Auge.

Es war unläugbar, daß der Admiral durch das Bluturtheil über den jungen Mann seine Vollmacht überschritten hatte, denn obgleich ihm seine Instruktionen Macht über Leben und Tod ertheilten, sollte eine Hinrichtung doch nur in Folge des vereinten Spruches der Flottenkapitäne vollstreckt werden können. Unser Held fühlte sich daher zum Widerstande berechtigt, obgleich ihn der Gedanke schwer beunruhigte, daß er hiedurch vielleicht zu vielem Blutvergießen Anlaß gab. Während er noch über seine weiteren Schritte mit sich zu Rathe ging, wurde ihm gemeldet, daß ein Boot von dem Admiralschiffe abgestoßen sei. Unser Held begab sich auf das Deck, um den Offizier zu empfangen, der die Befehle des Admirals überbrachte: sie lauteten dahin, daß der Kommandeur des Dort sich unverweilt an Bord des Löwen zu begeben, sich als Gefangenen zu betrachten und seinen Degen abzuliefern habe.

»Nein! nein!« rief die Mannschaft des Kommodoreschiffes. »Er geht nicht! wir wollen unserem Kapitän Beistand leisten bis auf's Aeußerste.«

»Stille, ihr Männer, stille!« rief Philipp.

»Ihr werdet einsehen, Herr,« fuhr er gegen den Offizier fort, »daß der Admiral in der grausamen Strafe gegen jenen unschuldigen jungen Mann seine Vollmacht überschritten hat, und so sehr ich auch bedaure, wenn sich hier Merkmale von Meuterei und Ungehorsam zeigen, darf doch nicht vergessen werden, daß ein Befehlshaber, der seine Aufträge überschreitet, ein schlimmes Beispiel und einen Entschuldigungsgrund für diejenigen gibt, welche unter anderen Umständen ihrer Pflicht getreu geblieben wären. Sagt dem Admiral, daß ich nach dem Morde dieses unschuldigen Mannes entschlossen bin, mich nicht länger unter seine Befehle zu fügen, und daß ich mich ebenso gut, als er, für mein Benehmen nur vor der Compagnie verantworten werde, der wir gemeinschaftlich dienen. Ich habe nicht im Sinne, an Bord zu gehen, und mich in seine Macht zu geben, damit er allenfalls durch meinen schimpflichen Tod seine Rachsucht befriedige. Es ist eine Pflicht gegen meine Untergebenen, mein Leben zu erhalten und Allem aufzubieten, um in dieser Klemme wo möglich auch das ihrige zu retten; zugleich mögt Ihr beifügen, daß ein wenig Nachdenken ihn belehren müsse, wie jetzt keine Zeit sei zu einem gegenseitigen Kriege, indem wir jetzt die ernste Verpflichtung haben, uns mit allen unsern Kräften wechselseitig beizuspringen. Wir sind an einer öden Küste gestrandet, ohne für lange mit Mundvorrath versehen zu sein, und haben keine Aussicht auf fremden Beistand, desgleichen nur wenig Hoffnung, mit dem Leben davon zu kommen. Wie der Kommodore prophezeit hat, werden wohl Viele sein trauriges Ende theilen – und sogar der Admiral wird wahrscheinlich unter die Zahl dieser Unglücklichen gehören. Ich will hier seine Antwort erwarten. Ist er geneigt, alle Feindseligkeit bei Seite zu setzen und unser Benehmen einem höheren Tribunal zu überlassen, so bin ich bereit, ihm denjenigen Beistand zu leisten, den unsere gegenseitige Lage fordert – wo nicht, so könnt Ihr ihm aus dem, was Ihr selbst gesehen, bedeuten, daß ich Leute um mich habe, welche bereit sind, mich gegen jede Gewaltthat zu vertheidigen. Ihr habt meine Antwort, Herr, und könnt an Bord zurückkehren.«

Der Offizier begab sich nach der Laufplanke, fand aber keinen seiner Matrosen, mit Ausnahme des Bugmanns, im Boote. Sie waren heraufgekommen, um von der Mannschaft des Dorts die wahre Geschichte dessen, was sie nur unvollkommen vernommen hatten, zu hören, und stimmten mit den Leuten des Dorts überein, daß die Erscheinung des Geisterschiffs, durch welche ihr gegenwärtiges Unglück veranlaßt wurde, ein Gottesgericht sei, das der Admiral durch seine grausame Behandlung des armen Kommodore über sie herabgerufen habe.

