Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Dreizehntes Kapitel.

»Es ist nicht entfernt meine Absicht, Euch etwas Unangenehmes zu sagen, mein Sohn,« sprach Pater Matthias, der kaum mit Philipp gleichen Schritt halten konnte, als sie noch etwa eine Viertelmeile von der Wohnung unseres Helden entfernt waren; »aber doch muß ich Euch erinnern, daß wir in einer vergänglichen Welt leben, und daß viele Zeit entschwunden ist, seit Ihr diesen Ort verließet. Aus diesem Grunde möchte ich wo möglich den Schwung Eurer Hoffnungen und die freudigen Vorahnungen dämpfen, in denen Ihr Euch ergingt, seit wir das Schiff verlassen haben. Ich hoffe und traue auf die Gnade Gottes, daß Alles recht steht und Ihr nach wenigen Minuten in den Armen Eurer vielgeliebten Gattin liegt; aber in demselben Grade, in welchem Ihr die Wonne der Erwartung steigert, werdet Ihr Euch auch niedergedrückt fühlen, wenn Ihr Euch in Eurem Vorgenusse getäuscht findet. In Vließingen ging die Rede, daß eine furchtbare Heimsuchung dieses Land betroffen habe, und der Tod hat vielleicht auch Jugend und Schönheit nicht geschont,«

»Laßt uns eilen, Vater,« verletzte Philipp. »Was Ihr sagt, ist wahr, und die Ungewißheit wird zur fürchterlichen Qual.«

Philipp beschleunigte seine Eile, es dem Greise überlassend, nach Gemächlichkeit nachzukommen, und langte an der Brücke mit ihrem hölzernen Thürchen an. Es war ungefähr sieben Uhr Morgens, denn sie hatten schon mit dem Grauen des Tages die Schelde übersetzt.

Philipp bemerkte, daß die unteren Läden noch geschlossen waren.

»Sie hätte können früher auf sein,« dachte er, als er die Hand auf die Klinke legte.

Die Thüre war nicht verschlossen. Philipp trat ein. In der Küche brannte Licht, und als er die Thüre öffnete, erblickte er ein Dienstmädchen, das schlafend in einem Stuhle lehnte. Eh' er noch Zeit hatte, hineinzugehen und sie zu wecken, hörte er eine Stimme von oben.

»Marie, ist dieß der Doctor?«

Philipp wartete nicht länger. Mit drei Sprüngen befand er sich auf der oberen Flur, huschte an der Person, welche gesprochen hatte, vorbei, und öffnete die Thüre zu Aminens Gemach.

Ein schwimmender Docht in einem mit Oel gefüllten Glase verbreitete nur ein mattes Dämmerlicht; die Vorhänge des Bettes waren zu, und nebenan kniete eine Gestalt, in welcher Philipp augenblicklich den Pater Seysen erkannte. Er fuhr zurück; das Blut schoß ihm zum Herzen, und ohne sprechen zu können, stützte er sich, nach Luft haschend, an die Wand, bis endlich ein tiefes Stöhnen seinem furchtbaren innern Kampfe Luft machte. Dieß weckte den Priester, der jetzt den Kopf umwandte, sich, sobald er den Ankömmling bemerkte, von seinen Knieen erhob und ihm stumm die Hand entgegen streckte.

»So ist sie also todt?« rief endlich Philipp.

»Nein, mein Sohn, nicht todt – es ist noch Hoffnung vorhanden. Sie befindet sich in einem Zustand der Krise, und eine Stunde wird ihr Schicksal entscheiden. Dann ist sie entweder für Euch gerettet, oder folgt den vielen Hunderten, welche diese verhängnißvolle Epidemie dem Grabe überantwortet hat.«

Pater Seysen führte sodann Philipp an die Seite des Bettes, und zog die Vorhänge zurück. Amine lag bewußtlos und schwer aufathmend da; ihre Augen waren geschlossen. Philipp faßte ihre glühende Hand, kniete nieder, preßte sie an seine Lippen und brach in einen Strom von Thränen aus. Sobald er sich einigermaßen gefaßt hatte, redete ihm Pater Seysen zu, er möchte aufstehen und sich neben ihm an's Bett setzen.