Nachdem der Offizier Philipps Antwort gemeldet hatte, kannte die Wuth des Admirals keine Grenzen mehr. Er befahl den Kanonieren des Hinterschiffes, welche den Dort bestreichen konnten, doppelt zu laden und Feuer zu geben. Krantz machte ihn jedoch darauf aufmerksam, daß sie in ihrer Lage nicht mehr Kanonen gegen den Dort aufbringen könnten, als der Dort gegen sie in Thätigkeit zu setzen vermöge – die Ueberlegenheit des Admiralschiffs werde dadurch aufgehoben und der ganze Schritt könne zu keinem vortheilhaften Resultate führen. Der Admiral ließ hierauf Krantz gefangen setzen und schickte sich an, seine wahnsinnige Absicht zu vollziehen, wurde aber hieran von den Matrosen des Löwen gehindert, welche weder auf ihre Kameraden feuern, noch die Kugeln derselben entgegennehmen wollten. Der Bericht der Bootsmannschaft hatte sich schnell durch das ganze Schiff verbreitet, und die Leute, welche dem Admiral ohnehin nicht geneigt waren, erkannten zu sehr das Gefährliche ihrer Lage, um sie noch schlimmer machen zu wollen. Ohne gerade in offene Meuterei auszubrechen, begaben sie sich in den Raum hinunter, und als die Offiziere sie heraufbeorderten, weigerten sie sich auf dem Deck zu erscheinen. Die Offiziere, welche das Benehmen des Admirals gleichfalls verabscheuten, meldeten nur einfach den Stand der Dinge unter der Mannschaft, ohne jedoch einzelne Individuen nahmhaft zumachen, gegen die sich die Rache ihres Tyrannen hätte geltend machen können. So verhielt sich die Sachlage, als die Sonne unterging. Auf dem Admiralschiffe war Nichts geschehen, denn Krantz befand sich im Arreste, und der Admiral hatte sich in einem Zustande der höchsten Wuth nach seiner Kajüte begeben.

Inzwischen war Philipp mit seinen Leuten nicht müssig gewesen – sie hatten einen Anker am Stern ausgelegt und straff angeholt: auch waren sie eben eifrig im Auspumpen des Wassers begriffen, als ein Boot neben der Schiffsseite anlangte und Krantz auf dem Decke erschien.

»Kapitän Vanderdecken, ich komme, um mich unter Eure Befehle zu stellen, wenn Ihr mich annehmen wollt – wo nicht, so verleiht mir doch Euren Schutz, denn ich wäre unausbleiblich morgen früh gehangen worden, wenn ich auf meinem eigenen Schiffe geblieben wäre. Die Mannschaft im Boote kommt in derselben Absicht – sie will sich Euch anschließen, wenn Ihr nichts dagegen habt.«

Obgleich Philipp gerne mit einem derartigen Ansinnen verschont geblieben wäre, konnte er sich unter so gestalteten Umständen doch nicht wohl weigern, Krantz aufzunehmen, um so mehr, da er Letzteren lieb gewonnen hatte und zu Rettung seines Lebens, das ohne Frage in großer Gefahr schwebte, sogar noch viel mehr gethan haben würde; die Matrosen forderte er jedoch zur Rückkehr auf. Als ihm aber Krantz mittheilte, was an Bord des Löwen vorgefallen war, und die Matrosen dringend baten, man möchte sie nicht zu einem fast gewissen Tode zurückschicken, der ihnen bevorstünde, weil sie Krantz in seiner Flucht unterstützt hätten, so erlaubte ihnen Philipp, obgleich nur mit Widerstreben, zu bleiben.

Die Nacht war stürmisch, das Wasser aber nicht wild, da der Wind vom Ufer abging. Es gelang der Mannschaft des Dorts im Laufe der Nacht unter den Anweisungen von Philipp und Krantz das Schiff so weit zu erleichtern, daß sie am andern Morgen im Stande waren, es umzuholen, denn sie fanden, daß der Boden keinen ernstlichen Schaden genommen hatte. Es war ein Glück für sie, daß sie in ihren Anstrengungen nicht abgelassen hatten; denn einige Stunden vor Sonnenaufgang schlug der Wind um und sie hatten kaum ihr Steuer wieder befestigt, als die Kühlte steif die Meerenge herunterkam und einen schweren Wellenschlag mit sich führte. Das Admiralschiff lag noch immer auf dem Grund, und augenscheinlich hatte sich Niemand Mühe gegeben, es wieder flott zu machen. Philipp fühlte sich in großer Verlegenheit, denn er mochte die Mannschaft des Löwen nicht zurücklassen und konnte doch auch dem Admirale die Aufnahme nicht abschlagen, wenn dieser an Bord kommen wollte; indeß entschloß er sich, Letzteren in diesem Falle bloß als einen Passagiere zu betrachten und sich selbst im Kommando zu behaupten. Vorderhand begnügte er sich, außerhalb des Riffs unter einem hohen Vorsprunge Anker zu werfen, unter welchem das Wasser glatt war. Das Admiralschiff lag ungefähr eine Meile einwärts am Ufer. Mittlerweile ließ er seine Mannschaft aus einem Flusse, der in unmittelbarer Nähe des Schiffs in die Straße einmündete, die Wasserfässer füllen und wartete ab, ob das Admiralschiff nicht etwa wieder loskäme, da er im entgegengesetzten Falle nothwendig eine baldige Mittheilung zu gewärtigen hatte. Nachdem der Wasservorrath eingenommen war, schickte er eines seiner Boote nach der Stelle, wo der Kommodore gelandet hatte, um denselben an Bord zu nehmen, wenn man ihn finden könnte; die Matrosen kehrten jedoch zurück, ohne etwas von ihm gesehen zu haben, obgleich sie über die Berge und ziemlich weit in's Innere des Landes gedrungen waren.

Am zweiten Morgen, nachdem Philipp sein Schiff umgeholt hatte, bemerkten sie, daß die Boote des Admiralschiffs an der Küste hin- und hergingen und sämmtliche Vorräthe an's Land brachten. Tags darauf waren Zelte am Ufer aufgeschlagen, woraus man entnehmen konnte, daß die Mannschaft den Löwen verlassen hatte, obgleich die Boote noch immer beschäftigt waren, Ladung herauszuholen. In der Nacht wehte steifer Wind und die See ging hoch; am andern Morgen waren die Masten fort und das Admiralschiff auf die Seite gelegt – also augenscheinlich ein Wrack, und Philipp berieth sich jetzt mit Krantz über die weiteren Schritte. Die Mannschaft des Löwen an der Küste zu lassen, war unmöglich, da sie an einem so öden Orte im Winter nothwendig zu Grunde gehen mußte. Indeß wurde es doch als räthlich erachtet, die erste Anfrage von der andern Partei ausgehen zu lassen, weshalb Philipp beschloß, ruhig vor Anker zu bleiben.

Es war augenscheinlich, daß unter den Matrosen des Löwen keine Mannszucht mehr herrschte, denn man sah sie im Laufe des Tags in jeder Richtung über die Felsen klettern, während sie des Nachts ein großes Feuer anzündeten und dabei schwelgerische Trinkgelage hielten. Diese Verschwendung des Mundvorraths verdroß Philipp sehr. Er besaß selbst nicht mehr, als gerade für den Unterhalt seiner eigenen Mannschaft zureichend war, und mußte jetzt darauf zählen, daß die Matrosen des Löwen bitten würden, an Bord seines eigenen Schiffs aufgenommen zu werden, sobald sie das, was sie an's Land genommen, verbraucht hatten.

Bei diesem Zustand verblieb er eine Woche lang, bis endlich eines Morgens ein Boot herausruderte, in dessen Sternschooten Philipp den Offizier erkannte, der schon früher zu ihm an Bord geschickt worden war, um ihm seinen Arrest anzukündigen. Als der Offizier auf dem Decke erschien, nahm er vor unserem Helden den Hut ab.

»Ihr erkennt mich demnach als kommandirenden Offizier an?« bemerkte Philipp.

»Ja, Herr, zuverlässig; Ihr wart der Zweite im Kommando, seid aber jetzt der Erste – der Admiral ist todt,«

»Todt?« rief Philipp. »Wie ging das zu?«

»Er fand sein Ende am Gestade unter einer hohen Klippe. Die Leiche des Kommodore war in seinen Armen – in der That, sie hatten sich fest aneinander angeklammert. Der Admiral pflegte jeden Tag nach der Höhe des Gebirgs zu gehen, um nachzusehen, ob nicht Schiffe durch die Straße herunterkamen; vermuthlich traf er bei dieser Gelegenheit auf den Kommodore, kriegte Zwist mit ihm, und so mögen wohl beide mit einander über den Absturz hinuntergefallen sein. Niemand sah ihre Begegnung; aber sie müssen über die Felsen gestürzt sein, da die Leichen furchtbar verstümmelt waren.«

Bei weiterer Erkundigung erfuhr Philipp, daß schon nach der zweiten Nacht alle Aussicht, den Löwen zu retten, verloren gewesen, denn sein Backbordgang war eingestoßen worden und das Schiff hatte schnell sechs Fuß tief Wasser im Raum gefaßt. Die Mannschaft brach nun in offene Meuterei aus und verzehrte fast allen Branntwein. Die Kranken waren bereits sämmtlich zu Grunde gegangen, desgleichen auch viele Andere, welche in trunkenem Zustande über die Felsen hinunterstürzten oder in Folge von nächtlicher Erkältung todt gefunden wurden.

»Die Prophezeihung des alten Kommodore ist also eingetroffen,« bemerkte Philipp gegen Krantz. »Viele Andere und sogar der Admiral selbst ist mit ihm zu Grunde gegangen. – Friede sei mit ihnen! Doch jetzt wollen wir sobald als möglich diesem schrecklichen Orte den Rücken kehren.«

Unser Held beauftragte sofort den Offizier, seine Matrosen und die noch übrig gebliebenen Vorräthe zu augenblicklicher Einschiffung zu sammeln. Krantz folgte bald nachher mit sämmtlichen Booten und noch vor Einbruch der Nacht befand sich Alles an Bord. Die Leichen des Admirals und des Kommodore's wurden an der Stelle, wo sie lagen, begraben, und am andern Morgen lichtete der Dort unter schrägem Winde die Anker, einen schönen Kurs durch die Meerenge anlegend.


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