»Das ist ein trauriger Willkomm, Philipp,« sagte er, »und muß für einen so glühenden, ungestümen Charakter, wie der deinige ist, doppelt peinlich sein; aber Gottes Wille geschehe. Vergiß übrigens nicht, daß noch Hoffnung vorhanden ist – keine große zwar, aber doch noch Hoffnung, denn so sagte mir der Arzt, der sie behandelt, und den ich in wenigen Minuten erwarte. Ihre Krankheit ist ein typhöses Fieber, das im Laufe der letzten zwei Monate ganze Familien hingerafft hat, und noch mit aller Heftigkeit fortwüthet. Das Haus kann sich in der That glücklich nennen, das nur Ein Opfer zu beklagen hat. Ich wollte, Ihr wäret nicht eben jetzt angekommen, denn die Krankheit ist sehr ansteckend. Viele sind ihrer Sicherheit wegen aus dem Lande gezogen. Um unser Unglück zu erhöhen, mußten wir noch der ärztlichen Hülfe entbehren, denn der Doctor wurde mit den Kranken ein Opfer.«

Die Thüre öffnete sich nun langsam, und ein großer, schwärzlichter Mann in braunem Mantel, der sich einen mit Weinessig getränkten Schwamm unter die Nase hielt, trat in's Zimmer. Er verbeugte sich gegen Philipp und den Priester, worauf er sich an das Bett begab. Eine Minute lang befühlten seine Finger den Puls der Kranken; dann legte er ihren Arm nieder, brachte seine Hand an die Stirne, und bedeckte sie mit ihren Betttüchern. Nachdem er Philipp den Schwamm mit Weinessig hingeboten und ihm durch Zeichen bedeutet hatte, daß er davon Gebrauch machen sollte, winkte er dem Pater Seysen aus dem Zimmer.

Eine Minute später kehrte der Priester wieder zurück.

»Er hat mir seine Anweisungen ertheilt, mein Sohn, und glaubt, daß sie wieder aufkommen könne. Man muß sie gut bedeckt halten; aber Alles hängt davon ab, daß sie ruhig bleibt, wenn ihre Besinnung wieder zurückgekehrt ist.«

»Das können wir wohl versprechen,« versetzte Philipp.

»Ich fürchte nicht so sehr, daß sie deine Rückkehr erfährt oder sogar dich sieht, denn die Freude tödtet selten, wenn auch die Erschütterung noch so groß ist; indeß sind noch andere Ursachen zur Unruhe vorhanden.«

»Und die wären, heiliger Vater?«

»Philipp, es sind jetzt dreizehn Tage, daß Amine gerast hat, und während dieser Periode kam ich selten anders von ihrer Seite, als wenn mich mein Amt zu den übrigen Kranken rief. Ich scheute mich, sie zu verlassen, Philipp, denn in ihrem Irrereden hat sie eine Geschichte erzählt, die, wie unzusammenhängend sie auch sein mochte, doch meine Seele mit Entsetzen erfüllte. Augenscheinlich hat sie lange schwer auf ihrem Geiste gelastet und muß ihre Genesung verzögern. Philipp Vanderdecken, du erinnerst dich, daß ich dich einmal aufforderte, mir dein Geheimniß anzuvertrauen – das Geheimniß, welches deine Mutter in's Grab stürzte und ihr vielleicht jetzt dein junges Weib nachsendet, denn sie scheint von Allem unterrichtet zu sein. Ist's nicht so?«

»Sie weiß Alles,« versetzte Philipp traurig.

»Und hat es in ihrem Delirium ausgesagt. Ja, ich hoffe, sie hat sogar mehr gesagt, als wirklich ist. Doch wir sprechen später davon – bleibe bei ihr, Philipp. Ich werde nach einer halben Stunde zurückkehren, denn der Doktor sagt, die Symptome würden dann entscheiden, ob sie wieder zur Vernunft zurückkehren werde, oder auf immer für dich verloren sei.«

Philipp flüsterte nun dem Priester zu, daß er einen Gast mitgebracht habe, den Pater Matthias, und bat ihn, demselben seine gegenwärtigen Verhältnisse mitzutheilen und dafür Sorge zu tragen, daß er gebührende Pflege erhalte. Pater Seysen verließ sodann das Gemach und Philipp setzte sich, nachdem er den Vorhang geschlossen hatte, an dem Bette nieder.

Vielleicht gibt es keine schmerzlichere Lebenslage, als diejenige, in welcher sich jetzt Philipp befand. Seine freudige Erwartung, den Gegenstand seiner wärmsten Zuneigung und seiner unablässigen Gedanken nach einer langen Abwesenheit in der Fülle der Gesundheit und Jugend zu umarmen, wurde plötzlich durch den herben Kummer gedämpft, daß er sie daliegen sehen mußte, abgezehrt, durch Krankheit ganz verändert, irren Sinns, ohne Ahnung von seiner Gegenwart, ihr Leben an einem Haare hängend, ihre Gestalt hingestreckt vor dem Könige der Schrecken, der sie mit angelegter Hippe umschwebte und nur der Erlaubnis harrte, sein nichts ahnendes Opfer abzumähen.

»Ach!« dachte Philipp; »müssen wir so uns wiedersehen, Amine? Oh, wie weise hat mir Vater Matthias gerathen, nicht so ungestüm meinem Glücke – wie ich meinte – entgegenzueilen, da es sich leicht in Elend umwandeln könne. Gott im Himmel, sei barmherzig und vergib mir, wenn ich dieses Engelsgeschöpf sogar mehr, als dich geliebt habe. Schone sie – schone sie – oder ich bin für immer verloren!«

Philipp verhüllte sich das Antlitz und verharrte eine Weile in stummem Gebet. Dann beugte er sich über Amine und drückte einen glühenden Kuß auf ihre Lippen. Sie glühten allerdings, zeigten aber doch einige Feuchtigkeit, und Philipp bemerkte, daß ein Gleiches auch bei ihrer Stirn der Fall war. Er befühlte ihre Hand; sie zeigte Spuren von Schweiß. Nun deckte er sie sorgfältig mit den Tüchern zu und blieb voll hoffender Angst an ihrer Seite sitzen.

Nach einer Viertelstunde entdeckte er mit Wonne, daß Amine in reichlichem Schweiße lag. Ihr Athem wurde etwas leichter, und statt des betäubten Zustands, in dem sie bisher gelegen hatte, rückte sie jetzt unruhig hin und her. Philipp war ein sorgfältiger Hüter und deckte seine Gattin stets mit den abgeworfenen Tüchern wieder zu, bis sie endlich in einen tiefen, süßen Schlaf verfiel. Bald nachher erschienen Pater Seysen und der Arzt. Philipp berichtete in wenigen Worten, was vorgefallen war. Der Doctor trat an's Bette und kehrte nach einer halben Minute wieder zurück.

»Eure Gattin bleibt Euch erhalten, aber es ist nicht räthlich, daß sie Euch so unerwartet sieht, da die Erschütterung zu heftig auf ihren geschwächten Zustand wirken könnte. Wir müssen sie so lang als möglich schlafen lassen; wenn sie wieder erwacht, wird ihre Besinnung zurückgekehrt sein. Es ist dann gut, wenn sie nur den Pater Seysen an ihrer Seite findet.«

»Darf ich nicht in dem Gemache bleiben, bis sie erwacht? Ich will mich dann unbemerkt wegstehlen.«

»Das führt zu Nichts; die Krankheit ist ansteckend und Ihr seid bereits zu lange hier gewesen. Bleibt unten; Ihr müßt Eure Kleider wechseln und für die Kranke in einem andern Zimmer ein Bett aufschlagen lassen, nach dem sie gebracht werden kann, sobald es ihre Kräfte gestatten. Laßt dann diese Fenster öffnen, damit das Gemach gehörige Lüftung erhalte. Was nützt es auch, eine Frau eben dem Rachen des Todes entrissen zu haben, um sie dann der Gefahr auszusetzen, der Pflege eines kranken Gatten zum Opfer zu fallen.«

Philipp sah die Klugheit dieses Rathes ein, verließ mit dem Arzte das Zimmer, um seine Kleider zu wechseln, und begab sich sodann in die untere Wohnstube, wo er Pater Matthias fand.

»Ihr hattet Recht, Vater,« sagte Philipp, sich auf das Sopha werfend.

»Ich bin alt und vorsichtig, Ihr aber jung und lebensmuthig, Philipp; indeß will ich hoffen, daß noch Alles gut gehen wird.«

»Ich gleichfalls,« versetzte Philipp.

Er blieb nun stumm und vertiefte sich in Betrachtungen, denn nachdem die dringendste Gefahr überstanden war, dachte er über das nach, was ihm Pater Seysen in Betreff des Geheimnisses mitgetheilt hatte, welches von Aminen während ihrem Irrereden enthüllt worden war. Der Priester mochte ihn nicht in dieser Beschäftigung stören, und nach einer Stunde trat Pater Seysen in das Gemach.

»Danke dem Himmel, mein Sohn – Amine ist erwacht und vollkommen bei Besinnung. Ich zweifle nun nicht mehr an ihrer Wiederherstellung. Sie hat die belebende Arznei des Doctors eingenommen, obgleich sie sich so sehr nach weiterer Ruhe sehnte, daß ich sie kaum dazu bewegen konnte. Jetzt liegt sie wieder im Schlafe, aus dem sie nicht sobald erwachen wird, und hat eines der Mädchen zur Hüterin; sie darf nicht gestört werden, denn unter solchen Umständen ist jeder Augenblick der Ruhe kostbar. Ich will mich nun nach einiger Erfrischung umsehen, deren wir Alle bedürfen. Philipp, du hast mich deinem Begleiter noch nicht vorgestellt, der, wie ich bemerke, meinem eigenen Stande angehört.«

»Vergebt mir,« versetzte Philipp; »Ihr werdet viele Freude an der Bekanntschaft des Vater Matthias erleben, der mir versprochen hat, einige Zeit bei mir zu wohnen. Ich will euch allein lassen und für ein Frühstück Sorge tragen, wegen dessen Verzögerung mich hoffentlich Vater Matthias entschuldigen wird.«

Philipp entfernte sich sodann aus dem Gemach und ging in die Küche. Nachdem er das Nöthige angeordnet und Befehl ertheilt hatte, das Frühstück in die Wohnstube zu bringen, setzte er seinen Hut auf und verließ das Haus. Er konnte nicht essen, denn sein Geist war zu verwirrt; die Ereignisse des Morgens hatten zu aufregend auf ihn gewirkt, und er fühlte, daß ihm frische Luft ein Bedürfniß sei.

Gleichgültig gegen die Richtung ging er fort und traf auf viele Bekannte, die ihr Bedauern über seinen vermeintlichen Verlust ausdrückten und ihm Glück wünschten, als sie aus seinem Munde erfuhren, daß die Gefahr vorüber sei. Auch theilten sie ihm mit, wie furchtbar die Pest allenthalben gewüthet hatte.

Kein Drittheit der Bewohner von Terneuse und der Umgegend war übrig geblieben, und die Wiedergenesenen befanden sich in einem Zustande von Erschöpfung, der sie hinderte, zu ihrer gewohnten Beschäftigung zurückzukehren. Nachdem sie sich also durch die Krankheit durchgekämpft hatten, fielen sie dem Elend und Mangel anheim, und Philipp gelobte in seinem Innern, alle seine Ersparnisse auf Milderung der Noth seiner Nachbarn zu verwenden. Nach zwei Stunden kehrte er wieder zu der Hütte zurück.

Zu Hause angelangt, fand er Amine noch immer schlummernd; die beiden Priester saßen in dem untern Zimmer bei einander im Gespräche.

»Mein Sohn,« sagte Pater Seysen, »gib uns jetzt einige Aufklärung. Ich habe mich lange mit diesem guten Vater besprochen, der mir viel Interessantes über die Verbreitung unserer heiligen Religion unter den Heiden mittheilte. Seine Nachrichten lauten tröstlich und schmerzlich zumal: unter andern Fragen legte ich ihm jedoch auch eine vor über den Punkt einer übernatürlichen Schiffserscheinung in den östlichen Meeren, wozu ich durch das veranlaßt wurde, was ich aus den Delirien deiner Gattin vernommen habe. Du siehst, Philipp, daß mir dein Geheimniß bekannt ist, da ich sonst nicht eine solche Frage gestellt hätte. Zu meinem Erstaunen berichtet er mir nun, daß er eine solche Heimsuchung mit Augen angesehen habe und daß sie sich nur aus übernatürlichen Wirkungen erklären lasse. Gewiß eine seltsame und schreckliche Heimsuchung! Philipp, würde es nicht besser sein, du machtest meinem Bedenken ein Ende und vertrautest uns Beiden alle Thatsachen, die mit dieser wunderbaren Geschichte zusammenhängen, damit wir darüber nachdenken und dir die Wohlthat eines erfahrenen Rathes ertheilen können? denn wir sind älter als du, und schon durch unsern Beruf in die Lage gesetzt, mit sicherem Blicke zu beurtheilen, ob diese übernatürliche Macht von guten oder schlimmen Einflüssen herrührt.«

»Der hochwürdige Vater spricht ganz meine Ansicht aus, Philipp Vanderdecken,« bemerkte Pater Matthias.

»Waltet hier ein Werk des Allmächtigen – wem solltest du dich mehr vertrauen, und wer kann dir ein besserer Führer sein, als diejenigen, welche sich hier auf Erden Seinem Dienste geweiht haben? Treibt aber der Böse sein Spiel, wer wird dich besser berathen, als Männer, deren Wunsch und Pflicht es ist, seinem verderblichen Einflusse entgegen zu arbeiten? Bedenke überdies, Philipp, daß das Geheimniß schwer auf dem Geiste deines theuren Weibes lasten und sie in's Grab bringen könnte, wie es bei deiner – wie ich hoffe – seligen Mutter der Fall war. An deiner Seite und von dir unterstützt wird sie es wohl tragen; aber vergiß nicht, wie viele Tage und Nächte sie in der Abwesenheit einsam verbringen muß – wie sehr sie dann des Trostes und der Hülfe Anderer bedarf. Ein derartiges Geheimniß ist ein nagender Wurm, der ihr, trotz ihres Muthes, das Dasein verkürzen muß, wenn ihr nicht die Diener unserer heiligen Kirche tröstenden Balsam in's Herz gießen. Es war grausam und selbstsüchtig von dir, Philipp, sie unter dem Drucke einer so schrecklichen Kunde mit ihrem Elende allein zu lassen.«

»Ihr habt mich überzeugt, heiliger Vater,« versetzte Philipp. »Ich fühle, daß ich Euch schon früher mit dieser wunderbaren Geschichte hätte bekannt machen sollen, will aber jetzt alle Umstände angeben, obschon ich nur geringe Hoffnung habe, daß mir Euer Rath in einem so schwierigen Falle, in einer so gebieterischen und sinnverwirrenden Pflicht hülfreich werden kann,«

Philipp erzählte nun ausführlich, was vorgegangen war, von den paar Tagen vor dem Tode seiner Mutter an bis auf den gegenwärtigen Augenblick – und schloß dann mit der Bemerkung:

»Ihr seht, Vater, daß ich mich durch ein feierliches Gelübde gebunden habe und daß dieses Gelübde angenommen wurde. Es ist mir klar, daß mir jetzt kein anderer Weg offen bleibt, als meine traurige Bestimmung zu verfolgen.«

»Mein Sohn, du hast uns seltsame, schreckliche Dinge mitgetheilt – Dinge, die, wenn du nicht in einer Täuschung befangen bist, nicht dieser Welt angehören. Verlaß uns jetzt, Vater Matthias und ich, wir beide wollen uns über diese ernste Angelegenheit berathen und dich unsere Entscheidung wissen lassen, sobald wir zu einem Entschlusse gekommen sind.«

Philipp ging die Treppe hinauf, um nach Aminen zu sehen. Sie lag noch in tiefem Schlafe, weßhalb er das Dienstmädchen entließ und an ihrem Bette Platz nahm. Nach zwei Stunden wurde er zu den Priestern hinunter beschieden.

»Wir haben diesen seltsamen und vielleicht übernatürlichen Vorfall lange besprochen, mein Sohn,« begann Pater Seysen. »Ich sage vielleicht, denn die verwirrten Mittheilungen deiner Mutter lassen sich recht wohl als Vorstellungen eines erhitzten Gehirns betrachten, und ebensogut kann man annehmen, daß die gewaltige Aufregung, in welcher du zur Zeit ihres Todes befangen warst, störend auf deinen Verstand einwirkte. Da jedoch Vater Matthias mit Bestimmtheit behauptet, er sei auf seinem Heimwege selbst Zeuge einer wundersamen, wo nicht übernatürlichen Schiffserscheinung gewesen, die mit der von dir vorgebrachten Erzählung vollkommen zusammenstimmt und sie bekräftigt, so will ich in dem gegenwärtigen Falle die Möglichkeit eines übernatürlichen Waltens nicht in Abrede ziehen.

»Vergeht nicht, daß dasselbe gespenstische Schiff außer mir auch noch vielen Andern begegnet ist,« versetzte Philipp.

»Ja,« entgegnete Pater Seysen; aber welcher Lebende kann außer dir die Thatsache bestätigen? Doch das ist jetzt von geringer Bedeutung. Wir wollen zugeben, daß das Ganze nicht das Werk der Menschen, sondern eines höhern Einflusses ist.«

»Oh gewiß eines höheren Einflusses!« erwiderte Philipp. »Es ist das Werk des Himmels!«

»Das ist ein Punkt, der nicht so leicht zugestanden werden kann, denn es gibt noch eine andere Macht außer der göttlichen – nämlich die des Teufels – des Erzfeindes der Menschheit! Da jedoch letztere der göttlichen Gewalt untergeordnet ist und nicht ohne höhere Zulassung sich geltend machen kann, so wollen wir mittelbar zugeben, es sei der Wille des Himmels, daß bei gewissen Anlässen derartige Zeichen statthaben können.«

»Dann sind also unsere Ansichten die gleichen, guter Vater.«

»Nein, nicht ganz mein Sohn. Der Zauberer Elimas durfte seine vom Teufel geschöpften Künste üben, um durch seinen Sturz und seine Blindheit den Beweis zu liefern, wie untergeordnet sein Herr dem göttlichen Meister sei; daraus folgt aber nicht, daß Zauberei im Allgemeinen zugelassen wird. Im gegenwärtigen Falle hat es vielleicht seine Richtigkeit, daß es dem Bösen gestattet wurde, seine Macht über den Kapitän und die Mannschaft jenes Schiffes zu üben, und das übernatürliche Schiff mag wohl als Warnungszeichen gegen so schwere Vergehungen erscheinen. Soweit wäre unsere Annahme gerechtfertigt. Doch erheben sich nun zwei große Fragen – erstlich, ob wirklich dein Vater jener Mann des Fluches ist, und dann, in wie weit du die Verpflichtung hast, dieses wahnsinnige Spähen zu verfolgen, das meiner Ansicht nach wohl mit deinem Untergang endigen, aber nicht wohl das Mittel sein kann, deinen Vater aus seinem unheiligen Zustande zu befreien. Verstehst du mich, Philipp?«

»Ich verstehe allerdings, was Ihr mir bedeuten wollt, Vater; indeß –«

»Antworte mir jetzt nicht. Es ist die Ansicht dieses hochwürdigen Vaters sowohl, als meine eigene, daß die Thatsachen, die du angabst, sich so verhalten mögen, wie du meinst – daß übrigens die Offenbarung nicht von oben kam, sondern eben eine Einflüsterung des Teufels ist, der dich in Gefahr und zuletzt in den Tod führen will; denn hättest du wirklich eine derartige Aufgabe – warum erschien dir das Schiff nicht auf dieser letzten Reise – und wie könntest du, selbst daß du ihm fünfzigmal begegnetest, einen Verkehr mit demselben oder mit den darauf befindlichen Schatten herstellen, die nicht dieser Welt angehören? Wir machen dir daher den Vorschlag, daß du einen Theil des von deinem Vater hinterlassenen Geldes auf Seelenmessen verwendest, da deine Mutter unter andern Verhältnissen zuverlässig ein Gleiches gethan haben würde. Ist dies geschehen, so magst du ruhig am Lande bleiben, bis dir ein neues Zeichen gegeben wird, welches dich zu der Annahme rechtfertigt, du seiest wirklich zu dieser seltsamen Aufgabe auserwählt.«

»Aber mein Eid, Vater – mein im Himmel angenommenes Gelübde?«

»Mein Sohn, die heilige Kirche hat die Macht dich davon zu absolviren und diese Absolution sollst du erhalten. Du hast dich in unsere Hände gegeben und mußt dich durch unsere Entscheidung leiten lassen. Geschieht hier ein Unrecht, so sind wir verantwortlich, nicht du. Vorderhand also kein Wort davon. Jetzt will ich hinaufgehen, und sobald dein Weib erwacht, magst du dich auf die Zusammenkunft mit ihr vorbereiten.«

Pater Seysen verließ nun das Gemach, und Pater Matthias besprach die Sache eines Weiteren mit Philipp. Sie beleuchteten den Gegenstand geraume Zeit, und der Priester führte ähnliche Beweisgründe auf, welche zwar Philipp nicht überzeugten, aber doch zuletzt zweifelhaft machten. Nach dem Schlusse der Erörterung verließ unser Held die Hütte.

»Ein neues Zeichen – ein bekräftigendes Zeichen!« dachte Philipp; »wahrhaftig, wir haben der Zeichen und Wunder genug, Indeß mag es doch wahr sein, daß Seelenmessen meinen Vater aus seinem Zustande der Qual befreien können. Jedenfalls trifft mich kein Vorwurf, wenn sie die Entscheidung übernehmen. Wohlan denn, so will ich ein neues Zeichen des göttlichen Willens abwarten, wenn es einmal so sein soll.«

Und Philipp ging weiter, hin und wieder an Pater Seysens Beweisgründe, noch öfter an Aminen denkend.

Es war jetzt Abend und die Sonne dem Untergange nahe. Philipp wanderte noch immer fort, bis er endlich an derselben Stelle anlangte, wo er knieend sein feierliches Gelübde ausgesprochen hatte. Er erkannte den Ort und blickte nach den fernen Bergen. Die Sonne stand gerade in derselben Höhe – die Landschaft, der Platz, die Zeit, Alles das Gleiche. Abermals knieete Philipp nieder, nahm die Reliquie aus seinem Busen und küßte sie. Er sah der Sonne nach und beugte sich bis zur Erde, eines Zeichens harrend; aber das Gestirn des Tages senkte sich hinter das Gebirge und der Schleier der Nacht breitete sich über die Landschaft. Kein Zeichen hatte sich kund gegeben; Philipp erhob sich daher und ging der Heimath zu, mehr als je geneigt, Pater Seysens Rathe zu folgen.

Dort angelangt, ging Philipp leise die Treppe hinan und trat in das Gemach Aminens, welche jetzt erwacht und mit dem Priester in einem Gespräche begriffen war. Der geschlossene Vorhang hinderte, daß er bemerkt wurde.

Mit klopfendem Herzen blieb er an der Wand zu den Häupten des Bettes stehen.

»Ihr habt Grund zu glauben, daß mein Gatte angelangt sei?« fragte Amine mit matter Stimme. »Oh, so redet – welchen Grund?«

»Wir wissen, daß sein Schiff eingetroffen ist, und haben aus dem Munde eines Augenzeugen vernommen, daß sich Alles an Bord wohl befindet.«

»Aber warum ist er nicht hier? Wer sollte die Kunde von seiner Rückkehr früher bringen, als er selbst? Vater Seysen, er ist entweder nicht angekommen, oder befindet sich hier – ich weiß, er muß hier sein, wenn er gesund und wohl ist. Ich kenne meinen Philipp zu gut. Sagt mir – ist er nicht hier? Fürchtet nichts, wenn Ihr ›ja‹ sagt; aber das Gegentheil wird mir den Tod bringen.«

»Ja, Amine, er befindet sich hier,« versetzte Pater Seysen – »und befindet sich wohl.«

»O Gott! ich danke dir! aber wo ist er? Er muß in diesem Zimmer sein, oder Ihr täuscht mich. Oh, diese Ungewißheit ist bitterer als der Tod!«

»Ich bin hier,« rief Philipp, die Vorhänge öffnend.

Amine erhob sich mit einem Schrei, breitete ihre Arme aus und sank dann besinnungslos zurück. Nach einer kurzen Weile erholte sie sich jedoch wieder und bewies damit die Wahrheit von Pater Seysens Behauptung, daß die Freude nicht tödtet.

Wir müssen nun die paar Tage übergehen, in deren Verlauf Philipp fast kaum das Krankenlager seiner Amine verließ. Sie erholte sich schnell, und sobald sie sich kräftig genug fühlte, um den Gegenstand zur Sprache bringen zu können, mußte ihr Philipp Alles erzählen, was seit seiner Abreise vorgefallen war; er versäumte auch nicht, das Bekenntniß zu berühren, das er gegen Pater Seysen abgelegt hatte. Amine fühlte sich überglücklich, daß Philipp bei ihr bleiben wollte, und vereinigte ihre Ueberredungskunst mit den Rathschlägen der Priester, so daß Philipp eine Zeitlang nicht mehr von seiner Absicht, auf die See zu gehen, sprach.


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